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Mehr Schutz für Whistleblower

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Viel gelobt, hart bestraft: Vor wenigen Tagen wurden die Whistleblower Antoine Deltour und Raphaël Halet zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Sie hatten die dubiosen Steuerpraktiken multinationaler Konzerne in Luxemburg enthüllt. Wer von Steuergerechtigkeit redet, muss Whistleblower besser schützen, fordert unser Autor.

Angeführt von Bundesfinanzminister Schäuble und getrieben von den sogenannten Lux-Leaks-Enthüllungen sowie den Panama Papers, wird die Bundesregierung nicht müde, die in der Tat mangelnde Steuergerechtigkeit in Europa öffentlichkeitswirksam zu geißeln. Umso beachtlicher ist die Stille, mit der in der vergangenen Woche das Strafurteil gegen die Whistleblower Antoine Deltour und Raphaël Halet in Kanzleramt und Bundesfinanzministerium aufgenommen wurde. Die beiden ehemaligen Mitarbeiter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers hatten enthüllt, wie der luxemburgische Staat unter dem damaligen Regierungschef und heutigen Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, große Unternehmen aktiv dabei unterstützte, sich durch Umgehungsgeschäfte vor Steuerzahlungen in Milliardenhöhe zu drücken.

Sein Dienst an der europäischen Gesellschaft hat dem Hauptangeklagten Deltour zuerst den Bürgerpreis der Europäischen Union und dann eine zur Bewährung ausgesetzte Haftstrafe über zwölf Monate wegen Diebstahls, Verletzung von Geschäftsgeheimnissen sowie Verletzung des Berufsgeheimnisses eingebracht.

In dieser Angelegenheit gleicht das Großherzogtum dem Dorfrichter Adam aus Heinrich von Kleists "Der zerbrochne Krug": Es ist Richter und wahrer Übeltäter in einem, der durch schäbige Deals mit Deutscher Bank, Vodafone, Eon und rund 350 weiteren multinationalen Großunternehmen die europäischen Bürger Dutzende Milliarden Euro kostete. Die Zeche zahlen ließ er aber einen zur Tatzeit 25 Jahre alten Wirtschaftsprüfer, der das ganze Treiben zufällig aufgedeckt hatte und nicht einmal versuchte, daran auch nur einen einzigen Euro zu verdienen.

Auch in Deutschland sind Wirtschaftsprüfer ungeschützt

Derweil hat die deutsche Finanzaufsichtsbehörde BaFin zum Monatsbeginn eine Meldestelle für Whistleblower eingerichtet, die sich gezielt an Personen richtet, "die über ein besonderes Wissen zu Unternehmensinterna verfügen – etwa weil sie dort angestellt sind oder in einem sonstigen Vertrags- oder Vertrauensverhältnis zu dem Unternehmen stehen". "Der Schutz der Hinweisgeber" genieße hierbei "höchste Priorität." Denn: "Bei der Identifizierung von Verstößen gegen das Aufsichtsrecht kommt Whistleblowern eine große Bedeutung zu. Sie können wertvolle Beiträge dazu leisten, das Fehlverhalten einzelner Personen oder ganzer Unternehmen innerhalb des Finanzsektors aufzudecken und die negativen Folgen dieses Fehlverhaltens einzudämmen beziehungsweise zu korrigieren." Die Hinweisgeber sollen sich dabei sicher sein können, "dass ihnen aus der Meldung bei der BaFin keine Nachteile entstehen".

Also alles gut in deutschen Landen? Mitnichten. Schäubles immer wieder bemühtes Denkschema, wonach die Übeltäter in sogenannten Steuerparadiesen wie Panama oder Luxemburg säßen, während Deutschland dem Whistleblowerschutz "höchste Priorität" einräume, entspricht nicht der Realität. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags hat auf meine Nachfrage in einem schriftlichen Gutachten bestätigt, dass zwar die Mitarbeiter der von der BaFin beaufsichtigten Unternehmen geschützt sind sowie externe Unternehmen, an die "ausschließlich institutstypische, interne Dienstleitungen" ausgelagert werden. Ausgerechnet Abschlussprüfer aus Wirtschaftsprüfungsgesellschaften genießen in Deutschland aber weiterhin keinen Schutz.

