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Mit Zuckerbrot und Peitsche

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Deutschlands drittgrößter Energieversorger gibt sich bürgernah: Mit Infotreffen, Projektportal und Maultaschen informiert die Energie Baden-Württemberg (EnBW) zeitig über die Pläne eines Kraftwerksneubaus in Stuttgart. Auf anderen Baustellen steht der Konzern aggressiv unter Strom – und prozessiert sogar gegen seinen Eigentümer.

Ihre Gäste luden die Gastgeber persönlich ein. Für Präsentation, Diskussion und Werksbesichtigung nahmen sich hoch bezahlte Manager vier Stunden Zeit, und zum Ausklang des offiziellen Teils gab es kalbfleischgefüllte Maultaschen mit schwäbischem Kartoffelsalat. Auf vier Veranstaltungen in zwei Tagen stellte der Karlsruher Energiekonzern Kunden, Anwohnern, Umweltschützern, Stadträten und Journalisten den Plan vor, das über 60 Jahre alte Fernwärmekraftwerk Gaisburg in der baden-württembergischen Landeshauptstadt zu modernisieren. 75 Millionen Euro soll der Kraftwerksneubau kosten, Inbetriebnahme Anfang 2019.

"Uns sechs Vertretern von Umweltverbänden und Bürgerinitiativen saßen 14 EnBW-Mitarbeiter gegenüber", schildert Gretel Quiring von der Bürgerinitiative "Frischluft für Cannstatt", welchen Aufwand der Energieversorger derzeit betreibt, um sein jüngstes Großprojekt in Deutschland anzuschieben. Noch bevor überhaupt der Antrag bei den Genehmigungsbehörden gestellt ist, hat das Unternehmen bereits Daten und Fakten zu Kosten und Bauzeiten, Anlagengröße und erwartete Emissionen kommuniziert, Bilder und Modelle des Neubaus veröffentlicht. Zeitgleich wurden Internetportal, Bürgertelefon und E-Mail-Account freigeschaltet, die Bürgern rund um die Uhr für Fragen und Antworten zur Verfügung stehen. "Wir wollen von Anfang an in Dialog mit Ihnen treten", versicherten die EnBW-Referenten gebetsmühlenhaft. Alles in der festen Absicht, möglichst viele Anregungen und Vorschläge von Bürgern und Lokalpolitikern in den weiteren Planungs- und Genehmigungsprozess einfließen zu lassen, so das Versprechen.

Die neue Offenheit der EnBW kommt per Gesetz

Die neue Offenheit des Energiekonzerns kommt nicht von ungefähr. "Frühe Öffentlichkeitsbeteiligung", heißt das Schlagwort, das seit Kurzem Paragraf 25, Absatz 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes verlangt, wenn öffentliche oder private Großprojekte die Rechte und Belange Dritter entscheidend berühren. Nach den, überwiegend schlechten, Erfahrungen in Sachen Bürgerbeteiligung beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 hatte der Bundestag im Herbst 2013 den Passus beschlossen. Über den Bundesrat hatte vor allem das grün-rot regierte Baden-Württemberg das Gesetzesvorhaben forciert und ausgestaltet. Als Pferdefuß sehen Kritiker, dass die Behörden störrische Investoren nicht zur Vorabinformation zwingen, sondern diese nur anmahnen können. Dennoch wurde die Beteiligungspflicht inzwischen in die Gesetzgebung der Länder übernommen. Im grün regierten Musterland, das sich selbst gern als "Mutterland" der Bürgerbeteiligung 2.0 sieht, feiert sie beim EnBW-Kraftwerksprojekt nun ihre Premiere.

"Die frühe Öffentlichkeitsbeteiligung ist für uns mehr als eine gesetzliche Anforderung", betonte EnBW-Projektleiter Hans Bubeck während der Präsentation der Neubaupläne. Doch zu allzu großer Überzeugungsarbeit ist der Energiekonzern im konkreten Fall nicht gezwungen. Zu offensichtlich sind die Vorteile, die eine Modernisierung der betagten Anlage Bevölkerung und Umwelt bieten. Statt mit Steinkohle sollen die neuen Heizkessel mit Erdgas befeuert werden, was den Ausstoß an klimaschädlichem Kohlendioxid um jährlich 60 000 Tonnen reduziert, haben die Ingenieure hochgerechnet. Zudem sinken Feinstaub- und Schwefeldioxidemission auf nahezu null.

