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Der Tod im Lauf

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Wieder einmal ist die Oberndorfer Waffenschmiede Heckler & Koch in den Schlagzeilen. Diesmal wegen schief zielender Sturmgewehre. Vergessen werden dabei der Skandal von Mexiko und die Untätigkeit der Stuttgarter Staatsanwaltschaft.

In seiner Verzweiflung wandte sich im Herbst 2009 ein Mitarbeiter der Heckler & Koch GmbH (H & K) an mich. Der Informant teilte mir in vertraulichen Gesprächen mit, dass Abertausende von G-36-Sturmgewehren der Oberndorfer Waffenschmiede in vier Unruheprovinzen Mexikos gelangt sind. Und das, obwohl ebendiese Kriegswaffenexporte nach Chiapas, Chihuahua, Jalisco und Guerrero von den Rüstungskontrollbehörden, dem Bundesausfuhramt (BAFA) und dem Bundeswirtschaftsministerium, ausdrücklich untersagt worden waren. Bei H & K habe man von den aus seiner Sicht rechtlich mehr als bedenklichen Waffentransfers gewusst – bis hinauf in die Führungsebene, betonte der Informant.

Am 19. April 2010 erstattete ich über meinen Rechtsanwalt Holger Rothbauer Strafanzeige gegen Verantwortliche der Heckler & Koch GmbH wegen des Verdachts illegaler G-36-Gewehrlieferungen an Mexiko.

Wir haben diese Strafanzeige im Dezember 2013 und im Februar 2014 erweitert. Zugleich habe ich Anfang 2014 eine zweite Strafanzeige gegen H & K gestellt, wegen des Verdachts "nicht genehmigten Technologietransfers/Lizenz für G 36/FX 05". 

Was sich nach unserer G-36-Strafanzeige im Guten wie im Schlechten abspielte, lässt sich aufgrund der Vielzahl der Ereignisse hier nur in Auszügen wiedergeben. Tatsächlich gibt es auch einiges Gutes zu bilanzieren:

Aufgrund der Strafanzeige führten die zuständige Staatsanwaltschaft Stuttgart und das Zollkriminalamt Köln mehrere Razzien bei H & K durch, so im Dezember 2010 und im November 2011. Zudem erfolgten Hausdurchsuchungen in Privaträumen von H-&-K-Mitarbeitern. Seither besitzt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft zentrale Dokumente, unter anderem Reisekostenabrechnungen für Schulungen mexikanischer Polizisten an widerrechtlich gelieferten G-36-Sturmgewehren in die Unruheprovinzen. Bis dato erfolgten also erfolgreiche Ermittlungen. 

Mehrfach haben die Stuttgarter Staatsanwaltschaft, das Landeskriminalamt Baden-Württemberg und das Zollkriminalamt Köln Informanten als Zeugen sowie zahlreiche Beteiligte vernommen. Die Ermittlungsbehörden sind also bestens informiert über die Abläufe illegaler Waffendeals.

Vom Richter zum H-&-K-Geschäftsführer

Peter Beyerle war nach seiner Pensionierung als Präsident des Landgerichts Rottweil 2005 – das bei juristischen Auseinandersetzungen im Kreis für H & K zuständig ist – in die Unternehmensführung der Waffenschmiede gewechselt. Als Kriegswaffenkontrollbeauftragter des Unternehmens verantwortete auch er die Ausfuhr von G-36-Gewehren und Ersatzteilen nach Mexiko und trägt damit maßgeblich Mitverantwortung. Nach meiner Strafanzeige wurde im Dezember 2010 bekannt, dass Peter Beyerle vorzeitig als H-&-K-Geschäftsführer zurücktritt.

Von 2003 bis 2010 hatte die Bundesregierung den Export von Kleinwaffen beziehungsweise deren Bestandteilen im Wert von mehr als 20 Millionen Euro an Mexiko genehmigt.

Übersicht der Genehmigungen für Kleinwaffenexporte nach Mexiko

Nach der Strafanzeige im April 2010 verhängte das Bundesausfuhramt (BAFA) in Eschborn gegenüber H & K ab 2011 ein bis heute währendes Genehmigungsverbot für Kleinwaffen nach Mexiko. Auch andere deutsche Kleinwaffenproduzenten dürfen seither keinerlei Kriegswaffen nach Mexiko liefern.

