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Helga hilft im Havelland

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Der zweite Brief aus Brandenburg. Über den goldenen Boden des Handwerks, einen Mainzer Profikicker und Helga Breuninger, die im Havelland Gutes tut, aber gerade in Kanada übersommert.

Jaja, Handwerker stehen auf goldenem Boden. Offenbar auch in Brandenburg, denn sie kommen, wenn überhaupt, nur nach mehrmaligem Bitten und hartnäckigem Überreden. Das haben Alexander der Große, Nala, die Hündin und ich schon gelernt. So entschlossen sich drei von acht angefragten Firmen im Großraum Brandenburg immerhin, den Hörer abzunehmen und die Sachlage vor Ort zu beurteilen. Um dann aber zu erklären, dass der Auftrag nicht vor November in Angriff genommen werden könne. Immerhin, eine Schreinerei "in sechster Generation" hat es geschafft, den beauftragten Hängeschrank noch vor November fertigzustellen. Er hat zwar nicht den erwünschten Stauraum generiert, wurde aber dafür ausgesprochen teuer.

Helga Stöhr-Strauch. Foto: Joachim E. Röttgers

Helga Stöhr-Strauch. Foto: Joachim E. Röttgers

Vor drei Monaten ist Helga Stöhr-Strauch zusammen mit Mann Alexander und Hündin Nala von Stuttgart weggezogen, nach Brandenburg in Brandenburg. In ihrem zweiten Brief schreibt sie über ihre Fast-Begegnung mit ihrem Stuttgarter Namensbäsle Helga Breuninger. Weitere Botschaften sollen folgen. (jof)

Inzwischen bin ich der Überzeugung, dass gedankliche Flexibilität und Handwerk nicht wirklich kompatibel sind. Obwohl mir ein Geräteschuppenmonteur aus Ostprignitz-Ruppin die Augen für die wahren Zusammenhänge öffnen wollte, als es mal wieder darum ging, ob die drohenden Fahrverbote die Ursache unserer "Flucht" aus Stuttgart gewesen seien. Nachdem Alexander der Große bereitwillig von seiner Lungenerkrankung berichtet hatte, erläuterte uns der Mann mit der Tendenz zum Brüllen, dass das eigentliche Problem doch gar nicht die schlechte Luft oder der Beschiss der Autoindustrie, sondern die rot-rot-grüne Regierung in Hamburg und die grün-schwarze Regierung in Stuttgart sei! Oder vielmehr die Leute, die diese Regierungen wählen, weil sie doch einfach nur betrogen werden wollen!! Und dass es nicht mehr weit sei bis zur DDR-Diktatur!!! Dabei redete er sich derart in Rage, dass ich es vorzog, das Thema im Hinblick auf den drohenden Herzinfarkt nicht weiter zu vertiefen und stattdessen das Augenmerk auf die große Trockenheit lenkte, was seine Bereitschaft zum Smalltalk aber nicht wirklich belebte. Vielleicht weil man sich über Dauerurlaubswetter nicht aufregen kann.

Urlaubswetter hin, Sommerfeeling her: Ich habe es getan! Weil in Brandenburg die Wege weit, die Fahrbahnen mies und die Fahrkünste havelländischer Jungbauern in spoilerbewehrten SUVs nicht wirklich vertrauenserweckend sind, habe ich meine Vespa verkauft. Das geschah nach spannenden Dialogen auf einer bekannten Online-Gebrauchtwarenplattform, wobei mich eine gewisse Unbekümmertheit im Umgang mit der geschriebenen Sprache aufhorchen ließ. So erkundigte sich einer meiner Dialogpartner nach "allepapiere Schlüsselfoto so wie schreckhaft", ließ dann aber doch von seinen Kaufabsichten ab. Ganz anders Devante P., der orthografisch und stilistisch sattelfest und außerdem als Profifußballer beim Verein Mainz 05 verpflichtet ist. Den jungen Sportler schreckte dann aber die Reise von Mainz nach Brandenburg ab, was ja irgendwie auch verständlich ist. Die Vespa ging dann übrigens ins Oberschwäbische. Ohne Besichtigung, ohne Probleme, und via Zweiradtransport. Die Käuferin und ich stehen seither in regem Mailkontakt, und sie wird mich demnächst besuchen, weil ich ihr so viel erzählt habe über die überschaubare Stadt Brandenburg, in der ich gerne lebe und in der ich demnächst auch wieder mit Theaterarbeit beschäftigt sein werde.