Zusätzlich will die EnBW drei Gasturbinen installieren, die nach dem Kraft-Wärme-Kopplungsprinzip (KWK) neben Strom auch Fernwärme aus Motor- und Abgaswärme produzieren, was den Effizienzgrad des Kraftwerks auf über 80 Prozent steigert. Beschlossen ist der Bau der KWK-Anlage jedoch noch nicht, wie eher nebenbei erwähnt wurde. "Die Entscheidung orientiert sich an den politischen Rahmenbedingungen", so ein Sprecher, also an der Förderpolitik des Bundes. 

Das neue Kraftwerk im dicht besiedelten Stuttgarter Osten eröffnet auch neue städtebauliche Perspektiven, weil es deutlich weniger Platz benötigt als der bisherige Kohlemeiler. Allein das dann verzichtbare Kohlelager gibt eine Fläche von 7,5 Hektar frei. "Die städtebauliche Nutzung ist nicht Teil des anstehenden Genehmigungsverfahrens", bremste Bubeck freilich Forderungen von grünen und linken Lokalpolitikern, auf der frei werdenden Fläche Wohnungsbau zu ermöglichen. Die Gerüchteküche hatte schon den schwedischen Möbelriesen Ikea auf dem Kohlegelände neben der viel befahrenen Bundesstraße B 10/ 14 angesiedelt.

In Karlsruhe sieht die Lage schon ganz anders aus

Nicht immer ging der Energiekonzern so offen auf Betroffene zu – und erst recht nicht auf deren Forderungen ein. Noch vor wenigen Jahren setzte die EnBW am Konzernsitz Karlsruhe den Bau eines Steinkohlemeilers gegen den massiven Protest der Bevölkerung durch. Mehr als 70 Kinderärzte aus Karlsruhe hatten sich im September 2007 in einer Resolution gegen den 912-Megawatt-Block RDK 8 im Karlsruher Rheinhafen ausgesprochen. Sogar der Petitionsausschuss des Landtags wurde eingeschaltet. "Doch das störte kaum jemanden: Der Betreiber Energie Baden-Württemberg (EnBW) drang auf möglichst rasche Fertigstellung", blickt die "Badische Zeitung" zurück.

Den Bau durchsetzen konnte der Konzern damals dank willfähriger Kommunalpolitiker: Der Karlsruher Stadtrat winkte mit der Mehrheit von CDU, SPD, FDP und Karlsruher Liste das Projekt durch – während zeitgleich im pfälzischen Germersheim, auf der anderen Rheinseite, die EnBW nach Bürgerprotesten und einer Resolution des Gemeinderats ihre Pläne für ein gleichartiges Kohlekraftwerk begraben musste. Seit Juni 2014 ist der Karlsruher Kohlemeiler, der aus EnBW-Sicht mit einem Wirkungsgrad von 46 Prozent ein "Quantensprung in Sachen Effizienz" ist und bei klimaschädlichen Kohlendioxidemissionen rund 30 Prozent unter dem globalen Durchschnitt bleibt, im Regelbetrieb. Die Klimaallianz Deutschland beziffert dessen jährlichen CO2-Ausstoß auf 5,1 Millionen Tonnen, nach der Arbeitsgemeinschaft Karlsruher Kinder- und Jugendärzte produziert RDK 8 zusätzlich 400 Tonnen Feinstaub jährlich. Selbst der EnBW bereitet das umstrittene Projekt heute keine Freude mehr: Weil Wind- und Sonnenenergie die Strompreise drücken, erwirtschaftet der Meiler zwar die Betriebskosten, aber nur einen Teil der Finanzierungskosten von 1,3 Milliarden Euro.

Auch im Geschäftsbereich Kernenergie agiert die EnBW gegen die Öffentlichkeit. Vor Weihnachten 2014 reichte der Konzern Klage gegen das nach der Atomkatastrophe von Fukushima beschlossene Atommoratorium ein. Die Merkel-Regierung hatte am 15. März 2011 eine Sicherheitsüberprüfung aller sowie die vorübergehende Abschaltung der ältesten deutschen AKWs verfügt. Das dreimonatige Moratorium mündete in der dauerhaften Stilllegung von sieben AKW-Oldies sowie dem Pannenreaktor Krümmel. Mit der Klage folgten die Karlsruher dem Beispiel der Konkurrenz: Eon verlangt vom Bund und mehreren Ländern 380 Millionen Euro, RWE 235 Millionen Euro. Für die Abschaltung seiner Altmeiler Philippsburg 1 und Neckarwestheim 1 verlangt die EnBW vom Bund und dem eigenen Großaktionär Baden-Württemberg (47 Prozent der Anteile), rund 261 Millionen Euro Schadenersatz. Bekäme der Konzern Recht, müsste der Steuerzahler dafür aufkommen. Eine Entscheidung im laufenden Verfahren ist noch nicht absehbar, derzeit würden "Schriftsätze ausgetauscht", teilte das Landesumweltministerium auf Anfrage mit.

