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Geschenk für Generationen

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Geht also: Vor drei Jahren tobte ein Glaubenskrieg um den Nationalpark Schwarzwald, das grün-rote Prestigeprojekt. Inzwischen haben sich die Gemüter beruhigt. Selbst CDU-Vertreter finden lobende Worte.

Jürgen Pfetzer, Bürgermeister von Ottersweier im Kreis Rastatt, nahm kein Blatt vor den Mund. "Wir werden einen Teufel tun", wetterte der CDU-Schultes in den "Stuttgarter Nachrichten" und erzählte, wie man Alexander Bonde einen Korb verpasst hatte. Der grüne Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz hatte im Ottersweier Rathaus anfragen lassen, ob die 6500-Einwohner-Gemeinde eventuell bereit sei, 450 Hektar ihres Waldes zu tauschen oder zu verkaufen. Damit das Terrain Teil des Nationalparks Schwarzwald werde. Das Waldgebiet sei "hochprofitabel" und habe eine "sechsstellige Summe für den Haushalt" abgeworfen, begründete Pfetzer seine schroffe Ablehnung. Im Übrigen hätten "in dem Waldgebiet schon Generationen von Bürgern unserer Gemeinde gearbeitet". Das lasse man nicht einfach für den Nationalpark zuwachsen.

Das war im Oktober 2012, als der Streit über den ersten Nationalpark sich zum größten politischen Reizthema im Land mauserte. Nach Stuttgart 21. Vor Ort, in den Tälern von Murg und Enz, erhitzten sich die Gemüter ähnlich stark wie auf den Stuttgarter Montagsdemos der Tiefbahnhofgegner. Traditionelle Stammtische spalteten sich in unversöhnliche Lager, Dorfnachbarn grüßten sich nicht mehr. Und in der Landeshauptstadt lieferten sich im Landtag die Politiker turbulente Redeschlachten über Sinn und Unsinn des geplanten Schutzgebiets.

Die einen, zuvorderst Grüne und Naturschützer, wollten mit dem Park Schöpfung und biologische Vielfalt bewahren. Die anderen, voran Christdemokraten, Jäger, Wald- und Sägewerksbesitzer, prophezeiten das Ende des Mittelgebirges. Verursacht durch den gefräßigen Borkenkäfer, der mit den Bäumen die Holzindustrie und den Tourismus vernichten werde. Falls die Holzvernichter je ausbleiben sollten, dann gehe halt alles wegen der undurchdringlichen Parkwildnis vor die Hunde. "Ökodiktatur" und "ideologisches Prestigeprojekt", schimpften die Gegner an die Adresse des grünen Ministerpräsidenten und gelernten Biologielehrers Winfried Kretschmann. Als "Geschenk für nachfolgende Generationen" dankten es ihm die Befürworter.

Auf stolzen 0,3 Prozent der Landesfläche darf die Natur Natur sein

Mittlerweile ist die Entscheidung längst gefallen, am 28. November 2013 im Stuttgarter Landtag mit den Stimmen der grün-roten Regierungskoalition und der eines CDU-Abweichlers, des Abgeordneten Günther-Martin Pauli aus Balingen. Anfang 2014 wurde das hundert Quadratkilometer große Schutzgebiet zwischen Bad Wildbad und Freudenstadt als 15. Nationalpark Deutschlands eröffnet. Zweigeteilt erstreckt es sich auf 7600 Hektar um den Ruhestein und im nördlichen Teil auf knapp 2500 Hektar um den Hohen Ochsenkopf. Der Untergang trat bislang nicht ein, nachdem auf ganzen 0,3 Prozent der Landesfläche die Natur Natur sein darf: Tannen und Fichten haben immer noch grüne Nadeln. Neu sind zitronengelbe Tramete, ein vom Aussterben bedrohter Totholz-Pilz, sowie Sitticus saxicola, eine seltene kleine Springspinne. Sogar ein Steinkopfadler ist über den Bergwipfeln gesehen worden. Hotelbuchungen und Besucherzählungen deuten an, dass die Touristen stärker als zuvor strömen.

