KONTEXT:Wochenzeitung
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"Gysi ist top"

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Mit ihren Büchern haben sie die "Spiegel"-Bestsellerlisten erobert: Marc Friedrich und Matthias Weik aus dem Remstal. Darin rechnen sie gnadenlos mit dem Finanzkapitalismus ab, aber auch mit Parteien und Politikern. Von Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht abgesehen. In Kontext haut Friedrich auf den Putz.

Herr Friedrich, Sie sind ein scharfer Kritiker des Finanzkapitalismus. Sie plädieren für Investitionen in Sachwerte, sind Schwabe und wohnten doch zur Miete. Warum glauben Sie nicht ans Betongold? 

Ich hatte sogar einen Bausparvertrag, da war ich noch gar nicht auf der Erde. Wahnsinn, wie weit die Eltern gedacht haben. Der Schwabe sagt halt, Sach bleibt Sach. Aber eine Immobilie ist kein sinnvolles Investment, nach 20 Jahren kommt eine neue Heizung, Reparaturen etc. Und wer jetzt glaubt, mit Geld, das er nicht hat, völlig überteuerte Immobilien kaufen zu können, als Altersvorsorge, das wird nicht funktionieren. Das hat nicht funktioniert in Irland, in Spanien und auch nicht in den USA. 

Die zwei Vermögenssicherer Friedrich und Weik plädieren für unter anderem Ackergold und haben ein Waldstück in Berglen bei Schorndorf gekauft. Soll das die Lösung sein?

Die Bauern von heute sind die Millionäre von morgen. Die Haltbarkeitsdauer unseres Finanzsystems ist 2008 abgelaufen, und seitdem wird es künstlich am Leben erhalten mit unglaublichen Geldspritzen. Mit einem Zins auf historischem Tief und zum Teil demokratisch fragwürdigen Maßnahmen. Was seit 2008 unter dem Dauerkrisenmodus verabschiedet wurde von Parlamenten, Notenbanken, da sträuben sich uns die Nackenhaare. Da wurde so viel öffentliches Geld in den Finanzsektor geschoben, sorry, das darf nicht sein. Wenn die 300 Milliarden Euro Rettungsgelder in Griechenland tatsächlich angekommen wären, dann würde da Honig und Milch fließen und wir hätten keine Jugendarbeitslosigkeit von über 50 Prozent. Stattdessen ging das Geld direkt wieder nach Frankfurt, Berlin, Hamburg und an die Wall Street, um die Finanzinstitute zu stützen. Die Griechen haben die Banken der westlichen Welt gerettet, nicht wir die Griechen.

Also zurück zu Ackerbau und Viehzucht und tschüss Industriegesellschaft? Nach einem Vortrag von Ihnen im Forum 3 in Stuttgart haben sich junge Leute zu einer solidarischen Landwirtschaft auf den Fildern zusammengeschlossen. Klingt ziemlich rückwärtsgewandt.

Nein, das ist nicht rückwärtsgewandt, sondern essenziell. Wir sind mitten in einem epochalen Wandel und wir müssen umdenken. Die Wirtschaftswelt ist immer im Wandel, wir müssen das akzeptieren und Bewährtes mit in die Neuzeit nehmen.

Nicht jeder kann in einen Acker investieren. Wo bleibt die soziale Verantwortung? 

Natürlich kann nicht jeder in Sachwerte investieren. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Wir haben auf der Wohlstandsleiter nach oben wichtige Säulen des Zusammenlebens ad acta gelegt – den Kitt, der diese Gesellschaft zusammenhält wie zum Beispiel Werte, Anstand, Moral. Ich habe mal das lustige Experiment gemacht, allen Leuten auf der Königstraße Hallo zu sagen. Eine halbe Stunde später stand die Polizei da, fragte, ob alles okay sei. Als ich angefangen habe, die Leute zu umarmen, da wäre ich fast eingekastelt worden. Wir leben also nicht mehr miteinander, sondern nebeneinander. Weil wir das Hamsterrad immer schneller drehen müssen, für Konsum, Auto, iPhone, haben wir keine Zeit mehr für die wirklich relevanten Dinge. Und dann wundern wir uns, dass wir keine Zeit mehr haben, kritische Zeitungen zu lesen, kritische Bücher zu lesen oder uns Gedanken zu machen, was hier schiefläuft. Und der Rest wird abgedeckt durch Brot und Spiele.

