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Medien in Afghanistan

Wenn die Mullahs zensieren

Medien in Afghanistan: Wenn die Mullahs zensieren
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Seit der Machtübernahme der Taliban haben sich die Medien in Afghanistan verändert. Frauen verschwinden zunehmend von der Bildfläche, Radiosender spielen keine Musik mehr. Journalist:innen zensieren sich selbst oder verlassen das Land.

Jawed Farhad hat all seine Bücher verkauft. Sammlerstücke, Handgeschriebenes, teils über hundert Jahre alt, eine Gedichtsammlung des persischen Mystikers Rumi. Insgesamt 2.000 Bände musste Farhad Anfang des Jahres veräußern, um seine Miete zahlen und seine Familie finanzieren zu können. Seine Arbeit als Dozent und Journalisten-Ausbilder an der Universität in Kabul hat er nach der Machtübernahme der Taliban verloren, seinen Nachrichtensender "Khurshid TV" gibt es nicht mehr. "Wir mussten unsere Arbeit im August 2021 beenden", erzählt Farhad. Mehrmals wurde er von Taliban angegriffen, seinen Sohn haben sie verprügelt. "Man darf sich in Afghanistan nicht mehr frei äußern", sagt er. "Die Linie der neuen Machthaber ist klar."

"Khurshid TV" ist nicht der einzige Sender, der schließen musste. Seit dem Abzug der Nato-Truppen im vergangenen Jahr und der Rückkehr der Taliban mussten viele Medien ihre Arbeit einstellen. Zuletzt der afghanische TV-Sender "Kabul News". Das Programm soll zukünftig, wenn überhaupt, in den Sozialen Medien stattfinden. Das hat nicht nur mit finanziellen Problemen zu tun – viele Sender wurden von ausländischen Geldern finanziert – sondern auch und vor allem mit den neuen Machthabern.

Jeder Beitrag kann in die Mühlen der Zensur geraten

"Die Taliban betrachten Meinungs- und Pressefreiheit als westliche Erfindungen", sagt Jawed Farhad. Die Extremisten dagegen betonen stets, dass die Berichterstattung "islamkonform" sein müsse oder nicht gegen die "traditionellen Normen Afghanistans" verstoßen dürfe. Weil das so vage formuliert ist, kann jeder Beitrag, egal zu welchem Thema, in die Mühlen der Zensur geraten. Die Medienleute der Taliban sind sehr aktiv. Sie kontrollieren lokale Fernsehprogramme, selbst ausländisch produzierte Dokumentationen, die nicht im Fernsehen laufen, sondern nur auf YouTube abrufbar sind, prüfen sie genau.

Auch Radioprogramme fallen unter die Zensur, seit der Rückkehr der Taliban wird keine Musik mehr übertragen. Smartphones werden an Checkpoints von Soldaten meist willkürlich durchsucht, dabei können auch private Playlists schnell zum Verhängnis werden. "Viele Gefängnisse sind voll aufgrund von Social-Media-Delikten. Da trifft man auf Menschen, die wegen Facebook oder TikTok inhaftiert wurden", erzählt eine Quelle gegenüber Kontext, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben will.

All dies ist vor allem für jene schmerzhaft, die einst Teil der neuen Medienlandschaft waren und zur Verbreitung der Pressefreiheit im Land beigetragen haben. Während Farhad arbeitslos geworden ist, kaum noch das Haus verlässt und als säkularer Demokrat von den Taliban bedroht wird, versuchen andere, den neuen Machthabern die Stirn zu bieten. Bekannte Sender wie "Tolo TV" oder "Shamshad TV" sind noch aktiv. Zu ihren regelmäßigen Gästen gehören auch Taliban-Funktionäre.

Hinter den Kulissen versuchen die Extremisten tagtäglich aufs Neue, sich in die Arbeit von Medien einzumischen. Deutlich wurde dies etwa, als die Taliban das vor einigen Monaten verkündete Verschleierungsgebot für Frauen auch vor den Kameras durchsetzten. Anfangs protestierten sie noch dagegen, die Männer bei "Tolo TV" solidarisierten sich mit ihren Kolleginnen und trugen wie sie während der Sendung eine Maske. "Sie haben nicht das Recht, sich in die Belange unserer Moderatorinnen einzumischen", sagte damals Khpalwak Safi, einer der Chefs des Senders. Mittlerweile hat auch er das Land verlassen. Frauen treten in den Medien nur noch komplett verschleiert auf, auch deren Gesicht ist bis auf die Augen verdeckt, oder sie sind vollständig von der Bildfläche verschwunden.

