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Spekulation, na und?

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Heiner Geißlers Kompromißvorschlag vom kombinierten Kopf- und Tiefbahnhof ist faktisch bis zur Unkenntlichkeit zerredet worden. Damit ist er so gut wie vom Tisch. Gut für die Immobilien-Branche. Gerade sie predigt seit Jahren, was kaum einer hören will: Stuttgart 21 ist in ihren Augen ein – oder vielleicht auch ihr – "Jahrhundert-Immobilienprojekt". Als städtebauliche Entwicklungschance verpackt und von langer Hand vorbereitet.

Am Pariser Platz sind für die Immobilienbranche noch Plätze frei. Foto: Jo Röttgers

1997 war ein gutes Jahr. Es gab noch keine Wut- und keine Mutbürger, aber es gab Stuttgart und es gab die Zahl 21, und beides zusammen wurde seinerzeit zu einer Vision für die Zukunft namens Stuttgart 21 schöngerechnet. Das neue Herz Europas begann zu pochen. Es war das Jahr, in dem sich Profis für Städtebau oder Infrastruktur und allerlei andere Experten über hübsche Architektenpläne beugten, sie unter die Lupe nahmen und aus dem Kreis namhafter Baumeister den Ihren wählten, auf dass er einen Kopfbahnhof für ein paar Milliarden unter die Erde lege und 100 Hektar Gleisgelände für ein neues Stadtviertel freiräume.

Herr Yoshikiwa darf Märklin spielen

Fast zeitgleich und 10 245 Kilometer südöstlich stellten sich in jenem Jahr auf einer Immobilienmesse in Singapur drei Herren den Blitzlichtern diverser Fotografen. Zwei groß gewachsene Honoratioren nahmen dabei namens der Deutschen Bahn Gruppe einen gewissen Herrn Yoshikawa in ihre Mitte und drückten ihm ein nettes Geschenk in die Hand. Herr Yoshikawa war Chef einer dieser unzähligen asiatischen Building Companies gewesen. Er hatte auf dieser Immobilienmesse namens "Mipim", die als die weltweit bedeutendste ihrer Art gelten darf, dem außerordentlich erfolgreichen und offiziellen "Project Launch" von Stuttgart 21 beigewohnt. Und er hatte gewonnen. Beim S-21-Preisausschreiben der Stadt Stuttgart und der DB bekam er den Hauptpreis. Fortan durfte Herr Yoshikiwa mit einer von schwäbischen Werbestrategen ausgesuchten brandneuen Märklin-Eisenbahn spielen.

Ähnlich beglückt wie der Gewinner stand seinerzeit zu seiner Linken ein Herr Professor Sommer, der als ein untadeliger und exzellenter Immobilien-Entwickler der Landeshauptstadt und als "Senior Consultant" der Deutschen Bahn fungierte. Auch ein gewisser Herr Professor Winter zu Herrn Yoshikawas Rechten lächelte in die Kamera. Professor Winter war der Chef der DB-Immobiliengruppe gewesen, in deren Besitz das heute so legendäre Gelände A1 hinter dem Hauptbahnhof ist.

Korrupt bis in die Knochen

Jener Herr Professor Winter hörte im richtigen Leben auf einen ganz anderen Namen, der vielleicht vornehm verschwiegen werden sollte, weil der Mann über Jahre hinweg in einem geschäftlichem Milieu sozialisiert worden war, welches ihn kurz nach der Episode von Singapur zu einer längeren und nicht ganz freiwilligen Resozialisierung zwingen sollte. Jener Herr Professor – bleiben wir also besser bei dem Namen Winter – war ein leitender und außerordentlich einflussreicher Bahn- und Immobilien-Manager in Stuttgart gewesen, und er war korrupt bis in die Knochen.

So darf er genannt werden, weil er und ein Helfershelfer aus Bahnkreisen nach Schmiergeldgeschäften mit einem Heidelberger Bauunternehmer in den 90er-Jahren Medienberichten zufolge mehrere Millionen Euro auf geheimen Schweizer Konten gebunkert hatten. Das Landgericht Bochum schickte Herrn Professor Winter deshalb im Jahr 2000 für viereinhalb Jahre hinter Gittern. Er und sein DB-Kumpan hatten in jener Zeit, als er für Stuttgart 21 in Singapur die Werbetrommel rührte, für die bevorzugte Vergabe von Bauaufträgen im Zusammenhang mit Arbeiten an den DB-Netzzentralen in Duisburg, Karlsruhe und Hannover von jenem Heidelberger Baulöwen umgerechnet 2,5 Millionen Euro kassiert. Die Geschichte spielte noch zu Regierungszeiten eines Kanzlers Helmut Kohl, weswegen sie als "Bimbes-Story" durch den deutschen Blätterwald fegte. Und zum Glück tauchte weder in den Medien noch im Korruptionsverfahren vor Gericht der Name Stuttgart 21 auf.

Als hätte es ihn nie gegeben

Denn zum einen kannte kaum einer die Verbindungen des korrupten Bahnmanagers zu Stuttgart 21, und zum anderen betrafen die gerichtlich festgestellten und abgeurteilten Schmiergeldgeschäfte eben alle möglichen Projekte, nur nicht Stuttgart 21. Und so ließ sich der Herr Professor Winter bequem und nahezu geräuschlos aus der Geschichte von S 21 tilgen, als hätte es ihn nie gegeben. Selbst ausgefuchste Kritiker des Milliardenprojekts kennen seinen Namen nicht.

