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Pleitegeier über Pistengaudi

Pleitegeier über Pistengaudi
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Wärmerekord statt Wintertraum: Auf dem Feldberg, dem höchsten Gipfel von Baden-Württemberg, ist die Skisaison bislang ausgefallen. Seit Jahren warnen Umweltschützer, dass gegen den Klimawandel keine Schneekanonen helfen. Dennoch pulverten Kommunen und Investoren erst jüngst 25 Millionen Euro ins stillstehende Skigebiet.

Zur Einweihung spendeten Pater und Pfarrer göttlichen Segen. Doch auch das nutzte nichts: der Zeigerlift, der neueste Sessellift am Feldberg, beförderte auf der Jungfernfahrt am 18. Dezember nur die lokale Prominenz auf den 1493 Meter hohen Gipfel – und postwendend auch wieder hinunter zur Talstation. Danach wurden die Sessel eingemottet.

Denn an Abfahren auf Skiern oder Snowboards war im größten Wintersportgebiet von Baden-Württemberg in dieser Saison kaum zu denken. Außer an ein paar Tagen im November hieß es im Hochschwarzwald statt Wintermärchen nur Frühlingserwachen. Kurz vor Jahreswechsel kletterte das Thermometer auf dem Feldberg auf 12,5 Grad, was es im Dezember dort noch nie gegeben hat. Auch bundesweit war es der wärmste Dezember seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1881.

Während in den Alpen Schneekanonen weiße Pistenbänder in braune Gebirgstäler zeichneten, kamen die Liftbetreiber am Feldberg auch mit Kunstschnee nicht weiter. "Bei dauerhaften Plusgraden nützt die beste Beschneiung nichts", mussten Mitarbeiter der Fremdenverkehrsämter enttäuschten Skitouristen erklären, die sich über gesperrte Abfahrten beschwerten. Selbst in Frostnächten hätte sich der Aufwand nicht gelohnt, da die künstlichen Kristalle auf dem warmen Boden im Nu schmelzen. "Auch meine Skier stehen noch immer im Keller", versuchte eine Mitarbeiterin der Lift-Hotline frustrierte Gäste zu trösten.

Gähnende Leere im neuen Parkhaus

Ist es verzweifelte Krisen-PR oder schlicht, dass nicht sein kann, was nicht sein darf: Von Einbußen bei Hotellerie und Gastronomie, die in den zwei Wochen Weihnachtsferien ein Drittel des Wintergeschäfts machen, will man vor Ort nichts wissen. Auf dem Gipfel sei an Weihnachten die Hölle losgewesen, berichtete Volker Hasselbacher dem "Schwäbischen Tagblatt". "Der ganze Berg ist voll mit Leuten", behauptete der stellvertretende Geschäftsführer der Hochschwarzwald Tourismus GmbH. Auch Feldbergs Bürgermeister Stefan Wirbser (CDU) sah nur Hochbetrieb. "Hier war so viel los wie bei Skibetrieb", bekräftigt er auf Anfrage.

Doch die Webcams im Skigebiet zeigten ein anderes Bild. Wo an schönen Wintertagen über 10 000 Ski- und Snowboardfahrer Pisten, Lifte und Hütten bevölkern, verloren sich zwischen den Jahren die Wanderer. Und auch im pünktlich zum Beginn der neuen Wintersportsaison fertiggestellten Parkhaus beim Hotel Feldberger Hof herrschte kaum Andrang. Die 1200 PKW-Stellplätze und 45 Busparkplätze der Garage blieben meist unbelegt. Wie ein Riesenraumschiff am falschen Platz erstrahlte das hell erleuchtete Gebäude in den lauen Schwarzwaldnächten.

Mit dem Schnee fehlen im Schwarzwald nicht nur Wintersportler, sondern auch das Geld, das sie an den Liftkassen lassen. Im vorigen Winter, der guten Skisaison 2014/2015, registrierte der Liftverbund Feldberg noch über 450 000 Skifahrer, 5,6 Millionen Beförderungen und 7,3 Millionen Euro Umsatz. Inzwischen glaubt keiner mehr, diese Zahlen für 2015/2016 noch zu erreichen. Dabei müssten die Kassen der Alpin Center Todtnau-Feldberg GmbH, die das Skigebiet betreibt, gerade jetzt besonders kräftig klingeln. Denn Darlehns- und Leasingraten für neue Schneekanonen und Sessellifte müssen weiter bedient werden, auch wenn Schneemangel alles ausbremst.