Wobei wir beim Stichwort Kultur wären und der Frage: Was macht eigentlich Helga Breuninger hier?

Frau Breuninger geht es immer nur um die Sache

Erraten! Sie hat eine Stiftung gegründet. Die Stiftung Paretz, die rund 40 Kilometer von Brandenburg entfernt im Havelländischen Ketzin liegt. Sie wurde 2009 als Treuhandstiftung von ihr, der promovierten Psychologin und Unternehmensberaterin (die nebenbei auch Vorstandsvorsitzende des Stuttgarter Literaturhauses, des Jungen ensembles Stuttgart und der Bürgerstiftung Stuttgart ist) und dem Architekten Volker Donath ins Leben gerufen.

Und was macht diese Stiftung Paretz so?, fragte ich mich, <link http: www.stiftung-paretz.de external-link-new-window>studierte die hübsche Homepage und suchte schriftlich Kontakt zu deren Geschäftsführer, Herrn Hipp. Dieser antwortete mir zunächst nicht. Klar, dachte ich, Ferien, und wandte mich an die Dame für Öffentlichkeitsarbeit, die mir sofort ihre Mobilfunknummer schickte, über die ich sie aber nicht erreichte. Also probierte ich es über den Festnetzanschluss, nur meldete sich dort keiner. Dafür bekam ich einen Rückruf von einer anderen Dame, die den Hörer dann aber an die Dame für Öffentlichkeitsarbeit weiterreichte. Diese verband mich dann mit Herrn Hipp, den ich zuerst anmailte, damit dieser einen Rundgang mit mir machen solle.

Herr Hipp erklärte mir, dass er sich zuerst über Kontext und ihre Leserschaft habe schlau machen wollen und deshalb seine Pressefrau vorgeschickt habe. Außerdem interessiere ihn, wie ich denn überhaupt auf die Stiftung Paretz gestoßen sei. "Mir ist der Name Helga Breuninger geläufig", erklärte ich, "ich bin von Stuttgart nach Brandenburg gezogen". Das sei ja wie bei ihnen, freute er sich, auch sie hätten Baden-Württemberg verlassen, um im Havelland weiter zu arbeiten. Aber warum ich denn als Privatperson hierher gezogen sei? "Weil wir atmen wollen", lautete mein schmallippiges Statement, das er dann aber nicht weiter aufgriff.

Dafür erzählte er mir viel, sehr viel über die Gründerin der Stiftung, ihr großes Engagement und ihre mediale Zurückhaltung. Und dass es ihr nie um ihre Person gehe, auch nicht um das "Wie", sondern immer nur um die Sache, also das "Was". "Ja", unterbrach ich seine Emphase, "das interessiert mich ja auch ...".

Das Problem sei aber, so der Geschäftsführer weiter, dass alles miteinander zusammenhänge und man die Frage gar nicht so leicht beantworten könne. Ein Rundgang wäre da sicher hilfreich. Der ginge aber auf keinen Fall unter drei Stunden. Und ob ich denn auch Frau Breuninger selbst kennenlernen wolle? "Klar", rief ich aus, "auf jeden Fall!" Das gehe aber nicht vor September, da sie gerade in Kanada übersommere und deshalb nicht da sei. Und im September sei er aus Urlaubsgründen nicht da und die Kollegin, die seinen Part übernehmen könne, sei jetzt nicht da.

Irgendwann schwirrte mir der Kopf angesichts von so viel Engagement, Information, Innovation, da und nicht da. Allerdings war ich nach dem Gespräch auch nicht schlauer als nach der Lektüre der stiftungseigenen, hübschen Homepage. Deshalb habe ich beschlossen, die viereinhalb Stunden, die mich die Reise nach Ketzin und der Rundgang gekostet hätten, anderweitig zu nutzen. Vielleicht zur Recherche von Förderern für Theaterarbeit im strukturschwachen Havelland.


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1 Kommentar verfügbar

  • Wolfgang Zaininger
    am 05.08.2018
    Antworten
    Mag ja löblich sein in der ehemaligen Sommerresidenz der preußischen Königin Luise Tanztee, Nähcafe usw. anzubieten und das Anwesen durch allerlei Gemeinnutz (Birnenbäumchen pflanzen im Havelland?) als ehemals verrottete Immobilie wieder in Stand zu setzen. Aber interessiert mich das wirklich und…
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