Seit Sommer 2014 liegt der Untersuchungsbericht des Zollkriminalamts vor. Darin wird festgestellt, dass Abertausende von H-&-K-Sturmgewehren auch in verbotene Unruheprovinzen Mexikos exportiert worden sind. Unserer Auffassung zufolge hat sich somit der Vorwurf der Strafanzeige hinreichend bestätigt, wonach bei diesem Rüstungsexport sowohl gegen das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) als auch gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (KWKG) verstoßen wurde.

Spätestens im Herbst 2014 hätte die Staatsanwaltschaft Stuttgart auf der Basis der Untersuchungsergebnisse des Zollkriminalamts Anklage gegen Beschuldigte von H & K erheben müssen. Dass sie es nicht getan hat, ist ein Skandal!

Schlimmer noch: Der zuständige Staatsanwalt Peter Vobiller wurde für mehrere Monate an die Generalstaatsanwaltschaft abgeordnet. Damit geht viel Zeit verloren. Was ist das für ein Rechtsverständnis? Wie ernst nehmen die Strafverfolger den Rechtsstaat? Möchten sie das Verfahren so lange hinauszögern, bis es letztendlich gegen eine Geldbuße eingestellt werden kann? Nach fünf Jahren ohne weiteren Rechtsbruch wäre dies möglich.

"Der Tod bedankt sich bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart"

Nein, das darf nicht sein! Denn wir sprechen hier nicht vom sinnvollen Export medizintechnischer Güter, sondern vom tödlichen Export von Kleinwaffen, von Pistolen, Maschinenpistolen und Sturmgewehren. Zwei Drittel aller Kriegsopfer sterben durch den Einsatz von Gewehren. Und wir sprechen von den Geschäftspraktiken von Heckler & Koch. Bis zum heutigen Tag sind mehr als zwei Millionen Menschen durch Kugeln aus dem Lauf von H-&-K-Waffen ums Leben gekommen. H & K ist Europas tödlichstes Unternehmen.

In diesem Sinne wundert es wenig, dass das Morden mit H-&-K-Waffen nun auch in Mexiko seinen Lauf nimmt. 43 Studenten wurden am 26. September 2014 von Sicherheitskräften in Zusammenarbeit mit der Mafia in Guerrero verschleppt. Sie sind bis heute verschwunden, sechs weitere Menschen wurden ermordet. Vieles spricht dafür, dass bei dieser Polizeiaktion auch illegal gelieferte G-36-Sturmgewehre eingesetzt wurden. Die Verantwortlichen des illegalen Waffendeals mit Mexiko verbringen den Frühling 2015 in Freiheit. Auch deshalb bedankt sich der Tod heute bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart.

Aus Sicht der Bundesregierungen war und ist Mexiko quasi ein neues Modell für den Waffenhandel im 21. Jahrhundert. In den Jahrzehnten zuvor durften Staaten mit Kriegswaffen beliefert werden – oder aufgrund der Sicherheits- und Menschenrechtslage eben nicht. Mexiko diente den von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU geführten Bundesregierungen ab 2003 als Testfeld dafür, ob auch einzelne Bundesstaaten eines Landes beliefert werden können und die Waffen definitiv in diesen Bundesstaaten verbleiben. 

Heute wissen wir: Das Testland Mexiko steht für eine rundum gescheiterte Rüstungsexportpolitik. Denn Endverbleibserklärungen werden nicht eingehalten, Waffen wandern in verbotene Regionen, mit G-36-Gewehren ausgerüstete Polizisten arbeiten eng mit der Drogenmafia zusammen. Ein Experiment mit tödlichen Folgen.

 

Jürgen Grässlin (57) ist Sprecher der Kampagne "Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!". Er wurde mit mehreren Preisen für Frieden und Zivilcourage ausgezeichnet, unter anderem mit dem Aachener Friedenspreis. Der Beitrag basiert auf der Rede, die Grässlin bei der Kundgebung von Rüstungsgegnern am Freitag (17. 4. 2015) vor der Stuttgarter Staatsanwaltschaft gehalten hat.



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11 Kommentare verfügbar

  • Freier Bürger
    am 28.04.2015
    Antworten
    @Ulrich Frank:
    Was für ein Quatsch, den Sie da posten...

    Wollen Sie alle "schlechten" Menschen mit ihrer Gesinnungsethik zum Guten vollstopfen?

    Solange es böse Nachbarn gibt, bin ich froh, dass es Firmen wie Heckler & Koch gibt, die uns mit den "Instrumenten" versorgen, die wir den Bösen…
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