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Gift für Insekten

Gift für Insekten
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Mit blühenden Blumenwiesen für Bienen und Bestäuber will Baden-Württemberg das Insektensterben bekämpfen. Für Umweltschützer nicht genug. Sie fordern ein Verbot der Pflanzenschutzmittel, die Tiere vergiften – und sie fürchten die nächste große Verharmlosungskampagne der Agrochemie-Industrie.

Brachebegrünung mit Blühmischungen. Dafür will die grün-schwarze Landesregierung im kommenden Haushalt die Fördermittel aufstocken. Kornblumen, Kleearten, als "besondere Farbtupfer sind Klatschmohn sowie Ringel- und Sonnenblume hervorzuheben", heißt es in einem <link http: www.foerderung.landwirtschaft-bw.de pb site lel get documents mlr.lel pb5documents ltz_ka arbeitsfelder nahrungsangebot nahrungsangebot_dl external-link-new-window>Infoblatt zum Förderprogramm für Agrarumwelt, Klimaschutz und Tierwohl (FAKT). Dass dafür nun mehr Geld locker gemacht wird, ist jedoch mehr als nur ästhetisches Kalkül: Mit blühenden Landschaften will Agrarminister Peter Hauk (CDU) das Insektensterben bekämpfen.

Alarmierende Befunde

Das konkrete Ausmaß des Insektensterbens in Deutschland ist nicht klar, ein flächendeckendes Monitoring von Insektenpopulationen gibt es nicht. In Zusammenarbeit mit dem Nabu untersuchten Forscher des Entomologischen Vereins Krefeld ehrenamtlich 63 Naturschutzgebiete in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg über den Zeitraum von 27 Jahren. Dabei war ein durchschnittlicher Rückgang der Biomasse aller gefangenen Insekten um etwa 75 Prozent zu beobachten. Zwar lassen sich diese Befunde nicht einfach auf ganz Deutschland übertragen, einen alarmierenden Trend verdeutlichen sie allemal. Zumal sie sich mit Studien decken, die insbesondere bei Bienen und Schmetterlingen seit geraumer Zeit dramatisch schwindende Populationen dokumentieren. (min)

Das geht aus einem Maßnahmenkatalog hervor, an dem Verkehrs-, Umwelt- und Landwirtschaftsministerium im Auftrag von Ministerpräsident Winfried Kretschmann seit dem Sommer vergangenen Jahres arbeiten. Bislang handle es sich bei dem 15-seitigen Papier noch um einen nicht-öffentlichen Entwurf, betonen Sprecher der Behörden auf Rückfrage, das fertige Konzept solle am 21. November im Landtag vorgestellt werden.

Was davon bisher bekannt wurde, ließ Umwelt- und Artenschützer nicht in Jubelschreie ausbrechen. Neben der intensivierten Brachebegrünung berichten die Stuttgarter Blätter (StZN) von einem weiteren Haukschen Impuls: Der Minister plant, schwäbisches Wiesenobst "als geschützte geografische Angabe zur Schaffung eines Alleinstellungsmerkmals" einzutragen, denn Streuobstwiesen gelten als besonders artenreich. Bei den landwirtschaftlich genutzten Flächen wird es schon schwieriger: "Heikel wird es immer dann", schreiben die StZN "wenn Bauern zu einem verminderten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bewogen werden sollen, denn dies zieht Einkommensverluste nach sich."

Umweltschützer fordern Verbot der Nervengifte

Dabei wären genau hier massive Einschränkungen dringend notwendig, sagt Axel Mayer vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). "Nur ein paar Blühstreifen anzulegen", erklärt der Geschäftsführer des Regionalverbands Südlicher Oberrhein gegenüber Kontext, "wird die Insekten nicht retten." Stattdessen fordert er, wie auch der <link https: baden-wuerttemberg.nabu.de presse pressemitteilungen external-link-new-window>Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und zahlreiche renommierte Wissenschaftler, ein sofortiges Verbot der Neonicotinoide, einer Klasse synthetisch hergestellter Insektizide. Dieses Nervengift tötet Bienen und Bestäuber nicht sofort. Doch es mindert ihre Fruchtbarkeit, verkürzt ihre Lebensspannen und greift ihr Gedächtnis an. Wenn etwa Bienen den Wirkstoffen ausgesetzt sind, verlieren sie häufig jede Orientierung. Feldversuche zeigen, wie Arbeiterinnen nicht mehr zu ihren Kolonien zurückfinden und umherirren, bis sie leichte Beute sind oder vor Erschöpfung sterben.

