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Monopoly mit Gewinngarantie

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Die Anklage gegen die früheren Porsche-Chefs Wiedeking und Härter wegen Marktmanipulation ist krachend gescheitert. Der Staatsanwalt stolperte über heimtückische Fallstricke wachsweicher Börsengesetze – und die habgierige Zockerwelt.

Die Börsenregeln für Aktiengeschäfte folgen scheinbar einer einfachen Logik: Gute Nachrichten locken Käufer an und lösen steigende Kurse aus, schlechte Botschaften vergraulen Anleger, die Kurse fallen. Wenn zum Beispiel Porsche beim VW-Konzern einsteigt und wie 2008 massenhaft Aktien kauft, dann ist das ein Fressen für die sogenannten Märkte. Sie ziehen hemmungslos mit. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis, genauer: den Börsenkurs. Diese Formel lernen wir bereits in der Schule. Viele Finanz- und Wirtschaftsjournalisten pauken uns den wie in Stein gemeißelten Grundsatz täglich im Fernsehen, Radio, Internet und in den Printmedien ein.

Kein Wunder, dass auch die Justiz – hier die Stuttgarter Staatsanwaltschaft – an ein Gesetz der Märkte glaubt. Aus dem Lot gerät dieses Regelwerk indes nur, wenn Manager sträflich falsch informieren oder wichtige Nachrichten unterlassen. Wenn solche Spitzbuben gegen die Marktmechanismen verstoßen, müssen sie bestraft werden. Im früheren Porsche-Boss Wendelin Wiedeking und im Ex-Finanzchef Holger Härter glaubten die Stuttgarter Kläger, gefährliche Störenfriede gefasst zu haben. Beide sollen böswillig Marktmanipulation betrieben und den VW-Aktienkurs steil nach oben getrieben haben.

Börsendealer verbrannten sich an VW die Finger – und viel Geld

Dieser Vorwurf war ganz im Sinne jener milliardenschweren, international agierenden Hedge- und Investitionsfonds. Die Finanzakrobaten fühlen sich von dem Vorstandsduo bei ihren VW-Engagements betrogen, weil sie nicht rechtzeitig und umfassend über Porsches Aktivitäten bei Volkswagen informiert wurden. Am Ende verbrannten sich die Börsendealer die Finger und Milliardensummen.

Ab in den Kerker mit den Spielverderbern und die Börsenwelt ist wieder heil? Keinesfalls! Die angeblich festen Regeln folgende Geschäftemacherei ist in Wahrheit undurchsichtig, hinterhältig und verlogen. Das offenbart einmal mehr der Prozess gegen die Ex-Porsche-Manager Wiedeking und Härter. Es ist nämlich kinderleicht, die Chefs einer Aktiengesellschaft der Falschinformation zu bezichtigen. Die Kläger stellen sich einfach dumm – weil uninformiert –, und schon dreht sich die Beweislast um.

Die beschuldigten Bosse müssen nun beweisen, dass sie regelgerecht informiert haben. Sündhaft teure Anwaltskanzleien – möglichst mit Referenzadressen wie New York, London und Singapur im Briefkopf – sind darauf spezialisiert, entsprechende Klagen zu konstruieren. Je großkotziger die globalisierten Advokaten auftrumpfen, umso imposanter wirken ihre Schriftsätze bei Staatsanwälten und Richtern in der Provinz. Genug Geld für Megaprozesse besitzen die riesigen Zockerbuden allemal, zumal Prozessieren ein wichtiger Teil ihres Spekulationsmodells ist. Geht ein Zockerspiel verloren wie im Fall VW-Porsche, versuchen die Fonds ihr Glück vor Gericht – Monopoly mit Gewinngarantie. In einigen Fällen sprachen ihnen Richter tatsächlich hohe Summen an Schadensersatz zu, besonders im angloamerikanischen Raum.

Diese paradiesische Aussicht verleitet die Börsenspieler zu grenzenlos riskanten Einsätzen. So spekulierten die Fonds beim Übernahmepoker Porsche-VW nicht etwa auf steigende Kurse – was angesichts des Kaufs von VW-Aktien durch den Sportwagenbauer anzunehmen gewesen wäre –, sondern auf fallende. Sie erwarben Optionsrechte (Verkaufs- oder Put-Optionen) mit dem Hintergedanken, dass der Porsche-Deal platzen könnte. Die damals verlockend billigen Optionen mussten im Oktober 2008 zu einem bestimmten Wert eingelöst werden. Wären die VW-Aktien bis zum entsprechenden Zeitpunkt tatsächlich gefallen, hätten die Spekulanten bei ihrem Coup gewaltige Gewinne abgeräumt.

