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Sioux auf dem Kriegspfad

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Was passiert, wenn einer Olympia kritisiert? Ihm wird fristlos gekündigt. So geschehen in Walheim bei Ludwigsburg, wo der Schuhhersteller Sioux zu Hause ist. Der Ausstatter der Olympiamannschaft hat es gewagt, die Milliardenshow infrage zu stellen.

Die Freunde des gepflegten Mokassins sind noch ungebrochen. Mit herzlichen Grüßen aus dem "Wigwam in Walheim" beantworten sie Anfragen, was insofern erstaunt, als der Pfad, den sie beschreiten, voller Fallen ist. Sioux gegen Olympia. Ein kleiner schwäbischer Mittelständler gegen eine Milliardenmaschine. Aber hoppla.

Ausgelöst hat den Krieg Lewin Berner, der Geschäftsführer des Walheimer Schuhherstellers, der so gar nicht aussieht wie ein Indianer ohne Friedenspfeife. Offenes weißes Hemd, Jeans, ordentliche Frisur. Am 10. August hat er per Pressemeldung, geschmückt mit den fünf Ringen, mitgeteilt, dass er seinen Ausstattervertrag mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) nicht verlängern werde. Der wäre Ende des Jahres ausgelaufen. Das wäre nicht weiter erwähnenswert gewesen, hätte auch niemand gejuckt, wenn der Sioux-Chef nicht auch noch eine garstige Begründung mitgeliefert hätte: Olympia habe sich vom "eigentlichen Sinn entfernt", sei von "kommerziellen Interessen beseelt", treibe die Austragungsorte in "überdimensionierte Prestigebauten", in eine "hohe Verschuldung" und schädige die "lokalen Ökosysteme". Howgh – ich habe gesprochen.

So ähnlich hat es auch Pastor Alfred Buß in seinem "Wort zum Sonntag" in der ARD am 21. August formuliert, als er davon sprach, Olympia habe seine "Seele verkauft", wer an jene Idee noch glaube, müsse "selber gedopt sein", und im Übrigen stinke der Fisch vom Kopf her. Aber Buß ist Pfarrer, Berner Geschäftsmann. Von der Kanzel herunter ist gut predigen, vom Schreibtisch des Geschäftspartners ist's schwerer. Und dennoch, es musste sein. "Ich ducke mich nicht weg", sagt Berner, "in Deutschland wird ohnehin zu wenig diskutiert." Man könnte auch betonen: im Sport noch weniger.

Der Häuptling will sich nicht wegducken

Der 42-jährige Betriebswirt weiß, dass er damit mit einer Tradition bricht. Seit 1972 marschieren die deutschen Olympioniken in Sioux-Schuhen in die Stadien ein. Die stolzen Funktionäre auch. Für Rio hat er 850 Paare geliefert, schwarz-rot-gold am Fuß, schön bequem und schon früh auf ihre Tauglichkeit getestet von der Agentin Emma Peel, die in den 60ern schlimme Finger in "Grashoppers" jagte. Noch 2013 präsentierte er den letzten Vertrag mit DOSB-Vorstandschef Michael Vesper, der früher einmal grüner Minister in NRW war, und alles war gut. Aber schon damals hat er gelernt, dass es nicht gut ist, wenn ein Dreistreifen-Sportler neben einem Sioux-Beschuhten steht. Der Bildbetrachter könnte durcheinandergeraten, was von adidas nicht geschätzt wird.

Dann kamen München und Hamburg, die gescheiterten Olympiabewerbungen 2013 und 2015. Sie seien ein "Augenöffner" gewesen, erzählt Berner in seinem Walheimer Showroom, in dem die Modelle für 2017 stehen. Schuhe, die "Freiheit verleihen", verspricht die Firma. Wenn die Bewerbungen um die Spiele "aus der Mitte der Gesellschaft" heraus abgelehnt würden, sagt er, könne etwas nicht stimmen. Sie hätten lange darüber nachgedacht, im Vertrieb, im Marketing, in der Produktion, was das ist. Um zu dem Schluss zu gelangen, dass sie "nicht mehr Teil dieser olympischen Entwicklungen" sein wollten.

Berner erzählt das ganz nüchtern, stets darauf bedacht, nicht in die Ecke des Olympiagegners gesteckt zu werden. Mit No-olympics-Aktivisten hat er nichts am Hut, parteipolitisch will er's schon gar nicht verstanden wissen. Es ist dieses Unbehagen, das ihn seit Jahren beschleicht, wenn er das Sportbusiness betrachtet. Wenn Organisationen wie das IOC Milliarden kassieren, die Funktionäre in Luxushotels logieren und junge Menschen aus sogenannten Randsportarten zu ihm nach Walheim kommen und fragen, ob sie vielleicht einen Fahrtkostenzuschuss kriegen könnten. Das will dem Schwaben aus Grafenau nicht so recht in den Kopf gehen. Auch weil er "im Herzen ein Sportfan" sei. Womöglich gerade deshalb.