Sie gehen nicht wählen, Sie halten alle Parteien für unfähig. Ist ja schön, zu analysieren und Prognosen zu entwickeln. Die Frage ist doch, was folgt aus der Analyse? 

Meine grauen Haare kommen nicht von ungefähr. Wir haben viel mit Politikern gesprochen, mit Ministern, mit Landtags- und Bundestagsabgeordneten, wir waren im Wirtschaftsministerium. Und irgendwann wurde uns beiden klar, da passiert nichts. Von oben wird es keinen notwendigen Wandel geben. Natürlich verstehen wir uns als politische Menschen, sonst würden wir keine Bücher schreiben, keine Vorträge halten an Schulen und Volkshochschulen, aber wir fühlen uns von keiner Partei vertreten. Die Skandale werden immer krasser. Im letzten Jahr FIFA, VW, DFB, ADAC, SPD, FDP, überall haben sie Dreck am Stecken. Es ist nicht mehr zu leugnen, dass da was aus dem Ruder gelaufen ist, auch im politischen System. Die Leute fühlen sich nicht mehr abgeholt. Und dann kommen die Schreihälse von links und von rechts und fangen die Leute ein. Und das ist die Gefahr, dass nicht nur unser Geld und unser Wohlstand, sondern auch unsere Demokratie am Scheidepunkt steht. 

Mit Ihrer Analyse der Finanzmärkte könnten Sie sich bei Oskar Lafontaine und Sarah Wagenknecht zu Hause fühlen. 

Weiß ich, weil die Daten ja gegeben sind und wer sie richtig liest, auch versteht, zum selben Ergebnis kommt. Ich habe ja auch mit Lafontaine gesprochen, der war angetan, wollte uns einladen und war ein bisschen empört, als wir Nein sagten. Wir wurden schon von allen Parteien eingeladen. Ich will aber nicht vor einen politischen Karren gespannt werden. Wir haben die Schnauze gestrichen voll vom politischen Establishment. Das sind solche Konformisten, da wird mir schlecht. Und die, die Charakter haben und Sachverstand, wie Sahra Wagenknecht, die sind in der falschen Partei. Ich kann fast alles unterschreiben, was sie sagt, weil sie eine tolle wirtschaftliche Analyse macht, die nicht ideologisch verfärbt ist. Ich will die Politik aus der Analyse heraushaben.

Aber beim Handeln muss es politisch werden. Da sind wir an dem Punkt, wo sie mit Ihrer Parteienverdrossenheit im rechten Lager landen, bei der AfD, die mit mit dem diffusen Gefühl von Machtlosigkeit Politik macht und alle Politikverdrossenen einsammelt. Fühlen Sie sich da wohl?

Die AfD ist auch nur eine Partei. Die AfD hat als Euro- und Wirtschaftspartei begonnen. Jetzt ist sie ein Sammelbecken für alle Protestbewegten, und das ist gefährlich, wenn sich der rechte Rand durchsetzen sollte. Ich wähle nicht die AfD und ich glaube nicht an die AfD, aber auch nicht an die SPD, die CDU, die Linke oder die FDP. Den im Endeffekt regiert das Geld, und alle Parteien ordnen sich diesem unter. Warum sonst ist die Finanzwelt die einzige Branche die außerhalb von Recht und Gesetz steht und mit Steuergelder gerettet wird, wenn sie sich verzockt? Das ist Champions League. Mehr geht nicht. 

