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Der Ökostrom-Nepp

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Die meisten Stromanbieter haben auch "Ökostrom" im Angebot – mit Siegel, versteht sich. Da viele davon aber keine hohen Ansprüche haben, trägt kaum eines dieser Stromprodukte zur Energiewende bei. Zeigen lässt sich das an einem Beispiel aus Calw.

Ein Hirschkopf vor einem Panorama grüner Hügel, Berge und Täler: Wer den Internetauftritt von Schwarzwald Energy aufruft, blickt zunächst auf eine Idylle. "Ihr Ökoanbieter aus dem Schwarzwald", heißt es gleich, kurz darunter lautet eine Überschrift aber: "Dein Ökoanbieter aus dem Schwarzwald", obwohl im dazugehörigen Text wieder gesiezt wird: "Gemeinsam mit Ihnen – aus dem Schwarzwald für den Schwarzwald und natürlich für ganz Deutschland." Ein ganzes Segment des Internetauftritts beschäftigt sich mit "New Energy". Sogar eine Erklärung, wie aus der Kraft des Wassers Strom gewonnen wird, findet sich, zusammen mit dem Bild einer entsprechenden Anlage.

Wer sich weiter durchklickt, stößt auf Passagen, die für Glaubwürdigkeit und Engagement stehen sollen: "Unser schwarzwald strom [Gemeint ist: Schwarzwald-Strom; R.H.] wird nach modernsten Umweltstandards aus 100% Wasserkraft in besonders nachhaltigen und zertifizierten Wasserkraftanlagen produziert." Und: "Ökostrom ist nicht immer gleich Ökostrom. Wer 'echten' Naturstrom beziehen möchte, sollte auf die Gütesiegel der jeweiligen Ökostromanbieter achten. Diese geben sowohl über Herkunft als auch über die Zusammensetzung der Energie Auskunft. Unser schwarzwald strom wird in besonders nachhaltigen, TÜV Süd EE zertifizierten Wasserkraftanalgen mit modernsten Umweltstandards produziert." Bei den "5 Gründen, zu uns zu wechseln" wird sogar verkündet: "Sie beteiligen sich aktiv an der Energiewende."

Viel Schwarzwald-Fassade, wenig ökologischer Nutzen

Doch all das ist, wie so oft im Stromsektor, vor allem schöner Schein. Schwarzwald Energy ist im November 2013 gegründet worden. Es handelt sich allerdings nicht um einen Neuling, der sich der Energiewende verschrieben hat, sondern um eine Tochterfirma der Energie Calw GmbH, die wiederum der Stadt Calw und dem staatlichen Energiekonzern EnBW gehört. Das Ziel der Firma ist es offensichtlich, die bundesweite Ökostrom-Welle zu reiten. Der Strompreis ist bei Schwarzwald Energy relativ billig. So hat es die Firma geschafft, rund 17 000 Strom- und GaskundInnen zu ergattern, wie sie im November 2018 in ihrem Wirtschaftsplan für 2019 festhielt. Als Ziel wurde ausgegeben, Ende 2019 zusätzliche 2500 Anschlüsse zu beliefern.

Diese Zahlen zeigen, dass Schwarzwald Energy ein sehr kleiner Stromanbieter ist. Wie kann sie da mit einem relativ niedrigen Preis in die bundesweite Konkurrenz eintreten, wo es Tausende Stromtarife gibt, und noch dazu etwas für die Energiewende tun? Die Antwort: In Deutschland ist Energiewende-Nepp an der Tagesordnung, und das seit Jahren.

"Deutsche Stromanbieter beziehen Ökostrom überwiegend aus dem europäischen Ausland", hält Christina Wallraf fest, Referentin für Energiemärkte bei der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Sie ist zu dem Schluss gekommen, dass die allermeisten Ökostrom-Angebote so gut wie nichts bringen. Meistens wird nämlich aus dem Ausland Ökostrom bezogen, der dort sowieso produziert worden wäre. Wasserkraftwerke sind eine alte Technologie und seit vielen Jahren eine Quelle des Strom-Mixes in vielen Ländern. Der dort erzeugte Strom wird vor Ort aber nicht unbedingt als Ökostrom vermarktet. Diese Vermarktung kann über sogenannte Herkunftsnachweise nach Deutschland erfolgen. Sie erlauben einem Stromanbieter, auf dem deutschen Markt damit zu werben, sie lasse irgendwo in Europa Ökostrom ins Netz einspeisen.

