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Glaubenskrieg um "SuedLink"

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Monster-Leitung oder Rückgrat der Energiewende? Um die Windstromtrasse "SuedLink" tobt ein Glaubenskrieg. Bayerns CSU-Regierung würde sie am liebsten nach Hessen und Baden-Württemberg verschieben. An ihrem südlichsten Endpunkt, in Leingarten im Landkreis Heilbronn, ist noch Ruhe. Protest gebe es erst, wenn die Pläne vorlägen, sagt der Bürgermeister.

Für die einen ist sie die Hauptschlagader der Energiewende. Über eine Länge von 800 Kilometern soll eine Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitung (HGÜ) die Windparks in der Nordsee und an den Küsten mit den Ballungsräumen in Bayern und Baden-Württemberg verbinden. Im Jahr 2022, wenn mit Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland die letzten Kernkraftwerke vom Netz gehen und der Atomausstieg umgesetzt ist, soll "SuedLink" unter Strom stehen. 

Der verantwortliche Netzbetreiber Tennet hat im vergangenen Jahr einen möglichen Trassenkorridor zwischen dem schleswig-holsteinischen Wilster und dem bayerischen Grafenrheinfeld vorgestellt. Am unterfränkischen Endpunkt von "SuedLink" verliert bereits in diesem Jahr das gleichnamige Kernkraftwerk seine Betriebserlaubnis. Der Betreiber Eon hat angekündigt, das AKW Grafenrheinfeld in diesem Monat herunterfahren zu wollen. Ein zweiter Gleichstrom-Leitungsstrang soll in Brunsbüttel beginnen, über weite Teile auf dem gleichen Gestänge nach Grafenrheinfeld und danach weiter nach Großgartach führen, einem Ortsteil von Leingarten bei Heilbronn. Das rund 160 Kilometer lange Trassenteilstück von "SuedLink" durch Baden-Württemberg realisiert der Netzbetreiber TransnetBW, eine Tochter des Versorgers EnBW.

Die Trasse könnte das zweite Stuttgart 21 werden

Für die "SuedLink"-Gegner, die sich vor allem in Hessen und Bayern in Bürgerinitiativen zusammengeschlossen haben, ist die neue Leitung der Horror: eine "Monster-Trasse", die Risiken und Gefahren für Mensch und Umwelt birgt. Gleichzeitig zweifeln sie, ob es den teuren Leitungsbau, grob ist von einstelligen Milliardenkosten die Rede, tatsächlich braucht. Statt den Strom über weite Distanzen zu transportieren, sollten dezentrale Stromerzeugung sowie Speicherkapazitäten vor Ort ausgebaut werden. Nach dem Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 schickt sich "SuedLink" an, zum nächsten großen Streitobjekt der Republik zu werden.

Nur, dass beim größten Energiewendeprojekt nicht nur "Wutbürger" auf die Barrikaden gehen. Inzwischen sind Masten und Kabel auch zum Spielball politischer Interessen geworden. Vor allem der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU), assistiert von seiner als Kronprinzessin gehandelten Landeswirtschaftsministerin Ilse Aigner, kocht sein Süppchen im Schatten des Stromleitungsprotests. Vor zwei Jahren hatte Bayern im Bundesrat dem Projekt noch zugestimmt. Mit der jüngsten Forderung, die Trasse um Bayern herum nach Hessen und Baden-Württemberg zu verschieben, dient sich Seehofer nicht nur den "SuedLink"-Gegnern im Freistaat an.

Mancher vermutet, dass der CSU-Regent mit seiner Volte auch die Energiewende sabotieren will. "Entweder er will über den Kapazitätsmarkt eine Laufzeitverlängerung alter Kohlekraftwerke und seiner Gaskraftwerke durchsetzen, oder er setzt auf eine klammheimliche Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken, zumindest in Bayern", sagte Baden-Württembergs Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) kürzlich in einem Interview mit "Spiegel online". Erst im vergangenen November hatte Seehofer die umstrittene "10H"-Abstandsregelung für Windkraftanlagen in Bayern gegen den Widerstand von Opposition und Klimaschützern durchgedrückt. Windräder müssen seitdem zehnmal so weit von Wohngebieten entfernt sein, wie sie hoch sind, was die Zahl potenzieller Windkraftstandorte im Freistaat dramatisch reduziert.