Doch in der deutschen Landwirtschaft erfreuen sich neonicotinoidhaltige Pflanzenschutzmittel zunehmender Beliebtheit. Ihr Einsatz hat sich im vergangenen Jahrzehnt mehr als verdoppelt, von 650 auf 1650 Tonnen. Für die Anwender ist das hochkomfortabel: Produkte wie "Cruiser" von Syngenta oder "Gaucho" von der Bayer CropScience AG müssen nicht auf die Felder gespritzt werden. Schon das Saatgut wird mit diesen Mitteln gebeizt. Somit erübrigt sich der Aufwand, das Nervengift gezielt gegen Schädlinge einzusetzen. Denn während die Pflanzen heranwachsen, durchdringen die Neonicotinoide ihr gesamtes Gewebe, vom Wurzelwerk bis in die Blüten. Das hält Pflanzenläuse oder Kartoffelkäfer effektiv fern. Doch das Nervengift gelangt so auch in Pollen und Nektar, und damit in die Nahrung der Bienen und Bestäuber. Zudem setzt es sich zunehmend im Boden fest.

Das hat auch eine Studie festgestellt, die sich in den Unterlagen europäischer Zulassungsbehörden findet. Vier Felder, die über sechs Jahre hinweg mit gebeiztem Saatgut bestellt worden sind (in diesem Fall mit Imidacloprid), haben Forscher untersucht. Die Menge der neonicotinoidhaltigen Wirkstoffe im Boden nahm in dieser Zeitspanne kontinuierlich zu. Dennoch kamen die Prüfenden auf EU-Ebene zu der Einschätzung, das Mittel habe "nicht das Potenzial, sich im Boden anzureichern". "Inkompetenz oder Korruption?", fragt der britische Biologe und Insektenforscher <link http: www.geo.de magazine geo-magazin external-link-new-window>Dave Goulson im Gespräch mit dem "Geo"-Magazin: "Das Urteil überlasse ich Ihnen."

Mit intensiver PR-Arbeit für Insektengift ist zu rechnen

Damit nicht genug: Weil Neonicotinoide wasserlöslich sind, verteilen sie sich weit über Ackerböden und Anbauflächen hinaus, sickern ins Grundwasser, belasten sogar Naturschutzgebiete. Diese Erkenntnisse liegen auch der EU-Kommission vor. Diese habe, <link https: www.theguardian.com environment mar europe-poised-for-total-ban-on-bee-harming-pesticides external-link-new-window>wie der "Guardian" bereits im März dieses Jahres berichtete, in vertraulichen Dokumenten ein Verbot der drei meistverwendeten Neonicotinoide vorbereitet. Das könne noch 2017 beschlossen werden, wenn sich dafür eine Mehrheit unter den Mitgliedstaaten finde. Im Juni schließlich landete das Thema im Umweltausschuss. Dort wollte die britische Abgeordnete Julie Girling (Conservative and Unionist Party) ein Verbot verhindern - was angesichts der erdrückenden Evidenz selbst einigen konservativen Kollegen zu weit ging: Der CDU-Abgeordnete Karl-Heinz Florenz unterstellte Girling, sie sei "durch die Lobbyarbeit der chemischen Industrie erblindet", <link https: www.topagrar.com news acker-agrarwetter-ackernews-neonicotinoide-eu-kommission-fuer-vollstaendiges-verbot-8336514.html external-link-new-window>wie "Top Agrar" berichtet.

Dennoch ist bis heute kein Verbot beschlossen, seit dem Sommer ist es verblüffend ruhig geworden. Zwar kam erst vergangenen Mittwoch (6. November) der EU-Agrarministerrat zusammen und die Kommission präsentierte einen Bericht, in dem sie bemängelte, biologische Pflanzenschutzmittel hätten nicht die erhoffte Verbreitung gefunden. Die Kommission forderte daraufhin die Agrarminister auf, Vorschläge dazu zu unterbreiten – anstatt selbst ein Verbot der synthetischen Neonicotinoide voranzutreiben.

Axel Mayer überrascht dieser Eiertanz nicht. Weil die Neonicotinoide einen Milliardenmarkt darstellen, sei auch weiterhin mit massivem Widerstand aus der lobbystarken Agrochemie-Industrie zu rechnen. Schon über vier Jahrzehnte ist Mayer als Umweltschützer aktiv, angefangen bei der Anti-Atomkraft-Bewegung und den Protesten gegen den Bau eines Kernkraftwerks in Wyhl. Seit den frühen 70ern hat er wiederholt beobachtet, wie Gesundheitsgefahren heruntergespielt und Umweltzerstörung grüngewaschen wurde: "Das Schema ist immer gleich", sagt Mayer. Erst werde das Problem geleugnet, dann würden wissenschaftliche Befunde angezweifelt und Ursachen oder Kausalzusammenhänge bestritten. "Nach den schrecklich gut gemachten Kampagnen, die Asbest, Zigaretten, Atomkraftwerke und den menschengemachten Klimawandel verharmlosten", ist Mayer sich sicher, "müssen wir auch beim Insektensterben mit intensiver PR-Arbeit rechnen."

