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Macron und der Bahnstreik

Macron und der Bahnstreik
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Nach dem Wahltriumph zu Beethovens Europa-Hymne über den Innenhof des Louvre zu schreiten ist das Eine, ein Land sozialverträglich zu reformieren das Andere. Frankreichs schillernder Präsident Emmanuel Macron hat viele Baustellen. Der aktuelle Bahnstreik ist noch nicht einmal seine größte.

So nah und doch so fern: 450 Kilometer ist die deutsch-französische Grenze lang, 180 davon die mit Baden-Württemberg. Doch das Wissen über den 40-jährigen Gründer von "La République en Marche" (LREM) diesseits des Rheins ist eher geprägt von Einäugigkeit, Schönfärberei und der ebenso populären wie schrägen Vorstellung, dass einer irgendwie doch recht haben muss, wenn seine Reformagenda so lang und so einschneidend ist.

Allen voran geht Macron nun auch in Sachen Staatsbahn. In nur 20 Tagen wollte der Präsident seine Reform des staatlichen Eisenbahnwesens durchpeitschen. Die Ausgestaltung sei noch nicht beendet, schob seine Verkehrsministerin Elisabeth Borne allerdings während der zweiten Streikwelle gegen das Vorhaben nach. Vorbild ist auf jeden Fall die Deutsche Bahn, der Bahnverkehr soll nach EU-Vorgaben insgesamt für Konkurrenz geöffnet werden. Ab wann, ist wieder unklar. Auch die Verschärfung der Arbeitsbedingungen für Neu-Eingestellte, die nicht mehr von den traditionell weitreichenden Privilegien profitieren dürfen, könnte abgeschwächt werden. Wobei es bleibt, ist, dass das mit rund 50 Milliarden Euro verschuldete Unternehmen profitabler werden muss. Schulden übrigens, die erstens schon das Ergebnis mehrerer Reformen und zweitens nicht zuletzt deswegen aufgelaufen sind, weil – politisch vernünftig und gewollt – Verkehr von der Straße und aus der Luft auf die umweltverträglichere Schiene umgelenkt wurde.

Neo-, nicht sozialliberal

Beifall jedenfalls spenden viele dem Hausherrn im Pariser Elysée. Von Winfried Kretschmann, der sich für seinen Europadialog ausdrücklich den selbsternannten Impulsgeber zum Vorbild genommen hat, bis zu Martin Schulz, dem untergegangenen Stern der Sozialdemokratie. Parteiübergreifend werden der Tatendrang des Franzosen gerühmt und seine Weltläufigkeit – weil er Reden auf Englisch hält. Und dann gibt es da noch dieses große Missverständnis – zu finden in "FAZ", "Handelsblatt" und taz –, bei dem früheren Wirtschaftsminister des sozialistischen Präsidenten François Hollande handele es sich um einen "Sozialliberalen".

Das würde Macron schon allein deshalb gefallen, weil ein Begriff transformiert wird. Es ist noch gar nicht so lange her, da galt als sozialliberal eine die Wirtschaft stärkende und zugleich auf sozialen Ausgleich setzende Politik, in der ein energischer Staat seinen Platz behalten sollte. Inzwischen wird sozialliberal genannt, wer – wie der Ex-Investment-Banker Macron – Vermögende massiv ent-, RentnerInnen oder Kleinstverdiener aber belastet und zugleich KritikerInnen "klassenkämpferische Tendenzen" unterstellt, weil sie "wirtschaftlich Erfolgreiche massakrieren wollen". Wer in einer ohnehin stark von Eliten geprägten Gesellschaft die Zulassungsverfahren an Unis deutlich selektiver gestalten will. Wer keine Scheu hat, von ArbeiterInnen und Angestellten Lohnzurückhaltung zu fordern, die eigenen Privilegien aber gerne auch im Boulevard auslebt, etwa bei dem Riesenfest zum Vierziger im Loire-Schloss Chambord. Wer sich als "Jupiter" stilisiert, weil die Franzosen, wie ihr Präsident meint, keinen Normalsterblichen an der Staatsspitze sehen möchten, um später zu revozieren: "Ich habe natürlich nie gesagt, dass ich mich für Jupiter halte."

