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Dalai-Lama-Talk

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Wenn zwei Männer sich treffen, öffnen sich manchmal die Herzen: Kontext-Autor Franz Alt kennt den Dalai Lama persönlich und hat sich mit ihm über die Lage der Welt unterhalten. "Seine Heiligkeit" wünscht sich eine globale Ethik der Liebe und des Mitgefühls. Und Bildungspläne fürs Herz.

In den USA regiert Präsident Trump nach dem Motto "America first". Ist dieses Motto in den Zeiten der Globalisierung zeitgemäß?

Wenn der Präsident sagt "America first", macht er seine Wähler glücklich. Aber aus globaler Sicht ist diese Aussage nicht relevant. Die neue Realität ist, dass alles mit allem verbunden ist. Der US-Präsident sollte mehr nachdenken über das, was für die ganze Welt relevant ist.

Müsste ein zeitgemäßes Motto nicht eher heißen: "Make the Planet great again"?

Sicher! Die USA sind noch immer sehr mächtig. Das Motto der Vorfahren der heutigen Amerikaner war Demokratie, Frieden und Freiheit. Die totalitären Regime haben keine Zukunft. Der Präsident der USA braucht eine Vision. Leider hat Donald Trump den Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen verkündet. Dafür hat er sicher seine Gründe. Aber ich unterstütze diese Gründe nicht.

Trumps Politik und seine Kriegsrhetorik führen zu einer Spaltung in den USA und in der Welt: einer Spaltung zwischen schwarz und weiß, zwischen Amerikanern und Ausländern, zwischen Demokraten und Republikanern, zwischen arm und reich. Wie könnte man diese Spaltung überwinden?

Mein favorisiertes Konzept ist eine säkulare Ethik jenseits aller Religionen und globales Denken über die Zukunft der Welt. Bei der Klimaerhitzung oder bei der globalen Wirtschaft gibt es keine nationalen Grenzen. Auch keine religiösen. Jetzt ist die Zeit gekommen, zu verstehen, dass wir eine Menschheit auf einem Planeten sind. Ob wir es wollen oder nicht: Wir müssen miteinander leben. Aber wenn wir voller Hass, Angst und Zweifel sind, bleibt die Tür zu unserem Herzen verschlossen und jeder kommt uns verdächtig vor. Das Traurige ist, dass wir dann den Eindruck bekommen, andere wären genau so misstrauisch uns gegenüber. So wird die Distanz zwischen uns selbst und den Anderen immer größer. Diese Spirale fördert Einsamkeit und Frustration. Wenn wir friedlich zusammenleben, arbeiten sogar unsere Körperzellen besser. In Unfrieden mit sich und anderen leben, ist nicht intelligent und nicht gesund.

Nicht nur in den USA, auch in Europa spielt der Neo-Nationalismus eine immer größere Rolle.

Das ist ein ernstes Problem in vielen Nationen. Es ist zunächst einmal logisch, dass die vielen Nationen sich um ihre eigenen Belange kümmern. Aber die Geschichte lehrt uns: Wenn Menschen nur ihre nationalen Interessen verfolgen, gibt es Streit und Krieg. Das ist kurzsichtig und engstirnig. Das ist überholt. Die Zukunft einzelner Nationen hängt immer auch von den Nachbarn ab – davon, dass es auch ihnen gut geht. Die USA hängen von Europa ab, Europa von Asien und Afrika und umgekehrt. Das ist heute anders als in der Vergangenheit. Die einzelnen Nationen müssen sich auch um ihre Nachbarn kümmern. Das ist die neue Realität unserer Zeit.

Vor einiger Zeit sagten Sie einmal: "Meine Hoffnung und mein Wunsch ist es, das eines Tages die formale Schulbildung auch der Erziehung des Herzens Aufmerksamkeit schenkt." Was meinen Sie mit Erziehung des Herzens?

In wenigen Worten: Liebe, Mitgefühl, Gerechtigkeit, Vergebung, Achtsamkeit, Toleranz und Frieden. Eine solche Erziehung ist notwendig vom Kindergarten über höhere Schulen bis zur Universität. Ich meine soziales, emotionales und ethisches Lernen. Wir brauchen heute eine weltweite Initiative um das Herz und den Geist zu erziehen. An der Universität in Atlanta in den USA haben wir ein solches Programm gestartet mit sehr guten Erfolgen: Die Studenten haben weniger Stress, sind weniger gewalttätig oder brutal, sie sind effizienter und konzentrierter, weil sie meditieren.

Aber solche Werte verlieren immer mehr an Wichtigkeit. Wie kann man das ändern?

Unsere heutige Bildung ist hauptsächlich an materiellen Werten und an Verstandesbildung orientiert. Aber die Realität zeigt, dass wir mit dem Verstand allein nicht zur Vernunft kommen. Wir benötigen eine globale Ethik, die sowohl gläubige als auch nichtgläubige Menschen akzeptieren können. Ganz aktuell sieht man das in Burma, wo die buddhistische Mehrheit Gewalt gegen die muslimische Minderheit verübt. Dahinter steckt ein Mangel an inneren Werten. Deshalb haben die Religionen an Überzeugungskraft verloren. Intoleranz ist immer der falsche Weg. Intoleranz führt zu Hass und Spaltung. Unsere Kinder sollten mit der Idee aufwachsen, dass für jegliche Konflikte Dialog und nicht Gewalt der beste und praktikabelste Weg zur Lösung ist. Die jungen Generationen haben die große Verantwortung, sicherzustellen, dass die Welt ein friedvollerer Ort für alle wird. Das kann aber nur Wirklichkeit werden, wenn unser Bildungssystem nicht nur das Gehirn ausbildet, sondern auch das Herz. Der eigentliche Sinn unseres Lebens, den wir alle verfolgen, ob mit oder ohne Religion, ist es, glücklich zu sein.


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