Wie diese aussehen kann, demonstriert besonders eindrucksvoll Burson-Marsteller (B-M), deren Wahrnehmungsmanagement Mayer als Beispiel anführt. Die global agierende PR-Agentur mit Hauptsitz in New York, die bereits das Image diverser Diktatoren und Despoten aufpolierte, ist auch in der Industrie ein begehrter Berater mit prägnanten Botschaften. Sind die Auftraggeber der "Meistermanipulatoren" (WOZ) Ölfirmen wie Exxon, ist der Klimawandel offensichtlich ein Ammenmärchen. Wirbt die Atomindustrie um mehr Akzeptanz, kann scheinbar nur die Nuklearenergie (sauber, sicher, nachhaltig!) die bevorstehende Klimakatastrophe noch abwenden.

Bauernbund wittert Intrige 

Auch die wirtschaftlichen Schwergerichte der Agrochemie konsultierten bereits die Krisenkommunikateure von B-M, die nebenbei bemerkt auch für Stuttgart 21 die Werbetrommel rührten und von der <link https: www.lobbycontrol.de wp-content uploads fallstudie-stuttgart21-burson-marsteller.pdf external-link-new-window>Deutschen Bahn beauftragt wurden, die Oberbürgermeisterwahl 1996 zu Gunsten des Großprojekts zu beeinflussen (<link https: www.kontextwochenzeitung.de politik verdeckter-einsatz-bei-ob-wahl-969.html internal-link-new-window>Kontext berichtete). So demonstrierten in Washington um die Jahrtausendwende plötzlich rund 100 Baptisten mit Slogans wie "Biotechnik rettet Kinderleben!" für Genmanipulation. Hinter dieser scheinbaren Graswurzelbewegung stand <link http: www.nytimes.com business monsanto-campaign-tries-to-gain-support-for-gene-altered-food.html external-link-new-window>laut der "New York Times" ein millionenschwerer Auftrag von Monsanto an B-M: Neben Busfahrt und Verpflegung habe die PR-Agentur den Jubelpersern für die Teilnahme an der Demonstration bis zu 25 Dollar pro Nase spendiert.

Axel Mayer sieht in diesem Vorgehen die Zukunft der Propaganda: Konzerne würden heute nur noch selten unter Klarnamen agitieren, sondern meist vermeintlich unvoreingenommene Fürsprecher finanzieren. "Dabei wird es nun darum gehen", prognostiziert er, "von den Ursachen abzulenken und irgendwelche Randaspekte zum hauptsächlichen Problem zu erklären." Tatsächlich seien die Gründe für das massenhafte Insektensterben vielfältig. Auch die zunehmende Versiegelung von Bodenflächen sei ein Faktor, ebenso wie steigende Stickoxid-Belastung oder der Unkrautvernichter Glyphosat, der Monokulturen zu Lasten der Artenvielfalt befördere. "Aber dass die Nervengifte einen ganz entscheidenden Teil zum Problem beitragen, ist schon heute offensichtlich," sagt Mayer.

Das sehen naturgemäß nicht alle so: "Voreilige Schlüsse in Richtung Landwirtschaft verbieten sich", erklärt Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands. Zunächst gebe es "dringenden Forschungsbedarf zum Umfang und den Ursachen des dargestellten Insektenrückgangs." Noch entschiedener gegen jegliche Schuldzuweisungen wehrt sich Thomas Kiesel, Vorstand des Bauernbunds Brandenburg. Der nennt das Insektensterben <link https: www.topagrar.com news external-link-new-window>in einem Artikel auf "Top Agrar" eine Erfindung des Nabu. Und "selbst wenn es einen dramatischen Rückgang der Insektenpopulation gäbe, was der Bauernbund bezweifelt," wird er dort zitiert, könne die Landwirtschaft deshalb kaum dafür verantwortlich sein. Aus natürlichen Verschiebungen bei der Population würden "alarmierende Zahlen konstruiert", <link http: www.bauernbund-brandenburg.de index.php external-link-new-window>weiß Kiesel auszuführen. Und auch die Absicht dahinter hat er durchschaut, nämlich: "um uns Bauern über Abgaben und Auflagen das Geld aus der Tasche zu ziehen." Angesichts der vorhandenen Studien zum Thema findet Axel Mayer solche Aussagen "einfach nur peinlich."


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7 Kommentare verfügbar

  • Charlotte Rath
    am 13.11.2017
    Antworten
    In Baden-Württemberg werden nur 9,3 % der Landwirtschaftsfläche ökologisch bewirtschaftet. Warum schafft Österreich bereits 19%? Bis in acht Jahren will Österreich sogar 30% seiner Flächen ökologisch bewirtschaften. Und was tut Baden-Württemberg? Hier begrüßt der oberste Verbraucherschützer,…
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