Auch Bernd Leix hat Kommissar Oskar Lindt längst abgezogen, den er in seinem Kriminalroman "Mordschwarzwald" noch als verdeckten Ermittler in die Unruheprovinz entsandte. "Es gibt immer noch gewisse Vorbehalte in der Bevölkerung, aber der Umgangston ist sachlicher geworden", schildert der Alpirsbacher Förster und Schriftsteller die aktuelle Stimmung vor Ort. Wie hoch die Wellen schlugen, musste Leix, der sich und seine Romanfigur als neutral bezeichnet, selbst erfahren. Im März 2013 wurde seine Buchvorstellung in Baiersbronn, dem Wohnort von Minister Bonde, nach anonymen Drohungen kurzfristig abgesagt. Das sorgte für Medienrummel, der den Konflikt bundesweit bekannt machte und Leix' Schwarzwaldkrimi zu mehr als 10 000 verkauften Exemplaren verhalf. "Die Gastronomie hat am schnellsten erkannt, welche Chancen sich bieten", sagt der Autor rückblickend. Hotels und Gasthäuser werben inzwischen intensiv mit dem Nationalpark.

"Das Beste draus machen" will jetzt auch Baiersbronns Bürgermeister Michael Ruf. Seine Bürger kooperieren inzwischen mit der Parkverwaltung, schildern Wege aus und halten sie instand. Im Mai 2013 hatten in der 15 000-Seelen-Gemeinde, die in jedem Gourmetführer erwähnt wird, noch 78 Prozent der Bürger gegen den Nationalpark gestimmt. Nur 22 Prozent waren in der rechtlich unverbindlichen Befragung dafür. Einzig im benachbarten Flecken Seewald (86 Prozent) sowie in Forbach im Murgtal (82 Prozent) hatten noch mehr Wahlberechtigte Nein gesagt. Ein Haar in der Suppe findet der parteilose Schultes zwar bis heute. "Wir haben eine Behörde mehr, was Abstimmungsprozesse erschwert", sagt er. Doch die Parkverwaltung sei "überraschenderweise" kooperativer als die zuvor allein zuständige Forstbehörde. "Es funktioniert", meint Ruf. Geht also.

Ganz anders urteilt der Verein "Unser Nordschwarzwald". Es wird weiterhin "getäuscht, ignoriert, diktiert". So ist sein aktuelles "Schwarzbuch" überschrieben, in dem die ablehnende Haltung zum Schutzgebiet dokumentiert ist. Die Gegner, die schon mit drastischen Mitteln wie Todesanzeigen in Lokalblättern für Wirbel sorgten, sind nach den Ergebnissen der jüngsten Akzeptanzstudie aber längst in der Minderheit. Demnach begrüßen fast zwei Drittel der Baden-Württemberger den Nationalpark, und nur sieben Prozent lehnen ihn ab. Selbst unter den Anrainern kann die Hälfte der Befragten gut mit den Park leben, 14 Prozent nicht. Und: Fast jeder zehnte Baden-Württemberger war schon im Nationalpark Schwarzwald. Rund 60 Prozent der Bürger planen einen Besuch.

Minister Bonde ist vom Nationalpark ganz begeistert

"Eine tolle Bestätigung für die starke und deutschlandweit einzigartige Einbindung der Region und die herausragende Arbeit des ganzen Nationalparkteams" nennt Minister Bonde dies. Mit dem Nationalpark komme Baden-Württemberg gerade als starkes Industrieland seiner Verantwortung für den Natur- und Artenschutz nach. Zugleich bringe er wertvolle Impulse für die Entwicklung der Region. "Zwei Jahre nach Gründung ist der Park sehr erfolgreich und beliebt", zieht der Minister Bilanz.

Derartige Jubelarien singt die Opposition nicht. Lange machte sie nach der Niederlage im Landtag weiter gegen das "grüne Prestigeprojekt" mobil. Noch bis Mitte vergangenen Jahres hatte der vormalige CDU-Fraktionschef und studierte Förster Peter Hauk vehement ein Gegenkonzept mit einem "Bürgernationalpark" propagiert: abgespeckt auf die Hälfte bei Fläche und Verwaltungskosten, federführend von den Kommunen organisiert, aber nur mit Zustimmung der örtlichen Bevölkerung realisiert. Und mit einem Bonbon für die eigene Klientel bestückt: Borkenkäfer sollten mit chemischer Keule bekämpft und Jägern das Schießen grundsätzlich erlaubt sein.

