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Eisbären im Breuninger-Land

Eisbären im Breuninger-Land
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Im Schaufenster funkeln die Weihnachtssterne, dahinter die gewetzten Messer. Seit der alte Breuninger tot ist, wird um Macht und viel Geld gestritten. Der frühere Vorstand Wolfgang Blumers zieht jetzt vor den Bundesgerichtshof. Er will aus dem Edelkaufhaus wieder eine Stiftung machen.

Der graumelierte Herr hat Boss, Voith, Lidl und die Deutsche Bank beraten, war Senior Partner bei der Kanzlei Gleiss Lutz, als Stefan Mappus noch nicht Kunde war, und er zählt zur Creme der Wirtschaftsanwälte im Land: Wolfgang Blumers, 76, Professor, und Fast-Miteigentümer von Breuninger, Stuttgarts feinstem Bekleidungshaus. Aber eben nur fast, weil er, wie seine Frau sagt, "ein Kamel ist". Das ist, angesichts der beruflichen Biographie, erstaunlich, angesichts der Schlammschlacht, die sich seit vielen Jahren hinter den Kulissen abspielt, aber nachvollziehbar. Die Frage ist stets dieselbe geblieben: Wem gehört der Laden?

Die Geschichte begann vor 36 Jahren. Heinz Breuninger hatte sein Erbe geordnet, aus seinem Unternehmen eine Stiftung gemacht und fünf Herren als Vorstände eingesetzt, die sein Vermächtnis wahren sollten, das da hieß: Gute Geschäfte, zufriedene Mitarbeiter und ein Gutteil der Gewinne in den Gemeinnutz. Die Herren, die nicht mehr als das "1,5fache Jahres-Anfangsgehalt einer Verkäuferin" erhalten sollten, waren: Willem G. van Agtmael (gelernter Hotelier), Wienand Meilicke (Rechtsanwalt), Benno Stratmann (Wirtschaftsprüfer), Rudolf Wecker (Textilkaufmann) und eben Wolfgang Blumers. Nachdem der Patriarch 1980 verstorben war, saßen sie einträchtig beieinander, besuchten sich bisweilen im Urlaub  und arbeiteten gemeinsam am Wohlergehen der Kaufhauskette.

Hobbypilot van Agtmael - Star der Stuttgarter Society

Der Holländer van Agtmael führte die Geschäfte am Marktplatz, trat gerne als "Mister Breuninger" auf, war ein Star der Stuttgarter Society, dem die Tür bis zu den CDU-Ministerpräsidenten offenstand, jene zum Oberbürgermeister, der genau gegenüber saß, sowieso. Tätige Mithilfe schien nicht verkehrt, weil Breuninger kein Goldesel war, im Kampf der Einzelhandelskonzerne zu verlieren drohte und deshalb nach Allianzen suchte. Verhandelt wurde mit Peek & Cloppenburg und Migros, freilich erfolglos, weil plötzlich zum Problem erhoben wurde, was bis dahin keines war: die Gemeinnützigkeit der Stiftung, die auch wohltätig sein sollte. Wer wollte sich mit so einem Konstrukt einlassen?

Van Agtmael, der Ziehsohn Breuningers, und Meilicke, der Testamentsvollstrecker, hatten da eine Idee: 1. Die Auflösung der Stiftung, die Heinz Breuninger einst gegründet hat, um das Unternehmen nicht gierigen Managern und/oder Familienmitgliedern auszuliefern. 2. Die Überführung in eine GmbH, die - unbehindert durch karitative Zwecke - am Markt profitabel sein würde. Dazu galt es, die Alleinerbin, die Breuninger-Tochter Helga, auszuzahlen, die sich der Förderung von gemeinnützigen Projekten verschrieben hatte, unter anderem von "social entrepreneurs", die sich um "brennende soziale Probleme" kümmern sollen.

Der Deal ging im Juli 2004 über die Bühne. Hobbypilot van Agtmael und Rechtsanwalt Meilicke erwarben jeweils 40 Prozent der Breuninger-Anteile, zum Günstigpreis von 41,1 Millionen Euro. Sie flossen in Helga Breuningers Stiftung, die damit ihren Kapitalstock und die Gewissheit hatte, unabhängig von Bilanzzahlen zu sein. Das Regierungspräsidium Stuttgart als Aufsichtsbehörde, unter Vorsitz von Udo Andriof (CDU), winkte das Geschäft durch, zum Erstaunen von Rechtsexperten, die eine Auflösung nur erlaubt sahen, wenn der Stiftungszweck unmöglich geworden ist. Sagt zumindest das Bürgerliche Gesetzbuch. Und, siehe da, kurz darauf schrieb das Unternehmen satte schwarze Zahlen.

