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Schwarze Akademie

Ein Schmetterling Richtung Süden

Schwarze Akademie: Ein Schmetterling Richtung Süden
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Das Stuttgarter Linden-Museum hat 125 Jahre nach ihrem Raub aus dem Königreich Benin koloniale Güter an Nigeria zurückgegeben. Ein Gespräch mit Mariette Nicole Afi Amoussou, Leiterin der Black Academy, über mangelnde Aufarbeitung, Erinnerungskultur und eine Welt ohne Rassismus.

Frau Amoussou, vergangene Woche hat das Linden-Museum koloniale Objekte an Nigeria zurückgegeben. Ist Deutschland auf einem guten Weg?

Nein, das bezweifle ich. Heute können wir mit dem Diskurs an sich zwar mehr anfangen als vor zehn Jahren, doch die Frage ist nicht, ob die Objekte zurückgegeben werden sollen, sondern wie. Mit dem Wie meine ich nicht die Rückgabe an sich, sondern die damit verbundene Aufklärungsarbeit. Wenn Sie meine Nichte oder andere Jugendliche in Benin fragen, haben wenige eine Ahnung, worum es überhaupt geht. Die Objekte wurden nicht nur geraubt, auch die spirituelle und kulturelle Verbindung wurde gebrochen. Deshalb braucht es nicht nur Rückgaben, sondern Aufklärungs- und Aufarbeitungsarbeit, welche Bedeutung diese Güter in ihrer Ursprungs- und der aktuellen Gesellschaft hatten und haben.

Die Black Academy – Angriff beim Launch

Die Schwarze Akademie ist ein Projekt der Initiativen Meine Welt, Place und Place for Africa, das im Juli 2022 offiziell gelauncht wurde. Finanziert wird die Akademie großteils vom Goethe-Institut und der Stadt Mannheim, dort hat sie auch ihren Sitz, ebenso in Benin und in Kamerun. Im Projekt engagieren sich Rassismusexpert:innen, Expert:innen zum Thema Klimagerechtigkeit, Künstler:innen und Wissenschaftler:innen. Obwohl sich die Black Academy überwiegend aus schwarzen Menschen zusammensetzt, sind die Angebote und Workshops offen für alle. Als Hauptziel gilt die Sichtbarmachung der Expertise und Geschichte schwarzer Menschen. Das großgeschriebene S in Schwarze Akademie bezieht sich nicht auf individuelle Benennungen, sondern auf Zuschreibungen durch historische Rassenkonstrukte. Mit der Großschreibung sollen diese Konstrukte – des als besser konstruierten Weißen und als schlechter konstruierten Schwarzen – thematisiert und im besten Fall irgendwann dekonstruiert werden.

Die noch sehr junge Black Academy hat bereits einen massiven rassistischen Übergriff hinter sich: Beim Hybrid-Event zum Launch versuchten Hacker, Pornovideos von schwarzen Menschen zu übertragen. Zudem erhielten die Beteiligten Drohungen per Mail. Einen Tag später legte ein Hackerangriff die Plattform lahm. Nichtsdestotrotz will die Schwarze Akademie sich zukünftig auch mit hauptamtlichen Stellen in Deutschland breiter aufstellen.  (fra)

Von welcher Spiritualität sprechen Sie?

Schon öfters habe ich in deutschen Museen merkwürdige Objekte gesehen, insbesondere den Legba, eine Figur, die dafür vorgesehen ist, draußen zu bleiben und die Bevölkerung zu schützen. In Benin hätte niemand ein solches Objekt in eine Wohnung gestellt. Das zeigt die Absurdität. Erst vor zehn Jahren hat man sich geeinigt, menschliche Überreste zurückzugeben, damit die Menschen in den ehemaligen Kolonien ihre Verwandten beerdigen können. Das ist für eine sogenannte zivilisierte Gesellschaft total peinlich. Ich hoffe, dass wir uns in zehn Jahren schämen für die Diskurse, die wir heute führen.

Eine der Hauptaufgaben der Schwarzen Akademie ist der Kampf gegen Rassismus. Was wollen Sie gegen ein so strukturelles Problem machen?

Alltagsrassismus hat seine Ursachen in der Geschichte. Das kann man nicht von heute auf morgen ändern, indem wir dazu einladen, nicht rassistisch zu sein. Wir sollen aber mehr Sichtbarkeit für Betroffene schaffen und mehr Bildungsarbeit machen. Im Vergleich zu anderen Diskriminierungsformen sprechen wir beim Thema Rassismus darüber, dass die Menschlichkeit von bestimmten Bevölkerungsgruppen in Frage gestellt wird.

