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EnBW-Deal: Anwaltskanzlei auf Anklagebank

EnBW-Deal: Anwaltskanzlei auf Anklagebank
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Freunde werden sie in diesen Leben nicht mehr, Stefan Mappus und sein ehemaliger juristischer Berater Martin Schockenhoff. Ganz im Gegenteil: Es ist Feststellungsklage eingereicht beim Landgericht. Mit der soll die Stuttgarter Rechtsanwaltskanzlei Gleiss Lutz, für die Schockenhoff tätig ist, verpflichtet werden, dem früheren Ministerpräsidenten "sämtliche Schäden" zu ersetzen, die ihm aus dem EnBW-Deal bereits entstanden sind oder noch entstehen werden.

Wenn sich Stefan Mappus ärgert, kriegt er einen dicken Hals. An diesem Vormittag Mitte Juni 2013 ärgert sich der Pforzheimer besonders. Zum zweiten Mal ist er vor jenen Untersuchungsausschuss geladen, der den milliardenschweren EnBW-Aktienrückkauf vom französischen Staatskonzern EDF durch das Land unter die Lupe nimmt. Alle wichtigen Zeugen sind damals schon einmal vernommen zu dem Deal. Auf besonders schlankem Fuß hatte Martin Schockenhoff den Landtag verlassen. Der Advokat bestand darauf, dass ihm und seinen Kollegen keine Beratungsfehler anzulasten sind.

Das bringt den früheren Ministerpräsidenten ihn Rage. Bei keiner einzigen Gelegenheit, sagt er, sei über das Risiko des Transaktion per Notbewilligungsrecht am Parlament vorbeidiskutiert worden, und nimmt für sich in Anspruch, dass er vom Geschäft bei entsprechenden Hinweisen sofort die Finger gelassen hätte. Und später: Er hätte erwartet, dass der Rechtsberater auch von sich aus auf Risiken hinweist. Und noch später spricht er von einer "Riesensauerei" und von einer Revolverstory, die erzählt werde. Es habe keine Warnungen gegeben, stattdessen sei "bei mehrfachen Gelegenheiten" versichert worden, dass der Erwerb der Anteile an der EnBW allein durch den Finanzminister möglich sei.

Mappus hat Zeugen an seiner Seite

Wie so renommierte Anwälte versuchten, "sich aus dem Staub zu machen, ist peinlich", poltert Mappus und kann Zeugen beibringen, allen voran den ehemaligen Minister im Staatsministerium, Helmut Rau (CDU). Der hatte im Untersuchungsausschuss ebenfalls zu Protokoll gegeben, dass er sofort gegen den Rückkauf gewesen wäre, hätte es verfassungsrechtliche Bedenken gegeben. Am entscheidenden 30. November 2010 fand sogar ein Gespräch unter vier Augen zwischen Rau und Schockenhoff statt. "Als Warnung", so der Ex-Minister, "konnte ich das Gesagte beim besten Willen nicht interpretieren."

Die Kanzlei reagiert kühl – "Es gibt keine Grundlage für Ansprüche gegen Gleiss Lutz" – und steht doch mit im Zentrum der vielschichtigen Affäre, die nicht nur Mappus und seinem Banker-Freund Dirk Notheis (damals Deutschlandchef der amerikanischen Investment-Bank Morgan Stanley), sondern auch der baden-württembergischen CDU so schwer zu schaffen macht. Das Stuttgarter Kanzleiunternehmen ("Neben die rechtliche Beurteilung tritt wirtschaftlicher Sachverstand, dadurch bringen wir Projekte effizient und erfolgreich ans Ziel"), gegründet 1949 von Alfred Gleiss, gehört seit Langem zu den ganz großen Namen in der Branche. Lothar Späth verlieh dem Wettbewerbsrechtler, der nach dem Zweiten Weltkrieg im württembergischen Wirtschaftsministerium gearbeitet hatte, Anfang der Achtzigerjahre ordensgleich den seltenen Professorentitel des Landes.

