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Die FR: ein Elend

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Die "Frankfurter Rundschau" ist pleite. Damit geht eine wechselhafte Geschichte einer einst wichtigen Zeitung zu Ende. Rolf Peter Henkel, lange Jahre FR-Korrespondent in Stuttgart, schreibt, wie er das findet.

Eine Art Nachruf also. Persönliche Abschiedsworte soll ich finden für die "Frankfurter Rundschau", "meine" FR, für die ich länger als ein Vierteljahrhundert geschrieben habe, ab 1978. Aber darf man das denn, jetzt, da der Sarg noch nicht gezimmert ist, die Grube noch nicht ausgehoben, das Blatt täglich noch im Briefkasten und die Belegschaft jedenfalls nach außen noch nicht zur Kapitulation bereit?

Ich fürchte, man darf. Mit dem alten Lassalle halte ich große Stücke auf das Aussprechen dessen, was ist. 2011 soll das Blatt seine Eigentümer – den Kölner Medienkonzern DuMont und die SPD – wiederum zwischen 15 und 20 Millionen Euro gekostet haben, wie in den Jahren zuvor. Ergo: nur noch ein Wunder kann das Auftauchen eines stinkreichen Investors bewirken, der das Blatt rettet.

Es gibt aber keine Wunder.

Und "meine" FR?

Auch die gibt es nicht, jedenfalls nicht mehr so richtig. Meine FR, das war die Zeitung, die bewusst links war und zugleich liberal und deshalb ein Unikat im deutschen Blätterwald. Die nach dem Krieg von einem sozialdemokratischen Antifaschisten groß gemacht wurde und die despotisch-skurrilen Grillen dieses Karl Gerold fast drei Jahrzehnte ertrug. Es war die Zeitung von 1968 und folgende, Pflichtlektüre für progressive Studenten zwischen Ham- und Freiburg, für viele Sozial- und manche Freidemokraten im Politikbetrieb und anspruchsvolle Gewerkschafter.

Der Ruf der FR war in manchen Kreisen besser, als sie verdient hätte. Aquarell: Werner Schaub Gegen die Springer-Organe und gegen die immer wieder reaktionär gestimmte Nachbarin FAZ focht meine FR für Willy Brandts Ostpolitik, widmete sich früh den Megathemen Umwelt und Bildung, vertrat bei aller Kritik an deren konkretem Gebaren so beherzt das Grundanliegen von Arbeitnehmerorganisationen, dass Bourgeoisie und Max Mustermann die Nase rümpften. Und eine "SPD-Zeitung" konnte sie nur nennen, wer sie nicht las oder nicht verstand; und ignorierte, dass über Jahre hinweg mit Karl-Hermann Flach eine herausragende FDP-Figur der starke Mann der Redaktion gewesen war.

Natürlich, dazumal war der Ruf der "Rundschau" in manchen Kreisen besser, als sie es journalistisch verdient hatte. So stammte die Reputation, die sie genoss wegen der oft gepriesenen und noch öfter ungelesen gebliebenen täglichen Dokumentationsseite, aus dem intellektuellen Potenzial Dritter. Eigene Edelfedern, die die Leserschaft enthusiasmiert hätten, gab es keine, Kühnes und Überraschendes zu selten.

Und doch: wenn ich, der Baden-Württemberg-Korrespondent aus Stuttgart, das ironisch-liebevoll so genannte Mutterhaus am Eschersheimer Tor besuchte und durch seine krummen Gänge lief, erfasste mich zuverlässig ein eigentümliches Vibrato. Die "Rundschau", das war eben etwas Besonderes. Irgendwie mittendrin in dieser Republik und doch mit ziemlich speziellem Blick aus der Randlage. Pragmatisch, klar, aber man hatte eine Haltung. Nicht irgendeine, sondern eine, die, man denke, kodifiziert war in dem Anstellungsvertrag für jeden FR-Redakteur und in dem gebieterisch die Stichworte sozial und liberal fielen. Wer hier schrieb, der hatte seinen Frieden mit dieser Gesellschaft eben nicht gemacht.

Lange hat meine FR vieles überstanden. Phasen linksplüschigen Biedersinns, alte Männer in aufgeblähter Geschäftsleitung, die Folgen mangelnder finanzieller Vorsorge, Millionenverluste durch fehlgeschlagene Experimente mit Straßenzeitungen, die Konkurrenz durch taz, FAZ und "Süddeutsche", dann allzu viele demotivierende Sparrunden oder die heikle Umstellung aufs Tabloid-Format.

Nicht überstanden hat sie schließlich den von oben, aus Köln, verordneten Verlust ihrer Seele, im Koofmichjargon: des Markenkerns. Immer mehr Leser wandten sich in den letzten Jahren ab, weil sie die alte FR nicht mehr erkannten und die neue nicht schätzten: zu viel Banales, zu viel Beliebiges, das früher nicht einmal den Pförtner passiert hätte und sprachliche, moralische und politische Standards begrinst als altmodisches Zeug.

Alles in allem: es ist ein Jammer. Und zu diesem Abgang passt der Aufstieg der "Blöd"-Zeitung zu einem bundesdeutschen Leitmedium.

 

Rolf Peter Henkel war von 1978 bis 2005 Baden-Württemberg-Korrespondent der "Frankfurter Rundschau". In Kontext war er zuletzt anlässlich seiner Bücher "Streit über Gott" und "Reiner Wein" (Herder Verlag) vertreten.


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