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Vorreiter auf Abwegen

Vorreiter auf Abwegen
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Sie sollen Vorreiter im Kampf gegen die Erderwärmung sein: die Klimaschutz-Unternehmen der deutschen Wirtschaft. Zu dem exklusiv kleinen Kreis von 29 Firmen gehören auch Konzerne wie der schwedische Möbelhersteller Ikea, der schon Schlagzeilen wegen der Abholzung russischer Urwälder machte. Oder eine Stahlhütte, die von der Finanzierung der Energiewende befreit ist.

Gerade erst hat der UN-Weltklimarat (IPCC) an die Politik appelliert, endlich zu handeln und den Ausstoß von klimaschädlichen Gasen wie Kohlendioxid drastisch zu verringern. Nur dann lasse sich das Allerschlimmste noch verhindern. Sprich: die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf zwei Grad begrenzen. Gefragt sind jetzt aber auch die Unternehmen. Schließlich ist der Kampf gegen den Klimawandel ohne nachhaltige Produktion und Produkte aussichtslos. "Die Wirtschaft ist für uns ein zentraler Partner im Klimaschutz", betont Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Sie setzt auf die Innovationskraft der deutschen Wirtschaft bei Energieeffizienz und Umweltverträglichkeit.

Für den Klimaschutz überweist der Staat kräftig Kohle

Bereitwillig unterstützen die Steuerzahler mit Milliardenbeträgen die Wirtschaft dabei. Etwa über die Nationale Klimaschutzinitiative (NKI). 2008 wurde das Programm von der Bundesregierung ins Leben gerufen, um mit Akteuren aus Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft darauf hinzuarbeiten, dass Deutschland seine Klimaschutzziele erreicht: bis zum Jahr 2020 die Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um mindestens 40 Prozent zu senken. Bis 2050 sogar um 80 bis 95 Prozent.

Bis Ende vergangenen Jahres förderte die Initiative mehr als 19 000 Projekte mit 421 Millionen Euro. Neben Mini-Blockheizkraftwerken und Hybrid-Stadtbussen bezuschusste der Staat auch die "Klimaschutz-Unternehmen" (KU). Das "bundesweite, branchenübergreifende Exzellenznetzwerk für Klimaschutz und Energieeffizienz", so die Eigendarstellung, wurde im Frühjahr 2009 auf Betreiben von Umwelt- und Wirtschaftsministerium sowie des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) gegründet. Bis zum Projektende im September 2013 überwies die NKI dem Netzwerk mehr als 630 000 Euro. Danach machten sich die beteiligten Unternehmen mit einem eingetragenen Verein selbstständig. Die Geschäftsstelle ist beim DIHK angesiedelt.

Knapp zwei Dutzend Vorzeigeunternehmen in fünf Jahren

Mehr als fünf Jahre nach Gründung ist das KU-Netzwerk noch ziemlich grob geknüpft. Der Verein zählt derzeit nur 29 Mitglieder, vom traditionsreichen Biokaffeeröster in Hamburg bis zum milliardenschweren Münchner Hausgerätehersteller BSH. Zum Vergleich: Die hiesigen Industrie- und Handelskammern haben mehr als 5,2 Millionen Mitgliedsunternehmen. Die Minizahl an "Vorreitern für Klimaschutz und Energieeffizienz" begründet KU-Geschäftsführer Wolfgang Saam mit hohen Hürden. "Die Unternehmen müssen sich in Sachen Klimaschutz ambitioniert positionieren und eine strenge Aufnahmeprüfung durchlaufen", so Saam. Demnach prüft zunächst die Geschäftsstelle alle Bewerbungen. Nur aussichtsreiche Kandidaten werden anschließend durch einen unabhängigen Zertifizierer begutachtet. Über die Aufnahme entscheidet letztlich der Vereinsbeirat, in dem das Bundesumweltministerium Vetorecht besitzt. "Durch das anspruchsvolle Aufnahmeverfahren gibt es eine hohe Ablehnungsquote", betont ein Ministeriumssprecher. Großzügig begleicht das Ministerium bis heute die Zertifizierungskosten der Unternehmen – auch wenn diese abgelehnt werden.

Ikea wegen Rodungen in Russland in der Kritik

Gerade an der Gründlichkeit der Prüfungen kommen beim Studium der Mitgliederliste Zweifel auf. So zählt zu den Klimaschutz-Unternehmen der schwedische Möbelriese Ikea, der allein in Deutschland 48 Einrichtungshäuser betreibt.

