KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Vive La Mannschaft

Vive La Mannschaft
|

Datum:

Mannschaft vor, noch ein Tor! Müssen wir das jetzt schreien, wenn Schweinsteiger aufs Feld läuft? Dem smarten Fußballverkäufer Oliver Bierhoff tät's gefallen, weil die Kicker zur Premiummarke mit Mercedes-Bus werden sollen.

Mir hat es noch nie eingeleuchtet, warum ich einerseits die Bayern ordentlich beschmährede und warum ich sie dann, wenn sie in Europa oder für die Nationalmannschaft spielen, auf einmal unterstützen soll? Kann mir bitte mal jemand aus diesem Dilemma helfen? Wie löst ihr das denn? Oder macht euch Fremdgehen nix aus? Na? Mir macht das nämlich was aus. Und dann heißt die Nationalelf neuerdings "die Mannschaft". Was, bitte, reimt sich auf Mannschaft?

Aber zunächst zu Oliver Bierhoff, dem Manager: Ich frage mich, warum es für die geschniegelten Propagandisten des "freien Unternehmertums" keine Rote Karte gibt? Bierhoff, der Mann mit dem "Golden Goal", EM 1996, gewiss ein verdienter Balltreter. Er kommt aus gutem Hause, hat Manieren und ist smart. Vor einem Jahr schnöselte der "Spiegel" völlig korrekt: "Wer an PR denkt, denkt an Oliver Bierhoff. Der Manager ist bei der Nationalmannschaft für die Verkaufe zuständig." Und Verkäufer Oliver, der wie einer dieser glatt gebügelten Absolventen der Merkel'schen Alternativlos-Ausbildungsanstalt wirkt, verstärkt nun seine Anstrengungen, die Nationalmannschaft zu einer Marke zu machen. Zu einer "Premiummarke" sogar. Eine Marke soll etwas profilieren, ein Produkt, einen Service, sojafreie Margarine, glutenfreies Soja, Fußball, was auch immer. Klar. Gerade als alternder Mensch und Freund des runden Leders rätselt unsereiner nun, warum das nicht schon früher jemandem eingefallen ist!?

Leute wie Bierhoff reden unentwegt von Professionalität. Und das heißt heute ökonomisch denken, also kalkulieren, optimieren, effizienter gestalten, Denglisch salbadern (weshalb die EM kein Fußballereignis, sondern ein "Big Event" ist) – oder schlichter: Er will möglichst viel verhökern. Und zum Geschäft, das hat mich meine Oma schon gelehrt, da gehören keine Emotionen.

Auf schnellstem Weg zum Geldbeutel des Kunden

Der Fan ist andersrum gepolt, für ihn ist Fußball erst einmal Spaß an der Freud und ein lokales, regionales, nationales Lebensgefühl, mit dem er sich identifiziert. In Bezug auf die Nationalmannschaft heißt das: Mal mehr (= dumpf, schlecht und Nationalismus), mal weniger (= Sommermärchen, also irgendwie gut und Patriotismus). Bierhoff und Sponsorten interessiert das erfrischend wenig. Sie reizt das Fan-Interesse allenfalls als schnellster Weg zur Patte (Geldbörse) der – nicht etwa Fans – sondern "Kunden".

Merke: Fans sind nur dann wirklich Fans, wenn sie sich mit der Rolle des Kunden identifizieren. Deshalb wollen Bierhoff & Co. ein günstiges Geschäftsklima in den Stadien schaffen. Papa mit dem alten Schal ist längst kein Thema mehr. Nein, jetzt wollen sie an die Rente von Oma und Opa, ans Taschengeld der Kinder und an Muttis Haushaltskasse. Darum geht es den netten Herren von der DFB-Geschäftsführung, wenn sie im ZDF-Sportstudio das "Wachstum des Fußballmarktes" beschwören – und sich über Besucher aufregen, die das "schöne Bild" vom "Märchen" stören. Denn diese Fans, die sogenannten, produzieren die Bilder, wie jetzt in Marseille, die "wir nicht sehen wollen", wie sich die Herren und Damen Kommentatoren dann zusammen mit Bierhoff empören. 

Nun weiß Bierhoff, dass es Vereine wie Real, Barca und Manchester leichter haben, sich als Marke für den Verkauf von Fußballartikeln zu etablieren. Die Grenzen der Nationalteams sind weiter. Aber auch in den Zeiten von TTIP und Globalisierung muss eine Nationalelf unterscheidbar bleiben. Derlei ist für Sponsoren wichtig. Kurzum: Es braucht eine Kernaussage, eine Markenidentität. Und weil dem Chefverkäufer und seinen professionellen Marketingstrategen auffiel, dass der brasilianische Ballkünstler seine "Seleção" hat , der Italiener seine "Azzurri" und der Holländer "het Elftal", ließen sie für teuer Geld den Markenbegriff DIE MANNSCHAFT erfinden.

Mit Champagnergläsern ist keine La Ola zu machen

Jetzt haben die deutschen Fans DIE MANNSCHAFT. Allerdings ist gemeinhin bekannt, dass der Mensch als Fan unberechenbar und undankbar ist. Wir erinnern uns gern an Uli Hoeneß, anno 2007. Da hatte ein Fan gewagt, über zu viele Logen, die schlechte Stimmung in München zu klagen und sich getraut zu sagen, dass man "mit Champagnergläsern keine La Ola machen kann". "Das ist eine populistische Scheiße", hatte der Uli damals gewettert: "Es kann nicht sein, dass wir uns jahrelang den Arsch aufreißen und dann so kritisiert werden." Dem muss entgegengewirkt werden, wenn der Fan seine ihm zugedachte Rolle als Event-Statist ordentlich ausfüllen soll. Mit schönen Bildern, imposanten Choreos und einem fidelen akustischen Teppich.

