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Klima als Fluchtgrund

Deutschland macht die Augen zu

Klima als Fluchtgrund: Deutschland macht die Augen zu
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Flucht vor den Folgen des Klimawandels ist seit Jahrzehnten Realität. Während die Vereinten Nationen betonen, dass den Betroffenen Asyl nicht verweigert werden darf, vertritt Deutschland eine eigene Rechtsauffassung. Derweil häufen sich die Dürren in Tuvalu, Papua-Neuguinea und im Niger.

Es ist wie ein Déjà-vu. Bei ihrem Besuch im westafrikanischen Niger hat Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) kürzlich zum Kampf gegen eine drohende Hungerkrise aufgerufen. Genau vor zehn Jahren war ich bei meinem Besuch in dem bitterarmen Land ebenfalls mit den Auswirkungen einer katastrophalen Dürre konfrontiert. Wie die Länder am Golf von Bengalen, pazifische Inselstaaten wie Tuvalu und Kiribati oder Papua Neuguinea zählt Niger zu den Hotspots, in denen der Klimawandel bereits seit Jahren verheerende Auswirkungen entfaltet hat. Laut einem Bericht der Weltbank von 2021 könnten aufgrund der Erderhitzung in den kommenden drei Jahrzehnten 200 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben werden. Und schon 2007 ging eine Greenpeace-Studie von über 20 Millionen Klimaflüchtlingen aus, die bereits ihre Heimat verlassen mussten – "mehr als die Hälfte aller Flüchtlinge weltweit".

Krisen der Welt

Die Folge unseres hiesigen Wohlergehens ist eine enorme ökologische und soziale Verelendung in anderen Teilen der Welt. Der Krieg in der Ukraine könnte ein Anstoß zum Umdenken sein, darüber, dass unser Lebensstil genauso wenig selbstverständlich ist wie unser Leben in einer friedlichen Welt. Die Spirale aus Konflikten, Krisen und Klimakatastrophen dreht sich immer schneller. In unserer losen Serie "Vergessene Krisen und unser Wohlstand" wollen wir betroffene Regionen beleuchten, die in der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit zu kurz kommen.

Teil I widmet sich dem Horn von Afrika

Trotzdem gibt es in der Politik bis heute offiziell keine Klimaflüchtlinge. Als Begründung wird darauf hingewiesen, dass sie nicht in das Raster der Genfer Flüchtlingskonvention passen. Anerkannte Flüchtlinge sind demnach Menschen, die verfolgt werden aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung. Klima kommt in diesem Kanon nicht vor. Zwar sagt zum Beispiel UN-Generalsekretär Antonio Guterres, dass die Erderhitzung den Wettstreit um Ressourcen wie Wasser, Nahrungsmittel und Weideland weiter verschärfen werde. Dennoch verhallt die Forderung, den Klimawandel endlich als Fluchtgrund anzuerkennen, ungehört.

Wie das Leben der Betroffenen aussieht, zeigte sich bereits vor einem Jahrzehnt am Rande der nigerianischen Hauptstadt Niamey. Auf einem staubigen und mit ein paar Sträuchern bewachsenen Stück Land nahe einer der Hauptverkehrsadern hatten sich mehr als 200 Familien niedergelassen. Auch Hama Harouna gehörte dazu. Zusammen mit seiner Frau und sechs Kindern war der 36-Jährige wegen einer schweren Dürre in der Sahelregion geflohen, so wie viele andere auch im Lager.

Harouna erzählte, dass es in dem Dorf, in dem sie lebten, nichts mehr zu essen gab. Seit Monaten hatte es nicht mehr geregnet. "Wegen der Trockenheit ist das Getreide auf den Feldern vertrocknet. Wir konnten nichts mehr ernten." Als die Vorräte zu Ende gegangen sind, ist Harouna mit seiner Familie in die Hauptstadt gekommen, wo er in einer Hütte aus Ästen und Stoff lebt. Die Kinder konnten nicht mehr zur Schule gehen. Die Männer lebten vom Verkauf von Trinkwasser, die Frauen versuchten, mit Hausarbeit etwas Geld zu verdienen.

