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Ganz nach Schema M

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Zum jüngsten Bahngipfel Baden-Württemberg kam Bahnchef Rüdiger Grube in Spendierlaune. Die Ankündigung, in den nächsten Jahren über acht Milliarden Euro in den Ausbau der Eisenbahn im Südwesten pumpen zu wollen, kam beim Ministerpräsidenten wie bei den Medien gut an. Dabei sollten derartige Geschenke misstrauisch machen, gerade wegen Stuttgart 21.

"Bahn investiert kräftig im Südwesten", fast wortgleich verkauften die hiesigen Printmedien das Ergebnis des jüngsten baden-württembergischen Bahngipfels ihren Lesern. Bahnchef Rüdiger Grube war am 5. Juni in die Stuttgarter Staatskanzlei gekommen, um mit der Landesregierung über die Zukunft des Schienenverkehrs zwischen Main und Bodensee zu sprechen. Mitgebracht hatte er einen großen Sack, aus dem er dem grünen Hausherrn Winfried Kretschmann milliardenschwere Geschenke auftischte. In den nächsten fünf Jahren will der Bundeskonzern im Ländle 7,3 Milliarden Euro in das Schienennetz, 130 Millionen in Umspannwerke und Oberleitungen sowie 680 Millionen Euro in die Modernisierung von 64 Bahnhöfen stecken. Zudem kündigte Grube an, 300 Millionen Euro für neue Intercity-Waggons insbesondere auf den Linien Stuttgart-Zürich und Karlsruhe-Stuttgart-Nürnberg locker zu machen.

"Ja, ist denn jetzt schon Weihnachten?", würde Franz Beckenbauer fragen. Nein, sondern bald Bundestagswahl. Der Verdacht liegt nahe, dass Grube im Auftrag der Bundesregierung die Spendierhosen anzog, um dem politischen Gegner ein heißes Wahlkampfthema madig zu machen. Nämlich das, wonach Stuttgart 21 andere Schienenprojekte im Land kannibalisiert. Ganz nach Schema M: so wie es kurz zuvor Kanzlerin Merkel gemacht hatte mit Steinbrücks Sozialdemokraten, als sie Mütterrente, Kinderfreibetrag und Mieterschutz versprach. Freilich ohne zu verraten, wer die milliardenschweren Wahlgeschenke bezahlt.

Misstrauisch machen könnte bei der Stuttgarter Geschenkeparty auch die gemeinsame Vorgeschichte von Schenkendem und Beschenktem. Hatte Grube nach der jüngsten Kostenexplosion bei Stuttgart 21 nicht vehement vom grünen Ministerpräsidenten Geld (ohne Ende) verlangt? Hatte derselbe Bahnchef nicht angekündigt, man werde das Land vor den Kadi zerren, um die fehlenden Milliarden für den umstrittenen Tiefbahnhof zusammen zu bekommen? Nachdem die Sprechklausel den störrischen Projektpartner nicht gefügig machte. Und hatte der Messias aus dem Bahn-Tower nicht weitere 224 Millionen Euro für einen zusätzlichen Flughafen-Halt gefordert, um die S 21-Murksplanung auf den Fildern (z.B. Halt von Fernzügen in S-Bahn-Station) wenigstens ein wenig zu verbessern. Als Grube auch dabei abblitzte, erklärte S 21-Projektsprecher Wolfgang Dietrich trotzig den Murks zum Optimum, den man auch ohne das Land bauen werde.

Doch Pleiten und Pannen bei Stuttgart 21 blieben beim Bahngipfel ausgeblendet. In der Staatskanzlei und auch in der Medienberichterstattung. Obwohl Tunnelbahnhof und Neubaustrecke Wendlingen - Ulm die meisten Mittel der großen Investitionsoffensive aufsaugen. Zeitungen wie Rundfunk machten sich keine Mühe, kritische Stimmen zur überraschenden DB-Wohltätigkeitsveranstaltung einzuholen. "Die Aussagen von Bahnchef Grube hören sich zwar gut an - beinhalten jedoch keinerlei finanzielle Substanz", monierte dagegen der ökologische Verkehrsclub Deutschland (VCD). Schließlich investiere die Deutsche Bahn nicht eigenes Geld in Bahnstrecken, sondern Mittel des Bundes, erinnerte der VCD. "Für die Rheintalbahn ist erst eine Milliarde Euro an Bundesmitteln bis 2020 zugesagt, obwohl weitere vier bis sechs Milliarden Euro für die Fertigstellung dieses schon 1987 begonnenen Projektes notwendig sind", stellt der VCD-Landesvorsitzende Matthias Lieb klar.

