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Werbung gegen Rechts

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Kommerzielle Werbung ist oft lästig. Sie lügt, macht arm, wäscht Diesel sauber und treibt Mädchen in die Magersucht. Aber Werbung bezieht manchmal auch deutlich Position. Wie sehr das einschlagen kann, hat vor Weihnachten die Diskussion um #KeinGeldFürRechts gezeigt.

Eine Beobachtung vorab: Wer als JournalistIn kritisch über rechte Bewegungen berichtet, der weiß, dass die Zeitspanne zwischen Veröffentlichung und Shitstorm aus der rechtskonservativen Ecke eine denkbar kurze ist. Das war schon immer so, ist heute allerdings noch um ein Vielfaches potenziert durch Mails, die keine zwei Tage brauchen wie ein Leserbrief, und durch gut organisierte Netzwerke, die es schaffen, Kommentarspalten in Sekundenschnelle zu okkupieren.

Kurz vor Weihnachten hat es auch die Werbebranche erwischt. Als Gerald Hensel, ehemaliger Mitarbeiter der Werbeagentur Scholz & Friends mit der Aktion #KeinGeldFürRechts Unternehmen dafür sensibilisieren wollte, auf welchen Internetseiten für ihre Produkte geworben wird, welche teils kruden Organisationen sie mit ihren Geldern unterstützen, brach der Sturm los. Hensel sagte, er wolle "die Neurechte so unsexy machen wie Rauchen". Der Ex-Linke neurechte Henryk M. Broder sah seinen Blog "Die Achse des Guten" einem Werbeboykott ausgesetzt und natürlich: einen Angriff auf die Meinungsfreihei.

Broder keilte in typisch herber Wortwahl zurück, seine Fans und mit ihm eine ganze Mannschaft aus Lesern der Rechtsaußen-Ecke überzogen Hensel, die Werbeagentur und deren Kunden mit Bösartigkeiten. "Wir bekamen Drohanrufe in der Agentur", schreibt Scholz & Friends-Geschäftsführer Stefan Wegner in einem Statement dazu, "unsere Kunden erhielten massenhafte Mails mit Boykottdrohungen in Bezug auf ihre Produkte sowie der Aufforderung, das Vertragsverhältnis mit Scholz & Friends zu kündigen. Gerald bekam Morddrohungen." Hensel selbst sagte in Interviews mit "taz" und "Stern.de", er sei mittlerweile aus der Öffentlichkeit und aus Berlin geflüchtet. Zudem kündigte er sein Vertragsverhältnis bei der Agentur, um seinen Arbeitgeber aus der Schusslinie zu nehmen, sagt Hensel. 

In der Werbebranche rumorte es, die Großen meldeten sich zu Wort. Etwa der Gesamtverband der Kommunikationsagenturen (GWA) in Gestalt von Präsident Wolf-Ingomar Faecks: "Wir verurteilen schärfstens, dass eine Agentur für eine Aktion in Sippenhaft genommen wird, die von einem ihrer Mitarbeiter privat und somit losgelöst von der Agentur initiiert wurde." Oder die Gesellschaft Public Relations Agenturen (GPRA): "Im Zuge der Auseinandersetzung mit der persönlichen Initiative eines früheren Mitarbeiters ist die Agentur Scholz & Friends zur Projektionsfläche einer Kampagne geworden, die emotional und nicht mehr Fakten-basiert ausgerichtet ist." Scholz & Friends selbst distanzierte sich von der Aktion, wenn auch nicht von ihrem Mitarbeiter, der Fall wurde von Werbefachblättern über Tageszeitungen bis zu "Cicero" berichtet und debattiert. Und er zeigt einmal mehr exemplarisch, wie perfide solche Shit-Stürme sind und welche Kraft sie entwickeln können. Aber vor lauter Herumlaviererei zwischen Meinungsfreiheit und einem Irgendwie-Verständnis für Broder und Co. gab es kaum jemanden, egal ob Werber oder Journalist, der sich ohne großes "Aber" hinter Gerald Hensels Aktion gestellt hätte.