Neun Monate ohne Regen

In der Sahelregion fällt die Ernte wegen Trockenheit in vielen Gegenden immer wieder ganz aus. Schon vor zehn Jahren hieß es, dass es mal wieder zu wenig geregnet habe. "Deshalb sind unsere Viehherden immer kleiner geworden", erläuterte damals Boubacar Oumarou. Der 54-Jährige war Sprecher des Vertriebenencamps in Niamey. Auf die Frage, ob sie eines Tages in ihre Dörfer zurückkehren könnten, zuckte er mit den Achseln. Auch wenn es regnen würde, wäre es schwierig. Sie haben kein Saatgut, keine Werkzeuge und kein Vieh mehr. Es sind Aussagen, die bis heute wiederkehren, allerdings in immer kürzer werdenden Abständen.

Vor zehn Jahren hatte es neun Monate lang nicht regnet. Wegen der verheerenden Dürre ist die letzte Ernte fast ganz ausgefallen. Insekten hatten den Rest vernichtet. Besonders betroffen waren die Menschen im Niger, in Burkina Faso oder im Tschad. Immer wieder gibt es dort Dürren. Aber keine sei bislang so schlimm gewesen, sagte damals Adama Djibrilla. Der 75-Jährige war einer der Dorfältesten in Boulo Koogo im westlichen Niger. Hier sieht man deutlich, wie sich die Wüste stetig ausdehnt. Der Menschenrechtsaktivist Idrissa Ali sieht darin eine Folge des Klimawandels. Immer weniger Niederschläge habe es in den vergangenen Jahren gegeben, sagt er 2012. An den Wasserstellen gebe es nur noch zwei bis drei Monate Wasser anstatt sechs Monate wie früher.

Die Dürre hat dramatische Folgen für die Lebensbedingungen in den betroffenen Regionen. So haben sich im tschadischen Dorf Katambargui die Frauen mit Hacken und Körben aufgemacht. Sie suchen den Boden in der Umgebung des Dorfes ab. Wenn sie einen Ameisenbau entdecken, hacken sie die Erde auf und plündern die Vorratskammern. Die Samen, die die Tiere gesammelt haben, werden zu Mehl gemahlen. Die Ausbeute ist nicht groß. Oft dauert es über einen Tag, bis sie etwas finden. Die Menschen ernähren sich inzwischen auch von Brei, den sie aus Blättern kochen, oder von Heuschrecken.

Warum bleiben? Wenn sie fliehen, vegetieren sie recht- und schutzlos dahin, wie die Menschen am Rande von Niamey. Oder die Familien treten den lebensgefährlichen Weg nach Europa an oder schicken einen der Söhne auf die Reise. Das sind Menschen, die abschätzig als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet werden, obwohl sie Folgen ausbaden, die großenteils von den reichen Industrienationen zu verantworten sind. Aber gegen die Folgen konsequent vorzugehen, dazu fühlen sich diese nicht wirklich verpflichtet.

Inzwischen kommt die Trockenheit alle zwei Jahre

Annalena Baerbock hat bei ihrem Besuch im Niger darauf hingewiesen, wie der Krieg in der Ukraine und die dadurch ausgelöste Verteuerung der Getreidepreise durch Lieferausfälle und Lieferstopps zu einer explosiven Lage führen. Früher hat es laut Baerbock alle zehn Jahre eine Dürre in der Region gegeben, mittlerweile aber alle zwei. Dies treibe die Lebensmittelpreise in unglaubliche Höhen und nehme den Menschen in der Sahel-Region den Raum zum Leben, sagte die Ministerin. Dazu kämen die Extremisten im Land: Islamistische Terrormilizen haben Niger als Rückzugsgebiet auserkoren.

