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Rot-Weiß-Rot im Niedergang

Rot-Weiß-Rot im Niedergang
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Der Erfolg der rechtspopulistischen FPÖ in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl hat Österreich politisch umgefärbt. Daran haben die beiden ehemals großen Parteien SPÖ und ÖVP hohen Anteil. Aber auch die "Kronen-Zeitung", die stärker ist als "Bild".

Werner Gruber ist kein Politologe, er ist der bekannteste lebende Physiker Österreichs, der acht Jahre lang mit seinem Wissenschaftskabarett "Science Buster" schwierigste Themen verständlich aufbereitete. Im Sommer 2015, als mit dem burgenländischen Landeshauptmann (= Ministerpräsident) Hans Niessl der erste regierende Sozi eine Koalition mit der FPÖ einging, redete Gruber Klartext: "Ich trete für die Sozialdemokratie ein, weil mir Bildungs- und soziale Gerechtigkeit wichtig sind. Die FPÖ macht aus der sozialen Frage eine Keule, mit der sie auf gesellschaftliche Randgruppen schlägt. Mit so einer Politik gibt es keinen gemeinsamen Nenner. Das ist menschenverachtend."

Niessl konnte damals, unbeeindruckt vom Aufschrei vieler Genossen und -innen, sein rot-blaues Bündnis schmieden. Die Quittung kam am vergangenen Sonntag: Im östlichsten Bundesland, sozialdemokratische Hochburg seit fast hundert Jahren, kam der SPÖ-Kandidat auf nicht einmal 18 Prozent, während der Rechtspopulist Norbert Hofer mit 42 Prozent das höchste Ergebnis aller neun Bundesländer erzielte.

Eines der vielen Mirakel beim Wiederaufstieg einer Partei, die nach dem Unfalltod von Jörg Haider vor siebeneinhalb Jahren fast so (schein-)siech war wie die AfD nach dem Abgang von Lucke, Henkel und Co., ist der Umstand, dass ihr eine überlange Serie kleiner und großer Skandale nichts anhaben konnte. Allen voran jener um die Hypo Alpe Adria in Kärnten. Dem kollektiven Gedächtnis der Arbeiter und Bauern, der Angestellten und Handwerker, die massenhaft zur FPÖ überliefen, ist es offenbar wurscht, wie immens das Finanzdesaster ist, das Haider als Landeshauptmann mit windigen Transaktionen und der Notverstaatlichung aller Hinterlassenschaften am Ende zu verantworten hat.

Die "Krone" hebt und senkt den Daumen

Mehr noch: Sein Nachfolger Heinz Christian Strache schafft es, die staatlichen Retter der anderen Parteien in einer Weise madig zu machen, die Wasser auf die FPÖ-Mühlen lenkt. "Er erdreistet sich, als Brandstifter die Löschtrupps zu attackieren", ereifert sich der SPÖ-Fraktionschef Andreas Schieder im Wiener Nationalrat so oft wie erfolglos. An der FPÖ bleibt nichts hängen, Strafprozesse nicht und ebenso wenig verbale Ausrutscher ihrer führenden Leute, die offenbaren, wes Geistes sie sind: Es ist ein finsteres Gebräu aus Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Illiberalität und gesellschaftlichem Vulgärdarwinismus, angereichert mit ständigen Signalen an den mal klammheimlich, mal relativ offen Nazi-affinen Teil der Bevölkerung. Und in unschöner Regelmäßigkeit kommen Äußerungen ans Tageslicht, bei denen das Thema Antisemitismus eine Rolle spielt.

Möglich sind solch trübe Verhältnisse nicht nur eines Politikbetriebs wegen, der Kontroversen scheut und nur allzu oft den Eindruck erweckt, es gehe vorrangig um Posten und Vorteile durch Beziehungen. Im Politikalltag sind auch noch andere mächtige Akteure mit im Spiel. An der Spitze die "Kronen-Zeitung", im Volksmund auch "Revolverblatt" genannt, von vielen Lesern gleichwohl geschätzt, von Politikern massiv benutzt und mit einem Verbreitungsgrad ausgestattet, um den sie von "Bild" beneidet wird.

Die Miteigentümer der deutschen WAZ-Gruppe lassen zu, dass in der Politikredaktion nicht über Politik geschrieben, sondern Politik gemacht wird: den Daumen hebend und senkend über Kanzler, Parteichefs und Präsidentschaftskandidaten, polemisierend gegen Europa und Flüchtlinge, immerzu "grün-linkes Gutmenschentum" dem allgemeinen Hohn preisgebend. "Die FPÖ ist nicht mehr das Schmuddelkind der Politik", jubelte das Blatt am Montag. Norbert Hofer darf sich der Unterstützung durch die "Krone" bis zur Stichwahl am 22. Mai sicher sein. In einer nicht repräsentativen Umfrage kurz vor dem ersten Wahlgang stimmten 73 Prozent der Online-Leser für Hofer als neues Staatsoberhaupt.

Natürlich hätten die Koalitionspartner kraftvoll gegensteuern können. Nach den Nationalratswahlen 2013 gaben sich SPÖ und ÖVP einen Vertrag, der nicht nur Arbeitsprogramm hieß, sondern eines ist – für deutsche Verhältnisse ungewöhnlich strukturiert, detailliert und faktenreich. Allerdings hat es die ÖVP nicht verwunden, wieder nur kleinerer Partner zu sein – die Ähnlichkeit mit baden-württembergischen Verhältnissen sind rein zufällig –, und treibt die SPÖ vor sich her. Die, angeführt von einem wankelmütigen Kanzler Werner Faymann, der ständig auf dem "Krone"-Klavier mitspielen möchte, lässt das in ihrer anschwellenden Angst vor Neuwahlen und dem abzusehenden Triumph der FPÖ mit sich geschehen.

