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Es kommt ein Zug von irgendwo

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Vollmundig hat die Deutsche Bahn die größte Kundenoffensive in ihrer Geschichte angekündigt. Das wird viele wundern, die auf schnellere und bessere Züge warten. Bis 2030 vielleicht.

Der Spott in der "Süddeutschen Zeitung" war unüberlesbar. "Die kleine Gruppe von Demonstranten sieht ein bisschen kläglich aus, wie sie da am Donnerstagmorgen vor dem Berliner Congress Centrum am Alexanderplatz steht und Schilder in die Höhe hält", schreibt das Blatt. Die kleine Gruppe war das Bündnis "Bahn für alle", das zur Pressekonferenz der Deutschen Bahn (DB) geeilt war, um der Bilanz ihres Chefs, Rüdiger Grube, den "Alternativen Geschäftsbericht" entgegen zu setzen. Sie trugen auch noch Schilder mit sich ("Nachtzug statt Nachtflug") und verteilten ihren 20-Seitentext, in dem sie notierten, wie weit Dichtung und Wahrheit auseinander liegen. Darüber ist nicht berichtet worden, weil, so die SZ weiter, dieser Donnerstag (20. März - d. Red.) nicht als der richtige Tag scheint, "um schon wieder an der Bahn herumzunörgeln."

Hatte doch am Tag zuvor Ulrich Homburg, der im Bahnvorstand verantwortlich für den Personenverkehr ist, starke Worte gefunden: <link file:14962 _blank>"Die Deutsche Bahn startet die größte Kundenoffensive in der Geschichte des DB-Fernverkehrs". Ganz offensichtlich sollten damit die eher trüben Zahlen der Jahresbilanz 2014 vorbeugend aufgehellt werden. Was medienmäßig durchaus gelang. Doch: Was ist dran an dieser "Offensive"?

Die Bahn baut auf, was sie zuvor abgebaut hat

Zunächst heißt "Kundenoffensive", dass man bis zum Jahr 2030 das wieder aufbaut, was seit 1998 abgebaut wurde. Beispielsweise behauptet Homburg: "Die DB baut bis 2030 das Fernverkehrsangebot um 25 Prozent aus". Nun fuhr die DB AG 1999 noch 177,5 Millionen Zugkilometer im Fernverkehr, 2014 waren es jedoch nur noch 142,8 Millionen Zugkilometer. Es gab hier also einen Abbau um knapp 20 Prozent. Konkret wird versprochen, in 15 Jahren würde im Schienenpersonenfernverkehr eine Leistung von 162 Millionen Zugkilometer erbracht. Das wären immer noch deutlich weniger als 1999. Selbst 2008, im letzten Mehdorn-Jahr, lag die Leistung noch bei 151,6 Millionen Zugkilometern - um fast zehn Millionen mehr als 2014.

Nun konkretisierten Homburg und die Deutsche Bahn diese "größte Kundenoffensive aller Zeiten" wie folgt: "Fünf Millionen Einwohner werden neu ans Fernverkehrsnetz angebunden [...] Neu im Flächennetz: Mönchengladbach, Chemnitz, Krefeld, Potsdam, Fürth, Heilbronn, Reutlingen, Trier, Cottbus, Siegen."

Tatsächlich waren jedoch alle diese Städte und damit auch die genannten rund fünf Millionen Einwohner noch bis vor einigen Jahren an das DB-Fernverkehrsnetz angeschlossen. Keine einzige wird neu angebunden. Besonders grotesk: Chemnitz und Trier wurden erst vor zwölf Wochen vom Flächennetz des Fernverkehrs abgehängt. Was sollen die Menschen in diesen Städten denken, wenn ihnen angekündigt wird, bis spätestens 2030 wieder dabei sein zu dürfen? 

Ein weiteres Versprechen der Bahn lautet: "Wir werden die Produktqualität deutlich erhöhen [...] und den Komfort sowie die Qualität für unsere Fahrgäste in einer Serviceoffensive weiter verbessern." Richtig ist, dass die zwei neuen Zuggattungen, die in den nächsten 15 Jahren die derzeitigen Züge ersetzen sollen, mit einem deutlichen Abbau von Komfort verbunden sind. Die neu bestellten Doppelstock-IC haben keine Bordrestaurants und bieten deutlich weniger Raum für Gepäck als die bisher eingesetzten IC-Züge.

Mehr Komfort auf weniger Platz?

Die neuen ICx-Züge, die überwiegend die ICE der ersten Generation (ICE 1) ersetzen werden, verfügen über keine individuellen Leselampen, über keine Fußstützen und haben deutlich weniger Toiletten. In ihnen haben die Fahrgäste in der 2. Klasse mit 856 Millimeter einen Sitzabstand, der um 17 Prozent geringer ist als derjenige bei den ursprünglichen ICE 1 (1025 mm) beziehungsweise ist er um sieben Prozent geringer als derjenige bei den überarbeiteten (und ab 2014 in Betrieb genommenen) ICE 1 (920 mm). Unter anderem aus diesem Grund wurden die ICx in der Fachpresse auch als "IC-Eng" bezeichnet. 