Allein im zurückliegenden Jahr pumpten Anteilseigner und Investoren 25 Millionen Euro ins Skigebiet, um Erreichbarkeit und Kapazität zu verbessern. Um Gewinn und Risikovorsorge zu erwirtschaften, müssten die Lifte an mindestens 100 Tagen pro Saison laufen. Feldbergs Bürgermeister spricht dagegen von 60 Betriebstagen, um alle Betriebskosten einzufahren. "Wir haben bisher immer mit positiven Zahlen die Saison beendet", unterstreicht er. Doch was, wenn der Winter auf dem Feldberg weiter ausbleibt? In diesem und vielleicht auch in den nächsten Jahren? Dann könnte über dem höchsten Gipfel des Landes schnell der Pleitegeier kreisen.

Klimawandel frisst Gemeinde-Finanzen

Der neue Zeiger-Sessellift droht St. Blasien in die finanzielle Bredouille zu stürzen, das, wie die Gemeinden Feldberg und Todtnau, ein Drittel an der Feldberger Lift- und Pistengesellschaft hält. Denn anders als bei früheren Projekten im Skigebiet hat das 3800-Einwohner-Städtchen das rund 10,4 Millionen teure Projekt allein finanziert. "Wir haben das seriös gerechnet", beteuerte St. Blasiens Bürgermeister Rainer Fritz (parteilos) zur Einweihung zwar. Um die Darlehen zu bedienen, bedarf es aber mindestens 550 000 Liftnutzer pro Saison, so die Kalkulation. 

Und auch Feldbergs Bürgermeister dürften die hohen Wintertemperaturen nicht auf Dauer kalt lassen. Seit seinem Amtsantritt 1995 kämpft der CDU-Schultes gegen den Widerstand von Naturschützern für den Ausbau des Feldbergs. Hin zu einem Skizirkus, der den Vergleich mit den Hotspots der Alpen nicht zu scheuen braucht. Erst Anfang Dezember konnte der Präsident des Skiverbands Schwarzwald mit Fertigstellung des Riesenparkhauses einen weiteren "Durchbruch" auf dem Weg dorthin feiern. Die 15 Millionen Euro teure Großgarage gilt als das wohl umstrittenste Bauwerk des Hochschwarzwalds. 20 Jahre lang wurde über seine Realisierung gestritten, 2006 entschieden sich die Bewohner von Feldberg per Bürgerentscheid für den Bau des höchst gelegenen Parkhauses der Republik, das das übliche Parkchaos entlang der Bundestraße 317 verhindern soll.

In der Projektbeschreibung überdacht die Garage ein "Satteldach im alpenländischen Stil". "In der Realität ist es, wie befürchtet, ein großer Klotz geworden, der die Scheußlichkeit mancher Innenstädte in die Natur verlegt hat", sagt dagegen Axel Mayer vom BUND Regionalverband Südlicher Oberrhein in Freiburg. Ein besseres Parkplatz-Management und mehr Ski-Busse wären aus seiner Sicht die nachhaltigere Lösung gewesen.

Der Protest von Natur- und Umweltschutzverbänden konnte zwar das Parkhaus nicht verhindern, dafür aber Zuschüsse des Landes: Von den drei Millionen Euro, die noch Schwarz-Gelb versprochen hatte, wollte die neu gewählte Landesregierung nichts mehr wissen. "Grün-Rot hat kein Interesse am Wintersport", schimpfte Feldbergs Bürgermeister am Eröffnungstag.

Die ausbleibenden Steuermillionen hatten mehrere Investoren veranlasst, das Weite zu suchen. Erst Ende 2014 konnte Wirbser die Stuttgarter Privatbankiers Ellwanger & Geiger für das Projekt gewinnen. Als Geldgeber sprang deren Parkhausfonds Equity Invest ein, der rund 200 Millionen Euro von Versicherungen und anderen institutionellen Anlegern eingesammelt hat. Entgegen der bisherigen Strategie, bestehende Parkhäuser aufzukaufen, trat der Fonds am Feldberg selbst als Bauherr auf. "Diesmal haben wir die Position gewechselt", so Geschäftsführer Ralf Schlautmann.

