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Schall und Rauch auf der Südbahn

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Kritiker von Stuttgart 21 haben es schon immer vermutet: Die Verbuddelung des Stuttgarter Hauptbahnhofs unter die Erde und der Bau der Trasse nach Ulm verschlingen dermaßen viel Geld, dass für andere Schienenwege wenig bis nichts übrig bleibt. Jüngstes Beispiel: die Südbahn von Ulm über Friedrichshafen nach Lindau, deren Elektrifizierung seit Jahren versprochen, aber immer wieder aufgeschoben wird.

Die Botschaft aus Berlin war an Deutlichkeit nicht zu überbieten. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) teilte seinem Stuttgarter Amtskollegen Winfried Hermann (Grüne) lapidar mit, dass aus dem schon seit 2003 im Bundesverkehrswegeplan stehenden Vorhaben Südbahn wieder einmal nichts werde: "Die nach der derzeitigen Haushaltsplanung für Neu- und Ausbauvorhaben des Bedarfsplans mittelfristig zur Verfügung stehenden Bundesmittel erlauben eine Finanzierungsvereinbarung für dieses Vorhaben im laufenden Jahr nicht." Für Hermann heißt das, dass der Ausbau der Südbahn damit auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben ist, und das, obwohl das Land dafür bereits 90 Millionen Euro im Haushalt stehen hat.

Tatsächlich hat das Land gemeinsam mit den Regionalverbänden Bodensee-Oberschwaben sowie Donau-Iller in den vergangenen Jahren in die Planung schon Millionenbeträge investiert. Dies alles im Glauben, dass nach den kurz vor dem Abschluss stehenden Planfeststellungsverfahren für den baden-württembergischen Teil des Vorhabens sofort eine Finanzierungsvereinbarung mit dem Bund getroffen werden könne. Doch "all dies scheint dem Bundesverkehrsminister nun ebenso wenig wert zu sein wie die Versprechungen gegenüber eigenen politischen Freunden und der Bevölkerung in Oberschwaben und am Bodensee", schimpft Hermann.

Der S-21-Freund Rivoir spricht jetzt von einem politischen Skandal

Dort sind sie auf fruchtbaren Boden gefallen. Politik, Bahn, Wirtschaft hatten den Oberschwaben versichert, wenn S 21 komme, komme auch die schnelle Südbahn. Rechtzeitig vor der Volksabstimmung im November 2011 war Bahnchef Rüdiger Grube nach Biberach gereist, um grünes Licht zu geben, die schwarzen Bürgermeister und Landräte trommelten nach Kräften, assistiert von roten Abgeordneten wie dem Ulmer Martin Rivoir, der jetzt von einem "echten politischen Skandal" spricht. Dobrindt, so poltert er, habe "alle Aussagen der CDU-Granden" zur Makulatur gemacht.

Nun ist hinlänglich bekannt, dass man in Oberschwaben und am Bodensee leidensfähig ist, wenn es um den Ausbau der Infrastruktur geht. Weil der Bau einer Autobahn am See entlang vor Jahrzehnten beerdigt worden war, ist man dort schon froh, wenn mal wieder ein Stück einer Ortsumgehung der Bundesstraße 31 fertig gestellt oder – wie kürzlich zwischen Friedrichshafen und Immenstaad – neu begonnen wird. Der vormalige Landrat von Wangen im Allgäu, Walter Münch, hat schon Ende der 1960er-Jahre in einer Streitschrift mit dem Titel "Steinbeis kam nur bis Ravensburg" beklagt, dass die allermeisten Mittel der Infrastruktur- und Gewerbeförderung in den Ballungsräumen vergraben werden und für das flache Land nur noch Brosamen übrig blieben.

So empfindet man in diesem ländlich geprägten Raum noch heute. Hätten sich zum Beispiel die entlang der Südbahn in Oberschwaben liegenden Städte und Gemeinden nicht zusammengetan und die Boden-Oberschwaben-Bahn (BOB) gegründet, die zwischen Friedrichshafen und Aulendorf höchst erfolgreich verkehrt, gäbe es den einen oder anderen Bahnhof entlang der Strecke schon längst nicht mehr. Und ohne den Einsatz des Interessenverbands Südbahn, dem neben den Städten und Gemeinden auch die Landkreise Alb-Donau, Bodensee, Biberach, Lindau und Ravensburg, die Industrie- und Handelskammern Ulm und Bodensee-Oberschwaben sowie die Regionalverbände Bodensee-Oberschwaben und Donau-Iller angehören, hätte es die vorbereitenden Planungen für die Elektrifizierung der 130 Kilometer langen Strecke nicht gegeben.

Ganz schlecht: In den neuen Tiefbahnhof dürfen keine Dieselloks

Dazu muss man wissen, dass die Südbahn eine der noch ganz wenigen zweigleisigen nicht elektrifizierten Hauptbahnen in Deutschland ist. Diese Strecke erschließt seit 150 Jahren nicht nur die ganze Region Bodensee-Oberschwaben, sondern hat auch als europäische Verkehrsachse mit Verbindungen ins österreichische Vorarlberg und in den ostschweizerischen Raum Bedeutung. Sie sollte auch Zulaufstrecke für die neue Alpentraversale werden, die nach Fertigstellung des Gotthard-Basistunnels ab 2017 den Schienenverkehr in Richtung Italien wesentlich beschleunigen wird. Das kann man sich in Oberschwaben nun wohl abschminken. Wenn es mit der Südbahn – wie befürchtet – in absehbarer Zeit tatsächlich nicht vorwärts gehen sollte, geriete gar die Erreichbarkeit der Landeshauptstadt vom Bodensee aus per Schiene in Gefahr. Denn in den neuen Tiefbahnhof von Stuttgart 21 dürfen keine Dieselloks einfahren.