Noch kritischer sieht es bei der personellen Besetzung aus. DB-Manager Homburg kündigte an: "Es werden 1500 neue Arbeitsplätze geschaffen." Nun wurde seit der Bahnreform im Jahr 1994 die Zahl der Arbeitsplätze im Bahnbereich in Deutschland von 350 000 auf 155 000 reduziert. Dadurch fehlt an vielen Stellen Personal, etwa auf den oft völlig menschenleeren Bahnhöfen oder in vielen Regionalzügen, die ohne Zugbegleiter verkehren. Im Fernverkehr gab es 2002 noch 27 013 Bahnbeschäftigte; heute (2014) sind es noch 16 481 - gut 10 000 Vollzeitstellen oder 39 Prozent weniger. Die Mitarbeiter schieben Millionen Überstunden vor sich her. Und dieser Trend setzt sich von Jahr zu Jahr fort.

Was bedeuten unter diesen Bedingungen 1500 neue Bahner-Jobs, die bis 2030 geschaffen werden sollen? Bereits heute gibt es allein bei den Lokführern und den Stellwerkern einen Fehlbedarf von mehr als 1500 Vollarbeitsplätzen, der nur notdürftig durch Überstunden und Dauerstress abgedeckt wird.

Man glaubt es kaum: 1939 waren manche Züge schneller

Nächstes Beispiel Nachtzugverkehr: Es ist schon ziemlich absurd, wenn die Bahn eine "Kundenoffensive" verspricht, und zugleich im Nachtzugverkehr einen massiven Kahlschlag betreibt, und derselbe Homburg im Deutschen Bundestag kundtut, dass man in diesem Segment kein neues Wagenmaterial beschaffen werde. Was nichts anderes heißt, als dass die gesamte Sparte mit ihren derzeit noch 2,6 Millionen Fahrgästen in Richtung Abstellgleis dirigiert wird. Betroffen sind davon übrigens rund 500 Beschäftigte.

Sehr hübsch auch Homburgs Power Point Präsentation mit dem Titel "Mehr Bahn für Metropolen und Regionen". Darin wird eine Tabelle vorgelegt, in der "Schnellere Verbindungen in ganz Deutschland" - abgestuft nach Inkrafttreten von "Fahrplan 2016", "Fahrplan 2018" und "Fahrplan 2022" - angekündigt werden. Darunter sind Fahrzeitreduzierungen, mit denen teilweise gerade mal ein früheres Niveau wieder erreicht wird. Teilweise führen auch einige Verbesserungen nur dazu, dass man näher an das heranrückt, was auf den gleichen Verbindungen einmal gefahren wurde. Bei einer großen Zahl von Verbindungen, die Homburg erst gar nicht nennt, weil sich bei diesen nichts tut, bleiben die Züge deutlich langsamer als sie einmal waren. 

Ein zugegebenermaßen krasses Beispiel: Zwischen Berlin und Dresden benötigt man heute zwei Stunden und fünf Minuten, 2016 soll die Fahrtzeit bei einer Stunde und 45 Minuten liegen. Und Homburg jubelt: "20 Minuten schneller". Doch 1939 lag die Fahrtzeit bei einer Stunde und 49 Minuten. Oder nehmen wir den Klassiker Frankfurt/Main - Berlin, bei dem die aktuelle Fahrtzeit bei vier Stunden und zehn Minuten liegt. Im nächsten Jahr sollen es glatte vier Stunden sein (Homburg: "10 Minuten schneller"). Doch siehe da: 2002 benötigte man nur drei Stunden und 25 Minuten, sprich 31 Minuten weniger als 14 Jahre später.

Typisch für die Bahn (und die Medien): Sie kennen die alten Fahrpläne nicht, aber alles jubelt. Größte Kundenoffensive aller Zeiten - wohl seit der Jungfernfahrt des "Adler" 1835 von Nürnberg nach Fürth. 

 

Bernhard Knierim und Winfried Wolf haben den "Alternativen Geschäftsbericht" zur Bahn verfasst. Von ihnen stammt auch das Buch "Bitte umsteigen - 20 Jahre Bahnreform". Die Angaben in der Tabelle stellte Andreas Kleber (Schorndorf) zusammen.


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9 Kommentare verfügbar

  • Blender
    am 30.07.2016
    Antworten
    @(DB: ...) im Nachtzugverkehr (...) Kahlschlag betreibt,

    Danke ÖBB dass Sie seit Jahren mit Nachtzügen in Österreich gutes Geld verdienen und dass Sie dieses Konzept ab 11Dez2016 zukünftig auch in Deutschland umsetzten wollen.
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