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Das Ende vom Traum Germany

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In Pforzheim steht Baden-Württembergs Abschiebe-Haftanstalt. Seitdem Geflüchtete dort auf ihre Abschiebung warten, darf kein Journalist mehr hinein. Anstaltsleiter Hans-Peter Paukner ist der Wächter über drinnen und draußen und einer, der seinen Job tatsächlich liebt.

Die Karte mit der Sau hat der Chef eingeführt. Das Tier, fett und rot, durchgestrichen. "Bei uns gibt's vegetarisch und laktosefrei, warum nicht auch halal?", sagt Hans-Peter Paukner. "Ich stelle es mir fürchterlich vor, wenn ich bei jeder Mahlzeit Bedenken haben muss, dass was drin ist, was ich nicht essen darf." Deshalb wird vom Caterer nur nach arabischer Machart gekocht, das war ihm ein Anliegen. Die Karte mit der Sau drauf ist das am meisten gebrauchte Zeige-Kärtchen hinter den mehr als fünf Meter hohen Betonmauern. Kein Schweinefleisch im Abschiebe-Knast in Pforzheim.

Es gibt wenig zu beschönigen an dem Job, den Hans-Peter Pauckner macht. Er ist das personifizierte Ende vom Traum "Germany": der Chef der Abschiebehaftanstalt für Baden-Württemberg in Pforzheim. Wer dort einsitzt, steigt meistens da wieder aus, wo er eigentlich nicht sein will.

Paukner hat drei Kinder, ist verheiratet, 61 Jahre alt, einer, der leidenschaftlich gerne reist, durch Bolivien, Peru, Mexiko. Er trägt Seidenhemd, hellblau zu Sakko und feiner Hose, ein drahtiger Mann mit guter Laune und einen Schlüsselbund, der viel zu groß und viel zu schwer ist für die Hosentasche am Hintern. Wenn er aufsteht, knallt er auf den Boden, manchmal hebt er ihn auf, manchmal lässt er ihn liegen. Dann zieht sich das geringelte Plastikband, das den Bund an einer Gürtellasche befestigt, in die Länge, wenn er hinter Paukner her schleift wie ein winziger Hund, dem alles zu schnell geht.

Die Einrichtung liegt am Ende einer Straße im Osten Pforzheims. Sie passt gut hierher, in diese hässliche Stadt mit der landesweit höchsten Arbeitslosenquote und den landesweit meisten AfD-Wählern. "Ja", sagt Paukner,und dann, wie sehr ihn das "ganze Getue um den Islam und um Muslime" nervt. "Ich kenne Muslime und das Problem, das die Leute mit ihnen haben. Aber es ist einfach keines." So mancher Ausländer sei zugänglicher als einige Deutsche.

Ein Gefängnis sei wie ein Dorf 

Seit mehr als 25 Jahren ist Paukner Justizvollzugsbeamter, zuerst sieben Jahre in Bruchsal, dann 18 in Mannheim – Betrüger, Mörder, Vergewaltiger gehörten zu seinem Berufsalltag. Er sei "so reingerutscht" in diesen Beruf, sagt er. Heute kann er sich keinen anderen mehr vorstellen. Tatsächlich, Justizvollzugsbeamter ist sein Traumjob. "Kann man so sagen." Paukner strahlt. 

Ein Gefängnis sei wie ein Dorf. Mit Wäscherei, psychologischem Dienst, Arzt, Restaurant, Kleiderkammer, Ausbildungsplätzen, Kino, Dorfbevölkerung. Das alles will organisiert und gemanagt sein und Paukner ist so etwas wie ein Bürgermeister für Bewohner, die ihr Dorf nicht verlassen können. Er gerät ins Schwärmen: Die Vielfalt, und Überraschung, die jede neue Woche bringt, das Unplanbare, das Unberechenbare, kein Tag ist wie der andere, jeder erfordere Kreativität. Pforzheim ist die Sahnehaube auf seiner Karriere. Dort muss er nicht nur die Tage kreativ gestalten, hier kann er eine ganz neue Haftform erfinden.