Die Nachricht aus Berlin hat freilich nicht nur Baden-Württembergs Verkehrsminister Hermann aufgeschreckt. Auch dessen Parteifreund und Ulmer Gemeinderat Michael Joukov reagiert entsetzt. Ohne die Elektrifizierung der Südbahn drohe auch der Bahnhofsumbau in Ulm auf unbestimmte Zeit verschoben zu werden. Joukov: "Wer setzt schon einen neuen Bahnhof mitten in Regionalstrecken auf dem technischen Stand von vor über 100 Jahren?"

Mit heftiger Kritik kommentiert auch der Verkehrsexperte Klaus-Peter Gussfeld vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) die Hiobsbotschaft Dobrindts: "Die Bahnpolitik der Bundesregierung steht vor einem Scherbenhaufen. Oberschwaben bleibt für weitere Jahrzehnte benachteiligt", sagt Gussfeld und fügt hinzu: "Als Schall und Rauch erweisen sich alle vollmundigen Versprechungen, Oberschwaben werde von Stuttgart 21 unmittelbar profitieren." Statt attraktive, schnelle und umsteigefreie Verbindungen vom Bodensee über Ulm und die Neubaustrecke nach Stuttgart zu realisieren, würden die Reisenden auch künftig mühsam umsteigen müssen, oder es würden zeitaufwendige Lokwechsel in Ulm erforderlich. Aufgrund des immensen Finanzierungsbedarfs von Stuttgart 21 drohen nach Einschätzung des Kritikers weitere wichtige Projekte wie der viergleisige Ausbau der Rheintalbahn Karlsruhe–Freiburg–Basel, die Realisierung einer Bodensee-S-Bahn und der Ausbau der teilweise noch eingleisigen Gäubahn Horb–Singen auf unbestimmte Zeit verschoben zu werden. Damit schädige Stuttgart 21 zahlreiche Landesteile nachhaltig.

Die CDU-Granden sind immer noch guter Hoffnung

In der ganzen Aufregung um den vorhersehbaren Aufschub der Südbahn-Elektrifizierung reagieren die südwürttembergischen Bundestagsabgeordneten der CDU erstaunlicherweise gelassen. Flott ausgedrückt sei das, was der Landesverkehrsminister Hermann behaupte, dass nämlich der Bund das Südbahnprojekt gefährde, Kokolores. Thomas Bareiß (Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen), Lothar Riebsamen (Bodensee), Andreas Schockenhoff (Ravensburg), Josef Rief (Biberach), Waldemar Westermayer (Ulm) und Heinz Wiese (Ehingen) verbreiten stattdessen in einer gemeinsamen Mitteilung: "Der Bund steht ohne Wenn und Aber zur Südbahn." Allerdings: Erst wenn die Kosten feststünden, könne der Bund die vom Land gewünschte Finanzierungszusage erteilen. Das sei aber vor Abschluss der laufenden Genehmigungsverfahren nicht machbar. Die Südbahn-Elektrifizierung werde zuerst mit den zugesagten Landesmitteln in Höhe von 50 Prozent der Baukosten begonnen. Dafür stünden die von Hermann erwähnten 90 Millionen Euro im Landeshaushalt bereit. Anschließend, so die Argumentation der Abgeordneten, werde mit Geld vom Bund finanziert.

Wenn's denn so käme, wäre die ganze Aufregung tatsächlich überflüssig. Indes, die Sache mit den Kosten und ihrer Verteilung auf Bund und Land ist etwas komplizierter als von den CDU-Parlamentariern dargelegt. Sie gehen von 180 Millionen Euro Gesamtkosten aus. Diese Zahl ist jedoch schon ziemlich alt und deshalb überholt. Inzwischen sprechen die Planer von Kosten im Umfang von 226 Millionen Euro. Dass der Bund freilich bereit ist, über seinen bisher vereinbarten Anteil von 90 Millionen Euro hinaus noch einmal knapp 50 Millionen Euro zu zahlen, ist kaum anzunehmen.

Obwohl die Finanzierung von Bundesschienenwegen Sache des Bundes ist, hat sich in Baden-Württemberg (siehe Strecke Wendlingen–Ulm) eine Vorfinanzierungsmentalität eingeschlichen. Ein Umstand, den der Bund gerne für sich nützt, der das Land aber teuer zu stehen kommt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat zwar kürzlich bei der Bereisung des Bodenseekreises bekundet, das Land gebe außer den zugesagten 90 Millionen Euro keinen zusätzlichen Cent. Doch da ist wohl das letzte Wort noch nicht gesprochen. Als Oberschwabe müsste Kretschmann eigentlich alles tun, damit das Projekt Südbahn endlich auf die Gleise gestellt werden kann. Sozusagen nach dem Motto: Koste es, was es wolle.


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18 Kommentare verfügbar

  • Dafür ist es dem Daimler jetzt gelungen,
    am 04.09.2014
    Antworten
    erstmals ein Auto mit mehr Einfühlungsvermögen als beim Menschen vorhanden, zu bauen. Gut: in Stuttgart. Nadddiierrrlich.
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