Alf Frommer, Kreativdirektor der Agentur Ressourcenmangel in Berlin, die auch in Stuttgart einen Standort hat, war einer der wenigen, wenn nicht der einzige: "Der politische Werber lebt", schreibt er auf seinem Blog. "Es braucht sogar mehr davon! Intelligente, tolerante, kreative und vor allem weltoffene Menschen, die nicht einfach schweigen, wenn um sie herum gerade versucht wird, gesellschaftliche Errungenschaften wie Gleichberechtigung, Inklusion oder Toleranz gegenüber sexueller Orientierung wieder zurückzudrehen." Das ist ein Statement.

Die Macht der Werbung nutzen

Der wohl bekannteste Werber, der kommerzielle Werbung politisch nutzte, ist Oliviero Toscani, der für Benetton in den Neunzigern die Skandal-Kampagne fotografierte. Er wurde dafür kritisiert, dass er Krankheit, Krieg und Menschenrechtsverletzungen zum Verkauf von bunten Pullovern nutze. Er selbst sah das anders: "Ich nutze die Möglichkeiten, die Wirkungskraft einer unausgeschöpften und verachteten Kunst, nämlich der Werbung", sagte er einmal in einem Interview.

Sich genau diese Macht heute verstärkt nutzbar zu machen, im Sinne der Weltoffenheit in einem gespaltenen und zerstrittenen Deutschland, fordert Frommer von seinen KollegInnen ein. "Der ewig lange politische Kommentar im Feuilleton", sagt er am Telefon, der in fünf verschwurbelten Kurven in geschliffener Argumentation erkläre, warum Toleranz wichtig ist, sei gut und richtig. "Aber das kapiert doch kaum ein normaler Mensch. Botschaften müssen einfach sein". Und wer scheint da prädestinierter als Werber, deren Handwerk es ist, in Kürze Herz und Hirn zu berühren?

Auch Coca Cola ist für Frommer ein Unternehmen, das sich weltoffen präsentiert und in dessen Spots sich Menschen aller Couleur und aus aller Herren Länder auf einen Softdrink zusammenfinden – "The Coke Side of Life". Werbung, sagt Frommer, habe für ihn auch etwas Traumhaftes, Utopisches. "Werbung ist so etwas wie ein globaler American Dream. Sie ist für alle da, sie sagt aus, dass für alle Menschen prinzipiell alles möglich ist. Egal auf welcher sozialen Stufe einer steht, welche Hautfarbe er hat, woher jemand kommt", schwärmt Frommer. 

Während Werbung durch ihre Dauerpräsenz und Wirkmacht gesellschaftliche Muster oder Rollenklischees vorgibt und festigt, kann sie auf der anderen Seite auch progressiv in eine Gesellschaft hineinwirken. Und – ja, natürlich – sie will verkaufen. An möglichst viele Menschen.

"Holger und Max", das erste schwule Werbe-Pärchen

Als die Niederlande 2001 als erstes Land die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare öffneten, erfand Iglo mit "Holger und Max" das erste schwule Werbe-Pärchen. "Für die auf Familienidyll mit klassischer Rollenverteilung geeichte Lebensmittelindustrie ist das ein fast revolutionärer Schritt", schrieb das Fachblatt "Werben & Verkaufen" dazu. Die Kosmetikmarke Dove platziert unter dem Motto "Initiative für wahre Schönheit" seit 2004 normale Frauen statt glatter Models unter dem Markennamen. Die Baumarkt-Kette Hornbach thematisiert in einer ihrer Kampagnen, was Menschen an den sozialen Rand drängt: Body Shaming, Homosexualität, Altersdiskriminierung. Der feministische Blog "Pink stinks" schreibt 2014 dazu: "Liebe Hornbachs, wir sind beeindruckt. Jetzt schreibt bitte weiterhin schwarze Zahlen, damit die Industrie sieht, dass es auch so gehen kann: Mit Vielfalt Werbung machen." 

Der Bierbrauer Guinness war das erste Unternehmen, das einen Menschen mit Behinderung – einen Rollstuhl-Basketballer – in einem Spot auftreten ließ, ohne dezidiert auf dessen Behinderung einzugehen. Ein gelungenes Zeichen für Inklusion, meinte sogar der Sozialaktivist Raul Krauthausen: "In dem Werbespot steht einzig die Story im Mittelpunkt, kein Charity-Gedanke. Der Spot ist das Idealziel."