Eine wundersame Geldvermehrung bricht über Breuninger herein

Und jetzt kommt wieder Wolfgang Blumers ins Spiel. Viele Jahre danach fragt er sich, wie diese "wundersame Geld- und Wertvermehrung", quasi über Nacht, über das Breuninger-Land hereingebrochen ist? Er sei zu alt, um an den Weihnachtsmann zu glauben, sagt Blumers, der Deal sei "von langer Hand" vorbereitet gewesen. Die Herren van Agtmael und Meilicke hätten lange vor der Stiftungsauflösung gewusst, dass das Unternehmen vor "großen Ertragssprüngen" stehe - durch die Mieteinnahmen in den diversen Malls, die schließlich vertraglich auf Jahre hin festgelegt seien.

Das sehen die neuen Eigentümer naturgemäß anders. Ihr Sprecher und Medienberater Rainer Westermann erläutert auf Kontext-Anfrage, der Kauf sei damals ein "riskantes Investment" gewesen, das ihnen auch "um die Ohren" hätte fliegen können. Und dazu seien weder Blumers noch die beiden anderen Vorstände bereit gewesen. Tatsächlich habe sich das Geschäft "sehr positiv" entwickelt, dies sei jedoch "nicht absehbar" gewesen.

Seit vier Jahren streitet Blumers mit seinen ehemaligen Stiftungsfreunden herum, zuerst vor dem Stuttgarter Landgericht (2012), dann vor dem Oberlandesgericht (2016). Er will mit 20 Prozent beteiligt werden, seine Anwälte beziffern den Wert auf 220 Millionen Euro. Das Landgericht spricht ihm tatsächlich einen Anteil von zehn Prozent zu. Das Oberlandesgericht bescheinigt ihm, "nicht primär" finanzielle Motive, sondern den Stifterwillen im Sinn zu haben, hält das LG-Urteil aber insgesamt für unseriös.

Der Kläger, so die Begründung, könne nicht nachweisen, dass seine Beteiligung irgendwann und irgendwo schriftlich niedergelegt worden sei. Das ist formal richtig, ein solches Dokument gibt es nicht. Was es gibt, auch gerichtlich bezeugt, sind die mündlichen Absichtserklärungen von van Agtmael und Meilicke, ihn und die anderen später mit ins Boot zu nehmen. Später auch deshalb, weil Blumers nicht sofort in die neue GmbH einsteigen konnte - seine Kanzlei Gleiss Lutz verbot ihm den Beitritt. Noch 2009 habe ihm Meilicke "hoch und heilig" in die Hand versprochen, erinnert sich Blumers, ihn und die anderen zu Teilhabern zu machen. Ohne diese stets geltende Vereinbarung hätten sie der Auflösung der Stiftung nie zugestimmt, schließlich sei dieser Fünfer-Vorstand der Wille Heinz Breuningers gewesen. Die Erinnerung scheint ihn nicht zu trügen, bestätigt Eigentümer-Sprecher Westermann doch, dass sie bemüht gewesen seien, einen Weg zu finden, die drei Stiftungsvorstände zu beteiligen.

Vater van Agtmael sorgt spitzenmäßig für seine Kinder

In der Tat scheint es damals noch eine gewisse Nähe zwischen Meilicke und Blumers gegeben zu haben. Sonst hätte er wohl diesen Brief von Meilicke nicht gekriegt, in dem jener mit van Agtmael abrechnet. Am 20. Januar 2010 auf 73 Seiten. Es ging um nicht mehr und nicht weniger als um die Macht bei Breuninger. Man könnte auch Denver und Dallas sagen. Oder "Tollhaus" wie das "Manager-Magazin".

