Am Erscheinungstag der heutigen Kontext-Ausgabe tagt der Petitionsausschuss des Landtags. Aber Dirk Diestel macht sich keine allzu großen Illusionen, dass noch etwas zu retten ist. Als Sprecher der Bürgergemeinschaft für Überlinger Bäume (BÜB) hat er im letzten Dreivierteljahr allzu oft erleben müssen, wie konstruktive Vorschläge mit Häme, Gesprächsangebote mit schroffer Feindseligkeit beantwortet wurden. "Das tut weh", sagt er.
Seit bekannt wurde, dass für die Landesgartenschau (LGS) 2020 in Überlingen 160 alte Bäume am westlichen Ortseingang fallen sollen, ist die halbe Stadt auf der Palme. 3400 Unterschriften hat Diestel in kürzester Zeit gesammelt, bei 22 000 Einwohnern. Das ist eine Menge. Doch der Gemeinderat hat das Bürgerbegehren aus juristischen Gründen abgewiesen.
Wenn es einen Leitfaden "Wie verärgere ich meine Bürgerschaft?" für die Verwaltung gäbe, er müsste folgende Empfehlungen enthalten: Bäume abholzen; Kulturdenkmäler zerstören; die Bürger über die Ziele im Unklaren lassen; Bürgerbegehren zurückweisen; den Dialog verweigern. Überlingen hat jeden dieser Punkte beherzigt. Und erntet damit weit über die Stadt hinaus Kopfschütteln. Dabei hat alles ganz anders angefangen.
Am Anfang waren sich alle einig
2009 bewarb sich Überlingen erfolgreich um die Landesgartenschau 2020. Die Überlinger freuten sich. Drei Bürgerwerkstätten sammelten Ideen. 2013 votierten in einem Bürgerentscheid fast 60 Prozent für die Gartenschau. "Ich war einer der ersten, die in den Freundesverein eingetreten sind", sagt Dirk Diestel. Der Fotograf, der 25 Jahre lang für den "Südkurier" gearbeitet hat, kennt das zukünftige Gartenschaugelände gut. Er ist Vorstand der Tauchgruppe Überlingen, die dort ein kleines Ufergrundstück nutzt, das "Plätzle", denn wenige Meter vom Ufer entfernt geht es steil hinunter in die Tiefen des Bodensees.
Die Stadt möchte das brachliegende ehemalige Gewerbegebiet hinter dem Bahnhof Therme in einen "Bürgerpark" verwandeln. Rechts ragt als 20 Meter hohe senkrechte Wand der Molassefelsen empor, ursprünglich die Steilküste des Bodenseeufers. Moderne Stadtvillen lugen oben über die Kante, ihre breiten Fenster bieten einen privilegierten Blick auf den See. Das gesamte Gelände davor wurde erst beim Eisenbahnbau aufgeschüttet, mit Material aus dem Eisenbahntunnel.
Mit der Eröffnung der Bahnlinie 1895 gönnte sich Überlingen auch einen mondänen Stadteingang. Der Autoverkehr spielte noch keine Rolle. Aber die Stadt begann den Tourismus für sich zu entdecken. Hinten an der Felswand führt die Bahnlinie schnurgerade auf den Bahnhof Therme zu. Die Platanenallee, die vorn in einem breiten Bogen der Uferkante folgt, trug zum Ruf Überlingens als "Nizza am Bodensee" bei. Die Straße soll jetzt nach hinten, neben die Bahnlinie verlegt werden. Darin sind sich alle einig.
In der NS-Zeit hoben KZ-Häftlinge in der Felswand den Goldbach-Stollen aus, für die Rüstungsproduktion. Mit dem Abraum wurde das Gelände nach Nordwesten verlängert. Dort entstand nach dem Krieg der Campingplatz mit einer in den See vorgeschobenen "Bastion" als "Aussichtspunkt und Ruheplatz für Spaziergänger". Vor zwei Jahren musste der Campingplatz schließen. Wegen der Landesgartenschau.
Dann wurde der Kahlschlag bekannt
2012 wurde der Wettbewerb für das Gartenschaugelände ausgeschrieben. Maßgeblich mitgewirkt hat der renommierte Überlinger Landschaftsarchitekt Johann Senner, früher einmal Mitarbeiter von Hans Luz in Stuttgart. In seinem Büro Planstatt Senner mit Filialen in Stuttgart, München, Shanghai, Dubai und Mumbai hat er rund 50 Mitarbeiter. Vor zwei Jahren hat der Bund Deutscher Architekten in Stuttgart seine Arbeiten in einer Ausstellung vorgestellt: unter anderem die Interkommunale Gartenschau im Remstal 2019 und den Landschaftspark Neckar mit 200 Einzelprojekten in 27 Kommunen.
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Schwabe
am 26.02.2017"Die Stadt - hier stellvertretend für alle an Entscheidungen Beteiligten, zieht sich zu jedem Zeitpunkt auf die Behauptung zurück, alle diese Details seien erkennbar gewesen,..."
"Die Stadt" meines Erachtens hier stellvertretend für "die Politik"! Und "Die…