Der Rückzug von "Kabul News" ist da wenig überraschend. Der Sender, der dem afghanischen Ex-Präsidenten Hamid Karzai nahestehen soll, ist seit Jahren bekannt für seine kritische Berichterstattung. Er machte auch keinen Halt vor den Regierenden in Kabul. Dass er den Taliban früher oder später ein Dorn im Auge werden würde, war vorhersehbar.

Drohungen, Gewalt, willkürliche Verhaftungen

Bereits in den vergangenen Monaten berichteten Journalist:innen immer wieder über Einflussnahmen und Einschüchterungen durch die Taliban. Laut den Vereinten Nationen haben Übergriffe auf afghanische Medien seit August 2021 massiv zugenommen. Die Organisation berichtet von mindestens 200 Fällen – Drohungen, physische Gewalt, willkürliche Verhaftungen.

Mohammad (Name geändert) kommt aus dem Südosten des Landes. "Die Situation von Journalisten und Medienschaffenden in Afghanistan ist sehr schlecht. Wir werden von den Taliban bedroht und eingeschüchtert. Man kann nicht frei arbeiten", sagt Mohammad. Die meisten Journalist:innen, erzählt er, hätten das Land verlassen. Auch, weil sie kein Geld mehr verdienen können. Mohammad geht es ähnlich, er war jahrelang für lokale Medien tätig, doch mittlerweile sind deren Geldflüsse ausgetrocknet. Niemand kann ihn bezahlen, weshalb er zunehmend von ausländischen Medien abhängig geworden ist. Für sie ist er manchmal als sogenannter Stringer tätig, als Ortskundiger, der Reporter aus dem Ausland Recherchen arrangiert. Zuletzt vor einigen Monaten, als seine Heimatregion von einem heftigen Erdbeben heimgesucht wurde. Es sorgte nur kurzzeitig für internationale Schlagzeilen, das Interesse an Afghanistan, so scheint es zumindest, ist wieder zum Erliegen gekommen.

Für die Taliban sind viele Medien Feinde

Ausländische Medien und deren Mitarbeiter:innen ließen die Taliban bisher gewähren, erlaubten ihnen, vor allem aus PR-Gründen, großzügig Zugang. Auch das hat sich mittlerweile geändert. In den vergangenen Wochen und Monaten wurden mehreren westlichen Journalist:innen Akkreditierungen verwehrt. Lynne O’Donnell, eine bekannte australische Journalistin, wurde sogar festgehalten und von den Taliban zu einem Twitter-Statement gezwungen, in dem sie von ihrer eigenen Arbeit Abstand nehmen musste. Erst nach ihrer erzwungenen Abreise aus Afghanistan konnte sie den Vorfall ausführlich schildern. Auch die deutsche Journalistin Stefanie Glinski, die hauptsächlich für internationale Medien tätig ist, erzählt von zahlreichen Einschränkungen seitens der Taliban. Eine weitere deutsche Journalistin, die anonym bleiben will, berichtete über ein plötzliches Arbeitsverbot, das ihr die Taliban nach ihrer Anreise in Kabul erteilten. "Man wollte mir keine Akkreditierung geben. Wir mussten deshalb unsere Sachen packen und wieder abreisen." Ein klares System hinter der neuen Vorgehensweise sei nicht erkennbar. Seitens der Taliban hieß es lediglich, dass ausländische Reporter "schwere Schäden" angerichtet hätten.

Das Vorgehen gegen O‘Donnell und andere Journalist:innen macht deutlich, dass die Taliban viele Medien als Feind betrachten, der ihnen Unrecht getan hat. Vielen Journalist:innen wird vorgeworfen, in den vergangenen zwanzig Jahren des Krieges nicht ausgewogen berichtet zu haben. Umso schwieriger wollen die Taliban ihnen nun die Arbeit machen. "Man hat zu vielen Stellen gar keinen Zugang mehr", erklärt Zubair Hakim aus Kabul, der für internationale Medien arbeitet. "Die Taliban gehen oft extrem feindselig mit Journalisten um. Man merkt, dass sie uns nicht mögen. Manche Regionen, in denen Kriegsverbrechen stattgefunden haben sollen, kann man gar nicht mehr aufsuchen. Eine unabhängige Berichterstattung ist unmöglich."

Die Zukunft des Journalismus in Afghanistan wird weiterhin eine düstere bleiben, wie Hakim pessimistisch resümiert: "Viele von uns werden Afghanistan verlassen. Ich denke nicht, dass sich die Situation bessern wird."


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