"Einen besseren Alltag zu schaffen, heißt für uns auch, dass wir mit unserem Handeln zu einer Welt beitragen, in der wir alle verantwortungsvoll mit der Erde, ihren Rohstoffen, und den Menschen umgehen", behauptet der Möbelkonzern auf dem KU-Portal. Mit Billy & Co. trage Ikea auch zu einem nachhaltigeren Leben bei, nämlich durch "Entwicklung erschwinglicher Produkte, mit denen die Kunden Energie und Wasser einsparen und Abfall reduzieren können", so die Eigendarstellung. Ebenso lege Ikea "besonderen Wert auf eine nachhaltige Lieferkette". Unter anderem durch den "IWAY-Standard, der Arbeits- und Umweltbedingungen bei Lieferanten prüft und sie dabei unterstützt, nachhaltiger zu arbeiten".

Doch Billy & Co. gerieten immer wieder in Verdacht, möglichst billig auf Kosten der Umwelt hergestellt zu werden. Im Jahr 2010 kratzte ein Insider am Image von der fairen, umweltfreundlichen Firma. In seinem Buch "Die Wahrheit über Ikea" erhob der langjährige Ikea-Manager Johan Stenebo schwere Vorwürfe gegen Firmengründer Ingvar Kamprad. So würde beispielsweise rund ein Drittel des Ikea-Möbelholzes illegal geschlagen, unter anderem in der russischen Taiga, um es von dort über chinesische Zwischenhändler anzukaufen.

TV-Bilder zeigen rücksichtslose Verwüstung

Im November 2011 zeigte das ARD-Magazin "Plusminus", wie das Ikea-Tochterunternehmen Swedwood rund 300 000 Hektar Naturwald in der russischen Teilrepublik Karelien aberntet. Auf den Pachtflächen im Nordwesten Russlands werde in großem Maßstab auch schützenswerter Urwald gerodet, erfuhren die Zuschauer. Rund 600 Jahre alte Baumriesen fielen in Sekunden tonnenschweren Erntemaschinen zum Opfer — obwohl die Zertifizierung für nachhaltige Waldbewirtschaftung durch das Forest Stewardship Council (FSC) dies untersagt. Die TV-Bilder zeigten eine Brachlandschaft, auf deren verdichteten Böden kaum noch etwas gedeiht. Dabei gelten gerade Urwälder als wichtige natürliche Speicher für klimaschädliches Kohlendioxid.

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Im Sommer 2012 startete die Organisation "Rettet den Regenwald" die Kampagne "Wohnst du noch oder zerstörst du schon?", um den schwedischen Konzern zu stoppen. Umweltschützer übergaben Ikea 180 000 Unterschriften aus aller Welt. Die Aktionen führten im Januar 2014 zeitweilig zum Erfolg. Das FSC entzog der Ikea-Tochter Swedwood in Karelien das FSC-Umweltsiegel. Ikea bezeichnete den Entzug als "vorübergehend" – und legte Berufung gegen die Entscheidung ein. Zwei Monate später nahm die FSC-Organisation, zu deren Gründungsmitgliedern Ikea gehört, ihre Entscheidung zurück. Während der Nachprüfung hatten sich zwei Vorwürfe angeblich als haltlos erwiesen.

Problemverlagerung durch Werksverkauf?

Auf Nachfrage in der Hofheimer Deutschlandzentrale von Ikea betont ein Sprecher, die Behauptung, das Unternehmen rode Urwälder, sei "irreführend": "Die Wälder in Karelien sind im Schnitt 160 Jahre alt, in ihnen befinden sich jedoch auch Bäume, die deutlich älter sind. "Diese älteren Bäume werden jedoch nicht für Ikea-Produkte verwendet", verweist er auf den Nachhaltigkeitsbericht 2013, der "ausführliche Informationen zum Thema Forstwirtschaft" enthalte. Nachlesen lassen sich die "Fakten zur Holzgewinnung und Holzkontrolle" jedoch nicht. Im Download-Exemplar fehlen die entsprechenden Seiten. Dagegen verrät der Bericht, dass Ikea 2013 nur ein Drittel des Holzes aus vermeintlich nachhaltiger Waldbewirtschaftung mit FSC-Zertifizierung gewonnen hat. Bis 2015 soll der Anteil auf 50 Prozent steigen.