In Deutschland ankommen muss dieser Strom nicht. "Der Preis für so einen Herkunftsnachweis ist sehr, sehr gering, vielleicht 0,1 Cent pro Kilowattstunde", erklärt Wallraf. "Durch diesen geringen Mehrpreis kann ein Stromanbieter seinen Strom als Ökostrom verkaufen." Auf diese Weise wird so gut wie kein Nutzen für die Energiewende erzielt, denn es ändert sich nichts an der Gesamtzusammensetzung der Stromerzeugung. Erst wenn europaweit mehr Ökostrom nachgefragt würde als produziert wird, ergäbe sich ein Effekt.

Schwarzwald Energy schreibt zwar gern, dass sie aus dem Schwarzwald komme – dass auch der Strom von dort sei, behauptet sie allerdings nirgendwo. Auch bei dem erwähnten Bild eines Wasserkraftwerks steht nicht, dass es aus dem Schwarzwald stamme. Vielmehr ergibt sich der Eindruck, dass die Firma nicht mehr tut, als ein bisschen Handel mit Strom zu betreiben: Dem Wirtschaftsplan für 2019 ist nämlich zu entnehmen, dass sowohl 2018 als auch 2019 die Personalausgaben bei 10 000 Euro jährlich lagen, davon 2000 Euro an Sozialabgaben (nein, da fehlen keine Nullen). Als Erläuterung ist hinzugefügt, es handele sich dabei um "die Aufwendungen für die Geschäftsführung".

Der Geschäftsführer der Schwarzwald Energy ist derselbe wie bei der Energie Calw: Horst Graef. Die Personalkosten sollen laut Wirtschaftsplan bis einschließlich 2023 so bleiben. Im selben Fünf-Jahres-Zeitraum sind Investitionen in Höhe von null Euro eingeplant. An "Abschreibungen auf immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens und Sachanlagen" waren für 2019 ebenfalls null Euro eingeplant, 2018 schon gab es zumindest keine Abschreibungen auf Sachanlagen – das bedeutet, die Firma besitzt keine Gegenstände wie Möbel oder Computer, die an Wert verlieren. Es handelt sich hier also um sehr viel Schwarzwald-Fassade mit sehr wenig ökologischem Engagement.

Doch was ist mit den kritisch und authentisch klingenden Ausführungen zu "echtem Naturstrom", "Gütesiegeln" und "Energiewende"? Schwarzwald Energy zeigt online ein Zertifikat, das bescheinigt, dass der gelieferte Strom "aus TÜV-SÜD-EE-zertifizierten französischen Wasserkraftanlagen am Rhein" stammt. Doch das belegt kein wirkliches ökologisches Engagement. Die vom TÜV Süd angebotenen Produkt-Zertifizierungen EEneu (für Strom aus Neuanlagen), EE+ (für zeitgleiche Einspeisung zum Verbrauch) sowie Kompensation des Kohlendioxids, das bei der Stromproduktion anfällt, kann Schwarzwald Energy nicht vorweisen. Sehr fragwürdig ist, dass die Firma die Anlagen, aus denen ihr Strom kommt, wie erwähnt mit den Worten "besonders nachhaltig" und "modernste Umweltstandards" lobt. Keines dieser vier Wörter findet sich in dem zwölfseitigen Dokument, in dem der TÜV Süd seinen Zertifizierungsstandard "Erzeugung EE" beschreibt.

Mit diesen Formulierungen habe er nichts zu tun, teilt der TÜV Süd auf Anfrage mit. Und weiter: "Solche Aussagen sind nach unserem Wissen auch an keiner Stelle definiert. Wir nehmen Ihre Anfrage zum Anlass, die Verwendung dieser Begriffe in Bezug zu unseren Zertifizierungen bei Schwarzwald Energy anzumahnen." Wie begründet die Stromlieferantin diese Begriffe und die erwähnte Werbe-Formulierung: "Sie beteiligen sich aktiv an der Energiewende"? Über eine Woche lang mochte die Energie Calw das nicht erläutern. Stattdessen kommt die schriftliche Antwort: "Wie bereits erwähnt, sind wir gerade sehr stark mit unserer Mobilitätstochter deer GmbH und dem Thema Elektromobilität beschäftigt, sodass wir Ihnen in diesem Jahr keine Antworten mehr geben können. Wir könnten uns in diesem Zusammenhang aber sehr gut vorstellen, dass wir uns zum Thema Elektromobilität zusammensetzen und Sie darüber einen Artikel verfassen." Das lässt an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig. Wer wirklich auf Nachhaltigkeit setzt und etwas für die Energiewende tut, ist normalerweise in der Lage, das auf die Schnelle in ein paar Sätzen zusammenzufassen.

