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Grubes Privatbahn

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Die Personalie Pofalla ist abgesegnet, die Bauernopfer sind erbracht, und die Hintertür zur Privatisierung bleibt offen. Damit entfernt sich die Deutsche Bahn immer weiter von der Bürgerbahn, urteilt unser Autor.

Wenn Rüdiger Grube den Vorstand verkleinert, von acht auf sechs Köpfe, und davon etliche auswechselt, dann sind die Gründe nicht schwer zu erklären. Es sind der Gewinneinbruch, der Rückgang im Schienenfernverkehr und die fortgesetzten Verluste von Nahverkehrsbestellungen bei DB Regio. Die Folge: Der 63-jährige Bahnchef braucht, um seine Stellung bis zum Seniorenheim zu verteidigen und sich frohgemut in die Flitterwochen mit der TV-Köchin Cornelia Poletto verabschieden zu können, vor allem eines: Bauernopfer.

Das einzige weibliche Vorstandsmitglied, Heike Hanagarth, wurde bereits vor wenigen Wochen (und nach gerade mal eineinhalbjähriger Amtszeit) entsorgt. Gerd Becht, Vorstand für Datenschutz, wurde abserviert, auch um dem Neueinsteiger, Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla, ein dem Ego entsprechendes Großrevier einrichten zu können. Karl-Friedrich Rausch, Vorstand für Transport und Logistik, wurde vorzeitig in den Ruhestand geschickt. Eine besondere Bedeutung kommt der Personalie Ulrich Homburg zu. Dieser wurde lange Zeit als Nummer zwei im Konzern gehandelt. Er verliert nun seinen Topjob mit 59 Jahren, damit Berthold Huber hochrücken kann. Der ist ein Homburg-Gewächs und als Exchef bei DB Fernverkehr für all das maßgeblich verantwortlich, was hier Tag für Tag schiefläuft. Bedeutungsmäßig aufsteigen soll Volker Kefer, der, laut Grube, auch bei Stuttgart 21 einen guten Job mache.

Privatisierung durch die Hintertür

Der Wegfall der Subholding DB Mobility Logistics (ML) als zweite anstehende Maßnahme ist vordergründig zu begrüßen. Allerdings drängt sich hier sogleich die Frage auf: Wie kann es sein, dass die Deutsche Bahn AG sich mehr als acht Jahre lang eine Parallelstruktur auf der obersten Führungsebene – in Form von Deutscher Bahn AG und DB ML AG – leistete? Eine Konstruktion, die bislang bis zu einer Milliarde Euro verschlungen hat und mit deren Auflösung, so sagt Grube heute, bis 2020 mehr als eine halbe Milliarde Euro eingespart werden könnten.

Die Teilantwort lautet: Die Deutsche Bahn AG war – weit mehr als die vorausgegangene "Behördenbahn" – von Anfang an ein politisches Projekt. Es ging bei ihr seit 1994 (unter dem Ex-AEG/Daimler-Manager Heinz Dürr), dann verstärkt seit 2001 (unter dem Ex-Daimler-Manager Hartmut Mehdorn) und nunmehr seit 2009 (unter dem Ex-Daimler-Manager Rüdiger Grube) immer im Kern um die Privatisierung öffentlichen Vermögens und im Kern auch um einen Abbau von Flächenbahn. Dies wiederum kam immer dem Flugverkehr, dem Pkw-Verkehr und seit zwei Jahren massiv dem flächenhaften Fernbusverkehr zugute. Dass Daimler zugleich der weltweit größte Bushersteller ist, mag man mit einem Honi soit qui mal y pense quittieren.

Insbesondere die 2008 geschaffene DB ML war die entscheidende Plattform für eine Privatisierung der Bahn – auch und gerade nach dem im September 2008 abgesagten Börsengang. Und so sprach dann die FAZ am 7. November 2009, kurz nach Grubes Amtsantritt, bereits Klartext: "Der Zeitpunkt für eine Privatisierung wird wieder kommen, gar keine Frage." Der damals neue Finanzvorstand Richard Lutz tat am 5. Februar 2011 in der "Börsen-Zeitung" kund: "Wir reden [bei der Bahnprivatisierung; W. W.] über maximal 25 Prozent an der Mobility Logistics AG, also an den Transportaktivitäten. Im September [2011] werden wir wieder vier Stationen mit Roadshows haben: in Tokio, in Peking, Hongkong und Singapur besuchen wir Staatsfonds und Pensionsfonds." Noch wenige Tage vor der jetzigen Aufsichtsratssitzung, am 18. Juli 2015, hieß es in der "Welt", mit dem geplanten Wegfall von DB ML seien nunmehr "alle Weichen so gestellt, dass Teile des DB-Konzerns in private Hände übergehen könnten".

