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Showdown in Zürich

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Das bevorstehende Schiedsverfahren bei der Internationalen Handelskammer über den Preis der ehemaligen EnBW-Aktien könnte in Baden-Württemberg ein kleines Beben auslösen. Gewinnt die grüne-rote Landesregierung, muss sich Heinz Seiffert (CDU), der Chef der oberschwäbischen Landräte, die knapp die Hälfte der EnBW-Anteile besitzen, warm anziehen.

Ein ehemaliger Schulmeister und ein gelernter Verwaltungswirt repräsentieren die zwei Großaktionäre des drittgrößten deutschen Energiekonzerns. Der eine ist ein Grüner und Kernkraftgegner, der andere ein Schwarzer und  langjähriger Verfechter der Atomkraft. Ersterer ist Ministerpräsident von Baden-Württemberg und heißt Winfried Kretschmann, Zweiterer ist Landrat Heinz Seiffert, der von Ulm aus den Landkreis Alb-Donau regiert.

Die beiden Gesellschaften, für die die Männer stehen, besitzen jeweils 46,75 Prozent eines volkseigenen Betriebs namens Energie Baden-Württemberg AG (EnBW). Das Land hält seine Anteile über die landeseigene Neckarpri GmbH. Das zweite große Aktienpaket gehört neun oberschwäbischen Landkreisen, die sich in einem Zweckverband zusammengeschlossen haben, den Oberschwäbischen Elektrizitätswerken (OEW) samt angeschlossener GmbH.

Zum Zweckverband zählen die Landkreise Ravensburg (mit einem Anteil von 22 Prozent), Alb-Donau (21 Prozent), Bodensee (16 Prozent) und Biberach (elf Prozent) sowie die Kreise Freudenstadt, Reutlingen, Rottweil, Sigmaringen und Zollernalb (mit Anteilen von vier bis neun Prozent). Die Landräte dieser neun Kreise bilden den OEW-Verwaltungsrat. An dessen Spitze steht der Ulmer Landrat Heinz Seiffert. Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete ist damit einer der einflussreichsten Kreischefs der Republik.

Froschkuttel in Riedlingen und Fasnet-Tuba in Ehingen

Der MP und der Landrat haben noch etwas Weiteres gemeinsam. Vor allem in den kommenden Wochen wieder, wenn sie die "fünfte Jahreszeit" feiern, die oberschwäbische Fasnet. Winfried Kretschmann in seiner Heimatgemeinde Laiz, einem Ortsteil von Sigmaringen, oder in Riedlingen, wo er – wie seit Jahrzehnten – beim traditionellen Froschkuttelessen der Narrenzunft Gole derbe Lieder singen und einen Eintopf mit Innereien (Froschkutteln) essen wird – mit weiteren 300 Männern; Frauen sind ausgeschlossen.

Einige Kilometer donauabwärts wird Heinz Seiffert zur gleichen Zeit in kariertem Hemd in vorderster Reihe die Tuba einer Mate-Kapelle blasen. Und er wird mit viel Getöse und schräger Musik zum Zunftmeisterempfang in Ehingen marschieren. Wie seit über 30 Jahren. Und wenn ihn jemand mit "Grüß Gott, Herr Landrat" anspricht, wird er in seiner leutseligen Art antworten: "Saget Se net Landrat, sagte Se Seiffert zu mir." Aber mit vielen Menschen im Alb-Donau-Kreis ist der konservative, manche sagen erzkonservative Politiker ohnehin per Du.

Zunächst werden Kretschmann und OEW-Chef Seiffert aber noch gespannt nach Zürich schauen, wo es nichts zu Lachen gibt. Dort wird ein Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer vom 20. Januar an in nicht öffentlicher Sitzung über einen Milliardendeal verhandeln, den der Grüne für Betrug hält, weil Seifferts Parteifreund Stefan Mappus dem früheren Großaktionär Électricité de France SA (EdF) beim Kauf 2010 für dessen EnBW-Aktien rund 800 Millionen Euro zu viel bezahlt haben soll. Gegen den Ex-Ministerpräsidenten wird deshalb wegen Verdachts auf Untreue zulasten des Landes ermittelt.