Seitdem ist Zeit vergangen und Guido Wolf gekommen. "Wir wollen, dass der Nationalpark ein Erfolg wird", verkündete der CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf zuletzt. Im Falle eines Wahlsiegs solle der Park in Abstimmung mit den Menschen in der Region fortentwickelt werden, um die Akzeptanz zu erhöhen, heißt es im christdemokratischen Programm. "Die öffentlich vorgetragenen Vorschläge aus der Opposition sind diffus oder nicht umsetzbar. Der Vorschlag aus der CDU käme einer Abschaffung des Nationalparks gleich", kontert Bonde. So widerspreche eine verkleinerte Fläche den geltenden Qualitätskriterien für Nationalparks.

Andere CDU-Vertreter stehen ohne Wenn und Aber zum Schutzgebiet. "Wir haben viel Zuspruch aus nah und fern, der Park hat viele positive Entwicklungen ausgelöst", sagt der Freudenstädter Landrat Klaus Michael Rückert, der auch dem Nationalparkrat vorsteht. Als weiteren Meilenstein sieht er ein Verkehrskonzept, mit dem die Region besser mit Buslinien erschlossen werden soll. Zwei Millionen Euro macht Verkehrsminister Winfried Hermann dafür locker. Dazu der Neubau eines Besucherzentrums am Ruhestein, das nach seiner Eröffnung 2018 ein Touristenmagnet werden soll. "Was den Nationalpark betrifft, sehe ich dem Wahlausgang mit großer Gelassenheit entgegen", sagt CDU-Mitglied Rückert. "Für seinen Weiterbestand werde ich mich mit größtem Engagement einsetzen", schiebt er vorsorglich nach.

Für die Befürworter zeigt sich nicht nur anhand der Umfrageergebnisse, wie gut der Nationalpark in der Region angekommen ist. Im vergangenen Jahr haben sich Städte, Gemeinden und Kreise rund um das Schutzgebiet zur Nationalparkregion zusammengeschlossen, um sie touristisch zu vermarkten. Auch Ottersweier gehört dazu. Die Gemeinde ist dabei, weil sie den ehemaligen Skihang, den Sprungturm an der Hundseck und das einstige Kurhaus umnutzen will. Durch die Mitgliedschaft winken EU-Fördergelder, mit denen sich die unschönen Ruinen des Kurhauses beseitigen lassen. Diese Aussicht animiert selbst den einst kompromisslosen Parkgegner Jürgen Pfetzer zu neuen Visionen: Das Grundstück auf Hundseck sei prädestiniert für eine "Nationalparkeinrichtung oder Nationalpark-affine Einrichtung mit Themenschwerpunkt Waldpädagogik oder Naturpädagogik", berichtete der CDU-Bürgermeister jüngst dem Gemeinderat. 

 

Info: Wie halten es die Parteien mit Naturschutz?

Die Umweltverbände NABU und BUND <link https: baden-wuerttemberg.nabu.de umwelt-und-leben politik-und-naturschutz external-link-new-window>beurteilen die Wahlprogramme der vier derzeit im Landtag vertretenen Parteien als höchst unterschiedlich. "Die Bandbreite ist immens. Während die Grünen ihr Programm klar an der Nachhaltigkeit ausgerichtet haben, lässt die FDP jeden Vorstoß in diese Richtung vermissen", sagen die Landesvorsitzenden Dr. Brigitte Dahlbender (BUND) und Dr. Andre Baumann (NABU).

Die kommende Regierung müsse nun an die vielen richtigen Weichenstellungen anknüpfen und die guten Konzepte umsetzen. "Die Landtagswahl wird daher auch eine ökologische Richtungsentscheidung", mahnen die Umweltverbände.


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1 Kommentar verfügbar

  • zaininger
    am 03.03.2016
    Antworten
    Wer sich die Parkplaetze am Kniebis, am Ruhstein und sonst rund um den Nationalpark anschau, der wird vermutlich der Aussage eines Foersters (im staatlichen Dienst, deshalb kein Ort und keine Name) zustimmen: Letztlich doch ein Tourismus-Projekt, an dem sich genuegend vor Ort laben koennen und die…
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