Ende März dieses Jahres wurde aus der Jugendstrafanstalt ein Abschiebegefängnis. Zuvor waren die "Ausreisepflichtigen", nicht bleibeberechtigte Flüchtlinge, die untertauchen könnten, bevor sie abgeschoben werden, im Mannheimer Gefängnis untergebracht. Der Europäische Gerichtshof entschied aber 2014, dass diese Menschen keine Verbrecher seien und eigene Haftanstalten für sie eingerichtet werden müssen. Die in der Rohrstraße in Pforzheims Osten gegen den Protest der Pforzheimer, allen voran des Bürgermeisters, der fürchtete, dass seine Anwohner belästigt würden durch den Lärm von Anti-Abschiebungs-Demos. Bisher fand noch keine dort statt.

Paukner hatte sich freiwillig gemeldet für den Chefposten. "Klang nach einer interessanten Aufgabe. Eine, wo man Lösungen finden muss, die es noch nicht gibt. Die ganze Anlage muss ja von einem Gefängnis in Wohngruppen umgestaltet werden." Er strahlt schon wieder, und wenn er so erzählt in seinem weißen Büro, klingt das alles freundlich und hell und nach Hotelpension mit Aussicht. Aber die Räume hinter den Backsteinmauern, hinter dem Stacheldraht und dem riesigen grauen Einfahrtstor mit Doppelschleuse liegen sicher auf der Skala der verzweifeltsten Orte des Landes vermutlich ganz weit vorne.

Amnesty war auch schon schon da 

Besucher schieben am Eingang Ausweis und Telefon unter einer dicken Glasscheibe durch, bekommen im Tausch eine Messingkarte, schwer, Handarbeit, eine Reminiszenz an die Jugendlichen, die hier einmal einsaßen und das Teil gebastelt haben. Der Warteraum klemmt zwischen verschlossenen Türen und grauen Wänden, an einer hängt ein Bild: Mann mit Taube in der Hand. Was es aber nicht besser macht. Kein schöner Ort. 

36 Haftplätze gibt es aktuell, 80 sollen es mal werden. Wie viele Betreuer es gibt, darf Paukner aus Sicherheitsgründen nicht sagen, aber die Betreuung sei 1:1, er zwinkert scherzhaft, sehr viel besser als im Normalknast, da ist er stolz drauf. "Ich möchte ja nicht damit prahlen", sagt er und lächelt zufrieden. Seine Insassen sind ausschließlich Männer. Die wenigen Frauen werden ins pfälzische Ingelheim überstellt, Familien kommen seiner Erfahrung nach nicht ins Gefängnis, aber im "Extremfall" könne man schon auch "Familienzimmer" einrichten. "Normalerweise holt die Polizei den Mann ab, und ohne den tauchen die Restlichen auch nicht ab", sagt Paukner. Einen Fall hatten sie, da war ein Vater mit seinem Sohn da. Aber das war der einzige. Paukner verwaltet geplatzte Lebensträume mit viel Pragmatismus.

Elf Männer sitzen gerade bei ihm ein. Elf "Abgänge" hatte er diese Woche. Sie kommen aus Afghanistan, Serbien, Montenegro, Pakistan, Ägypten, Sri Lanka, Gambia. Abschiebungs-Spitzenreiter ist Kosovo. Am Anfang gab es wenige Dublin-Fälle, mittlerweile sind es 40 Prozent, die von Pforzheim nach Norwegen, in die Niederlande oder nach Spanien verfrachtet werden.

Drei Tage bis zwei Wochen bleiben die Männer in der Regel in Haft. Um sieben gehen die Zellentüren auf, dann ist "offenes Haus" bis 22 Uhr. Es gibt einen Außenbereich, Freizeiträume, einen Gemeinschaftsraum, eine Küche pro Stockwerk, ein Internet-Café. Mit vier Computerplätzen jeweils ohne Zugang zu Pornoseiten. Frühstück um sieben, um zwölf Mittagessen, um fünf Abendessen. Besuchszeit ist von neun bis fünf am Nachmittag – "da kommen Kumpels, Bekannte, Betreuer, Anwälte, Amnesty war auch schon da", sagt Paukner. "Die rufen wir dann an und sagen, da will euch einer sprechen." Generell, sagt Paukner, geben er und seine Mitarbeiter Hilfestellung bei allem, was den Alltag angeht. Der Unterschied zum normalem Strafvollzug sei, dass alles schneller gehen müsse. "Nah dran bleiben" nennt es Paukner, das gefällt ihm, "da muss ein Anwalt eben sofort kommen anstatt erst in einer Woche, weil seine Mandanten hier nicht jahrelang bleiben." 