Für die Schulung dieses besonderen Typus hat sich Bierhoff eine ganz besondere Pädagogik ausgedacht: Wer offiziell Anhänger von DIE MANNSCHAFT werden will, muss Mitglied des "Fan Clubs Nationalmannschaft powered by Coca-Cola" sein. Erst dann kriegt man Tickets für Länderspiele – inklusive der EM. Die Generalprobe lief Ende März dieses Jahres im Berliner Olympiastadion, als Jogis Jungs gegen England antraten. Die "Fan-Kunden" erhielten XXXL-formatige Regieanweisungen wie im TV-Studio, bei denen die Zuschauer wissen, wann sie klatschen/lachen müssen: "Bitte zum Einlauf der Mannschaften die Papptafeln/Folienschnitte hochhalten" stand da, und die Rindviecher reagierten brav und korrekt, bis auf einige, die natürlich wieder (erfolgreich) protestieren mussten. Zu lesen kriegte der geneigte Zuschauer dann die Ergebnisse der Kreativabteilungen des DFB nebst angeschlossener Agenturen: "Spirit", "Team" und, natürlich, DIE MANNSCHAFT. So etwas macht sich gut auf Anzeigen, etwa von Daimler. Gerade in der Diesel-Krise ist Teamspiritfotofootage hilfreich. Das wissen die Stuttgarter Autobauer, die seit den 90er-Jahren zu den verdienstvollen Generalsponsoren der Nationalmannschaft gehören, und deshalb ist auch der Marken-Bus ganz wichtig.

In Bierhoffs Worten: "Mannschaftsbusse haben für die Spieler und für die Fans immer auch einen gewissen emotionalen Wert. Mercedes-Benz hat große Erfahrung mit Mannschaftsbussen, sie sind sicher und sind bestens ausgestattet. Besonders freut mich, dass wir auf dem neuen Bus auch unser neues Logo in das Design integrieren konnten. Jetzt steht auf dem Bus, was sich im Bus befindet: DIE MANNSCHAFT."

Auch Daimler ist begeistert: Vive La Mannschaft

Mal abgesehen von dem "emotionalem Wert", womit er wahrscheinlich das "heiligs Blechle" meint, hat mich besonders die letzte Aussage dieses Absatzes tief bewegt. Denn endlich wissen wir, dass sich im Mannschaftsbus der Nationalmannschaft nicht etwa heimlich die Familie Löw chauffieren lässt. Toll. Wirklich toll. Und weil Frankreich in diesem Jahr offizieller Ausrichter ist, gibt sich der Global Player vom Neckar auch saumäßig savoir-vivremäßig: "Vive La Mannschaft"! Man möchte als Schwabe spontan "Vive le Mannschaftsbusle" hinzufügen. So geht Markenfußball. 

Aber was heißt das jetzt alles für unsereinen, der noch sein altmodisch romantisches Späßle am gelungenen Pass in die Tiefe des Raumes hat? Sollen wir jetzt "Mannschaft vor! Noch ein Tor!" brüllen? Da fragt sich doch der des Deutschen mächtige Fan im Stadion völlig zu Recht: Welche Mannschaft meinen die denn? Oder sollen wir nach einem Müller-Tor mit "So eine Marke, so wunderschön wie heute ..." dem Chanson eine Abfuhr erteilen? 

Ich bin sehr, sehr zuversichtlich, dass Bierhoff und seinen Leuten dazu etwas einfallen wird, wie beim "Welcome Package", das die Mitglieder des Fan Clubs der deutschen Nationalmannschaft heute schon kriegen. Es enthält die Stadiongrundausstattung, bestehend aus Cap, Schal und Schlüsselfinder im Look des Fan Club Nationalmannschaft powered by Coca-Cola. Zitat: "Die exklusiven Artikel in Schwarz-Rot-Gold haben schon so manches Nicht-Mitglied neidisch gemacht. Wer Cap und Schal im Stadion trägt, gibt sich als Fan-Club-Mitglied zu erkennen und wird als solches erkannt. Beide haben einen hohen Wiedererkennungswert. Einen hohen Nutzwert hingegen hat der ebenfalls im Welcome Package enthaltene Schlüsselfinder." 

Nein, ich spinne nicht. Das steht da wirklich alles (<link http: fanclub.dfb.de fan-club vorteile-der-mitgliedschaft welcome-package _blank external-link>fanclub.dfb.de/fan-club/vorteile-der-mitgliedschaft/welcome-package). Nein, ich will mich von diesen Sprücheklopfern nicht ikeamäßig duzen lassen, ich halte mich an Hans Hubert Vogts, unseren einstigen Bundes-Berti, der schon vor 20 Jahren den ehernen Satz geprägt hat: "Der Star ist die Mannschaft." Darüber möchte ich in den nächsten Wochen hören und lesen, von der Kunst und von der Schönheit des Fußballspiels. Aber was, bitte, reimt sich auf DIE MANNSCHAFT?


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


6 Kommentare verfügbar

  • Blender
    am 18.06.2016
    Antworten
    Für Deutschland spielt die Mannschaft,
    Die dem Verein Geld ran schafft,
    Solang der Fan aufs Feld gafft,
    Und den Schiri anblafft,
    Dass dieser wieder nichts rafft.
Kommentare anzeigen  

Neue Antwort auf Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!