Verlierer des spekulativen Börsentreibens sind die Kleinanleger

Stattdessen trat das Gegenteil ein: Der VW-Kurs stieg steil bis über tausend Euro an einem Tag im Oktober. Damit verloren die Verkaufsoptionen ihren Kurswert, und deren Besitzer mussten dann Milliardensummen auf den Tisch legen – ganz wie beim Pokerspiel. Ihren Verlust hätten die Spieler indes nun gerne von den Exvorständen und deren Versicherungen ersetzt. Dem Strafprozess in Stuttgart wären sicher Zivilverfahren gefolgt. Mit der eigentlichen Übernahmeschlacht Porsche gegen Volkswagen hat das Spiel mit Kauf- und Verkaufsoptionen übrigens direkt nichts zu tun. Denn die Durchstecher sind nicht am Unternehmen, sondern nur an der Aktie als Spekulationsobjekt für ihr riskantes Börsen-Monopoly interessiert.

Welchen Sinn haben solche Spielereien überhaupt? Immerhin gefährden Verkaufsoptionen und Leerverkäufe (hier werden geliehene Aktien auf den Markt geworfen mit dem Ziel, den Kurs zu drücken und anschließend die Aktien billig zu erwerben) den Wert und damit die Kreditwürdigkeit von Aktiengesellschaften. Dieser tägliche Börsenpoker, betrieben von wenigen großen Spielern, ist ein Irrsinn. Er torpediert den normalen Aktienhandel zulasten der Kleinanleger und benachteiligt ehrliche Investoren tagtäglich.

Die undurchsichtigen Spielchen führen dazu, dass Aktienkurse ständig unkalkulierbar stark in die eine oder andere Richtung ausschlagen. Daraus resultiert eine ungezügelte Sprunghaftigkeit (Volatilität), die nur der schnellen Spekulation und nicht einer nachhaltigen Geldanlage dient. Jeder kann sich im Internet von diesen hektischen Ausschlägen selbst ein Bild machen. Risikospieler nutzen das kurzhubige Auf und Ab dazu, in immer kürzeren Zyklen flott Geld scheffeln zu können.

Dabei waren es auch die Hedgefonds, die mit ihrer Gier den Finanzcrash 2007/8 mit verursacht hatten. Wurden diese Profitjäger jemals zur Rechenschaft gezogen? Nein. Stete Verlierer sind dagegen die Kleinanleger, die zwangsweise Gegenspieler der Zocker sein müssen. Im Gegensatz zu den hemdsärmeligen Geldmanagern bekommen sie keinen direkten Zugang zu den Börsen. Sie bleiben als Zuschauer des spekulativen Treibens auf verlorenem Posten. Und was sie als Börsenhandel auf dem "Börsenparkett" zu sehen bekommen, ist nur eine inszenierte (TV-)Kulisse. Denn der Börsenhandel läuft fast vollständig von Computer zu Computer ab. Doch wo keine Menschen mehr persönlich präsent sind, sich kennen und handeln, liegen die Motive der Käufer und Verkäufer bald im Dunkeln.

Die Verliererposition trifft wahre Investoren umso mehr, da weder Banken noch Medien (geschweige denn Politiker) das Anlegervolk ehrlich informieren und Hintergründe aufdecken. Stattdessen werden sie täglich mit schwatzhaften Kommentaren im Fernsehen, Hörfunk und in Zeitungen geblendet über vermeintliche Gründe des Aufstiegs oder Falls der Börsenkurse. Alles meistens Quatsch! Da wird die Kursentwicklung wohlfeil rational begründet, obwohl die Ursachen fast immer woanders liegen: in der Gier und Mentalität der Zocker.

Die Börsen verkommen zu entfesselten Zockerbuden

Was wirklich in der echten Wirtschafts- und Geschäftswelt passiert, ist für Spieler bestenfalls ein Anhaltspunkt für die Frage: Was denken meine Mit- und Gegenzocker über diverse Ereignisse und wie wirkt sich ihre Haltung auf ihr spekulatives Handeln aus? "Wenn du denkst, dass ich denke, was du denkst", so das Motto von Pokerface. Denn bei diesem Spiel siegt nur, wer als Spekulant vor allen anderen im richtigen Moment am schnellsten ein- und aussteigt. Beim Rennen um den höchsten Profit ist jeder des anderen Feind. Dafür wird getrickst und gelogen, werden schamlos Märchen erzählt. Daher existiert oft kein kausaler Zusammenhang zwischen einem Ereignis oder einer Mitteilung und der Kursentwicklung, wie es dem Staatsanwalt idealtypisch vorschwebt.