Van Agtmael hatte da einen Plan. Sein Sohn Jeroen solle sein Nachfolger werden, müsse aber spitzenmäßig bezahlt werden. Dazu müsse der Filius ohne einschlägige Berufserfahrung aus den USA geholt und mit einem ansteigenden Jahresgehalt von 250 000 auf 350 000 Euro entlohnt werden. Das fand Meilicke ("ein fürstliches Gehalt") nun doch zu viel, zumal Jeroen auch noch mit einer Alarmanlage (150 000 Euro) geschützt werden sollte. Viel Aufwand für einen leitenden Mitarbeiter, der sich um den Internethandel zu kümmern hatte.

Als zweiter Mann unter Jeroen sollte Schwiegersohn Martjin Bödeker installiert werden. Der war in Hongkong als Gastronom beschäftigt, mit der van Agtmael-Tochter Claire liiert, und nur nach Stuttgart zu locken, wenn eine gemeinsame Karriere bei Breuninger in Aussicht stünde. Das hat insoweit geklappt, als Martjin 2001 eingestellt, fünf Jahre später vom Abteilungsleiter zum stellvertretenden Geschäftsführer in Stuttgart befördert wurde, sein anfängliches Jahresgehalt von 67 000 Euro auf das Doppelte stieg, und Meilicke sich fragte, ob die Heirat mit Claire (2006) "ungeahnte Kräfte" in ihm entfesselt habe. Claire wiederum wurde Chefeinkäuferin für das gehobene Segment, ihre Schwester Maaike Leiterin des Spezialservice für Gutbetuchte.

Meilicke witterte eine tiefe Verquickung von Unternehmens- und Familieninteressen, mehr noch: den Versuch van Agtmaels, ihn raus zu drängen und Breuninger alleine zu beherrschen. Er hatte einen anderen Vorschlag: Seinen Sohn Harald, der es mindestens genauso gut könnte wie Filius Jeroen.

Der Meilickesche Drohbrief verfehlt seine Wirkung nicht: Im Jahr 2011 scheiden van Agtmaels Sohn, Schwiegersohn und Töchter als Angestellte aus, der Vater räumt sein Büro ein Jahr später, obwohl er gerne "Mr. Breuninger" geblieben wäre. Folgen wird ihm Willy Oergel, von dem sein Vorgänger sagt, er sei ein "Vertrauter der Familien". Und fortan waren sie wieder ziemlich dicke Freunde. Seit Juli 2012 führen Jeroen van Agtmael und Harald Meilicke den Aufsichtsrat von Breuninger als Doppelspitze.

Aus dem Sippenkrieg wird wieder dicke Freundschaft

Nun kommen solche Zerwürfnisse in den besten Familien vor, die freilich zu verschmerzen sind, wenn man Miteigentümer bleibt. Doch dieser Sippenkrieg ist es nicht, der Blumers stört, ihn bringt das "abgekartete Spiel" auf die Palme, das Meilicke und van Agtmael in Sachen Stiftungsauflösung durchgezogen hätten. Richtig fuchsig kann er werden, wenn er darüber nachdenkt, wie er "über den Tisch gezogen wurde".

Den finalen Beleg dafür, sagt er, habe er im Auftritt Meilickes und van Agtmaels vor dem Oberlandesgericht (4. Mai 2016) entdeckt, wo sie erklärten, bei der Auflösung am 8. Juli 2004 sei man von schlechten Zahlen ausgegangen. In den letzten fünf Monaten des Jahres habe sich jedoch ein Gewinn von 6, 5 Prozent des Umsatzes eingestellt, der in der Folgezeit auf acht Prozent wuchs. Was sei dieser "unglaubliche Coup" anderes als eine Täuschung der Mehrheit des Stiftungsvorstands und des Regierungspräsidiums? Kein Wunder, dass sie nicht teilen wollten, meint der Ex-Vorstand.

Das treibt Blumers derart um, dass er am 14. Juli 2016 Strafanzeige (Aktenzeichen 144 Js 70475/16) gegen van Agtmael und Meilicke stellt. Sein Vorwurf: Beide hätten "durchgehend unwahre Aussagen" gemacht, um ihre "durch Untreue arrondierten Anteile" zu sichern. Doch die Staatsanwaltschaft Stuttgart mag dem nicht folgen, und antwortet kühl, "bloße Behauptungen, Vermutungen" rechtfertigten nicht, jemandem eine Straftat zur Last zu legen. Und im Übrigen seien mögliche Straftaten, die sich auf das Jahr 2004 bezögen, "jedenfalls verjährt". Kurzum: Kein Grund zu ermitteln.