Es gibt auch Ökostrom-Siegel mit hohen Ansprüchen

Zwei Handvoll Ökostrom-Siegel gibt es in Deutschland. Die meisten akzeptieren das Modell, einfach aus bestehenden Wasserwerken im Ausland Strom zu kaufen, ohne wirklich etwas für die Energiewende zu tun. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen tut das nicht. Deshalb empfiehlt Christina Wallraf nur die beiden Siegel "Grüner Strom" und "OK Power": "Sie garantieren zum Beispiel, dass sie mindestens einen halben Cent pro Kilowattstunde in den Ausbau der Erneuerbaren Energien stecken, oder dass sie anderweitig die Energiewende in Deutschland voranbringen wollen." Und sie schließen unter anderem aus, dass eine Firma an Atom- und Kohlekraftwerken direkt beteiligt ist. Die Verbraucherzentrale Niedersachsen kam in einer umfassenden Studie von 2016 zu einer ähnlichen Meinung. Das Siegel "Grüner Strom" schneidet da am besten ab, und "OK Power" am zweitbesten.

Der europäische Dachverband der Verbraucherschutzorganisationen BEUC hat in einer im Januar 2017 veröffentlichten Studie dreizehn europäische Siegel verglichen, davon acht, die nur in Deutschland vergeben werden. Von letzteren erhielt nur "Grüner Strom" in allen fünf Bewertungskategorien die Bestnote. "OK Power" schnitt nur ein bisschen schlechter ab, alle anderen deutschen Siegel deutlich schlechter. Der Verband kritisierte, dass es europaweit viel zu wenige Standards für Ökostrom gebe und es deshalb oft zu Unklarheit und Schönfärberei komme. Die früher pauschal in der Kritik stehenden Siegel von TÜV Nord und TÜV Süd bieten nun, wie gesehen, immerhin auch Modelle an, die die Energiewende wirklich fördern. Da muss auf Details geachtet werden.

"OK Power" und "Grüner Strom" werden auch vom Umweltbundesamt empfohlen, da sie einen Zusatznutzen für die Energiewende bedeuten, wie eine Sprecherin auf Anfrage festhält. Das Amt sitzt sogar in den Beiräten der Siegel, die als Vereine organisiert sind.

Wie sieht nun dieser Zusatznutzen für die Energiewende aus? Wegen der politischen Regulierung sei es derzeit schwierig für die Anbieter, neue Anlagen zu bauen, erklärt Dietmar Oeliger, Vereinsvorsitzender bei "Grüner Strom". Einen Zusatznutzen könnten die Firmen aber auf verschiedene Weise erreichen: "Es verschiebt sich in den letzten Jahren ein Stück weit. Es gibt auch andere Möglichkeiten, das Geld zu investieren, wenn es unterm Strich der Energiewende zuträglich ist. Beispielsweise haben wir im Moment einen Schwerpunkt im Bereich der Elektromobilität." So könne etwa eine Kombination aus einer Solaranlage und einer Strom-Tankstelle gefördert werden. Auch in einen Fonds für Bildungsprojekte und den ausländischen Anlagenbau können Stromanbieter einzahlen. Eine Liste der geförderten Projekte kann im Internet eingesehen werden.

Eine solche Transparenz wünscht sich Christina Wallraf für den deutschen Ökostrom-Markt: "Ich denke, Verbraucherinnen und Verbraucher erwarten, dass der Strom in Deutschland produziert wurde und dass sie in Deutschland etwas für die Energiewende tun können – aber genau das geschieht ja nicht. Hinzu kommt: Die Stromkennzeichnung ist relativ intransparent." Sie fände es gut, wenn der Bundestag für mehr Transparenz sorgen würde, etwa, indem er vorschreibt, dass bei jedem Stromtarif das Herkunftsland des Stroms genannt wird.

Die Herkunft seines Stroms nennt Schwarzwald Energy immerhin, wenn auch etwas versteckt. Für Menschen im Schwarzwald kann Strom aus französischen Kraftwerken am Rhein sogar noch als regionaler Strom durchgehen. Doch das ändert nichts am Prinzip. Und dieses Prinzip dominiert die Branche. Oft stammt der zertifizierte Ökostrom aus fernen Ländern wie Norwegen und eben nicht aus der Region.


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