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Friede den Hütten!

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Es ist absurd, immer weiter auf jene Marktmechanismen im Wohnungsbau zu setzen, die verantwortlich sind für die Misere in vielen deutschen Städten. Denn immer mehr Familien müssen hohe Anteile ihres Einkommens in die Miete stecken.

Wie kam Matthias Hahn da ins Schwärmen. Der Sozialdemokrat präsentierte im April 2015 voller Stolz den "Stuttgarter Villengarten", das erste Projekt, das nach dem neuen Stuttgarter Innenentwicklungsmodell (SIM) entstehen musste. Gleich neben 115 Wohnungen, inklusive 260 Quadratmeter großer Luxus-Penthäuser, wurden in der angrenzenden Wiederholdstraße 21 Sozialmietwohnungen errichtet, sechs Mietwohnungen und elf Eigentumswohnungen innerhalb des Förderprogramms "Preiswertes Wohneigentum für Familien".

Der Villengarten-Bauherr, die Heidelberger "Epple Projekt", verschweigt das allerdings in einem sechsminütigen Imagefilm. Anstatt selbstbewusst zur Durchmischung zu stehen, wird allein der Luxus beworben mit Sätzen wie: "Wir konnten hier tatsächlich ein Konzert erzeugen aus Formen und Farben." Beschworen werden ferner die "Gedankentiefe, um pure klare Schönheit zu erreichen" und "das Profil, das Anspruch und Individualität der Besitzer widerspiegelt". Architekt Johannes Kuehn stimmt in die kommerzielle Poesie ein: "Wenn Sie durch die Häuser gehen, dann merken Sie, dass überall nachgedacht wurde."

Vor allem über all die Äußerlichkeiten, über Verlockungen und Rendite. Mit Sicherheit aber kaum über die Themen, die Fachleute der EU kürzlich in einer Bewertung der unterschiedlichen Systeme in den Mitgliedsstaaten behandelten. Der öffentliche Wohnbausektor sei in der Vergangenheit "zunehmend mit sozialer Ausgrenzung gleichgesetzt worden", hieß es da. Umsteuern, um wieder ausreichend bezahlbaren Wohnraum anzubieten, drohe weniger am Geld als an "diesen ideologischen Veränderungen" zu scheitern. Der Markt allein werde den "notwendigen Ausgleich" jedenfalls nicht schaffen können.

Wien: Üppiger Wohnungsfond über Lohnnebenkosten

Im "Stuttgarter Villengarten" ist genau das zu betrachten. In Wien, in Stockholm, sogar in New-York-City, mit seinem sozialen Mietwohnungsbau seit 1867, wäre SIM zumindest eine Erwähnung wert gewesen, um die Herangehensweise der Investoren zu beschreiben. In der österreichischen Hauptstadt ist der Mix sogar höchste Bauherrenpflicht. Erst kürzlich konnten sich zwei Dutzend Oberbürgermeister und Bürgermeister auf einer Reise des Städtetags vor Ort, zum Beispiel hinter dem neuen Hauptbahnhof, davon überzeugen, wie nicht nur das Miteinander von Eigentumswohnungen mit Dachgarten und Alpenblick und 7,50-Euro-Sozialmietern in ein und demselben Komplex (samt Schwimmbad, Kinosaal, Marktplatz, Kindergarten und Gärtner) gelingen kann. Sondern dass die meisten der tausend Menschen, die dort wohnen, weder wissen noch wissen wollen, zu welchen Bedingungen ihre Nachbarn obendrüber oder untendrunter eingezogen sind. Die Durchmischung muss nicht, wie kürzlich zum Beispiel vom Mannheimer Gemeinderat, mit einer Sozialquote erzwungen werden, die Durchmischung ist selbstverständlich.

Der Projektentwickler der Wiener Stadtverwaltung, der Geisteshaltungen und Herangehensweisen erläutert, weiß auch zu berichten, wie in Österreich aus dem Vollen geschöpft wird – jedenfalls nach deutschen Maßstäben. Über die Lohnnebenkosten fließt paritätisch finanziert ein Prozent in die jeweiligen Fonds, die die Länder eigenverantwortlich ausgestalten. Wer die Finanzierung problematisierte, wie der eine oder andere Landesfürst vom CDU-Pendant ÖVP, musste seinen Flirt mit neoliberalen Kürzungsplänen zügig wieder einstellen. So verfügte allein die Stadt Wien im Jahr 2015 über rund 680 Millionen Euro für den geförderten Wohnungsbau, 64 Millionen Euro waren es im doppelt so großen Berlin.