Das lässt den angesehenen Juristen langsam vom Glauben an die Stuttgarter Rechtsstaatlichkeit abfallen. Das Landgericht gibt ihm recht, das Oberlandesgericht kassiert das Urteil und lässt keine Berufung zu, die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht, das Regierungspräsidium sieht die Stiftung heute noch "bestandskräftig aufgelöst" - was ist da los?

Ob MP oder OB - man kennt sich und schätzt sich

Ist es wirklich so, wie es in einer anonymen Anzeige gegen die neuen Besitzer, vermutlich aus dem Familienkreis Breuninger, steht, dass hier "schwere Untreue" bei der Auflösung der Heinz Breuninger Stiftung vorliege? Dass das "Einflussnetzwerk" von Herrn van Agtmael "bis in die höchsten Kreise" der Justiz und Politik reiche? Ob Ministerpräsident, Justizminister, Polizeipräsident oder Stuttgarter Oberbürgermeister - "man kennt sich und schätzt sich", schreiben die Unterzeichner, die sich die "Verteidiger von Heinz Breuningers letztem Willen" nennen.

Keine Staatsanwaltschaft ist der 23-seitigen Anzeige, in der sich Vieles mit den Vorwürfen Blumers deckt, je nachgegangen. Aber was soll er gerichtsfest sagen? Dass sich die Schwaben ihr "schönstes Unternehmen von einem Holländer und einem Rheinländer nehmen lassen?" Das wird nicht helfen. Blumers registriert genau, in welcher Zwickmühle er steckt. Als heutiger Kritiker der Elche war er selbst Teil eines Spiels, das ein Quintett beglücken sollte, und am Ende nur ein Duo kennt.

Pech gehabt, Geschäftsfreunden vertraut, die im Gerichtssaal lächelnd einräumen, ja, es habe dieses Ehrenwort, dieses "Gentlemen's Agreement" gegeben. Sogar das Oberlandesgericht spricht von einem "moralischen Dilemma" der Beklagten, das durch die "äußerst positive" wirtschaftliche Entwicklung Breuningers noch verstärkt worden sei. Dies lasse zumindest erklärbar erscheinen, dass Meilicke und van Agtmael eine Teilhabe "in Erwägung gezogen haben könnten". Allein es fehle der Nachweis.

Der alte Breuninger würde lieber Eisbären helfen

Für Otto Normalverdiener wäre spätestens jetzt das Ende der Fahnenstange erreicht. Prozesse in diesen Größenordnungen verschlingen Unsummen, von Zeit, Kraft und Nerven ganz abgesehen. Blumers hat sie und geht bis in die höchste Instanz. Am 5. Dezember 2016 reicht er eine Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof (BGH) ein, als letzte Möglichkeit, nachdem ihm das Oberlandesgericht eine Revision verwehrt hat. Wochenlang sitzen Juristen an dem Schriftsatz, der ihm doch noch zum Recht verhelfen soll. Was daraus wird, weiß Blumers nicht. Auch die Seite der Beklagten nicht. Eigentümer-Sprecher Westermann verweist auf "Vor Gericht und hoher See" und will dem weiteren Verlauf "besondere Aufmerksamkeit" widmen. 

Sicher, sagt Blumers, sei er sich nur in einem: Breuninger müsse wieder werden wie früher. Eine Stiftung. Dann könnten die "reichlich fließenden" Gelder ganz anderen Zwecken zugeführt werden, dann könnte überlegt werden, was gerettet werden müsse. Das Klima zum Beispiel. Dem alten Breuninger, glaubt Blumers, wäre dazu gewiss viel eingefallen. Als Natur- und Tierfreund hätte er sich selbst für das Schicksal von Eisbären erwärmen können.


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6 Kommentare verfügbar

  • Wolfgang Jaworek
    am 19.12.2016
    Antworten
    Alles ja ganz interessant, aber was hat OB Kuhn damit zu tun (wie es das Foto und die nichtssagende Bemerkung "Man kennt sich und schätzt sich" suggerieren soll)? Was ist da die politische Forderung (oder geht es doch nur um das Quäntchen Politikverdrossenheit, ohne die ein "Kontekt"-Artikel nicht…
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