Jeder fehlende Skifahrer kostet zwei Euro

Doch die Investition steht unter keinem guten Stern. Im bislang schneearmen Winter generierte die Großgarage nur Kosten, kaum Einnahmen. "Das finanzielle Risiko tragen erfreulicherweise nicht mehr die Steuerzahler im Land", so Mayer. Bluten müssen aber im schlimmsten Fall nicht nur die Investoren. Die Gemeinde Feldberg schloss mit dem Parkhaus-Betreiber einen Großkundenvertrag, der Einnahmen von mindestens 400 000 Skitouristen pro Winter garantiert. Für jeden Skifahrer weniger werden zwei Euro fällig.

Dabei hinterlässt der Skizirkus bereits Spuren im Haushalt der 1800-Einwohner-Gemeinde. Mit 4476 Euro lastet auf den Feldbergern die höchste Pro-Kopf-Verschuldung im Land. Was den umtriebigen Bürgermeister nicht anficht. Die Kennzahl sei ein "sehr verkürztes und wenig taugliches Mittel, um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Gemeinwesens umfassend und seriös zu beurteilen" belehrte Wirbser im Kommunalwahlkampf 2014 den Kandidaten der oppositionellen Bürgerliste. So sei etwa die Division der 2,6 Millionen Euro Schulden des Eigenbetriebs "Feldberg Touristik" mit der Zahl der Einwohner eine "völlig sachfremde und irreführende mathematische Operation". Die daraus resultierende Schuldenbelastung könne nicht zum Gemeindehaushalt addiert werden. Genau so rechnet aber das Statistische Landesamt.

"Wegen des Klimawandels ist fraglich, wie lange im Schwarzwald der Skisport überhaupt noch möglich ist", gibt Gerhard Bronner, Vorsitzender des Landesnaturschutzverbands (LNV), zu bedenken. Am Belchen, Freiburgs Hausberg, führte der trockene Sommer zu Wassermangel. Schneekanonen brauchen Unmengen an Wasser, um Kunstschnee zu produzieren.

Szenarien, an die Feldbergs Bürgermeister und Mehrzahl der Gemeinderäte lieber nicht denken. Ende November stimmte die konservative Ratsmehrheit der CDU dagegen, Teil des geplanten Biosphärengebiets Südschwarzwald zu werden, das am 1. Februar an den Start gehen soll. Eine Entscheidung, die Unverständnis und Spott erntete. "Trotz der Höhenlage fehlt es Bürgermeister Stefan Wirbser sowie dem Gemeinderat offenbar an Weitblick", ließen die Vorsitzenden der Naturschutzverbände BUND, LNV und NABU in einer gemeinsamen Erklärung verlauten. "Feldberg ist als Paradiesvogel unter den Gemeinden des Südschwarzwaldes bekannt. Dass sie aber offenbar wirklich nur bis zur eigenen Kirchturmspitze blicken können, ist enttäuschend", kritisierte der NABU-Landesvorsitzende Andre Baumann. Vom Biosphären-Status ausdrücklich profitieren soll der Tourismus, allerdings eher einer der naturverträglichen Art. Für bestehende Skigebiete gilt dennoch Bestandsschutz.

Zu Beginn des neuen Jahres tauchte der erste Silberstreif über dem Feldberg auf. In Form dunkler Wolken, aus denen am 3. Januar sogar Schneeflocken fielen. Doch Frau Holle sollte noch einen Zahn zulegen: Am 8. Februar 1891 stapfte der französische Diplomat Robert Pilet als Erster auf Skiern auf den 1493 Meter hohen Gipfel. Zwei Meter Schnee lagen damals im Feldberggebiet. Die Geburtsstunde des Skilaufs in Mitteleuropa, wie es die Hochschwarzwald Tourismus GmbH stolz nennt, soll 125 Jahre danach an gleicher Stelle mit einer Riesensause gefeiert werden. Wäre doch unpassend, wenn sich der Berg dann nicht in schönstem Schneeweiß zeigt. 


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8 Kommentare verfügbar

  • Rolf Schmid
    am 05.01.2017
    Antworten
    Der Klimawandel ist eine natürliche Tatsache. Den in der Vorvergangenheit übliche Rhythmus von 120.000 Jahren deutlich zu verkürzen blieb der forcierten Industrialisierung seit Ende der 40er Jahre vorbehalten.
    Wer trotzdem Millionen in den Wintersport im Mittelgebirge, wozu das Feldberggebiet…
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