Klar: Damit Werbung ankommt, muss sie aktuelle Themen aufgreifen. Die Flüchtlingspolitik zum Beispiel. Wen interessiert es bei der derzeitigen politischen Großwetterlage in Deutschland schon, ob Villarriba oder Villabajo die sauberste Pfanne hat? So zeigt der Weihnachtsspot der Keksmarke Bahlsen einen Jungen, der ein Mädchen aus der Kälte draußen in ein wunderbar-festlich geschmücktes Wohnzimmer einlädt. Das Mädchen fragt: "Was ist Weihnachten?", und ihr Anblick speist sofort subtil "Flüchtlingskind" ins Hirn. Der Junge nimmt es in den Arm und drückt es einmal ausgiebig. "Das ist Weihnachten", sagt er. Da möchte einem fast der Tränenkanal überlaufen, so anrührend ist die Szene.

"Danke, Ihr tollen Sixtler!", schreibt ein Kommentator

Oder der Fernsehspot von Amazon, der ebenfalls vor Weihnachten gezeigt wurde: Da schenken sich ein Imam und ein Priester per Paketdienst jeweils Knieschoner gegen die schmerzenden Gelenke beim Beten. Sie packen die Päckchen aus, lächeln verschmitzt, ein Christ und ein Moslem in Freundschaft vereint. Amazon ist ohne Frage ein Unternehmen, das seine Mitarbeiter knechtet. Der Werbespot aber ist ein Schuss vor den Bug aller Anti-Islam-Hetzer, von denen es in Deutschland viele gibt.

Was berührt, wird zum viralen Hit. Das ist das Handwerk der Werbebranche. Bestes Beispiel: Sixt. Kurz nachdem AfD-Vize Alexander Gauland den Fußballer Boateng "nicht als Nachbarn" haben wollte, ist der Autovermieter in die Debatte eingestiegen und hat für seine Umzugswagen geworben mit dem Slogan: "Für alle, die einen Gauland in der Nachbarschaft haben." Mehr als 1700 Kommentare hat der Post auf der Facebook-Seite der Firma bekommen. Einer schreibt: "Danke, Ihr tollen Sixtler! Dafür liebe ich euch! Hätte ich nicht einen eigenen Wagen, würde ich mir jeden Tag einen bei euch leihen!"

Als in Heidenau Anfang November 2015 Flüchtlinge gejagt wurden, lief über den Facebook-Kanal von Fisherman's Friend das Foto einer Bonbon-Packung mit der Geschmacksrichtung "Toleranz". Untertitel: "Sind sie zu bunt, bist du zu braun". Der Text unterm Foto: "Hey Heidenau & Co, exklusiv für Euch: Unsere neueste Sorte. Solltet Ihr auch mal probieren! #mundaufmachen". Der Facebook-Post um den Toleranz-Geschmack wurde 43 774 Mal geteilt, bekam 63 407 Likes und 1258 Kommentare. Die Idee zu Post und Bild kam aus dem Büro von Scholz & Friends, die Facebook für Fisherman's bespielen. Von der Agentur also, die vor lauter Überforderung in Sachen Gerald Hensel und überrollt vom braunen Mop zurückgerudert ist.

Leider. Denn kluge Werbung im Netz scheint zu einem wirksamen Gegengewicht zu einer sehr netzaffinen und kommunikationsgeschulten Crowd geworden zu sein, die bedroht, brüllt, geifert und so viel lauter ist als die liberale Gesellschaft. Kreativdirektor Frommer schreibt dazu in seinem Blog: "Wichtig ist, dass wir uns nicht einschüchtern lassen, weil die Neurechten sehr laut werden können. Und sehr hassvoll." Den Artikel beendet er mit zwei kurzen Sätzen, die Mut machen und Lust darauf, Kante zu zeigen: "Der politische Werber ist nicht tot. Im Gegenteil er fängt gerade erst an."



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17 Kommentare verfügbar

  • Rolf Steiner
    am 13.01.2017
    Antworten
    Benjamin, 13.01.2017 01:44 - im letzten Jahr ereigneten sich rund 1000 Brandanschläge bzw. Angriffe auf Flüchtlinge. Dass auch dort die Polizei nicht vor jedem Anschlag der rechtsextremen Terroristen vorbeugend tätig sein konnte, ist schlüssig. Die Flüchtlinge, die dabei zu Schaden kommen - von…
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