Energieexperten sehen keine Alternative zu "SuedLink". Nach Abschalten der letzten deutschen Atomkraftwerke und weiterer Stilllegung klimaschädlicher Kohlemeiler drohe im Süden der Republik eine Stromlücke, die sich auch nicht durch forcierten Zubau von Solar- und Windkraftkraftwerken oder kleineren Kraft-Wärme-Koppelungsanlagen zeitnah füllen lässt. Das zeigen die Mittel- und Langfristprognosen für Zeiträume von zehn und 20 Jahren, die die Netzbetreiber jährlich erstellen.

"In Baden-Württemberg fehlen jährlich 20 Terrawattstunden", beziffert Ralf Heineken, Sprecher des Stuttgarter Umwelt- und Energieministers Franz Untersteller (Grüne), die Stromlücke. Das ist zu stemmen. Der Südwesten ist wegen seiner verbrauchsintensiven Industrien schon immer ein Stromimportland, betont Heineken. Deutlich höher ist der Fehlbetrag in Bayern. Im Freistaat klafft ab 2022 eine Lücke von 30 Terrawattstunden, sagen die Netzbetreiber. Zum Vergleich: 2014 wurden in Deutschland 576,3 Terrawattstunden Strom verbraucht. Zugleich war die Bundesrepublik mit einer Bruttostromerzeugung von 610,4 Terrawattstunden ein Stromexportland. Mit der neuen Rekordmarke von 157,4 Terrawattstunden wurde im Jahr 2014 mehr als ein Viertel des Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt.

Wehe, die Strommasten stehen im eigenen Garten

Unbestreitbar greift der Bau von "SuedLink" ins Landschaftsbild ein. Manche Medien malen bereits ein Schreckensgemälde, obwohl das genaue Design der Masten noch nicht feststeht. "Läuft die neue Monster-Stromtrasse auch durch Ihren Garten?", fragte das Magazin "Focus" im Februar 2014, als Netzbetreiber Tennet erste Trassenpläne vorstellte. Ja, glauben auch Bürgerinitiativen, die die Wortschöpfung des Münchner Magazins übernahmen. Nach Auskunft des Netzbetreibers TransnetBW sollen die "SuedLink"-Freileitungen über Masten geführt werden, die zehn Prozent höher als übliche 380-kV-Hochspannungsmasten sind und zwischen 50 und 75 Meter messen. Die Geländetopografie bestimmt letztlich die Dimensionen. "Beide Unternehmen verfolgen das Ziel, die Freileitungen so zu bauen, dass sich die Masten gut und unauffällig in das bestehende Landschaftsbild einpassen und eine möglichst geringe Trassenbreite benötigt wird", versprechen die Netzbauer.

Dieses Versprechen konnte Tennet bislang nicht einlösen. Die Bundesnetzagentur hat einen ersten Korridorvorschlag als – salopp gesagt – zu schlampig zurückgewiesen. Die Begründung kommt einer Klatsche gleich. "Der Antrag muss überarbeitet werden, damit die erkennbaren Umweltauswirkungen und raumordnerischen Konflikte für die betroffenen Regionen deutlich genug werden", verlangt die Genehmigungsbehörde "eine geeignete methodische Vorgehensweise, mit der alle Anforderungen an eine transparente und nachvollziehbare Planung erfüllt werden können".

Dennoch: Anders als der "Focus" suggeriert, wird die "SuedLink"-Trasse keine Vorgärten in Siedlungen durchschneiden. Die Verbindung zwischen Wilster und Grafenrheinfeld ist als Pilotprojekt für Teilerdverkabelung ausgewiesen. In Teilabschnitten sollen die Kabel unter der Erde verlaufen, etwa bei zu geringen Abständen zu Wohngebieten. An welchen Abschnitten auf Erdkabel zurückgegriffen wird, "ist Gegenstand der weiteren Planungen", heißt es bislang. Sicher ist, dass Verbuddeln viel kostet. "Abhängig von der Topografie ist Erdverkabelung vier- bis achtmal so teuer wie eine Freileitungstrasse", sagt die Sprecherin von TransnetBW. Auch ist der Eingriff in die Landschaft viel größer. Für die parallele Verlegung der beiden "SuedLink"-Leitungen muss ein bis zu 40 Meter breiter Korridor von Bäumen und Gebüschen gerodet werden. Im Anschluss an die Bauphase kann die Trasse in der Regel wieder landwirtschaftlich genutzt oder begrünt werden. Allerdings muss der Kabelgraben von tief wurzelnden Gehölzen freigehalten werden.

