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Wo die Rente sicher ist

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Bei gleichem Erwerbseinkommen können ÖsterreicherInnen mit doppelt so viel Rente rechnen wie Deutsche. Und das, obwohl die Ausgangssituation zu Beginn der 2000er-Jahre ähnlich war. Ein Reformkonzept wie in Deutschland scheiterte in Österreich am Widerstand von Opposition und Gewerkschaften.

Die Rentensysteme in Deutschland und Österreich sind im Kern ähnlich. Auch in Österreich basiert die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) auf dem Bismarck'schen Modell der Pflichtversicherung für Arbeiter und Angestellte. Sehr ähnlich ist auch das Wohlstandsniveau in den beiden Ländern. Und ähnlich ist auch der Hintergrund für die vielen Reformen, die in beiden Ländern gesetzt wurden: Hier wie dort waren der demografische Wandel und der damit verbundene tendenzielle Anstieg der Kosten die bestimmenden Faktoren. Ganz erheblich unterscheiden sich allerdings die Reformwege.

Die entscheidenden Weichenstellungen erfolgten zu Beginn der 2000er-Jahre: Deutschland hat 2001 mit der "Riester-Reform" das Ziel der Lebensstandardsicherung durch die GRV aufgegeben und einen Gutteil der Verantwortung für die Alterssicherung zu den Betriebs- und Privatrenten verlagert. Ein Kernelement dieses Strategiewechsels war der damit angepeilte Ausbau kapitalbasierter Renten.

In Österreich wurde 2003 von der damaligen ÖVP/FPÖ-Regierung ein Reformkonzept vorgelegt, das in eine sehr ähnliche Richtung ging: drastische Reduktion der Rentenansprüche in der GRV und – parallel dazu – kräftige öffentliche Förderung kapitalbasierter Renten. Massiver Widerstand, geführt von den Gewerkschaften und von den damaligen Oppositionsparteien (SPÖ und Grüne) zwang die Regierung dann aber zum Einlenken. Der Widerstand hat sich gelohnt: Heute hat Österreich – nach einem zwischenzeitlich sehr unübersichtlichen Rentenrecht – ein starkes gesetzliches Rentensystem und eine wesentlich bessere Alterssicherung als Deutschland. Und das ohne Schaden für die Wirtschaft, wie <link https: www.boeckler.de pdf p_wsi_report_27_2016.pdf external-link-new-window>eine Vergleichsstudie von 2016 belegt.

Gegen das Konzept der Verlagerung hin zu Betriebs- und Privatrenten wurde in Österreich unter anderem ins Feld geführt, dass damit keine Kosten gespart, sondern bestenfalls verschoben werden, und dass die sogenannte "Kapitaldeckung" letztlich mehr Risiken birgt als die bei den gesetzlichen Renten praktizierte Finanzierung im Umlageverfahren. Befürchtet wurde eine Fragmentierung der Alterssicherung zwischen jenen, die sich private Altersvorsorge leisten können oder in finanzstarken Betrieben mit guten Betriebsrenten arbeiten, und jenen, bei denen das nicht der Fall ist.

Auch Selbständige sind in Österreich pflichtversichert

Schon vor Jahrzehnten hat Österreich mit der Einbindung auch der Selbständigen in die GRV einen Umbau in Richtung gesetzlicher Absicherung aller Erwerbstätigen eingeleitet. Ein weiterer Schritt in diese Richtung wurde Mitte der 1990er-Jahre mit der Pflichtversicherung auch der neuen Beschäftigungsformen im Grenzbereich zwischen unselbständiger und selbständiger Arbeit gesetzt.

Eigenständige Versorgungssysteme außerhalb der GRV haben die Beamten, allerdings sind in Österreich auch ihre Versorgungssysteme Teil des Reformprozesses. Auf lange Sicht wird das Niveau der Beamtenversorgung dem Niveau der GRV-Renten angeglichen. Obwohl auch in Österreich die Rentenberechnung umfassend reformiert und weniger günstig als früher gestaltet wurde, liegen die durchschnittlichen Rentenzahlbeträge wesentlich höher als beim großen Nachbarn: Während Männer in Deutschland monatlich im Schnitt 1050 Euro (netto vor Steuern) erhalten, sind es in Österreich 1820 Euro, bei Frauen stehen 590 Euro (Deutschland) 1220 Euro (Österreich) gegenüber.