"Vielleicht war's blauäugig", sinniert er bei einem Glas Latte macchiato, naiv zu glauben, die Kündigung und die Kritik würden sich versenden oder gar auf offene Ohren stoßen. Würde er die Klientel kennen, hätte er eine Ahnung davon, dass Sportfunktionäre dafür nicht zu haben sind. Sie haben sich ihre Welt zusammengezimmert, scheinbar bedeutend gemacht von Funk und Fernsehen, und sie haben darüber vergessen, dass, wenn überhaupt, die Sportlerinnen und Sportler wichtig sind. Wer daran rüttelt, wer ihre Wichtigkeit in Frage stellt, wer ihre unheilige Messe namens Olympia stört, muss bestraft werden. Oder wie Berner sagt: The empire strikes back.

Den Vertrag haben einst Bach und Vesper unterschrieben

Zurückgeschlagen hat das Imperium in Gestalt eines Neu-Isenburger Anwalts, der den DOSB und seine Marketinggesellschaft DSM vertritt. Seine Mandantschaft sei sehr enttäuscht darüber, schreibt er, dass Sioux die "Olympische Bewegung in Misskredit" gebracht habe. Nämlich dadurch, dass das Unternehmen, das lange Jahre ein "verlässlicher und guter Partner" gewesen sei, seine Kritik in einer öffentlichen Presseerklärung vorgebracht habe – "entgegen der vertraglichen Vereinbarungen ohne vorherige Abstimmung". Das habe die fristlose Kündigung des Kontrakts, der 2013 von Vesper und dem damaligen DOSB-Präsidenten Thomas Bach unterschrieben wurde, zur Folge.

Berner sagt, er sei sehr schockiert gewesen, schließlich habe er keinen "Maulkorbvertrag" unterzeichnet. Festgeschrieben sei lediglich, dass öffentliche Äußerungen zu Vertragsinhalten abzustimmen seien. Die "Olympische Bewegung" findet sich darin nicht. Das mag dem DOSB und seinem Rechtsbeistand entgangen sein, ist aber auch nicht der Kern der Kündigung. Es geht ums Prinzip, um eine Botschaft, die in Rio von den Bossen auf den Punkt gebracht wurde: Klappe halten, oder ihr fliegt raus. In Rio war's die Whistleblowerin Julia Stepanowa, die offenlegte, wie Staatsdoping geht, und wegen "ethischer Defizite" ausgeschlossen wurde. In Walheim trifft's einen Sponsor, der sich erdreistet zu sagen, es bestehe kein vertraglicher Anspruch darauf, dass er "jeder Fehlentwicklung kritiklos zuschauen" müsse. Und ganz nebenbei: Als Staatsbürger bestehe er auf seinem Grundrecht der Meinungsfreiheit.

"Hoka hey! It's a good day to fight"

Wie der Streit ausgeht, weiß Berner noch nicht. Vorsorglich hat er seine Abteilungen angewiesen, alle Olympia-Logos vom Briefpapier, von der Homepage, von den Schuhkartons zu tilgen. Seine Visitenkarte, auf der die Ringe noch stehen, gibt er erst her, nachdem er sie übermalt hat. Bloß keine Angriffsflächen bieten, wenn der juristische Grabenkampf beginnt. Berner wird ihn aufnehmen, sich "gebührend wehren", wie er ankündigt. Er müsse es tun, sagt er, auch wegen seiner 300 Mitarbeiter, die einen sicheren Arbeitsplatz haben wollten. Für Sioux, den kleinen Mittelständler mit einem Jahresumsatz von 30 Millionen, sind Kündigung und Konsequenzen keine Peanuts.

Von den organisierten Olympioniken in Frankfurt war bis Redaktionsschluss noch keine Stellungnahme zu erhalten. In der DOSB-Zentrale heißt es, die Rückkehrer aus Rio seien noch mit ihrer Willkommensfeier beschäftigt. Eine erste sichtbare Reaktion war bei der Abschlussfeier in Brasilien zu verzeichnen: Alle Sportlerinnen und Sportler sowie die angeschlossenen Funktionäre trugen adidas-Schuhe. Die Sioux-Indianer in Walheim kommentieren das nicht, sie verabschieden sich mit dem alten Kriegerspruch: "Ho'ka hey! It's a good day to fight."

 

Info:

Der Schuhhersteller Sioux wurde 1954 von Peter Sapper, dem Erfinder des Mokassins, gegründet. 1992 ging das Unternehmen an Salamander, 2003 wurde es von der Egana Goldpfeil Gruppe übernommen. Nach der Insolvenz von Egana stieg die Frankfurter Investmentfirma Square Four 2009 ein. Seitdem führt Lewin Berner als Mitgesellschafter die Geschäfte.


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16 Kommentare verfügbar

  • Fritz
    am 31.08.2016
    Antworten
    Und die "Spassposter" meinen auch eine Meinung zu haben.
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