KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Weg vom Fleischtopf

Weg vom Fleischtopf
|

Datum:

Erst berichteten Kontext und andere Medien über die mutmaßliche Ausbeutung osteuropäischer Arbeitskräfte beim Brettener Tierfutterproduzenten Deuerer GmbH. Danach kamen Polizei und Staatsanwaltschaft zur Razzia. Jetzt reagiert auch Firmeninhaber Hans-Jürgen Deuerer: Sein Unternehmen verzichtet künftig auf Werkvertragsarbeiter.

Die Pressemitteilung ist außergewöhnlich lang – und sie ging an ausgewählte Adressaten. Persönliche Post von der Tiernahrung Deuerer GmbH erhielten am vergangenen Freitag vor allem Journalisten von Medien, die kritisch über das mittelständische Unternehmen mit Sitz im badischen Bretten berichtet hatten. So landete eine Deuerer-Mail auch im Redaktionspostfach von Kontext mit der bedeutungsvollen Betreffzeile "Tiernahrung Deuerer hebt mit sofortiger Wirkung Werkverträge auf". 

Nach einem aufsehenerregendem Polizeieinsatz und bundesweit negativem Medienecho hat sich Firmeninhaber Hans-Jürgen Deuerer dazu durchgerungen, den von Betroffenen als Ausbeutung empfundenen Arbeitsverhältnissen in seinen Produktions- und Lagerhallen einen Riegel vorzuschieben. <link http: www.kontextwochenzeitung.de gesellschaft frueher-hiess-das-sklaverei-2007.html _blank>Wie berichtet, beschäftigte das Unternehmen immer weniger eigene Arbeitskräfte, zuletzt rund 400 Mitarbeiter. Im Gegenzug waren beim größten Brettener Unternehmen immer mehr Werks- und Leiharbeiter in Produktion und Lagerhaltung im Einsatz. Nach Angaben der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) stellten drei Personaldienstleister zuletzt bis zu 900 Arbeitskräfte, die vor allem in Polen, Ungarn und Rumänien angeworben wurden. Neben kargem Lohn nach Akkord und überlangen Arbeitszeiten beklagten Betroffene auch die unwürdige Unterbringung in spartanischen Sammelunterkünften, für deren Miete ihnen mehrere Hundert Euro vom Lohn abgezogen wurden. Nach Recherchen des örtlichen Online-Mediums <link http: www.nadr.de mein-name-ist-hase _blank>nadr.de gehört Firmenchef Deuerer über eine Immobiliengesellschaft selbst eines der Gebäude, in denen Leiharbeiter derart untergebracht sind. 

"Auf grenzwertige Art angegangen"

Laut Mitteilung verzichtet die Deuerer Tiernahrung jetzt seit Kurzem auf den Einsatz von Werkverträgen. Nach massiven Vorwürfen insbesondere gegen einen Personaldienstleister trenne man sich von dem ungarischen Werkvertrag-Unternehmen G. Müller Kft, heißt es in der Pressemitteilung. In einem ersten Schritt werden 60 Mitarbeiter des Personaldienstleisters bei der von Deuerer neu gegründeten PFP Pet Food Packaging GmbH fest angestellt. Weitere 300 Mitarbeiter hätten ein Angebot der Personalvermittlerfirma Boetronic GmbH erhalten. Sie sollen mindestens bis Mitte 2015 als Leiharbeiter bei PFP Pet Food Packaging eingesetzt werden. Bis dahin soll die Verpackung des Tierfutters automatisiert sein. Dazu investiert das Unternehmen rund 30 Millionen Euro in den Bau eines Logistikzentrums am neuen Firmenstandort im Brettener Industriegebiet Rüdtwald im Ortsteil Gölshausen. Für den Betrieb des Logistiklagers genügen künftig voraussichtlich 80 Mitarbeiter, die fest angestellt werden sollen. Laut Mitteilung will das Unternehmen im Laufe des Jahres darüber hinaus rund 50 weitere Mitarbeiter in anderen Bereichen anstellen.

Dass Hans-Jürgen Deuerer nicht von sich aus handelte, sondern erst auf Medienberichte und öffentlichen Druck reagiert, lässt sich aus der seitenlangen Pressemitteilung herauslesen. "Wir wurden teilweise auf grenzwertige Art angegangen und dabei auch für Dinge verantwortlich gemacht, die wir nur sehr eingeschränkt gestalten können. Deshalb haben wir jetzt die Konsequenzen gezogen und den Einsatz von Werkverträgen beendet", heißt es in einem Absatz. Doch nicht nur "Grenzwertiges" dürfte das Unternehmen, zu dessen Kunden viele Discounter- und Supermarktketten gehören, zum Handeln gezwungen haben. Höchst ungelegen dürfte dem Unternehmen auch eine Razzia gekommen sein, die auf Weisung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe am 18. Mai stattfand.

Ein erster Schritt in die richtige Richtung

Rund 80 Polizeibeamte filzten an diesem Sonntag zeitgleich das Deuerer Firmengelände in Gondelsheim sowie Büros der eingesetzten Zeit- und Leiharbeitsfirmen in Bretten. Der Durchsuchungsbeschluss wurde wegen des Verdachts auf Verstöße gegen Arbeitszeitgesetze und das Arbeitsverbot an Sonn- und Feiertagen ausgestellt. Zudem ging nach der Kontext-Reportage "Früher hieß das Sklaverei" bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige gegen die verantwortliche Personaldienstleister-Agentur ein. Das Verfahren wurde inzwischen an die Karlsruher Kollegen abgegeben. "Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen", heißt es bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe.

Der nun von Deuerer erklärte Verzicht auf Werkverträge trifft bei Arbeitnehmervertretern auf Zustimmung. "Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung", sagt NGG-Gewerkschaftssekretär Christian Schick. Weitere müssten folgen, etwa die Aufstockung der Stammbelegschaft. "Ziel ist, dass alle Leiharbeiter übernommen werden", fordert Schick. Leisten kann sich dies der Familienbetrieb, der vor 25 Jahren als örtliche Metzgerei begann, aus Sicht seiner Kritiker. Inzwischen zählt die Deuerer Tiernahrung GmbH zu den größten Katzen- und Hundefutterherstellern Europas und erzielte zuletzt rund 250 Millionen Euro Jahresumsatz. Fast die gesamte Produktion geht europaweit an Supermärkte und Discounter, die diese unter ihren jeweiligen Eigenmarken vertreiben.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


6 Kommentare verfügbar

  • cactus
    am 29.07.2014
    Antworten
    Beim letzten Sperrmüll waren die Auswirkungen der Aufräumaktionen in Gondelsheim deutlich zu sehen. wann wirft schon mal ein einzelner Haushalt 30!!! Matratzen und diverse Doppelstockbetten weg? Gesehen und fotografiert an einem Haus mit Exceltabelle am Briefkasten.

    @ Helmut Lang
    Die sogenannten…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!