Während Eon, RWE und Vattenfall zudem per Verfassungsklage Schadenersatz in Milliardenhöhe wegen des eigentlichen Atomausstieges fordern, hielt sich EnBW in diesem Fall zurück. Zwangsläufig: Weil das Unternehmen fast vollständig in öffentlicher Hand ist – neben dem Land besitzen die Oberschwäbischen Elektrizitätswerke OEW ebenfalls 47 Prozent der Anteile –, darf es das Bundesverfassungsgericht nicht anrufen.

Auch Maultaschen decken viele Streitfälle nicht zu

Auf juristische Mittel setzt der Energiekonzern in einem weiteren Streitfall, diesmal mit der baden-württembergischen Landeskartellbehörde. Die Behörde hatte im September 2014 zugunsten der Stuttgarter Verbraucher eine Preissenkung für Trinkwasser um rund ein Drittel verfügt, rückwirkend seit dem Jahr 2007. Derzeit ruht das Verfahren vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht. Die Parteien sollen eine außergerichtliche Einigung suchen. Zugleich wollen die Richter eine höchstrichterliche Entscheidung des Bundesgerichtshofs abwarten. In einem ähnlich gelagerten Fall wehrt sich die Energie Calw GmbH ebenfalls gegen eine Preissenkungsverfügung der Kartellbehörde. An dem Versorger aus dem Nordschwarzwald ist neben den Stadtwerken Calw auch die EnBW beteiligt.

An weiteren Fronten kämpft die EnBW in Stuttgart, obwohl der Konzern dort vor Kurzem bei den Konzessionsvergaben für Strom und Gas zusammen mit den kommunalen Stadtwerken zum Zuge kam. Die Kooperationsmodelle sehen zunächst je eine Netzeigentums- und eine Netzbetreibergesellschaft sowohl für das Strom- wie das Gasnetz vor. In der Eigentumsgesellschaft hat die Landeshauptstadt von Anfang an eine Mehrheit von 74,9 Prozent. In der Betreibergesellschaft ist die Landeshauptstadt in der Aufbauphase bis 2019 mit 25,1 Prozent in der Minderheit. Nach fünf Jahren, ab dem 1. Januar 2019, würde dann durch Verschmelzung der beiden Gesellschaften eine "große Netzgesellschaft" entstehen, bei der die Landeshauptstadt 74,9 Prozent der Anteile halten würde. Strittig ist unter den Partnern, ob die Hochdruckleitungen (Gas) und Hochspannungsleitungen (Strom) auf dem Gebiet der Stadt Stuttgart zum Verteilnetz gehören und deshalb auf die Stadtwerke zu übertragen sind. "In den nächsten Wochen wird hierzu auch die Bundesnetzagentur angerufen", so eine Stadtsprecherin.

Unterschiedlicher Auffassung sind EnBW und Stadt Stuttgart auch über Inhalt und Umfang des Konzessionsvertrags für Fernwärme. Da es in diesem Bereich bislang keine bundesgesetzliche Regelung wie bei Strom und Gas gibt, erscheint eine einvernehmliche Vereinbarung schwierig. "Die interne Prüfung der Rahmenbedingungen und möglichen Optionen, aber auch der Wirtschaftlichkeitsfragen ist noch im Gange", heißt es seitens der Stadt.

Bei einem vierten Streitthema trafen sich Konzern und Landeshauptstadt bereits ebenfalls vor Gericht. Anfang Dezember 2014 wurde vor dem Landgericht Stuttgart mündlich über die Herausgabe des Wasservermögens verhandelt. Das Gericht bejahte in einer vorläufigen Einschätzung den Herausgabeanspruch der Stadt. Zudem brachten die Richter zum Ausdruck, dass die Wertermittlung primär auf der Grundlage des (niedrigeren) Ertragswerts und nicht auf der Basis des von der EnBW angeführten (höheren) Sachzeitwerts zu erfolgen hat. Auf Vorschlag des Gerichts ruht derzeit auch dieses Verfahren: Der Energieriese, der beim geplanten Neubau des Fernheizkraftwerks Gaisburg nicht mit warmen Worten und Maultaschen geizte, soll versuchen, mit der Stadt Stuttgart zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen.


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4 Kommentare verfügbar

  • Schwabe
    am 29.05.2015
    Antworten
    @Franz Untersteller
    "Damit steigen die Chancen, dass von Seiten der Bürgerschaft noch konkret auf die Projektgestaltung Einfluss genommen werden kann"
    Mit Formulierungen wie "...steigen die Chancen..." und "...auf die Projektgestaltung..." (also nicht auf das Projekt an sich) zeigen sie m.E. der…
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