Auch Debatten über mögliche Gesundheitsgefahren durch elektrische und magnetische Felder, meist als Elektrosmog bezeichnet, sind häufig emotional gefärbt. In den 80er-Jahren deuteten epidemiologische Studien auf ein erhöhtes Leukämierisiko bei Kindern hin, die in der Nähe von Hochspannungsleitungen wohnten. Seitdem sind die gesundheitlichen Auswirkungen elektromagnetischer Felder auf den Menschen immer wieder Forschungsthema, bestätigt das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ). Bis erste aus wissenschaftlicher Sicht belastbare Ergebnisse vorlagen, vergingen jedoch rund 20 Jahre. "Forscher gehen im Moment davon aus, dass ein Krebsrisiko durch elektromagnetische Felder nicht nachgewiesen ist", sagt das DKFZ. Endgültige Entwarnung gibt das Heidelberger Zentrum jedoch nicht. "Die Forschung kann jedoch auch nicht als abgeschlossen bezeichnet werden."

Auch wurden Studien, die einen Zusammenhang von Gleichstrom und Leukämie im Kindesalter untersucht haben, bisher nicht durchgeführt. Gleichwohl stellt die deutsche Strahlenschutzkommission (SSK) in ihrer Empfehlung aus dem Jahr 2008 fest, dass "Gleichfelder grundsätzlich biologisch weniger effizient als Wechselfelder sind". Auch das Bundesamt für Strahlenschutz betont, dass biologische Effekte und damit unmittelbare gesundheitliche Wirkungen statischer Felder nur bei sehr hohen Magnetfeldstärken bekannt sind. "Bei den niedrigen Magnetfeldstärken in der Umgebung von HGÜ-Leitungen oder Konvertern sind daher keine gesundheitlich negativen Wirkungen zu erwarten", so das BfS.

Noch gibt es keine Bürgerinitiativen in und um Heilbronn

Am baden-württembergischen "SuedLink"-Ende in Leingarten blickt man der langen Leitung derweil gelassen entgegen. "Derzeit ist alles ruhig", schildert der parteilose Bürgermeister Ralf Steinbrenner die Stimmung in dem 11 000-Einwohner-Städtchen. Bürgerinitiativen gegen die Leitung haben sich bislang weder vor Ort noch im übrigen Heilbronner Unterland gegründet. "Das ist wie bei Stuttgart 21, solange noch nicht gebaut wird, interessiert es die wenigsten", meint der Schultes. Sobald die Pläne auf dem Tisch lägen – Netzbetreiber TransnetBW will Ende des Jahres einen Trassenentwurf veröffentlichen –, werde Protest hörbar werden, glaubt Steinbrenner.

Wie stark der Widerstand in Leingarten sein wird, kann auch der Schultes nicht vorhersehen. Stromtrassen sind in der Umgebung der Stadt jedoch nichts Außergewöhnliches. Im Teilort Großgartach betreibt TransnetBW bereits ein großes Umspannwerk – das durch die Energiewende überflüssig wird. "Dort kommt eine 220-Kilovolt-Leitung mit Atomstrom aus dem Kernkraftwerk Neckarwestheim an", schildert der Schultes. Nach Abschalten des Atommeilers soll "SuedLink" sie ersetzen. Dies macht den Bau eines riesigen Konverters für die Spannungsumwandlung des Windstroms notwendig, um ihn ins bestehende 380-kV-Wechselstromnetz einspeisen zu können.

Für kommenden Dienstag (9. Juni) ist die Besichtigung des Großgartacher Umspannwerks geplant. Der Besuch ist Teil eines Fachdialogverfahrens, das vom baden-württembergischen Umweltministerium für örtliche Vertreter aus Verwaltung, Politik und Verbänden eingeleitet wurde. "Wir werden als Kommune auf Augenhöhe wahrgenommen", lobt Bürgermeister Steinbrenner. Sobald es erste Vorschläge für den "SuedLink"-Trassenkorridor gibt, werde es "Dialog-Veranstaltungen auch für Anwohner geben", kündigt das Umweltministerium an.


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9 Kommentare verfügbar

  • Winfried Plesch
    am 09.06.2015
    Antworten
    Ich empfehle allen, die die Broschüre "Was ist sicher, preiswert und fördert den Frieden" von den IPPNW noch nicht kennen, sie zu lesen. Dort wird detailliert - und vor allem viel besser als ich es kann - begründet, warum und wie die denzentrale Energiewende a)möglich und b)sogar friedensfördernd…
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