Die Linkspartei hat im Bundestagswahlkampf ein Zehn-Punkte-Programm vorgelegt, das unter anderem die Forderungen "Wohnraum zurück in die öffentliche Hand bringen" und "Privatisierung von öffentlichen Grundstücken stoppen" enthält. In Österreich rufen danach sogar bürgerliche Parteien. Und Wiener Kommunalpolitiker werben gar damit, den Wohnungsmarkt den üblichen Mechanismen zu entziehen, "weil Investoren", wie einer der Landtagsabgeordneten im Rathaus sagt, "investieren, um Geld zu verdienen". Auf diese Weise könnten aber "niemals die Bedürfnisse eine Gesellschaft gedeckt werden".

Dennoch träumt die grün-schwarze Landesregierung weiter. Investoren sollen mit Steuererleichterungen gelockt werden, der CDU sind die ökologischen Auflagen der Landesbauordnung ein Dorn im Auge. In der auf 250 Millionen Euro aufgestockten Förderung stecken vor allem Bundesmittel. Dabei ist der Nachholbedarf groß. Die Statistik weist 2016 knapp 58 000 mietgebundene Wohnungen aus, in Hessen, in Berlin, sogar in Bayern sind es deutlich mehr.

Der Markt wird's nicht richten

Was passiert, wenn sich die Gesellschaft, jedenfalls alle, die keine GroßverdienerInnen sind, doch am Markt bedienen müssen, hat die Hans-Böckler-Stiftung eben erst analysiert. Untersucht wurden 77 deutsche Großstädte, mit ernüchterndem Ergebnis: Rund 40 Prozent oder 5,6 Millionen der Haushalte müssen mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens für ihre Miete ausgeben. Außerdem sind nicht weniger als 80 Prozent der GroßstädterInnen mit angespannten Wohnungsmärkten konfrontiert, das entspricht einem Viertel der Gesamtbevölkerung.

In Stuttgart leben mehr als 70 Prozent aller EinwohnerInnen zur Miete. Zugleich belegen nur knapp 25 Prozent der Eigentümer ihr Eigentum, sind also zu einem großen Teil auch Vermieter weiteren Eigentums. Die finanzielle Belastung durch die monatliche Miete liegt im bundesweiten Mittelfeld. Auffällig ist aber, wie wenige Wohnungen seit 2011 im Vergleich zu anderen Großstädten gebaut wurden. Linken-Chef Bernd Riexinger kritisierte in seinen Wahlkampfreden scharf, dass in Landeshauptstadt im vergangenen Jahr keine einzige Sozialwohnung fertiggestellt wurde. Nochmals Wien: Dort werden derzeit pro Woche über hundert Einheiten an ihre neuen BewohnerInnen übergeben.

"Die Wohnbedingungen sind damit nicht nur ein Spiegel bestehender Ungleichheit, sondern tragen selbst durch die hohen Mietkostenbelastungen zu einer wachsenden Ungleichheit bei", urteilen die Experten von der Hans-Böckler-Stiftung. Die EU hatte schon 2014 ihren Mitgliedsstaaten empfohlen, "mit austarierten Konzepten zur Entspannung auf den Wohnungsmärkten beizutragen". In Deutschland stieß der gute Rat aus Brüssel auf taube Ohren. Gegenwärtig müssten hier Jahr für Jahr mindestens 200 000 Einheiten zu bezahlbaren Preisen zusätzlich angeboten werden. Natürlich hätte das schädliche Folgen für jene, die im "Stuttgarter Villengarten" eine Wohnung gekauft haben, um sie zu vermieten. Denn der Druck auf den Markt würde nachlassen und der Profit geringer. Auch für die mit den Palästen.


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7 Kommentare verfügbar

  • Ernst Hallmackeneder
    am 08.10.2017
    Antworten
    Das mit dem Menschenrecht auf Wohnraum ist eine ganz tolle Sache und wird von mir vollauf unterstützt. Würde sogar auf Demonstrationen der vermaledeiten Kommunisten mitlaufen, wenn mir irgendjemand meine schöne Wohnung abnehmen wollte. Habe eine geräumige 5-Zimmer-Wohnung, mit Spielezimmer, Billard,…
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