Der Hauptgrund für diese riesigen Unterschiede besteht schlicht darin, dass in Österreich auch nach der 2003/2004 beschlossenen Senkung der Rentenprozente von vorher 2 Prozent auf 1,78 Prozent des versicherten Jahreslohns eine wesentliche höhere Rentengutschrift erfolgt als in Deutschland. Umgelegt auf die deutsche Rentenberechnungsformel heißt das, dass erworbene Entgeltpunkte in Österreich viel besser bewertet werden.

Auffällig ist, dass die Renten der Frauen in beiden Ländern – allerdings auf sehr unterschiedlichem Niveau – wesentlich niedriger liegen als jene der Männer. Darin spiegelt sich wider, dass Frauen seltener und oft in geringerem Umfang erwerbstätig sind als Männer, außerdem unterschiedliche Lohnhöhen, Defizite bei Kinderbetreuungseinrichtungen, etc. Die Unterschiede machen deutlich, wie eng die Renten in beiden Ländern mit dem Arbeitsmarkt verflochten sind und wie sehr eine beide Geschlechter erreichende Erwerbsintegration Teil der Rentenpolitik sein muss.

Bessere Perspektiven für die heute Jüngeren

Noch größer als die aktuellen Unterschiede in den Leistungsniveaus sind die Unterschiede in den Vorausberechnungen für die heute Jüngeren. Laut OECD-Berechnungen von 2015 für idealtypische Erwerbsverläufe werden Rentner, die 2014 mit 20 Jahren ihr Erwerbsleben begonnen haben und auf 45 Beitragsjahre kommen, in Deutschland ein Rentenniveau von 37,5 Prozent ihres Bruttoeinkommens erreichen, in Österreich dagegen ein Nievau von 78,1 Prozent. Klar ist aber auch, dass die realen Erwerbsverläufe in aller Regel weniger günstig verlaufen als in diesen Berechnungen angenommen.

Die Rechenbeispiele machen deutlich, dass bei Beibehaltung des geltenden Rechts das Leistungsniveau der deutschen GRV in Zukunft noch weiter hinter das österreichische Niveau zurückfallen und ein extrem niedriges Niveau erreichen wird. Zumindest auf den ersten Blick günstiger als in Österreich ist in Deutschland die jährliche Anpassung der laufenden Renten geregelt.

Das österreichische Recht sieht nur eine Inflationsabgeltung vor und stellt damit die Rentner im Regelfall schlechter als die deutsche Anbindung an die Entwicklung der Löhne. Zu beachten ist allerdings, dass in Deutschland zusätzliche Faktoren die Anpassung nach unten drücken können, wie "Riester-Faktor" und "Nachhaltigkeitsfaktor". Im österreichischen Recht gibt es keine vergleichbaren Korrekturmechanismen. Eine "Rentenkürzung durch die Hintertür" mittels automatischer Steuerungsfaktoren haben die österreichischen Gewerkschaften bisher mit Erfolg verhindert.

Die Möglichkeiten zu einem frühen Rentenantritt wurden auch in Österreich stark eingeschränkt. Seit den 1990er-Jahren ist es erklärtes Ziel der Rentenpolitik, das traditionell sehr niedrige effektive Rentenantrittsalter anzuheben und soweit wie möglich an das Regelalter 65 heranzuführen. Eine Anhebung des Regelalters darüber hinaus wurde bisher nicht beschlossen. Forderungen in diese Richtung kommen vor allem aus der Wirtschaft und von der EU-Kommission, die Österreich im Rahmen des "Europäischen Semesters" mehrere Male dazu aufgefordert hat, das gesetzliche Rentenalter mit der steigenden Lebenserwartung zu verknüpfen. Die sozialdemokratisch geführte Bundesregierung hat diese Forderung bisher nicht umgesetzt und ist damit der ablehnenden Haltung der Gewerkschaften gefolgt. Eines der zentralen Gegenargumente ist, dass bereits Arbeit bis 65 für sehr viele nicht erreichbar ist.

Mindestabsicherung höher und leichter erreichbar

Erhebliche Unterschiede bestehen auch bei der Mindestsicherung im Alter. In Österreich gibt es eine aus Bundesmitteln finanzierte Mindestsicherung innerhalb der GRV. Personen mit niedrigem Rentenanspruch haben bei Erfüllung der Bedürftigkeitskriterien (angerechnet wird Eigen- und Partnereinkommen, nicht aber Vermögen) Anspruch auf eine Zuzahlung einer "Ausgleichszulage" um folgende Richtsätze zu erreichen: Bei Alleinstehenden 889,84 Euro im Monat, bei Ehepaaren 1334,17 Euro im Monat. Für Alleinstehende mit zumindest 30 Beitragsjahren gilt seit 2016 eine Sonderregelung. Der "Ausgleichszulagen-Richtsatz" beträgt in diesen Fällen nunmehr 1000 Euro pro Monat.