Die für den Gütertransitverkehr wichtige Rheintalbahn werde damit aus VCD-Sicht erst nach 2040 fertig gebaut sein. "Auch für Ausbau von Gäubahn und Südbahn gibt es noch keine Finanzierungsvereinbarung", erinnert Lieb. Vor kurzem hatte die Bahn zwar ein neues Fahrplankonzept für die Gäubahn angekündigt, das ab Dezember 2017 doppelt so viele schnelle IC-Verbindungen zwischen Stuttgart und Zürich vorsieht. In IC-Zügen sollen auch Nahverkehrstickets gelten. Warum auf der Strecke erst kürzlich IC-Verbindungen gestrichen und Reisende mehr als vier Jahre auf wieder mehr Verbindungen warten müssen, auf diese Fragen lieferte der Bahngipfel keine Antworten. 

Zwar drängt Landesverkehrsminister Winfried Hermann darauf, mehr Züge bereits ab Dezember 2015 auf die Strecke zu schicken. Ausgebremst wird dieses Ansinnen beispielhaft im Bahnhof Bondorf durch eine fehlende Bahnsteigunterführung - über deren Finanzierung sich Bahn und Land bislang streiten. Wie mehr IC-Züge fahrplanstabil in die größtenteils eingleisige Strecke einzubetten sind, bleibt ein weiteres Geheimnis, das nicht gelüftet wurde. Nicht viel besser sieht es auf der Südbahn zwischen Ulm und Lindau aus. Zwar liegen die Planfeststellungsunterlagen inzwischen beim Eisenbahn-Bundesamt. Mit Abschluss des Verfahrens wird im zweiten Halbjahr 2014 gerechnet. Wann das Geld für die Elektrifizierung der Strecke beisammen ist, steht aber mal wieder in den Sternen, nachdem die einst auf 140 Millionen Euro taxierten Kosten jüngst auf knapp 235 Millionen Euro hochgeschnellt sind.

Nicht am Gutmenschentum des Bahnchefs liegt es, dass - erst in gefühlt einer halben Ewigkeit - neue IC-Züge im Südwesten rollen sollen. Vielmehr gilt die Fernzugflotte der Bahn als total überaltert, so dass sich Ersatzinvestitionen nicht weiter hinausschieben lassen. Beleg dafür ist das Wagenmaterial der schweizerischen und österreichischen Bundesbahnen, das heute auf vielen IC-Verbindungen leihweise für die Deutsche Bahn rollt. Auch zu den versprochenen Bahnhofsmodernisierungen hätten Kritiker viel zu sagen. Fakt ist, dass die Bahn dabei fast immer auch die Kommunen kräftig zur Kasse bittet. Die Stationspreise, die vor allem das Land als großer Zugbesteller im Regionalverkehr bezahlt, vereinnahmt die Bahn jedoch seit jeher zu 100 Prozent selbst.

"Erst wenn der Bund tatsächlich durch den Abschluss von Finanzierungsvereinbarungen mit Fertigstellungsterminen vor 2020 zu erkennen gibt, dass er gewillt ist, das Eisenbahnnetz in Baden-Württemberg zeitnah auszubauen, ist der Vorwurf der Kannibalisierung durch Stuttgart 21 widerlegt", schlussfolgert Lieb. Bislang spreche leider wenig für die Bereitschaft des Bundes, neben den Geldern für Stuttgart 21 und die Neubaustrecke nach Ulm größere Finanzmittel vor 2020 im Südwesten zu investieren.

Derartige Analysen verschwiegen die Jubelberichte der Presse. Stattdessen gab es wohlwollende Kommentare. Den Vogel in Sachen (Bahn-)Hofberichterstattung schoss die Stuttgarter Zeitung ab. Deren landespolitischer Redakteur verstieg sich in seinem Kommentar dazu, die widerlegte These vom Kannibalisierungseffekt des Milliardenprojekts Stuttgart 21 am Gesichtsausdruck von Verkehrsminister Hermann ablesen zu können: "Vielleicht konnte er deshalb nicht lächeln. (...) Öffentlich Einverständnis zu zeigen, das fällt dem Stuttgart-21-Widersacher immer noch schwer", hätte kein Werbetexter besser als der StZ-Autor formulieren können.

Dabei verfügt gerade Hermann aus seiner Zeit als Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag über reichlich Erfahrung, was alles von der Bahn schon angekündigt und wie wenig letztlich realisiert wird. Eine traurige Figur machte im Übrigen Winfried Kretschmann, indem er Bahnvorstand Grube die Gipfelbühne für einen medial erfolgreichen Auftritt überließ. Dass es auch anders geht, bewies jüngst die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. Die CDU-Regierungschefin ließ im April den Bahngipfel im Saarland kurzfristig platzen - weil Bahnchef Rüdiger Grube ein vor der Landtagswahl 2012 gegebenes Versprechen, mehr Bahn-Arbeitsplätze an der Saar schaffen zu wollen, bis jetzt nicht eingelöst hat.


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