Für Heinz Seiffert befindet sich der Preis "nach wie vor in einer vertretbaren Bandbreite". Das Land solle ihn "endlich akzeptieren und sich mit uns bei der EnBW auf die Sacharbeit konzentrieren", sagt der OEW-Chef und EnBW-Aufsichtsrat. Schon 2012 hatte er sich in dieser Frage mit Kretschmann angelegt und mit rechtlichen Schritten gedroht. Die Klage gegen die EdF vor der Handelskammer, so der Ulmer Landrat, sei überflüssig und schädlich für das Image der EnBW. Als Miteigentümer könne er "nicht stillschweigend zuschauen, wie der Wert unseres Unternehmens infrage gestellt wird". Seiffert fordert eine Erklärung dafür, warum das Land den ganzen EnBW-Deal notfalls sogar rückabwickeln wolle, falls es keinen Schadenersatz gibt.

Die Schlacht um die zu viel bezahlten Millionen

Als der Konflikt Ende vergangenen Jahres wieder aufflammt, ist Winfried Kretschmann stinksauer. Es sei "unerfindlich, warum Landrat Seiffert solche Aussagen macht", erklärt der MP. Auch Jürgen Filius, der Vize im EnBW-Untersuchungsausschuss des Landtags, ist empört. Selbst wenn Seiffert interessiert sei, so der grüne Ulmer Landtagsabgeordnete, "die EnBW-Aktien möglichst hoch zu bewerten", sei der Landrat dem Land zu Loyalität verpflichtet.

Die Schlacht um die zu viel gezahlten Millionen wird inzwischen auch mit Gutachten und Gegengutachten sowie diversen Enthüllungen in den Medien geschlagen. Zuletzt zitierten die "Stuttgarter Nachrichten" aus Pariser Vernehmungsprotokollen. Danach hat Stefan Mappus mit seiner Behauptung, es bestehe Handlungsdruck, da die EdF ihren EnBW-Anteil an einen ausländischen Investor verkaufen wolle, die Öffentlichkeit belogen.

Wie von den Franzosen gewünscht, hatte das Land 40 Euro sowie 1,50 Euro Dividende pro Aktie bezahlt, zusammen knapp fünf Milliarden Euro, von denen Baden-Württemberg jetzt einen Teil wieder zurückhaben möchte. Das Geschäft war, so ein Urteil des Staatsgerichtshofs, verfassungswidrig, da Mappus das Parlament übergangen hatte.

Die Darstellung der Pariser EdF-Manger bestätigt auch der frühere EnBW-Chef Gerhard Goll. Gegenüber Kontext sagte er, die Franzosen hätten nicht verkaufen wollen; es hätte sich auch nie ein Kaufinteressent in Paris gemeldet. Die EdF-Spitze, die dem Land im Jahr 2000 dessen EnBW-Anteil (damals 25 Prozent) für 2,4 Milliarden Euro abgekauft hatte, sei überrascht gewesen von der Kaufabsicht. Mappus habe erklärt, er wolle den Energiekonzern wieder zu einem regionalen Konzern machen. "Diesen Wunsch hatten die OEW-Landräte immer wieder geäußert, auch zu Zeiten von Ministerpräsident Günther Oettinger", berichtet Gerhard Goll. Man habe damals schon darüber diskutiert, ob ein Rückkauf über die LBBW oder direkt vom Land finanziert werden könnte.

Mittlerweile ist der Wert der EnBW stark gesunken. Und damit auch der der Neckarpri, was die Gesellschaft und deren Wirtschaftsprüfer bestätigen. Eine Abschreibung dieser Wertminderung müsse man jedoch nicht vornehmen, da das Land über eine Wertgarantie für einen möglichen Verlust bürgt.

Die Angst der Oberschwaben vor dem Schiedsgericht

Die Dividende der EnBW hat sich auf 0,85 Euro nahezu halbiert. Das führte bei der landeseigenen Neckarpri für das Geschäftsjahr 2012/2013, das Ende Juni endet, zu einem Verlust von 16 Millionen (Vorjahr: 26 Millionen) Euro. Klar ist, dass das Land seine Zins- und Tilgungsverpflichtungen beim EnBW-Deal künftig nie und nimmer aus der Dividende des Unternehmens bezahlen kann, wie es Stefan Mappus einst versprochen hatte. Nicht einmal für die Zinsen würde es reichen.