Die Linke benennt als einzige Partei, wie Sie in Ihren Büchern und Vorträgen, die Kluft zwischen den Superreichen und dem großen Rest. 

Ich liebe Gysi, Gysi ist top. Aber Kommunismus und Sozialismus wird nie funktionieren. Auf dem Papier klingt das super, in meinen jungen Jahren bin auch rumgelaufen, hab die Faust gereckt und war ziemlich links. Aber jetzt bin ich Realist und der Meinung, dass Kapitalismus de facto etwas Gutes und nur der Finanzkapitalismus destruktiv ist. Deshalb sage ich: Wir müssen Brücken bauen, aus allen Systemen das beste rausziehen. Deshalb bin ich ein Freund des Best-practice-Ansatzes. Unser jetziges System ist dem Untergang geweiht, denn es dividiert die Menschen auseinander und beutet Natur, Mensch und Tier aus. Worum geht es im Leben denn? Dass ich viele Aktien habe und Gold im Tresor? Oder darum, dass ich Fußstapfen und eine lebenswerte Zukunft hinterlasse? 

Wie sieht denn die Gesellschaft aus, in der Sie leben wollen? 

Ich stelle mir ein Grundeinkommen vor, dass jeder eine Sicherheit hat. Ein faires direktes Steuersystem, das viel niedriger ist als jetzt. Im Mittelalter gab es zum Beispiel den Zehnten. Mehr Demokratie und Volksabstimmungen. Politiker, die tugendhaft sind ... 

... tugendhaft klingt ziemlich altertümlich.

Sorry, das ist das Erste, was mir eingefallen ist bei unseren Gesprächen mit Politikern: dass die Tugendhaftigkeit fehlt. Der Antriebsmotor der Berufspolitiker ist nur, wiedergewählt zu werden und damit eine sichere Pension zu haben. Aber es sind die Menschen, die wichtig sind. Ich möchte, dass Lobbyisten verboten werden, dass wir ein Finanzsystem haben, das den Menschen dient und nicht den zwei Prozent globaler Elite. Wir brauchen permanente, antizyklische Kapitalmarktkontrollen. Als ich durch die Krisenländer, Spanien, Portugal, Island, gereist bin, haben mir alle gesagt, die Krise hat eines bewirkt: Wir haben Geld verloren, aber wir sind als Menschen, als Gesellschaft näher zusammengerückt. Und mir fehlt in diesem ganzen verdammten System die Menschlichkeit.

Wie wollen Sie das erreichen?

Das Geldsystem muss gerecht werden. Das ist der Krisenherd. Wir brauchen eine demokratisch gewählte Notenbank. Wir müssen den Euro ad acta legen. Wir brauchen souveräne Währungen, wenn möglich, ein gedecktes Vollgeldsystem, das heißt, die Banken können nur ausgeben, was sie haben. Wir brauchen ein gedecktes Geldsystem etwa durch Rohstoffe. Wir brauchen ein Trennbankensystem, ein nachhaltiges Wirtschaftsdenken, das die Natur, Menschen und Tiere nicht länger als Ware betrachtet. Wir müssen den Wohlstand gleichmäßig global verteilen, dann gibt es auch keine Flüchtlingsströme, keine Kriege. Warum sind die rohstoffreichsten Länder der Welt die korruptesten? Das ist ein klares Zeichen mangelnder Kontrolle. Die Menschen neigen dazu, sich zu bereichern. Da müssen wir wahrscheinlich eine neue Bewusstseinsstufe erreichen.

Woher soll dieser Bewusstseinswandel denn kommen? Erst kommt das Fressen, dann die Moral, sagt Bertolt Brecht.