Wie meinen Sie das?

Ich als Frau bin von Sexismus betroffen. Da geht es darum, dass Frauen und Männer unterschiedlich wahrgenommen werden. Beim Thema Rassismus geht es aber generell um Entmenschlichung, um die Infragestellung der Gleichheit unter den Menschen. Um die zu überwinden, müssen sich die Betroffenen wie die Nicht-Betroffenen mit der eigenen Positionierung und der Geschichte auseinandersetzen. Was ist heute noch bewusst oder unbewusst präsent in unserer gegenseitigen Wahrnehmung? Sehen wir uns als Menschen, die auf derselben Ebene stehen oder gibt es per se irgendeine Hierarchisierung, weil wir weiß und schwarz sind? Rassismus muss als Querschnittsthema behandelt werden. Wir als Schwarze Akademie wollen verschiedene Themen ansprechen wie die Klimakrise oder auch Gesundheit. Alles jedoch aus dem Blickwinkel von schwarzen Menschen.

Können Sie ein konkretes Beispiel dafür nennen?

Die Vereinten Nationen haben 2015 eine Dekade für Menschen afrikanischer Abstammung ausgerufen, die zur Stärkung und Verwirklichung der wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Rechte von dieser Community beitragen soll. Die Dekade, zu deren Umsetzung sich Deutschland und viele andere Länder verpflichtet haben, ist sowohl der Mehrheit deutscher Menschen als auch den Menschen afrikanischer Herkunft unbekannt.  

Ich wusste vor meiner Recherche für dieses Gespräch auch nichts davon, wenn ich ehrlich bin.

Eben. Wie kann ich mein Recht fordern, wenn ich überhaupt nicht weiß, was mir zusteht? Wir versuchen übrigens seit letztem Jahr, Kontakt über die Webseite der UN zu den Zuständigen aufzunehmen und bekommen keine Rückmeldung.

Die Beninerin Mariette Nicole Afi Amoussou ist Bildungsreferentin zu den Themen Diversity, Migration und Dekolonisierung und begleitet als solche Organisationen wie Amnesty International, das SOS-Kinderdorf in München,  Fair-Trade-Organisationen und Institutionen wie das Bundeskriminalamt Wiesbaden. Sie kam vor zwölf Jahren nach Deutschland und leitet die Black Academy in Mannheim.  (fra)

Wie unverschämt.

Ja, deshalb war eines unserer Ziele in diesem Jahr, Information zugänglich zu machen. Ein zweiter Punkt war das Sichtbarmachen der Geschichte. Wir haben in den letzten drei, vier Monaten Workshops zum Thema Leben vor der Kolonialzeit weltweit angeboten. Es gibt viele Diskurse über die schwarze Community und über Afrika allgemein, die beginnen aber meistens erst bei der Begegnung Europa - Afrika.

Das stimmt. Im Geschichtsunterricht in der Schule beginnt die afrikanische Geschichte mit dem Kolonialismus. Wird uns hier vieles falsch gelehrt?

Zweifellos. Falsch und vor allem nicht vollständig. Die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie spricht hier von der Single Story: Es wurde nur ein Teil der Geschichte erzählt und dieser Teil ist unvollständig. Was haben wir über Christoph Kolumbus gelernt? Er hätte Amerika entdeckt. Das ist falsch, denn wie könnte er Leute entdecken, die schon da waren? Was wir bis heute nicht gelernt haben: Die Taínos lebten dort, als Kolumbus ankam. Wenn man hier lernt, dass Menschen anderswo historisch vermeintlich keinen Beitrag geleistet und darauf gewartet haben, gerettet zu werden, welche Begegnung erwarten wir uns dann in Austauschprogrammen zwischen Jugendlichen aus Deutschland und Jugendlichen aus Brasilien, Ghana, Benin oder Marokko?

Können Sie ein Beispiel nennen, etwas Historisches, das in Vergessenheit geraten ist?