So oder so, Frankreich hat einen Überflieger bekommen, der – als wäre er wie Hindu-Gott Shiva mit mehreren Armen ausgestattet – in viele Regel- und Räderwerke eingreift, und zwar gleichzeitig, "en même temps" eben, wie eine Lieblingsfloskel des stürmisch nach oben strebenden Arztsohnes aus dem nordfranzösischen Amiens lautet. Den Begriff "Reform" hat er aus seinem Wortschatz gestrichen, stattdessen will er nun transformieren, wandeln und umwandeln. Wenn es irgendwie geht, per Dekret, oder bei Widerstand – siehe oben – in abgespeckter Form.

Macron will Stellen streichen

Das neue Arbeitsgesetzbuch, der Code du Travail, trat mit Jahresbeginn in Kraft. Unter anderem entfiel damit die Pflicht der Unternehmen, bei betriebsbedingten Kündigungen eine wirtschaftliche Schieflage zu belegen. Sogleich gaben Automobilhersteller oder Handelsriesen die Entlassung von MitarbeiterInnen in vierstelliger Höhe bekannt. Es sei möglich geworden, erläutert Philippe Martinez, der Generalsekretär des Gewerkschaftsbunds (CGT), "die hochbezahlten Dienstältesten loszuwerden und gleichzeitig jüngere Arbeiter mit prekären Verträgen zu rekrutieren". Macron will Investoren anlocken, doch bisherige Zusagen ersetzen nur einen Bruchteil der gestrichenen Arbeitsplätze. Der Präsident nimmt sogar in Kauf, den Rechtsradikalen um Marine Le Pen eine Steilvorlage zu liefern. "Die menschlichen Dramen", twitterte die unterlegene Präsidentschaftskandidatin, "werden sich vervielfachen." Erst recht, wenn Macron eine seiner vielen Äxte an den öffentlichen Dienst legt. 120 000 von rund 5,5 Millionen Stellen möchte er kappen, in einem Land, in dem offiziell 2,5 Millionen oder knapp neun Prozent der Menschen arbeitslos sind und ein Fünftel Jugendliche.

Viele Zutaten in den Rezepten erinnern an die "Leistung muss sich wieder lohnen"-Rhetorik aus den propagandistischen Wundertüten von Neoliberalen hierzulande. Nach dem Fall der Mauer wollten zumal Union und FDP, aber keineswegs nur sie, dass westdeutsches Kapital ordentlich Kasse macht und mit Deregulierung und Privatisierung dem angeblich ausgeuferten Sozialstaat ein Ende bereitet wird. Heraus kam dabei in Kombination mit Hartz IV auch eine Armutsrate, für die sich der vielfache Exportweltmeister Deutschland eigentlich ordentlich genieren müsste. Der Pariser Staatschef hat ebenfalls weniger die Landsleute am unteren Ende der gesellschaftlichen Skala im Blick – es sei denn, er rempelt sie mit typischen Besserverdienersprüchen an –, als vielmehr sein schönes Image. Dazu passt die Senkung von Unternehmens- oder Kapitalsteuern. So, sagt er, werde erreicht, dass sich Frankreich "der Realität des 21. Jahrhunderts stellt".

Ob es Macron und seinen Polit-Clan, allen voran seine Ehefrau und enge Beraterin Brigitte Trogneux, beeindrucken wird, dass Müllarbeiter oder Angestellte der EDF, Air-France-Flugpersonal oder Staatsbeschäftigte derzeit auf die Straße gehen und Züge zwei Tage pro Woche in der Remise bleiben werden, hängt von der Kampagnenfähigkeit der Gewerkschaft ab. Und von der Solidarität in der Bevölkerung. "Die Regierung wird nicht lockerlassen", befeuern konservative Medien den Konflikt zu Wochenbeginn. Philippe Martinez dagegen stellt der "profunden Transformation" des Präsidenten die auch von Studierenden postulierte "Konvergenz der Kämpfe" gegenüber und hofft darauf, dass sich immer mehr Unzufriedene den Protesten anschließen.