Viele Jahre später waren die sogenannten Wut- und Mutbürger erfunden. Das war und ist die Klientel der heute üblichen Verdächtigen. Also jener Kreis von Menschen, die gegen alles und jeden sind und im Gegensatz zu jenen "oben ohne" partout "oben bleiben" wollen. Dazu gehören auch jene Kritiker, die hinter Stuttgart 21 nichts anderes als Spekulationsgeschäfte wittern und darin ein lukratives Immobilienprojekt sehen. Das mag die so gescholtene Immobilienbranche nicht auf sich sitzen lassen.

Ihre Stuttgart-Lobby verfügt über Sprachrohre, über Seismografen, die ausschlagen oder auch verbal gerne um sich schlagen, wenn die eigenen Geschäftsinteressen bedroht sind. Die ausführliche Lektüre etwa des sogenannten Stuttgarter Immobilienbriefes genügt, um zu kapieren, wie die Branche tickt.

"Das Jahrhundert-Immobilienprojekt"

Sie versteht nämlich "bei Stuttgart 21 nur Bahnhof". Die gegnerische Kritik am "Immobilienprojekt" ist nur die halbe Wahrheit. Denn die Immobilienbranche erregt sich darüber, dass S 21 "nur als Verkehrsprojekt wahrgenommen" wird, wo es doch tatsächlich eben nicht nur irgendein Immobilienprojekt, sondern – so wörtlich – "ein Jahrhundert-Immobilienprojekt" ist.

Das böse Wort von der Spekulation wird in solchen Kreisen einem Schlichter Heiner Geißler übel genommen. Geißlers Vorschlag, über eine städtische Rosenstein-Stiftung solche Grundstücksspekulationen zu verhindern, liegt faktisch schon wieder bei den Akten, seit ein Rechtsgutachten die Übertragung der 100 Hektar Grundstücksflächen aus dem Besitz der Stadt in die Stiftung für schwierig hält. Eine Stadt dürfe nun einmal nichts verschenken. Weswegen das Thema schon so gut wie vom Tisch ist. Kein Mensch redet mehr über diese Stiftung.

Und Spekulation. "Ist das verboten?" fragen die Immobilienbriefe, wo in dieser Branche doch "meistens nicht", sondern nur "manchmal" spekuliert – also "eine Immobilie ohne Veredelung schnell und mit Gewinn durchgehandelt" wird. Dann hat halt jemand "Chancen erkannt und gehandelt".

Sozialwohnungen im Bürogebäude?

Eine so selbstbewusste Lobby mag auch kein unlängst vom Gemeinderat beschlossenes "Stuttgarter Innenentwicklungsmodell" (SIM) widerspruchslos hinnehmen. Sie fühlt sich gegängelt, an die Leine genommen, weil SIM von der Immobilienwirtschaft verlangt, bei innerstädtischen Bauvorhaben einen Wohnanteil von mindestens 20 Prozent zu realisieren. Noch dazu bezahlbaren Wohnraum. Seitdem fürchten manche Seismografen dieser Lobby allen Ernstes "Sozialwohnungen im Bürogebäude", weswegen hochkarätige Investoren fortan einen Bogen um die Landeshauptstadt zu machen drohen. 

Auch vor Geißlers Kompromissvorschlag eines kombinierten Kopf- und Tiefbahnhofs muss die Immobilienlobby keine wirkliche Angst mehr haben. Der Vorschlag hätte die Fläche für Immo-Geschäfte drastisch reduziert. Er wurde, ähnlich der Debatte um die Rosenstein-Stiftung, erfolgreich kleingeredet. Seitdem darf die Branche wieder hoffen. Auf die Mipim, jene bedeutendste Immobilienmesse auf dem Globus, bei dem sich Bauträger, Projektentwickler, Käufer und Verkäufer und die großen Bankhäuser zwecks Finanzierung lukrativer Deals zusammenfinden. Mal wie anno 1997 beim S-21-Pojektstart in Singapur oder nächstes Jahr wieder im südfranzösischen Cannes.

Blick aufs Meer

Dann wird auch die Stadt Stuttgart wieder mit einem eigenen Stand richtig einsteigen. Bei der letzten Mipim hatte sich die Landeshauptstadt mit ihrem Jahrhundert-Immobilienprojekt auf neun Quadratmetern Fläche blamiert. Die FAZ hatte über einen "begehbaren Kleiderschrank" gespottet. Das wird sich ändern. 2012 dürfen an der mondänen Prachtstraße Croisette Geschäfte auf 107 Quadratmetern gemacht werden. Dank eines städtischen Zuschusses über 150 000 Euro und dank der SPD, die diesen Beschluss durchgedrückt hatte. 39 Quadratmeter "sonnendurchfluteter" Terrasse haben es der Branche dabei ganz besonders angetan und vor allem dieser fantastische "Blick aufs Meer", jubelt der Stuttgarter Immobilienbrief.


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6 Kommentare verfügbar

  • eraasch
    am 04.09.2011
    Antworten
    @Bahnfahrer: Waren Sie in den letzten drei Jahren auf ihrer Mondreise?
    Unterrichtsmäßig bekam die Welt vorgeführt, dass in der heutigen Wirtschaftsform Investitionen zunehmend irrational nach dem Lemmingprinzip durchführt werden - gerade im Immobilienbereich. USA, England, Spanien, derzeit China.
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