Ich komme aus Benin, ehemals Dahomey. Bereits vor 400 Jahren haben die Menschen dort Wälder geschützt, Bäume durften nicht einfach so gefällt werden. Mit der Kolonialzeit begann man Bäume zu fällen und Wälder zu zerstören, um Häuser und Straßen zu bauen, weil die Menschen dort angeblich zivilisiert werden mussten. Aber etwa 98 Prozent der Straßen, die in Kolonialzeiten gebaut wurden, führten direkt zum Meer, um Waren nach Europa zu transportieren. Die Zivilisierung war nur eine Rechtfertigung, Länder und die Natur auszubeuten.

Der Naturschutz ist keine europäische Idee?

Viele Konzepte heute kommen angeblich aus Europa, weil die Leute, beispielsweise in Dahomey, vor ein paar hundert Jahren ihre Ideen und Konzepte nicht festgeschrieben und ein Copyright verlangt haben. Genau das wollen wir schwarzen Jugendlichen als Empowerment an die Hand geben. Ihnen zeigen, dass sie nicht aus einer Community kommen, die keinen Beitrag zur Entwicklung der Menschheit geleistet hat.

Schlimm, wenn einem die eigene Historie abgesprochen wird.

In den Köpfen der Kolonialisten war die Bevölkerung immer nur passiv da. Diese Sichtweise hat sich bis heute nicht viel verändert. Das verschließt die Tür für neue Generationen, Begegnungen auf Augenhöhe zu haben. Wir nehmen ihnen diese Chance weg, indem eine eurozentrische Geschichte konzipiert wird, in der als weiß konstruierte Menschen immer im Vordergrund stehen. Erst wenn diese Internalisierung, also diese Verinnerlichung überwunden wird, wird sichtbar, wie viel man vom Gegenüber lernen kann.

Wie kann diese Überwindung geschehen?

Viele können beispielsweise mit dem Thema Reparationen an Namibia nichts anfangen, schließlich waren sie nicht dabei und sehen es nicht als ihre Verantwortung. Aber dort wurden Menschen umgebracht und Ressourcen ausgebeutet, damit wir hier heute einen hohen Lebensstandard haben. Auch ich. Wir müssen diese Erinnerung neu schaffen. Ohne zu sagen, Weiße waren böse und Schwarze waren gut. Als Schwarze Akademie müssen wir nicht nur hier in Deutschland, sondern auch in den betroffenen Ländern für das Thema Erinnerungskultur mehr Bewusstsein schaffen.

Es fehlt also nicht nur in Europa an kolonialer Erinnerungskultur?

Ich schäme mich zum Beispiel dafür, wie wir uns in Benin an unsere eigene Geschichte erinnern. Gebäude, in denen Sklavenhandel betrieben wurde, haben keinen Namen und keine Geschichte. Es gibt viele Straßennamen in afrikanischen Ländern, die auf die Kolonialisten zurückgehen. Ich glaube, dass wir als Menschen, die aus den ehemaligen Kolonien stammen und auch in diesen Ländern leben, uns heute nicht genug mit den Auswirkungen der Kolonialisierung beschäftigen. Wir feiern die Unabhängigkeit, ohne die Abhängigkeit zu thematisieren. Die Institutionen sowohl hier in Deutschland als auch anderswo haben die Dekonstruktion der Kolonialisierung noch nicht zu einem wichtigen Prozess gemacht.

Ein solcher Prozess wäre auch ein wichtiger Schritt gegen rassistische Konstrukte. Ist eine Welt ohne Rassismus überhaupt möglich?

Ein junger Geflüchteter hat uns in einem Workshop von einer Schmetterlingsart erzählt, die im Winter Richtung Süden fliegt. Diese Schmetterlinge leben nur maximal sechs Wochen, doch die Reise dauert drei Monate. Unterwegs vermehren sie sich. Keiner dieser Schmetterlinge sieht den Start- und den Zielort. Würden sie jedoch nicht starten und sich unterwegs vermehren, würde die Community nicht überleben. Deshalb: Ja, ich stelle mir eine Welt ohne Rassismus vor, ich werde diese Welt jedoch nie sehen. Trotzdem muss ich meinen Beitrag heute leisten, damit eine der nächsten Generationen in dieser Welt ohne Rassimsus ankommt.


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3 Kommentare verfügbar

  • Manfred Rank
    am 27.12.2022
    Antworten
    Leider scheitert dieses Interview bei der Aufgabe, das Verständnis zwischen den Kulturen zu vertiefen. Die Aussagen von Frau Amoussou hätten es verdient, hinterfragt und vertieft zu werden, denn vieles bleibt an der Oberfläche. Es reicht nicht zu bekennen, dass man sich über die heute geführten…
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