Momentan ist unser System nicht reif dafür. Wenn ich heute sage: Grundeinkommen, dann werde ich als utopischer Spinner abgestempelt. Wir können uns noch fünf Jahre weiter so erkaufen, aber dann ist es vorbei. Jetzt haben wir die Spanienwahl, mal sehen, was dort passiert. Brexit, nächstes Jahr Frankreich, Bundestagswahl, und wenn wir so weitermachen, hat die AfD zweistellige Ergebnisse. Vielleicht sollten wir Berufspolitiker abschaffen? Eine Legislaturperiode und dann ist Schluss? Der frühere Berliner Regierende Bürgermeister Wowereit hat im BER-Aufsichtsrat komplett versagt. Sofort gehen und noch was zahlen – das wäre doch mal was anderes. Steuergeldverschwendung sollte genau so hart bestraft werden wie Steuerhinterziehung.

Deshalb sagen Sie auch, dass Stuttgart 21 explodieren wird? 

Natürlich! Das ist ein politisches Projekt, das hat man durchgeboxt. Mein Freund ist Geograf, der hat schon vor Jahren gesagt, das Ding wird niemals rechtzeitig fertig und es wird eine Kostenexplosion geben, da werden die Schwaben sich noch dreimal am Kopf kratzen. Und jetzt bekommen sie das bröckchenweise serviert: "Ja, dauert länger. Oh, es wird doch 500 Millionen Euro teuer." Und ich verspreche ihnen heute schon, das wird nicht das Ende der Fahnenstange sein. Denn die Bahn und die Politik haben das Projekt schöngerechnet, um die Volksabstimmung zu beeinflussen und den Bahnhof auf Kosten der Steuerzahler durchzuboxen. Ich persönlich glaube, dass sie den unterirdischen Bahnhof nicht fertigstellen.

Dann sind die Löcher da, und in den Tunneln werden Champignons angebaut?

Na und? Wie viele öffentliche Projekte gibt es, die nie fertig gebaut wurden? Die berühmten Brücken ins Nichts. Ich erhalte jedes Jahr das schöne Buch vom Bund der Steuerzahler. Nach zehn Seiten muss ich es weglegen, weil ich sonst ein Magengeschwür bekomme. Da haftet niemand, wie kann das sein? Wenn Sie fünf Euro Steuern hinterziehen, haben Sie ein Riesenproblem. Aber da werden Milliarden verbrannt und keiner haftet. Das ist ein Luxus, in dem wir noch leben. Aber wie lange noch? In fünf bis zehn Jahren werden wir ein anderes Deutschland haben. Den aktuellen Wohlstand kann man nicht aufrechterhalten.

Das klingt ganz nach dem Crash-Propheten, der Sie nicht sein wollen. Blicken Sie noch mit Zuversicht in die Zukunft? 

Wenn wir jetzt nichts ändern, nein. Ich hatte die Hoffnung, dass die Große Koalition diese Strukturreformen, die von allen Seiten gefordert werden, durchführt, und nichts ist passiert. Das war für mich die Bankrotterklärung der Politik, und seitdem hab ich den Glauben an die Politik komplett verloren.

Wollen Sie etwa eine neue Partei gründen?

Warum nicht? Ich setz mich da hin. Arbeitstitel: Stuttgarter Erklärung. Nach der Diskussion um die AfD-Nähe überleg ich mir das wirklich. Und dann können Sie mir auch nicht mehr vorwerfen, dass ich unpolitisch bin. Dann kommt die Partei. Aber eine, die auch sagt, hei, sobald einer korrupt wird, dann tschüss, ciao. Denn man darf nicht vom System inhaliert werden, das ist die große Gefahr.

 

Mehr zum Redaktionsbesuch von Friedrich und Weik lesen Sie in unserem Editorial "500 Euro zum Ersten".


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10 Kommentare verfügbar

  • Gerhard Pauli
    am 30.06.2016
    Antworten
    Ein Rabbi im antiken Galiläa gab dazu folgendes Gedankenexperiment zum besten: Stellt euch einen Bauern vor, dessen Ernte heuer so gut war, dass er seine Scheunen abreißen und neue bauen lassen musste, um alles zu verstauen. Nun sagt er sich: Liebe Seele, iss und trink und hab Ruhe. Schön für ihn -…
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