Ein typisches Beispiel für diese Diskrepanz ist die Spekulation auf ein Wahlergebnis hin. Siegt bei der Wahl eine konservative Partei, ist die Überraschung an der Montagsbörse groß: Anstatt zu steigen, sinken die Kurse durch die Bank. Kommentatoren deuten den Widerspruch als "Enttäuschung der Märkte". Völlig daneben. Die Gewinner unter den Spekulanten stiegen aus der Spekulationsrunde rechtzeitig aus und erzielten so ihren optimalen Profit.

Ähnlich widersprüchliche Kursverläufe sind etwa bei Bekanntgabe höherer Dividenden und Umsätze, von Fusionen oder Großaufträgen zu beobachten – alles gute Nachrichten, die indes längst in der Gerüchteküche (Insiderinformationen) schmorten und von Profiteuren verzockt wurden. Das eigentliche Ereignis lässt Großspekulanten dann kalt. Sie haben das Papier ja vorher profitabel verkauft.

Die Börsen verkommen zu entfesselten Zockerbuden. Kleinaktionäre sollten sich ihr Engagement daher gründlich überlegen. Die Schiebereien mit ständigen Rein-raus-Nummern führen zu immer kürzeren Haltefristen der Papiere. Manche Durchstecher steigen morgens fett ein und nachmittags fix aus. Haben sie gewonnen – auf Kosten der unbeteiligten Kleinanleger –, bezeichnen Beobachter diese Zockerparty dann wohlwollend als "Gewinnmitnahmen". Leider reden auch Journalisten so zynisch. Übrigens trägt die suggestiv positive Sprache der Medien dazu bei, die Machenschaften der Zocker auf dem Rücken der Kleinen zu verschleiern.

Wer kontrolliert das Flüstern auf den Fluren?

Hört endlich auf, Spekulanten als "Investoren" zu adeln und anonyme "Märkte" für die Durchstecherei verantwortlich zu machen. Die privilegierte Stellung der auf schnelle Kursgewinne fixierten Börsianer gleicht eher einer Bande von Schiebern als verantwortungsbewussten Unternehmern. Wahre Investoren sind diejenigen, die langfristig ihr Kapital einer Aktiengesellschaft anvertrauen und das Wohl von Firma wie Mitarbeitern im Auge haben. Die Spekulationen aus der Gerüchteküche spielen bei nachhaltig orientierten Anlegern kaum eine Rolle. Ob und wann eine Pressemeldung der Gesellschaft genau herausgegeben wurde, tangiert ehrliche Investoren wenig.

Seine undifferenzierte Betrachtungsweise wurde dem Stuttgarter Staatsanwalt zum Verhängnis. Und er stolperte noch über eine andere wachsweiche Börsenregel: die komplexe Insiderregel. Also über die Frage, wann und unter welchen Umständen die Aktionäre über ein Ereignis informiert werden müssen. Ist das bereits der Fall, wenn Vorstände zwischen Tür und Angel oder ganz im Privaten darüber plaudern, Aktien von VW kaufen oder die Chefetage umbauen zu wollen? Liegen hier schon Insiderkenntnisse vor? Und wer kontrolliert das Flüstern auf den Fluren? Genau diese Punkte sind in der Praxis schwer zu beantworten, Verstöße kaum zu verfolgen.

Um die weltfremde Insidervorschrift konsequent ahnden zu können, müsste die Börsenaufsicht überall Augen und Ohren haben. Spitzel, die alles denunzieren. Das käme einer Art Börsen-Stasi gleich. Die hätte uns noch gefehlt! Ohne genaue Informationen indes sind gerichtlich verwertbare Beweise für eine vorsätzliche Marktmanipulation wie im Fall Wiedeking-Härter nicht belegbar. Abgesehen davon, dass sie hier wenig plausibel erscheinen.

Diese Einsicht veranlasste den Richter am Stuttgarter Landgericht nach monatelangen Verhandlungen zu dem Schluss: "Hinten nichts, vorne nichts und in der Mitte nichts." Die vermeintlichen Gesetze des Marktes erwiesen sich bei der Wahrheitsfindung einmal mehr als Makulatur. Um den Kurs der Millionen VW-Aktien zu manipulieren, bedarf es gottlob weit mehr als einer Presseinformation.


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3 Kommentare verfügbar

  • Stuagetter
    am 24.03.2016
    Antworten
    Der Hund, den man erst zum Jagen tragen musste, ist also gestolpert? Ja, so kann man das natürlich auch sagen.
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