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Geschützte Mörder

Geschützte Mörder
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Dass in der Colonia Dignidad gefoltert wurde, ist seit Langem bekannt. Dass der BND Mitwisser war, hat er jüngst selbst bestätigt. Dass sich Angela Merkel gegen die Offenlegung der Akten sperrt, ist empörend. Sagt die Journalistin Gaby Weber, die der Kanzlerin vorwirft, Mörder und Folterer bis in alle Ewigkeit zu schützen.

Frau Weber, was ist von den jüngsten Meldungen zu halten, die besagen, dass der BND seit 1966 von den Folterungen in der Colonia Dignidad wusste?

Hier geht einiges durcheinander. Man muss bei der Colonia Dignidad zwei Dinge unterscheiden: Zum einen gab es den systematischen sexuellen Missbrauch und die Gehirnwäsche durch den Sektenchef Paul Schäfer und seine Führungsclique. Darunter den Arzt Hartmut Hopp, der trotz eines chilenischen Haftbefehls heute ohne Probleme in Krefeld lebt. Zum anderen die Folter und Morde in der Colonia an chilenischen Regimegegnern ab 1973, als das Militär geputscht hatte. Man muss dazu wissen, dass das Amtsgericht Siegburg bereits 1961 Haftbefehl gegen Schäfer wegen Unzucht mit Abhängigen erlassen und trotzdem zugesehen hat, wie er sich nach Chile absetzte. Dort wurde er bis Ende der Diktatur 1989 von der deutschen Botschaft unterstützt.

Und bei all dem soll auch der BND seine Hände im Spiel gehabt haben.

Ganz sicher. Da ist zum Beispiel der deutsche Waffenhändler Gerhard Mertins, der den "Freundeskreis der Colonia Dignidad" gegründet hat. Mertins hatte für den BND illegal Waffen in Krisengebiete verschoben, wurde aber am Ende nicht verurteilt, weil der BND mit von der Partie war. Mertins ging in der Kolonie ein und aus, die nach dem Putsch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Südchile geworden war. Sie war in den Bergbau und in die Herstellung von chemischen Waffen eingestiegen.

Mertins ist inzwischen tot ...

Ja, aber ich habe ihn 1980 noch auf seinem Gut Buschof besucht. Für ihn war die Colonia Dignidad ein "Paradies", wie er mir sagte. Für seine Mitstreiter vermutlich auch: für den ZDF-Journalisten Gerhard Löwenthal, den Münchner CSU-Stadtrat Wolfgang Vogelsgesang und den damaligen deutschen Botschafter, Erich Strätling. Mertins hat mir einen 20-minütigen Werbefilm mit unschuldigen Kindergesichtern und Bienchen vorgeführt, und er schwärmte von seinem Busenfreund, dem chilenischen Geheimdienstchef Manuel Contreras: "Er hat ein rundes Gesicht mit weichen Zügen und macht den Eindruck, dass es ihm schwerfallen würde, eine Fliege zu töten." Nach dem Ende der Diktatur wurde Contreras wegen mehrerer Morde verurteilt.

Verstehe ich recht: Das alles war seit Jahren bekannt. 

Ja. Bereits in den Siebzigerjahren veröffentlichten Amnesty International und der "Stern" die Vorwürfe gegen das deutsche Foltercamp, und die Kolonie klagte vor dem Bonner Landgericht. Ich habe damals bei der Ortsbesichtigung den Verlag Gruner + Jahr vertreten und war mit dem Arzt und Schäfer-Vertrauten Hopp aneinandergeraten, weil er mich nicht auf das Koloniegelände lassen wollte – obwohl die Prozessbeteiligten das eigentlich durften. Man fürchtete wohl, dass ich fotografieren würde. 

Und warum dann jetzt der Colonia-Hype? Spätestens mit dem Ende der Diktatur 1989 hätten die Verbrechen aufgeklärt werden und die Aufarbeitung beginnen können.

In Deutschland ist der Fall 2015 durch den Spielfilm "Es gibt kein Zurück" wieder ins Gedächtnis gerückt. Aber bis auf Lippenbekenntnisse aus dem Auswärtigen Amt und dem Präsidialamt ist nichts geschehen. Von Aufarbeitung kann keine Rede sein. Allerdings ist in Chile einiges passiert. Nach der Diktatur sind die Besitzverhältnisse untersucht worden, denn man hatte beizeiten das Vermögen auf Scheinfirmen übertragen. Und gegen Schäfer und seine Clique wurde wegen Missbrauchs ermittelt, und die Führungsriege landete im Gefängnis. Schäfer ist dort 2010 verstorben. Aber auch in Chile ist einiges noch tabu, vor allem, inwieweit Schäfer an der Herstellung von Giftgas mitgewirkt hat. Wenn Sie sich erinnern: Unter anderem wurde der frühere, christdemokratische Staatschef Frei durch Giftgas ermordet.