Die österreichische Mindestsicherung im Rahmen der GRV bietet also deutlich höhere Leistungen und ist zudem, wegen der fehlenden Vermögensanrechnung, an weniger strenge Bedarfskriterien gebunden als die deutsche Mindestsicherung im Alter. Dazu kommt, dass durch die Abwicklung im Rahmen der GRV auch der Zugang erheblich einfacher ist.

Die Finanzierung der gesetzlichen Renten basiert ebenso wie in Deutschland primär auf Beitragszahlungen der Erwerbstätigen. Mit 22,8 Prozent liegt der Beitragssatz in Österreich um gut 4 Prozentpunkte höher als in Deutschland. Davon sind 12,55 Prozent vom Arbeitgeber und 10,25 Prozent als Arbeitnehmerbeitrag zu entrichten. Die auf den ersten Blick relativ hohe Beitragssatzdifferenz wird stark relativiert, wenn zu Deutschland auch der vorgesehene 4-Prozent-Beitrag zur Riester-Rente und die höheren Aufwendungen für Betriebsrenten in Rechnung gestellt werden.

Anders als in Deutschland sind in Österreich nicht die Beitragssätze, sondern die Bundesmittel die variable Größe, um auf ansteigende (oder sinkende) Rentenkosten zu reagieren. Das ergibt sich aus der im österreichischen Recht vorgesehenen "Ausfallshaftung" des Bundes, wonach dieser die jeweilige Differenz zwischen Beitragseinnahmen und Ausgaben zu begleichen hat. Diese Regelung hat es ermöglicht, den Beitragssatz seit fast 30 Jahren stabil zu halten.

Rente in Österreich: gravierend besser

Bemerkenswert ist, dass es Österreich durch die Reformpolitik der letzten Jahrzehnte gelungen ist, die Bundesmittel zur GRV auf relativ stabilem Niveau zu halten: Der Anteil dieser Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist heute ähnlich hoch wie Mitte der 1980er-Jahre. Aktuell sind die Finanzierungsanteile aus dem Bundeshaushalt mit 23,6 Prozent in Deutschland und 22,7 Prozent in Österreich ähnlich hoch (Werte von 2012).

Die Kostenvorausschätzungen aus dem Ageing Report 2015 der EU-Kommission lassen auch in den kommenden Jahrzehnten – trotz massiver demografischer Verschiebungen – mit einem Zuwachs von 0,5 Prozent des BIP bis 2060 nur einen moderaten Anstieg der Beitragssätze erwarten. Eine erhebliche Rolle spielt dabei, dass parallel zu Kostensteigerungen in der GRV ein massiver Kostenrückgang bei den Beamtenpensionen erwartet wird. Erhebliche Unterschiede gibt es auch bei den Betriebsrenten. In Österreich sind die Arbeitgeber verpflichtet, zumindest die Hälfte des Gesamtbeitrags zur Betriebsrente beizusteuern.

Als Fazit lässt sich festhalten: Die Rentenperspektiven in Österreich sind gravierend besser als die in Deutschland. 15 Jahre nach dem deutschen Strategiewechsel hin zu Betriebs- und Privatrenten zeigt der Ländervergleich, dass Österreich mit seiner nach wie vor klaren Schwerpunktsetzung bei der gesetzlichen Rente eine wesentlich bessere Alterssicherung hat als Deutschland. Noch gravierender sind die Unterschiede bei den heute Jüngeren, ihre Rentenperspektiven sind in Österreich ganz gravierend besser als in Deutschland.

Das belegt, dass die Forderung der deutschen Gewerkschaften nach einer Stärkung der gesetzlichen Rente mehr als berechtigt ist.

 

Josef Wöss ist Leiter der Abteilung Sozialpolitik bei der Kammer für Arbeiter und Angestellte Wien.


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6 Kommentare verfügbar

  • Phil D
    am 13.07.2017
    Antworten
    Schön, dass die Gewerkschaften fordern, dass die gesetzliche Rente gestärkt wird.... nur kämpfen sie nicht dafür. Sehe keine Streiks, nichts.... In Deutschland fehlt einfach eine leitende Kraft für die Proteste, die LINKE wird einfach nicht wahrgenommen.... Letzt endlich hat es jedoch jeder in der…
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