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Da unten?

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Stuttgart 21. Das war einmal ein Projektname. Jetzt ist es ein Synonym für die Fähigkeit des Schwaben, sich aufzulehnen. Gegen Wirtschaftsmachenschaften und Staatsmacht. Das hätte der Rest der Republik nicht gedacht, schreibt Dieter Hoss aus Hamburg, der in Stuttgart gelebt hat.

Schwaben 21? Das klingt nach neuem Selbstbewusstsein, dem schon sprichwörtlichen "Wir können alles ..." und einem neuen Image. Doch das liegt im Auge des Betrachters. Jetzt, nachdem die Bilder der Wasserwerferschlachten verblasst sind und sich der Pulverdampf verzogen hat, sind die Wutbürger kaum mehr als eine Erinnerung – je weiter man sich von Stuttgart entfernt.

Am anderen Ende der Republik, in Hamburg, weiß man nicht viel über den Südwesten: brav, betulich, ordentlich gehe es dort zu. "Schaffe, schaffe" laute das Credo. Die Sprache sei komisch, alle Worte endeten auf -le. Viel weiter kommt man an der Elbe nicht – trotz der wochenlangen Proteste gegen die Verlegung des Stuttgarter Bahnhofs unter die Erde. Angesprochen auf Stuttgart 21, fällt in der Hansestadt schon mal spöttisch das Wort "Revolutiönle". Oder es heißt: "Stimmt. Da haben sie mal was gemacht." Was umgekehrt heißt, sonst ist mit denen da unten nicht viel los. Als eine Kollegin kürzlich ihren beruflichen Wechsel von Hamburg nach Stuttgart verkündete, schallte ihr prompt entgegen: "Oh, wie schrecklich!"

Experimente klappen nur in Hamburg – meinen die Hamburger

Dabei könnten den Hansestädtern die Landsleute vom Neckar vertrauter sein. Denn: es gibt Schwaben in Hamburg! Die betreiben natürlich eine Facebook-Seite gleichen Namens. So wie der Fischmarkt in Stuttgart gastiert das Weindorf in Hamburg. Filderkraut, Bubespitzle und Viertele im Schatten des Rathauses – dazu aber Shantys und "Hummel, Hummel!" Passt schon. Auch den Rest des Jahres über kann man schwäbisch essen gehen – zum Beispiel in Brachmanns Galeron in St. Pauli. Linsen und Spätzle aufm Kiez – schon wieder eine schwäbische Überraschung.

Trotzdem hätte man nicht nur in Hamburg eher anderen Regionen Deutschlands zugetraut, die politischen Farben neu zu mischen. Berlin natürlich, Hessen vielleicht, Nordrhein-Westfalen unter Umständen. Hamburg hatte immerhin Schwarz-Grün unter einem homosexuellen CDU-Regierungschef. So was geht nur in Hamburg, in Kieznähe, glauben die Hamburger. Doch es ging eben nicht gut. Kein Hamburg 21 jedenfalls.

Kretschmann klingt für Hamburger so, als würde Opa den Enkel trösten

S 21, Grün-Rot im Ländle, könnte dagegen klappen. Wie revolutionär das wäre, ist weit außerhalb des Stuttgarter Kessels aber längst nicht angekommen. Ohnehin glauben viele, der Erfolg der baden-württembergischen Grünen sei eher eine Folge des allgemeinen Trends pro Grün, noch verstärkt durch die Atomkatastrophe von Fukushima. Und dann ist da noch der Ton, der die Musik macht. Wenn der neue Landesvater Winfried Kretschmann mit dem Vorschlag kommt, die Autoindustrie möge doch künftig weniger Autos und stattdessen Mobilitätskonzepte entwickeln, rüttelt er an den Grundfesten der deutschen Industrie. In Kretschmanns breitem süddeutschen Idiom klingt das für norddeutsche Ohren aber, als würde Opa den Enkel trösten, die nächste Klassenarbeit werde schon nicht so schlimm werden.

Das klingt nun wirklich nicht nach Aufstand, Ungehorsam und Aufbruch ins 21. Jahrhundert. Doch ein Völkchen, das in einer Teigtasche, Maultasche genannt, Fleisch versteckt und dieser Fastenspeise den Kosenamen "Herrgottsbescheißerle" gibt, hat es faustdick hinter den Ohren. Wer kennt im hohen Norden schon die Dickköpfigkeit und Unnachgiebigkeit, die so mancher Württemberger und Badner an den Tag legen kann, wenn er sich ungerecht behandelt fühlt? Der revolutionäre Geist des Südwestens sollte eigentlDieter Hossich schon seit rund 500 Jahren, seit dem Ausbruch des Deutschen Bauernkriegs 1524, bekannt sein. In den berühmten  "Zwölf Artikeln von Memmingen" formulierten die Bauern seinerzeit erstmals in Europa Freiheits- und Menschenrechte und stellten diese als Forderung an den Schwäbischen Bund. Geschichtsschreiber nennen den Bauernkrieg auch "Revolution des gemeinen Mannes". Klingt doch sehr nach Wutbürger.

Dieter Hoss ist Redakteur bei stern.de in Hamburg und hat früher für die "Stuttgarter Nachrichten" gearbeitet.


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1 Kommentar verfügbar

  • straub
    am 26.05.2011
    Antworten
    Na ja, da dachte sich einer, mir ist gerade langweilig, also schreibe ich einen Artikel über die Schwaben.
    Und etwas Bescheidenens kam heraus !!
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