Inzwischen erklärte Ikea, seine Holzproduktion in Russland auf den Standort Tikhvin, rund 200 Kilometer östlich von Sankt Petersburg, konzentrieren zu wollen. "In diesem Zuge übernimmt die russische Regierung wieder die Pacht für die Waldgebiete in Karelien", so der Konzernsprecher. "Die Urwälder dürfen jetzt keinesfalls an andere Holzunternehmen verkauft, sondern müssen endlich komplett unter Schutz gestellt werden. Auch an anderen Standorten muss Ikea Holz wirklich umweltfreundlich und sozialverträglich produzieren", fordert Klaus Schenck von "Rettet den Regenwald". Allerdings sei fraglich, ob dies bei einem Jahresverbrauch von rund 14 Millionen Kubikmetern Holz überhaupt möglich ist, aus denen der Konzern rund 100 Millionen Möbelstücke fertigt.

Widersprüchliches bei der Georgsmarienhütte 

Auch bei der Georgsmarienhütte GmbH (GMH), einem jüngeren Mitglied im KU-Netzwerk, horchen Umweltschützer auf. Der Stahlkonzern aus Niedersachsen zählt zu den führenden Anbietern von Spezialstahl. Bei der Urkundenübergabe im April in Berlin fand die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium nur lobende Worte: "Die Klimaschutz-Unternehmen sind beispielgebend dafür, dass Klimaschutz und Energieeffizienz eine Erfolgsgeschichte sein kann", erklärte Rita Schwarzelühr-Sutter. Der Adressat der Auszeichnung bedankte sich artig. "Schonender Umgang mit unserer Umwelt – den leben wir auf unserer Hütte mit Herz und Verstand", unterstrich GMH-Geschäftsführer Henning Schliephake.

Ein Stahlwerk als Biobetrieb? Bekanntlich entstehen bei der Stahlproduktion gifte Schlämme, Feinstäube und Abwässer, die von aufwendigen Filterverfahren daran gehindert werden, in die Umwelt zu entweichen. Stahlhütten gehören zudem zu den energieintensiven Branchen der Industrie. So verbraucht die GM-Hütte an einem Tag so viel Strom wie die benachbarte Großstadt Osnabrück mit 155 000 Einwohnern in einem Jahr. Im KU-Portal gesteht Geschäftsführer Schliephake den Energiehunger zu. Der Einsatz von großen Strom- und Erdgasmengen habe das Unternehmen schon frühzeitig bewogen, ein Energiemanagement zu etablieren. "Als erstes Stahlwerk in Deutschland wurde die GMH gemäß der ISO-Norm 50 001 auditiert", betont das Unternehmen.

Was es verschweigt: Die Zertifizierung des Energiemanagements nach der 2011 eingeführten Norm ist Voraussetzung für die Befreiung von der Umlage des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), die den Ausbau klimaschonender Energieträger wie Wind, Sonne und Biomasse befördern soll. Die Georgsmarienhütte gehört zum erlauchten Kreis der 2026 Unternehmen des produzierenden Gewerbes, die sich in diesem Jahr zusammen fünf Milliarden Euro an EEG-Umlage sparen dürfen.

Im erlauchten Kreis der bevorzugten Unternehmen

"Die Georgsmarienhütte GmbH ist als energieintensives Unternehmen von der EEG-Umlage teilbefreit", betont Unternehmenssprecherin Iris Wilckens, dass auch das Stahlwerk einen – wenn auch verringerten – Beitrag zur Förderung der erneuerbaren Energien leiste. Was Wilckens nicht sagt: Die Teilbefreiung ist fast eine Totalbefreiung. Während private Haushalte und kleine Handwerksbetriebe derzeit mit 6,26 Cent pro Kilowattstunde die Energiewende mitfinanzieren, berappt die GMH nur 0,05 Cent je verbrauchter Kilowattstunde. "Insbesondere die energieintensiven Elektrostahlproduzenten wie die Georgsmarienhütte sind auf die Ausnahmen bei der EEG-Umlage dringend angewiesen, um auch in Zukunft unter wettbewerbsfähigen Bedingungen in Deutschland produzieren zu können", rechtfertigt Wilckens den Mini-Obolus.