Es sei denn, Kretschmann würde vor dem Schiedsgericht in Zürich einen Erfolg davontragen. "Dann könnte die Landesregierung ihre Energietochter Neckarpri auf einen Schlag um eine hohe Summe entschulden", sagt ein Kenner des Konzerns. Und der Druck auf die EnBW, hohe Dividenden auszuzahlen, wäre weg. Die EnBW hätte wieder etwas mehr Spielraum für dringend erforderliche Investitionen in ihre eigene Energiewende. Und Kretschmann könnte im kommenden Wahlkampf auf die Fortschritte des Energiekonzerns bei regenerativen Energien verweisen.

Doch die oberschwäbischen Landräte können sich eine noch niedrigere Dividende kaum leisten. Laut dem vor einem<link http: www.kontextwochenzeitung.de macht-markt haende-hoch-in-haigerloch-1269.html _blank> halben Jahr in Haigerloch verabschiedeten und erst jetzt veröffentlichten Jahresabschluss 2012 konnte die OEW GmbH die für 2013 vorgesehene Tilgung von Bank- und Gesellschafterschulden des Zweckverbands nur noch teilweise aus der EnBW-Dividende bestreiten. Vorsichtig geschätzt, so ein Insider, musste sie dafür rund 50 Millionen Euro an flüssigen Mitteln und Wertpapieren einsetzen. Die Zahl bestätigt ein Stuttgarter Wirtschaftsprüfer, dem Kontext die Bilanz vorgelegt hat.

"Wenn die EnBW 2014 keine Dividende für das Jahr 2013 auszahlen würde, käme die OEW-GmbH in ernste Schwierigkeiten", sagt der Experte. Es sei denn, die Gesellschafter, also die Landkreise, würden erneut viel Geld zuschießen sowie auf die vorgesehene Tilgung der eigenen Kredite an die OEW GmbH und auf Zinszahlungen verzichten. Die EnBW, so der Wirtschaftsprüfer, müsste schon eine Dividende von 1,70 Euro pro Aktie auszahlen, wenn die OEW GmbH ihren Verpflichtungen 2014 allein aus der Dividende des Energiekonzerns für 2013 nachkommen will. Doch dies ist illusorisch, denn der EnBW-Chef Frank Mastiaux rechnet selbst mit einem weiteren Rückgang des Ertrags.

Wenn Kretschmann in Zürich verlieren sollte ...

Die OEW GmbH werde ein Bewertungsproblem bekommen, warnt der Wirtschaftsprüfer zudem. "Ein vorsichtiger Kaufmann würde wohl schon jetzt handeln und den Beteiligungsbuchwert an der EnBW abschreiben, denn es könnte bereits eine dauerhafte Wertminderung eingetreten sein."

Die OEW ist unter diesen Umständen für die oberschwäbischen Landkreise kein Goldesel mehr. Im Gegenteil: Mittelfristig könnten große Belastungen auf die Kreise zukommen. Damit müssen sie die seither extrem geringen Zahlungen der Städte und Gemeinden in den neun Landkreisen ans Landratsamt, die Kreisumlage, weiter erhöhen, wie jüngst Seifferts Alb-Donau-Kreis. Der finanzielle Spielraum der Kommunen wird damit geringer. Und die Popularität von Heinz Seiffert vielleicht auch. Falls Kretschmann und die grün-rote Landesregierung aber in Zürich verlieren sollten, haben sie ein Finanz- und ein Wahlkampfproblem.


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1 Kommentar verfügbar

  • peterwmeisel
    am 15.01.2014
    Antworten
    Die Darstellung der Pariser EdF-Manger bestätigt auch der frühere EnBW-Chef Gerhard Goll. Gegenüber Kontext sagte er, die Franzosen hätten nicht verkaufen wollen; es hätte sich auch nie ein Kaufinteressent in Paris gemeldet.
    Der andere Satz ist falsch: "Wie von den Franzosen gewünscht, hatte das…
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