Im Abschiebeknast muss alles schnell gehen

Sprache ist wichtig. Paukner hat Kärtchen mit Bildern, zum Beispiel das durchgeixte Schwein, das er zeigt, wenn einer nach den Zutaten des Essens fragt. Er hat einen Online-Dolmetscherdienst an Land gezogen, weil Übersetzer für manche Sprachen nur schwer zu finden sind und eine lange Anreise haben. Das erlaubt der Zeitplan von "nah dran sein" meistens nicht. Außerdem möchte Paukner nur Muttersprachler für die Übersetzungen, "keine Studenten, die halt mal eine Sprache gelernt haben", solche, die Gesten und Stimmmodulation und seltene oder medizinische Worte kennen. Tut's im Oberbauch weh, im Unterbauch, wie tut es weh, wie fühlt es sich an? Kürzlich hat jemand von einem Krankenhaus bei ihm angerufen, um zu fragen, welchen Übersetzungs-Onlinedienst er denn so nutze.

Ob er manchmal Mitleid mit den Menschen hier hat? "Mitleid passt nicht zum professionellen Umgang", sagt Paukner. Er wiegt den Kopf abschätzend, weil er die Frage berechtigt findet, aber die Antwort so klar und unmissverständlich ausfällt. "Wer hier sitzt, hat oft eine ganze Story an Abschiebeversuchen hinter sich", sagt er. Bei diesen Menschen stand schon oft Polizei vor der Tür und hat sie nicht angetroffen. Wenn das häufiger passiert, dann landen sie hier, bei Hans-Peter Paukner. "Das ist eine belastende Situation für die Betreffenden", sagt er. 

Vielleicht ist es kein Mitleid, zumindest aber ein Mitfühlen, wenn auch oft ein resigniertes. "Ich habe schon einige hier gehabt, die seit zwei, drei Jahren in Deutschland sind, sich aber einfach nie gekümmert haben. Die hätten damals locker Asyl beantragen können, aber jetzt haben sich die Gesetze verschärft. Dann muss auf den letzten Drücker noch was gerettet werden, was einfach nur verbummelt wurde. Das ist dann schon tragisch." Wo es noch nicht ganz zu spät ist, informieren sie das BAMF, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. 18 junge Männer konnten so die Endstation Pforzheim wieder verlassen. "Das freut mich dann", sagt Paukner. Denn hier sind keine Menschen, die Verbrechen begangen haben, nur solche, die sich und ihrer Familie ein besseres Leben wünschen. "Wer will ihnen das verdenken?"

Seitdem es die Anstalt gibt, wurden 128 junge Männer dort aufgenommen, 117 sind schon weg. "Den meisten ist klar, dass sie zurück müssen." Von Pforzheim aus plant der Sozialdienst die Ankunft im anderen Land: Gibt es jemanden, den man anrufen soll, wer holt den Betreffenden ab, muss man Kontaktadressen heraussuchen, Anlaufstellen finden, wenn es denn welche gibt? Sie planen Zug- und Busverbindungen von den Flughäfen, auf denen die Menschen ankommen, in Ländern, die keiner von ihnen kennt. "Algerien ist schwer", sagt Paukner, das sei ein echtes Drama dort mit Zügen. "Jeder bekommt von uns noch einen Reisekostenbeitrag und ein Lunchpaket mit", sagt Paukner. Dort, wo sie schließlich landen, sei "nicht der Wunschort", sagt er. "Ein Ort zweiter Wahl, das ist uns allen hier bewusst. Aber es gibt Gesetze. Und es muss Leute geben, die sie umsetzen."

Natürlich war und ist das, was er tut, Gesprächsthema in seinem privaten Umfeld. Aber Paukner, so erzählt er es, lässt sich auf keine Seite ein: nicht auf die Abschiebehaftgegner, nicht auf die, denen es nicht schnell genug gegen kann. Es sei sein Beruf, wer damit nicht umgehen könne, müsse es lassen. "Es wird wohl nie ohne Abschiebungen gehen", sagt er. "Und wenn das so ist, muss ich das Beste draus machen."


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8 Kommentare verfügbar

  • Michael Schenk
    am 20.09.2016
    Antworten
    Was der zitierte Satz ('Sie passt gut hierher, in diese hässliche Stadt mit der landesweit höchsten Arbeitslosenquote und den landesweit meisten AfD-Wählern.') in dem Artikel verloren hat, kann man sich in der Tat fragen.

    Sich darüber zu echauffieren, kann ich auch nachvollziehen.

    Nicht…
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