Doch das ist nicht der einzige Widerspruch. Nach Kontext-Informationen wurde im Aufnahmeverfahren lediglich der Unternehmensstandort Osnabrück mit dem Geschäftsbereich Rohstoff-Recycling zertifiziert. Der Kernbereich Stahlproduktion am Standort Georgsmarienhütte blieb dagegen ohne Klimaschutz-Audit. GMH-Sprecherin Wilckens äußert sich auf Nachfrage ausweichend: "Ob sich unsere Schwesterunternehmen aus dem Geschäftsbereich Rohstoff-Recycling bei der Initiative beworben haben, ist mir nicht bekannt." Dies hätte aber auch keinen Einfluss auf die Bewertung der Georgsmarienhütte GmbH als Klimaschutz-Unternehmen gehabt, ergänzt sie.

Eigentümer als Atom- und Kohlelobbyist 

Aus einem weiteren Grund ruft die Auszeichnung Erstaunen hervor. Das Stahlwerk gehört zum Firmengeflecht der Hamburger Georgsmarienhütte-Holding, deren Eigentümer Jürgen Großmann ist. Der Manager und Unternehmer ist so etwas wie ein Enfant terrible unter den deutschen Firmenlenkern, mit besten Kontakten in höchste politische Kreise.

Bis Mitte 2012 führte Großmann den Essener Stromkonzern RWE. In seine Amtszeit fiel die Aufkündigung des sogenannten Atomkonsenses, mit der das rot-grüne Kabinett Schröder den Ausstieg aus der Kernkraft mit den Stromriesen vereinbart hatte. Stattdessen beschloss die Regierung Merkel 2010 die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke in Deutschland. "Mit seiner hemmungslosen und provozierenden Beeinflussung der Bundesregierung für die Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke, die im Spätsommer in einer von ihm initiierten Anzeigenkampagne gipfelte, hat sich Herr Großmann den Preis in diesem Jahr redlich verdient", so die damalige Laudatio des NABU für die Verleihung des "Dinosauriers 2010", Deutschlands peinlichsten Umweltpreises, an Großmann. Auch in puncto Klimaschutz hatte Großmann an der Spitze von RWE nichts zu bieten. "Der deutsche Konzern ist mit 150 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Ausstoß pro Jahr in Europa der größte Produzent schädlicher Treibhausgase", kritisierte der NABU. Die AKW-Laufzeitverlängerung kassierte die Bundesregierung nach der Atomkatastrophe von Fukushima im Frühjahr 2011.

Seinem schlechten Ruf in ökologischen Fragen wurde Großmann erst jüngst wieder gerecht, als er im Vorfeld des Brüsseler EU-Klimagipfels im vergangenen Oktober vor einem "übertriebenen Klimaschutz" warnte. GMH-Sprecherin Wilckens bemüht sich, die Aussage ihres Chefs in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" zurechtzurücken: "Der hiesigen Industrie weitere Klimaschutzforderungen zu stellen, die nach heutigem Stand der Prozess- und Effizienzseite kaum noch zu erfüllen wären, hält Jürgen Großmann für nicht zielführend." Auch führt sie ein altbewährtes Totschlagargument der Wirtschaft an, wenn es um striktere Umweltauflagen hierzulande geht: "Nach seiner Einschätzung (der von Großmann, Anm. d. Redaktion) ist es auch nicht im Sinne der globalen Klimapolitik, wenn deutsche Industrieunternehmen sich gezwungen sehen, auf weniger strikt regulierte Standorte auszuweichen."

Während Ikea und Georgsmarienhütte ausführlich auf Kontext-Anfragen reagierten, hatte ein anderes Mitgliedsunternehmen des Klimaschutz-Netzwerks weniger Contenance. Die Schwörer Haus KG, ein Fertighaushersteller mit Sitz in Hohenstein auf der Schwäbischen Alb, drohte einem privaten Blog-Betreiber mit Unterlassungsklage und Abmahngebühr. In einem – inzwischen gelöschten – Blog hatte dieser öffentlich zugängliche Dokumente zusammengetragen, die eine "Vetternwirtschaft" bei der Kür zum Klimaschutz-Unternehmen belegen sollten.


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13 Kommentare verfügbar

  • Schwabe
    am 23.11.2014
    Antworten
    @ Statistiker, Ihr Kommentar vom 20.11.2014, 17:50 Uhr
    "Und ja, natürlich würde ich es sehr begrüßen, so manche Produkte, inkl. ihrer Stahlkomponenten, erst gar nicht hergestellt zu sehen, sind dies doch die besten - von mir allgemein genannten - Einsparungen. Ob dies sämtliche Waffen sein sollten,…
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