Die haarsträubende Begründung offenbart, wie sehr der Bundesregierung tatsächlich am Schutz von Hinweisgebern gelegen ist: Gerade weil Abschlussprüfungen nur von "externen" und "unabhängigen" Wirtschaftsprüfern oder Wirtschaftsprüfungsgesellschaften durchgeführt werden dürfen, fallen sie nicht unter den Whistleblowerschutz. Ausgerechnet die mit Abschlussprüfungen befassten Wirtschaftsprüfer, die gerade wegen ihrer Kontrollfunktion und Informationspflicht gegenüber Shareholdern, Stakeholdern und dem Markt insgesamt einerseits "über ein besonderes Wissen zu Unternehmensinterna" verfügen und andererseits wegen ihrer zumindest formellen Unabhängigkeit besonders geeignet sind, "Fehlverhalten einzelner Personen oder ganzer Unternehmen innerhalb des Finanzsektors aufzudecken", müssen bei der Aufdeckung von Missständen zivil- und strafrechtliche Sanktionen fürchten.

Whistleblower verdienen umfassenden und systematischen Schutz statt Verfolgung. Ihr großer gesellschaftlicher Nutzen ist offensichtlich, wenn man die Lux-Leaks-Enthüllungen, die Panama Papers, Edward Snowdens NSA-Dokumente oder die TTIP-Leaks in Erinnerung ruft. Wir Grünen haben daher bereits 2012 und nochmals 2014 ein Whistleblower-Schutzgesetz in den Deutschen Bundestag eingebracht, das die jeweilige Regierungskoalition abgelehnt hat. Darüber hinaus gilt es, das bestehende Vollzugsdefizit abzubauen: Das Verhalten des Bundesministeriums der Finanzen und der BaFin in den Fällen Berenberg Bank, Bundesdruckerei und Cum/Ex zeigt, dass Banken und Behörden Hinweisen auf illegale Aktivitäten oft nicht konsequent nachgehen.

Schließlich herrscht auch bei dem Thema der Steuergerechtigkeit in Europa weiterhin Handlungsbedarf. Über formal legale Arrangements gleich denen, die von Deltour in Luxemburg aufgedeckt worden sind, gelingt es Unternehmen wie Google, IKEA oder Starbucks, keine oder nur sehr geringe Steuern zu zahlen. Das verlagert die Steuerlast auf kleine und mittelständische Unternehmen sowie die europäischen Bürgerinnen und Bürger. Unternehmen, die keine aggressive Steuergestaltung betreiben, haben im Wettbewerb gegen die Multis das wirtschaftliche Nachsehen. Das gilt gerade für die Masse an kleinen und mittleren Unternehmen und schafft so eine ständige Tendenz zur Machtkonzentration in unserer Wirtschaft.

Die Politik muss die Tricksereien der großen Unternehmen unterbinden

Deshalb brauchen wir länderbezogene Berichtspflichten für große Unternehmen. Die Unternehmen müssen offenlegen, in welchen Ländern sie welche Geschäftstätigkeiten ausüben und Steuern in welcher Höhe zahlen. Dann würde transparent werden, wenn ein Konzern in Europa Geschäfte macht, aber seine steuerpflichtigen Gewinne in einen "Steuersumpf" verlagert, um keine oder nur unverhältnismäßig geringe Steuern zu zahlen. Dieses sogenannte Country-by-Country-Reporting muss öffentlich erfolgen, um wirksame gesellschaftliche Kontrolle zu gewährleisten.

Whistleblower wie Deltour und Halet, die persönlich viel riskiert haben im Interesse des Gemeinwohls, verdienen Respekt. Und deshalb brauchen Whistleblower einen besseren gesetzlichen Schutz. Trotzdem bleibt die Frage an die staatliche Seite und an die politisch Verantwortlichen: Warum braucht es, obwohl die Tricksereien der großen Unternehmen in Luxemburg seit Jahren bekannt waren, erst Whistleblower und eine große Medienwelle, damit es zu einer politischen Reaktion kommt? Von den Finanzministern in der Europäischen Union darf man erwarten, dass große gesellschaftliche Probleme auch adressiert werden, ohne dass Einzelne ihre berufliche Zukunft riskieren müssen.

Gerhard Schick (44) sitzt seit 2005 im Bundestag, ist Mitglied im grünen Parteirat und gilt als einer der wenigen Linken bei den baden-württembergischen Grünen. Der finanzpolitische Sprecher der Grünen setzt sich seit Jahren dafür ein, Steuerschlupflöcher zu stopfen. Er weiß, wie wichtig Whistleblower für diesen Kampf sind – und ihr Schutz.


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6 Kommentare verfügbar

  • by-the-way
    am 10.07.2016
    Antworten
    "Mehr Schutz für Whistleblower" ?!

    Wer soll die denn, in diesem System, schützen ?

    Die machthabenden, sogenannten "Eliten" ?!!!

    Die Forderung ist ein klassisches Paradoxum!
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