Die Rolle des BND ist nie untersucht worden.

Die Bundesregierung hat hier systematisch vertuscht, und zwar böswillig. Es steht außer Frage, dass der BND detaillierte Kenntnis von den Zuständen in der Kolonie hatte. Dies sprach mir eines der Colognia-Dignidad-Gründungsmitglieder, Heinz Kuhn, einmal ins Mikrofon. Kuhn verhalf einigen Sektenmitgliedern zur Flucht ins Ausland und unterhielt Kontakte zur US-Botschaft und zum FBI. Mit Beamten des BND hat er sich "mehrfach getroffen. Da ging's um bestimmte Fälle", so Kuhn. "Globalmente war der BND über sämtliche Missstände in der Kolonie informiert, auch über den Fall Weisfeiler." Der US-Bürger Boris Weisfeiler war 1985 in der Nähe der Kolonie aufgegriffen worden und verschwand für immer. Er soll einen Geigerzähler mit sich geführt haben.

Sie haben versucht, Akten vom BND zu bekommen.

Ich arbeite seit Ende der Siebzigerjahre an dem Thema und habe wiederholt versucht, in die Kolonie hineinzukommen. Das ist mir erst nach dem Ende der Diktatur gelungen. Am 1. Februar 2009 hatte ich beim BND einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt. Der wurde abgelehnt mit der Begründung, dass "sämtliche Unterlagen des BND Verschlusssachen" seien. Auf meinen Widerspruch erhielt ich aus Pullach einen Brief mit dem Vermerk "nur für den Dienstgebrauch", verbunden mit der Bitte, dass ich das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts abwarten möchte.

Das ist lustig: ein Brief vom BND an eine Journalistin, nur für den Dienstgebrauch.

Ich habe schon lange aufgehört, mich über den BND zu wundern. Aber mit dem vorgeschlagenen Vorgehen war ich einverstanden. Ein Jahr zuvor hatte ich nämlich den BND auf Einsicht in seine Eichmann-Akten verklagt. Es sollte ein Grundsatzurteil werden. Die Leipziger Richter gaben mir weitgehend recht. Nur 100 Blatt bleiben weiter geheim, weil das Bundeskanzleramt meinte, dass der Mossad sich über eine Freigabe ärgern würde und dieses Risiko könne man in Zeiten des Terrorismus nicht eingehen. Das heißt: Frau Merkel hält Akten zu einem Nazi-Kriegsverbrecher geheim, um einem ausländischen Geheimdienst gefällig zu sein. Nach dem Leipziger Urteil wollte ich endlich die Dignidad-Akten erhalten, fragte erneut in Pullach nach und erhielt die Auskunft, dass man "alle verfügbaren Archivunterlagen" an das Koblenzer Bundesarchiv abgegeben habe.

Na bitte, ist doch ein Fortschritt!

Nein, ganz im Gegenteil, reine Verarschung. Bei meinem Besuch in Koblenz wurde mir nur ein Schnellhefter ausgehändigt mit insgesamt 22 Seiten. Blatt Nummer eins war ein "VS Inhaltsverzeichnis zugleich Notvernichtungshandlung und Abgabequittung zu Abgabeverzeichnis 30/2004", gefolgt von einem kurzen Brief des CDU-Politikers Heiner Geißler mit der Bitte um Aufklärung und einer nichtssagenden Antwort des BND-Präsidenten an Geißler. Die Abgeordnete der Linken, Ulla Jelpke, fragte die Bundesregierung, was mit den Akten, die im Frühjahr 2009 noch nicht offenzulegende "Verschlusssachen" waren, nunmehr passiert war und was diese "Notvernichtungshandlung" sei. Befindet sich etwa der BND in solcher Not, weil er Mitarbeiter schützen oder die eigene Verwicklung in das Kinderbordell und die Machenschaften von Paul Schäfer verdecken will?

Und wie lautete die Antwort?