Tatsächlich wurde der in der "Welt" beschriebene Weg im Herbst 2013, auf ziemlich hinterhältige Weise, in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben. Dort steht zwar: "Für die Schiene legen sich Union und SPD fest: Einen Börsengang der Bahn soll es nicht geben. Wir stehen zum integrierten Konzern DB AG. Die Eisenbahninfrastruktur [...] bleibt in der Hand des Bundes." Doch dies heißt eben auch: Die "Transportaktivitäten" können teilprivatisiert werden. Nachzulesen ist das in einem Brief von Grube an die "lieben Mitarbeiterinnen und die lieben Mitarbeiter" vom 27. Juli, verfasst nach der Aufsichtsratssitzung. Darin schreibt er, man halte sich "die Option einer Teilprivatisierung bei DB Schenker Logistics und DB Arriva offen". Es gehe darum, hierfür "ein konkretisiertes Gesamtkonzept bis Ende des Jahres" zu erarbeiten. Zwar sei "der einstmals geplante Börsengang der DB ML vom Tisch, nicht aber eine Teilprivatisierung, um frisches Geld von außen in das Unternehmen zu holen." Darüber soll der Aufsichtsrat im Dezember dieses Jahres befinden.

Wer etwas kauft, will mitbestimmen

Nun klingt ein Verkauf von jeweils 20 Prozent an den DB ML-Töchtern DB Schenker Logistics und DB Arriva irgendwie harmlos. Da wird etwas "verkauft", irgendetwas im Ausland. Doch zunächst bedeutet ein solcher Anteilsverkauf vor allem den Einstieg privater Investoren. Diese werden Miteigentümer bei diesen Töchtern. Und damit würden sich erstmals bei dem 1994 gegründeten Staatskonzern Deutsche Bahn AG private Anteilseigner engagieren. Mit nicht unerheblichem Einfluss: Schenker und Arriva erwirtschaften fast die Hälfte, nämlich 48,8 Prozent, des Gesamtumsatzes des Bahnkonzerns. Wer sich dort beteiligt, rückt automatisch, nach dem Wegfall der Zwischenebene DB ML, näher an die Muttergesellschaft DB AG heran – und will mitbestimmen.

Wie ist dieser Verkauf zu werten? "Der Bahnchef hat Geldsorgen", schreibt die "Welt" und liegt damit doppelt daneben. Erstens hat sich Grube vor einem Jahr eine satte Erhöhung seines Jahreseinkommens um 24 Prozent (von 2 742 000 auf 3 396 000 Euro) genehmigen lassen. Zweitens könnte die Bahn, wenn sie in ernsten Nöten wäre, schlicht das nicht bahnaffine Auslandsgeschäft abstoßen. Sie würde bei einem Verkauf von Schenker Logistics (hier handelt es sich um die internationale Logistik) und von DB Arriva (hier geht es überwiegend um das Geschäft mit Fernbuslinien außerhalb Deutschlands) zwischen fünf und zehn Milliarden Euro einnehmen. Ein solcher Direktverkauf würde so viel Cash in die angeblich klammen Kassen spülen, dass damit ein großer Teil des Schienennetzes saniert werden könnte.

Vor allem aber wären damit Fremdeinflüsse abgewehrt. Private Investoren werden darauf drängen, dass die bislang unterdurchschnittlich niedrigen Margen aufgebessert, der Gesamtgewinn erhöht, unrentable Angebote abgeschafft und Strecken stillgelegt werden. Und eine Beteiligung Privater wird vor allem politischen Druck in zwei Richtungen auslösen: Erstens wird die EU argumentieren, die Deutsche Bahn sei nun kein Staatskonzern mehr, dürfe also nicht mehr, wegen der Wettbewerbsverzerrung, weiterhin Jahr für Jahr mehr als zehn Milliarden Euro staatliche Gelder erhalten. Zweitens wird die EU behaupten, dass bei einem Wegfall der DB ML und einem Einstieg Privater eine integrierte Struktur von Schienenverkehr und Infrastruktur (Netz und Bahnhöfe) nicht rechtens sei – und somit zerschlagen werden müsse.

So fügt sich ein Mosaikstein zum anderen. Wenige Stunden vor Beginn der DB AG-Aufsichtsratssitzung veröffentlichte die Monopolkommission der Bundesregierung ein Sondergutachten mit dem Titel "Bahn 2015: Wettbewerbspolitik aus der Spur?". Darin forderte sie ungeschminkt eine "vollständige Trennung von Infrastruktur- und Transportsparten des integrierten Konzerns Deutsche Bahn AG".


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9 Kommentare verfügbar

  • F. Fischer
    am 31.07.2015
    Antworten
    @invinoveritas, 30.07.2015 22:05

    Neuer Rundumschlag? Köstlich.

    Warum glaube ich pseudoeloquenten Typen mit der kratzigen Schleiflackrhetorik kein Wort? Keines. ... Tja. Warum?
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