Heute arbeiten 300 Anwälte, davon ein knappes Drittel Partner, an sieben Standorten. Die Insolvenz der "Frankfurter Rundschau" wurde ebenso begleitet wie der Luft-und-Raumfahrt-Riese EADS bei der Neuordnung seiner Aktionärsstruktur. Als die "Wirtschaftswoche" 2012 die Justiziare der 1500 größten deutschen Unternehmen und der hundert größten Banken und Versicherungen befragt, wen sie in Notsituationen beauftragen würden, nennen 21 Prozent Gleiss Lutz: Platz eins, verziert mit der Bestnote 1,7 unter den 50 größten in Deutschland aktiven Konkurrenten. Erst jüngst verhilft die Kanzlei Ritter Sport zu einem vorläufigen Sieg über die Stiftung Warentest, im viel beachteten Rechtsstreit ums Aroma der Sorte Voll-Nuss. Die Eigenwerbung verspricht "Qualitätsbewusstsein, Innovationsfreude, höchste Leistungsbereitschaft, Zusammengehörigkeitsgefühl, Tradition", ferner ebenso praxisnahe wie kreative Lösungen. Und weiter: "Exzellenz ist unser Anspruch, Mandant und Mandat sind unsere Passion."

Der Auftrag war heikel, geheim und lukrativ

Beim EnBW-Aktienrückkauf hat Gleiss Lutz das Land nach eigenen Angaben "umfassend" beraten, will aber an der Festlegung des Kaufpreises nicht beteiligt gewesen sein. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart sah auch bisher keinen Grund, Ermittlungen aufzunehmen. Mit im Team waren neben Schockenhoff acht Anwälte, von außen hinzugezogen wurde unter anderen der frühere Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz, ein angesehener Staatsrechtler. Der Auftrag war heikel, geheim und lukrativ; gut 2,6 Millionen Euro sind als Honorar genannt. An Morgan Stanley sollen übrigens 13 Millionen Euro als Vermittlungsprovision geflossen sein.

Schockenhoff selber beschrieb bei seiner ersten Vernehmung im Landtag die Benennung von Risiken als Teil seiner Aufgabe. Zugleich aber zeichnet er von sich das Bild des zurückhaltenden, geradezu einfühlsamen Stichwortgebers. Im entscheidenden Moment obsiegt Letzterer: Als der Deal am 5. Dezember 2010 im Staatsministerium besiegelt werden soll mit der – später vom Staatsgerichtshof als verfassungswidrig gerügten – Unterschrift des bis zu diesem Sonntagabend völlig ahnungslosen Finanzministers Willi Stächele (CDU), da will der Rechtsberater keinerlei Anlass gesehen haben, den laut Verfassung entscheidenden Mann aktiv in die Problemlage einzuweihen. Weil, so erläutert der Anwalt den verdutzten Abgeordneten im Untersuchungsausschuss, aus Stächeles Rückfragen geschlossen habe werden können, dass dem sein Risiko sehr wohl bewusst gewesen sei.

"Mysteriöser Meinungsumschwung"

Der Internet-Infodienst für Wirtschaftsanwälte, Juve, wundert sich im Januar 2012 über "Gleiss Lutz' mysteriösen Meinungsumschwung". Nachvollzogen wird, wie "die heikle Frage, ob das Parlament der Transaktion zustimmen muss, zunächst relativ eindeutig bejaht" worden sei. Noch am 29. November 2010 habe sich "der federführende Partner Dr. Martin Schockenhoff" entsprechend geäußert. Juve zitiert aus dem mittlerweile berühmt gewordenen Mail-Verkehr mit Notheis: "Unsere Tendenz: Wenn der Kauf erfolgt, um den konkreten, akut drohenden Einstieg eines strukturell gefährlichen Aktionärs zu verhindern, ginge es eventuell ohne das große Gremium. Hier aber eher kein solcher Ausnahmefall. Deshalb Zustimmungsvorbehalt wohl erforderlich."