Der damalige Bundesminister Ronald Pofalla antwortete auf die <link http: www.heise.de tp artikel _blank external-link>Kleine Anfrage: Ob Dokumente vernichtet oder ausgelagert wurden, könne "den recherchierbaren Unterlagen nicht entnommen werden". Aber: "Dem Antrag der Journalistin wurde entsprochen." Damit meinte er die 22 Blatt sowie die "Notvernichtungshandlung" – ein Begriff, der "standardmäßig verwendet (werde), um für den Fall einer schnell vorzunehmenden Vernichtung von Verschlusssachen, etwa bei der kurzfristigen Räumung einer Dienststelle im Ausland, einen Nachweis der vernichteten Dokumente zu erhalten". Auch die Bundeswehr kennt solche "Notvernichtungshandlungen", wenn etwa ein Schiff im Sinken begriffen ist und die an Bord befindlichen Geheimdokumente "nicht dem Feind in die Hände fallen dürfen".

Da muss die Not wirklich groß sein.

Für das Bundeskanzleramt offensichtlich. Ich hoffe aber, dass die Bundesverwaltungsrichter das anders sehen. Ich habe erneut Klage gegen den BND eingereicht. Diesmal geht es um alle Berichte seines Residenten an der Botschaft in Buenos Aires. Der war auch zuständig für Chile.

In welchem Stadium befindet sich dieser Prozess?

Der BND führt sich auf, als wäre er, um mal die Worte von Frank Rieger vom Chaos Computer Club zu gebrauchen, "eine Mafia mit Rechtsabteilung". Er sperrt sich partout gegen eine generelle Offenlegung seiner Dokumente aus der Zeit der argentinischen Militärdiktatur. Er hat damals eng mit dem argentinischen Geheimdienst SIDE zusammengearbeitet, der systematisch gefoltert hat und Regimegegner zu Tausenden aus Flugzeugen ins Meer werfen ließ. Ein paar Berichte hat man mir gegeben, aber ich will die kompletten Akten – oder eben eine Sperrerklärung des Bundeskanzleramts, der übergeordneten Behörde.

Wie argumentiert der BND?

Das muss man sich tatsächlich auf der Zunge zergehen lassen. O-Ton: "Der Umstand, dass dieses Regime Unrecht begangen hat, beeinflusst nicht den vom BND gewährten umfassenden Vertraulichkeitsgrundsatz hinsichtlich nachrichtendienstlicher Kooperationen gegenüber dem Staat Argentinien. Jedwede Offenlegung von Informationen könnte dazu führen, dass der Austausch mit anderen Nachrichtendiensten beeinträchtigt oder gefährdet wird." Mit anderen Worten: Wir schützen auch Folterer und Mörder – und zwar bis in alle Ewigkeit.

Wie verhalten sich andere Länder hierzu?

Barack Obama hat bei seinem letzten Besuch in Argentinien angekündigt, Akten zur argentinischen Diktatur zu deklassifizieren, auch die der CIA. Papst Franziskus hat selbiges versprochen. Und die argentinische Regierung – die jetzige wie die vorige – hat ihre Archive zur Diktatur geöffnet und sogar entsprechende diplomatische Abkommen mit den Nachbarstaaten über die Offenlegung dieser Unterlagen zur Operation Cóndor unterzeichnet. Das heißt: Alle Staaten geben ihre Unterlagen zum damaligen argentinischen Folterregime frei, und eine einzige Dienstanweisung des Kanzleramts nach Pullach würde ausreichen, um internationale Mindeststandards zu erfüllen. Aber Angela Merkel zieht es vor, sich – in guter deutscher Tradition – als das Schmuddelkind aufzuführen. Das Schmuddelkind der Menschenrechte.



Gaby Weber, 1954 in Stuttgart geboren, promoviert an der FU Berlin, Trägerin des Alternativen Medienpreises, ist seit 1978 hauptberufliche Journalistin, arbeitete zuerst für den "Stern" und ab 1981 für die ARD. Seit 1985 ist sie freiberuflich als Südamerika-Korrespondentin in Buenos Aires tätig, unter anderem auch für den SWR. Ihre Homepage ist
<link http: gabyweber.com _blank external-link>gabyweber.com.


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5 Kommentare verfügbar

  • tropfen für tropfen
    am 14.08.2016
    Antworten
    das alles geht tief, ganz tief runter in das "rabbit hole", bis in schichten der abscheulichkeit, die auch die meisten aluhutträger lieber meiden.. und ist mitnichten geschichte. die netzwerke sind aktiver denn je. meint etwa jemand, mk ultra sei eingetütet? oder ausgerechnet obama sei nicht…
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