Jupiter hat viel vor mit Europa

Manche aus seiner Anhängerschaft sehen in diesen Wochen noch viel mehr als die so nationalstolze Republik am Scheideweg. Denn an Erfolg oder Misserfolg des Widerstands wird "Jupiter" seine weiteren Pläne ausrichten. Und die haben es in sich. Seine Partei LREM soll sich auf den Kontinent ausdehnen, als Sammelbecken für die Enttäuschten aller Nationen und Fraktionen im Europaparlament, außer aus den Reihen der Extremrechten. Das bisherige Parteiensystem könnte auf diese Weise, wie es weichgespült heißt, überwunden werden. Zerschlagen trifft es wohl besser. Der französische Großrabbiner Haim Korsia nennt Macron ohnehin "Bonaparte". Er lege eine ähnliche Husarenmanier wie Napoleon an den Tag und habe bisher einen "geradezu stählernen Glauben an sich selbst gezeigt". Auf jeden Fall will er mitmischen, und weil seine Bewegung keiner der althergebrachten Parteienfamilien – Konservative, Liberale, Sozialdemokraten/Sozialisten – angehört, soll gleich auch noch die faktische Volkswahl des Kommissionspräsidenten oder der -präsidentin abgeschafft werden, die erst vor wenigen Jahren eingeführt worden war durch das (freundschaftliche) Duell zwischen Jean-Claude Juncker und Martin Schulz als Spitzenkandidaten ihrer Gruppierungen.

In einem TV-Porträt hat ein Schulkollege erzählt, wie Macron schon in ganz jungen Jahren charismatisch seinen Willen immer durchsetzte – auf dem direkten oder notfalls über einen Umweg. Für manche ist der Präsident samt seinen "undifferenzierten Bewunderern in Deutschland" aber schon so kurz nach Amtsantritt gerade deshalb unten durch: Didier Eribon, der Beststeller-Autor ("Rückkehr nach Reims"), wirft ihm vor, über Europa zu "schwadronieren", zugleich aber "mit jeder seiner Reformen alles das zu bedrohen, was zum Fundament einer europäischen Kultur gehört". Zur Abschaffung der Vermögenssteuer schrieb der Soziologe, um diesen Geldfluss in Richtung der Reichsten zu finanzieren, finde man das nötige Geld bei den Bedürftigsten. Diese Präsidentschaft stehe für "Zerstörung der Arbeitnehmerrechte und des Arbeitnehmerschutzes, sozialen Abstieg, Abbau des öffentlichen Sektors, allgemeine Verarmung und Prekarisierung". Und weiter: "Welch ekelhafter Hohn!"

Allerdings wäre eine Bruchlandung des Kometen in dem vorerst bis Ende Juni terminierten Großkonflikt um die Eisenbahn möglicherweise erst recht katastrophal. Denn die könnte, befürchten gerade Macron-SkeptikerInnen, das Wiedererstarken der Rechtsextremen befördern, nicht erst bei den nächsten Präsidentschafts-, sondern bei den Europawahlen. Und die sind schon 2019.


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2 Kommentare verfügbar

  • Andromeda Müller
    am 15.04.2018
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    Ja Macron . Der Mann des extremistischen neo"liberalen" Weiter so : Auch bei kontext wurde zu ihm aufgeschaut (Wahl zum Staatspräsidenten) anstatt ihn mit in die Pfanne zu hauen.
    Jetzt kommt er mal ausnahmsweise nicht so gut weg , dieser "visionäre Europäer" .
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