Für Fachleute zählt die fortschreitende Wüstenbildung wie in der Sahelzone zu einer der besonders gravierenden Auswirkungen des Klimawandels. Weltweit erobern Wüsten jedes Jahr etwa 120.000 Quadratkilometer – das entspricht in etwa der Größe Bayerns, Baden-Württembergs und Thüringen zusammen. Und durch Übernutzung und Vernachlässigung werden die landwirtschaftlich genutzten Böden immer schlechter. Die Beispiele aus dem Niger zeigen, was auch Experten bestätigen: Dass sich Klimaflucht bisher meist innerhalb von Landesgrenzen abspielt, fernab von Europa.

Hier ist Schweden das bisher einzige Land, das zumindest die Existenz von Umweltmigranten gesetzlich anerkennt. Und 2014 hat Neuseeland eine vierköpfige Familie aus dem Inselstaat Tuvalu aufgenommen, die aufgrund des Klimawandels Asyl beantragt hatte. Das sind Einzelfälle. Fast schon als Durchbruch wurde deshalb eine Entscheidung des UN-Menschenrechtsausschusses im Jahr 2020 gefeiert. Wer wegen des Klimawandels sein Land verlassen muss, weil sein Leben in Gefahr ist, dem dürfe das Recht auf Asyl nicht verweigert werden, hieß es.

Der Zusammenhang sei unzureichend untersucht

Doch in Deutschland kam die damalige Bundesregierung zu einem anderen Urteil und beeilte sich zu erklären, dass so genannte Klimaflüchtlinge weder Asyl noch Flüchtlingsschutz einfordern können. Denn der Zusammenhang zwischen Klimawandel, Migration und Flucht sei bisher nur unzureichend untersucht.

Wer solch eine Meinung vertritt, könnte zum Beispiel nach Papua Neuguinea reisen. Dort an den Küsten lassen sich in vielen Dörfern die Uferbefestigungen nicht mehr betreten, weil sie wegen des gestiegenen Meeresspiegels längst unter Wasser liegen. Auf den schwer betroffenen Cateret-Inseln, die zu dem Land gehören und die zu sinken drohen, wird seit mehr als einem Jahrzehnt über die Umsiedlung der Bewohnerinnen und Bewohner gesprochen. Doch das geschah bisher nur vereinzelt.

Dabei gibt es Maßnahmen, die durchaus helfen könnten gegen die Not, etwa die Pflanzung eines grünen Schutzgürtels in der Sahelzone, der die Ausbreitung von Wüsten verhindern kann. Das würde auch eine stärkere landwirtschaftliche Nutzung von Bereichen rund um die Dörfer ermöglichen. Aber diese Maßnahmen kosten Geld, und das war bisher niemand bereit, in großem Umfang zu investieren.

An der Tatsache, dass es immer mehr Klimaflüchtlinge gibt und sich das Problem ohne Taten weiter verschärfen wird, kommt allerdings niemand vorbei, auch Europa nicht. Schließlich sind die Folgen des Klimawandels auch eine Menschenrechtsfrage. Umso größer ist der Skandal, dass sich die Lage in den vergangenen zehn Jahren nicht gebessert, sondern verschlechtert hat.

 

Kontext-Autor Rainer Lang hat viele Jahre in der kirchlichen Katastrophenhilfe gearbeitet, unter anderem für Brot für die Welt, die Diakonie und den Weltkirchenrat.


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1 Kommentar verfügbar

  • Schmiddi
    am 01.05.2022
    Antworten
    Warum in die Ferne schweifen...
    ...wenn das Gute liegt so nah. Wie wäre es denn mit Bewässerung und Solarprojekten in der Sahelzone, anstatt alle ins kalte Deutschland zu holen. Israel schafft es mit recht wassereffizienten Techniken selbst in der Negev Pfirsichplantagen anzulegen, in Be'er Sheva…
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