Nur einen Tag später schreibt Schockenhoff an die EDF-Anwälte das Gegenteil: "... we can do without the parliament proviso, the agreement can be approved by the finance minister only." Er gibt an, diese Lösung von Notheis serviert bekommen zu haben. Wenig elegant wurde der Weg im Nachhinein auch nur durch ein Gutachten, an dem Scholz beteiligt war, gestützt. Noch weniger elegant ist die Tatsache, dass sich die ausschlaggebende Mail mit der zentralen Botschaft, die Verfassungsrechtler von Gleiss Lutz würden den Weg absegnen, erst mit der gebührenden Verspätung von vielen Monaten auftaucht. Besonders elegant wäre es, wenn im Gegenzug vor Gericht alle Akteure – anders als im Untersuchungsausschuss – darauf verzichten würden, sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben. So halten Juristen mit Erfahrung im Beratungsgeschäft für plausibel, dass die Kanzlei tatsächlich vor allem eine Aufgabe hatte: den Plan zu unterfüttern, die ganze Aktion am Parlament vorbei abzuwickeln und erst in Nachhinein absegnen zu lassen, was die Fraktionen von CDU und FDP bereitwillig dann auch machten.

Mappus spielt mit dem Handy

Mappus jedenfalls will den Meinungsumschwung weder befördert noch verlangt haben. Er sitzt am 30. November 2010, wie er während seiner Aussagen mehrfach betont, in der letzten Schlichtungsrunde zu Stuttgart 21 im Rathaus der Landeshauptstadt und will dort "einer vertieften Einführung in deutscher Eisenbahnkunde" gelauscht haben. Das Video von der Live-Übertragung steht bis heute im Netz, zeigt allerdings einen Ministerpräsidenten, der immer wieder mit seinem Handy beschäftigt ist und offenkundig mehrere Nachrichten empfängt und selbst verschickt. Dem Ausschuss erzählt er, eine einzige Mitteilung am frühen Abend empfangen zu haben: Rückkauf auch ohne Parlament möglich.

Später wird er sagen, er sei schließlich nicht der Oberaufseher seiner Berater gewesen. Der neue Rechtsbeistand an seiner Seite, Bernd Schünemann, hat diese Sicht der Dinge Mitte Februar auf den Punkt gebracht: Sein Mandant sei nicht bereit, "sich für den Beratungsfehler einer Kanzlei im Wege einer Südenbockprojektion zur Schlachtbank führen zu lassen". Und ausdrücklich will der gewitzte Professor die juristische Beratung nicht von "der Art der Findung und der Überprüfung des Kaufpreises trennen".

Das könnte teuer werden. Der EnBW-Untersuchungsausschuss hat seine Arbeit am vergangenen Freitag abgeschlossen und fraktionsübergreifend Art und Ablauf des Geschäfts als inakzeptabel verurteilt. Die Preisbewertung dagegen bleibt uneinheitlich und diffus. Zwei Gutachter sind der Meinung, das Land habe zwischen 780 und 860 Millionen Euro zu viel berappt, einer hält die gezahlten fast fünf Milliarden für angemessen. Hans-Peter Villis, der ehemalige CEO der EnBW, der kürzlich meinte, der Ausschuss hätte besser den Namen Mappus und nicht den des Energieversorgers tragen sollen, teilt diese Ansicht. Er nennt die Summe fair und angemessen.

Ironischerweise wäre es für (fast) alle auf deutscher Seite Beteiligten praktischer, das von der grün-roten Landesregierung angerufene Internationale Schiedsgericht käme genau zu diesem Schluss nicht. Denn sollte die EDF zu viel Geld erhalten haben und die Steuerzahler einen Teil des Kaufpreises zurückbekommen, stünde der achte Ministerpräsident zwar als einer da, der sich hat über den Tisch ziehen lassen und/oder der sich nicht ausreichend sachkundig gemacht hat. Es würde wohl aber auch ein Schlussstrich gezogen.

Wenn nicht? Dann geht die Affäre weiter. Weil Mappus Ansprüche gegen Gleiss Lutz geltend macht, weil das Land seinerseits Ansprüche gegen Mappus geltend machen könnte. Neue Höhepunkte in einem wenig ruhmreichen Kapitel der Landesgeschichte – im Laufe der nächsten 24 Monate, in denen die Landtagswahl 2016, bei der die CDU die Macht zurückerobern will, immer näher rückt.


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9 Kommentare verfügbar

  • Berater beraten.
    am 01.08.2014
    Antworten
    Entscheider entscheiden. So einfach und klar.
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