Was für ein Wahnsinn: In Maos China wurde 1958 ein Vernichtungsfeldzug gegen Spatzen durchgeführt, dem Milliarden Vögel zum Opfer fielen. Der Grund: Als Nahrungskonkurrenten wurden die Spatzen zu Schädlingen erklärt. Eine Folge war: Heuschrecken vermehrten sich explosionsartig und fraßen die Ernten. Die Folge: Millionen Menschen verhungerten.
Was für ein Wahnsinn: Noch während Peter Berthold in den 60er Jahren an seiner Doktorarbeit über Stare schrieb, wurden von staatlichen Behörden rund um Freiburg herum die Massenschlafplätze der Stare "mit Dynamit in die Luft gesprengt – und alles, was sich sonst noch dort aufhielt wie Rallen, Rohrsänger, Schwalben".
Was für ein Wahnsinn: "Etwa 80 Prozent Verlust von Vögeln in Deutschland in den letzten rund 200 Jahren", stellt der inzwischen emeritierte Professor der Biologie Peter Berthold in seinem Buch "Unsere Vögel" fest – "das ist eine gewaltige Menge!"
Und was hat das mit den Spatzen in China und den Staren in Freiburg zu tun? Der größte Verlust der Gefiederten ist erst nach dem Zweiten Weltkrieg zu verzeichnen. Und der Fingerzeig auf die saudummen Kommunisten verfängt nicht, die waren und sind in der Bundesrepublik nicht zu finden. Die Systemfrage stellt sich also nicht. Saudumm ist eine menschliche Eigenschaft. Und der Schwund, so der wissenschaftliche Befund, hält unvermindert an, was aus dem rauschebärtigen Professor am Bodensee einen zornigen alten Mann werden ließ. Freundlich im Wesen, aber energisch bis böse in seiner Wortwahl.
Dynamit ist out, Glyphosat ist in
So wird man wohl, wenn man als Optimist sein Berufsleben damit verbringt, das Verschwinden seiner Herzensangelegenheit zu dokumentieren. Bertholds lebenslange Leidenschaft gehört den Vögeln: "Dieses Buch ist all denjenigen gewidmet, die sich nicht entmutigen lassen, von unserer wunderbaren Natur so viel wie möglich in die Zeit nach Homo horribilis hinüberzuretten." Der verstehende Mensch (Homo sapiens) ist in den Augen des Biologen zum schrecklichen Menschen (Homo horribilis) mutiert, der seine Umwelt mutwillig zerstört.
"Muss man Menschen hassen, um Vögel zu mögen?", fragt ein Journalist in der Tageszeitung "Die Welt" und attestiert dem 79-Jährigen Menschenfeindlichkeit. Bertholds Kommentar: "Vollidiot!" Nein, er ist kein Menschenfeind, trotz aller dramatischen Ausdrucksweise und seiner naturwissenschaftlichen Schnoddrigkeit, die in die Erkenntnis mündet, die Erde brauche den Menschen nicht. Aber wer soll sich an "unserer wunderbaren Natur" erfreuen, für die sich der Wissenschaftler so leidenschaftlich einsetzt, wenn nicht die Menschen?
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Alexander Krug
am 03.01.2019