Wie in Deutschland wurde vieles von der Zuwanderungsfrage beherrscht. Über Monate hin weigerten sich Länderchefs der ÖVP, überhaupt Flüchtlinge aufzunehmen. Unter ihrem und dem Druck des Boulevards ging schließlich SPÖ-Kanzler Werner Faymann auch Angela Merkel von der Fahne, nachdem er zuvor den Eindruck erweckt hatte, wie die deutsche Kollegin der Welt entschlossen ein "freundliches Gesicht" zeigen zu wollen. Sebastian Kurz, mit Ende 20(!) Außenminister geworden, mittlerweile ein schwarzer Politstar, schloss die Balkanroute praktisch im Alleingang. Alle Vor- und Nachwahlanalysen belegen, wie dieser Kurs dem FPÖ-Kandidaten die Stimmen zuspülte. "Die Wähler und Wählerinnen gehen nicht zum Schmiedl, sondern zum Schmied", zitierte ein Wiener Politprofessor einen alten Spruch. Vor allem die männlichen Wähler: Etwa jeder zweite Mann hat Hofer gewählt, aber nur jede vierte Frau.

Heute ist die EU die Zielscheibe

Abstiegsängste sind längst in Xenophobie umschlagen – und das in einem Land, in dem es nur so wimmelt von Alteingesessenen, deren Vorfahren mitnichten aus dem Gebiet zwischen Wien und Bregenz stammen. Es herrschen miese Stimmung und Rezession, die Arbeitslosenzahlen, lange Zeit so niedrig wie kaum irgendwo sonst in Europa, steigen. Die Gesellschaft ist gewöhnt daran, dass ein starker Staat gegensteuert, wie Anfang der Neunzigerjahre, als noch mehr Flüchtlinge als heute – aus Jugoslawien – kamen, als Wohnungen gebaut, Lehrkräfte eingestellt und Integrationsangebote entwickelt wurden. Österreich war damals noch nicht in der EU. Das "Schuldenregime der EU" ist heute Zielscheibe, für Kritiker von links und rechts. Erstere gehen in die Wahlenthaltung, Letztere wollen raus aus der Union. Mit Slogans wie "Österreich den Österreichern", die paradoxerweise selbst in weltberühmten Tourismusorten greifen: In Kitzbühel wählten 38 Prozent Hofer und nicht einmal 20 Prozent den Grünen Tiroler Alexander Van der Bellen.

Dass es der jetzt dennoch – oder deshalb – richten muss im zweiten Wahlgang, liegt auch an einer menschlichen und politischen Tragödie: Die weit über ihre SPÖ-Grenzen hinaus anerkannte und beliebte Parlamentspräsidentin Barbara Prammer, die beste Chancen gehabt hätte, als erste Frau in die Hofburg einzuziehen, ist vor eineinhalb Jahren an Krebs gestorben. Ihrer Partei ist es nicht gelungen, eine Alternative aufzubauen. Wenigstens darf der 72-Jährige kettenrauchende Wirtschaftsprofessor Van der Bellen, frühere Nummer eins seiner Partei, auf SPÖ- und Teile der ÖVP-Stimmen hoffen. Das rote Wien hat als einziges Bundesland mehrheitlich Grün gewählt. Und an Deutlichkeit hat er es schon vor dem ersten Wahlgang nicht fehlen lassen: Einen FPÖ-Kanzler werde er nicht vereidigen.

Kretschmann ermuntert den grünen Parteifreund

Sein Unterstützerkomitee schmücken nicht nur klingende Namen aus allen politischen Lagern, sondern auch aus dem befreundeten Ausland, darunter Baden-Württemberg. Gerade in politisch bewegten Zeiten, gibt Winfried Kretschmann dem altgedienten Grünen mit auf den Weg, sei "eine besonnene, weltoffene und weitsichtige Person in einem solchen Amt besonders wichtig". Er schätze Van der Bellen "als engagierten, fairen und vertrauenswürdigen Menschen, der für Demokratie, Menschenrechte, ökologische Nachhaltigkeit, gegenseitigen Respekt und Chancengleichheit einsteht".

Der Physiker Werner Gruber hat den roten Gewerkschafter Rudi Hundstorfer unterstützt, der mühsam auf elf Prozent kletterte. Gruber übt sich dennoch in unösterreichischer Gelassenheit. Das Land habe schon den Ständestaat überstanden, die Nazis und die Kommunisten und werde selbst diese Wahl überstehen, sagt er am Sonntag in die Kameras, und in seiner Miene sollte sich jene Mischung aus Gelassenheit und Zuversicht widerspiegeln, die ihn zum Fernsehliebling gemacht hatte, wenn bei den "Science Busters" die Funken schlugen.

 

Kontext-Autorin Johanna Henkel-Waidhofer ist gebürtige Wienerin.


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3 Kommentare verfügbar

  • Rolf Steiner
    am 27.04.2016
    Antworten
    Was in Österreich passiert, kann auch in Deutschland passieren - die Koalition von SPÖ mit der FPÖ im Burgenland ist ein beredtes Beispiel dafür. Wer nicht nur dort, sondern auch bei uns glaubt, die FPÖ oder die AfD sei vorteilhaft für "kleine Leute", der darf sich gerne weiterhin anlügen lassen.…
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