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Grün-schwarzer Jahrmarkt

Grün-schwarzer Jahrmarkt
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Einmal im Jahr wird in Hohenlohe im großen Stil gefeiert: auf der Muswiese bei Rot am See, dem ältesten Jahrmarkt der Gegend. Wer aus diesem Landstrich kommt, schwärmt von dem Fest.

Die Muswiese, von oben betrachtet. Foto: Stadtverwaltung
Auf dem riesigen Wiesengelände drängeln sich 270 Markstände. Dazu gesellen sich 140 "Beschicker" der Landwirtschaftsausstellung und mehr als ein halbes Hundert einheimische Firmen, die den Besuchern vorführen, was das örtliche Handwerk so alles drauf hat. Immerhin darf sich die Muswiese dadurch den respektablen Titel "größtes Freiluftkaufhaus Süddeutschlands" anheften lassen.

Und noch so eine Rekordzahl: die Muswiese ist  auch eines der ältesten Volksfeste in Deutschland – heuer geht es ins 577. Jahr seit der ersten urkundlich nachweisbaren Erwähnung. Was nüchtern betrachtet heißt, dass die Tradition der Jahrmärkte auf der Muswiese in Wahrheit noch um einiges älter sein dürfte als diese Erwähnung aus dem Jahr 1434.

Es ist ein ganz eigener Menschschlag, der hier im Hohenlohischen zu Hause ist: geprägt von Land, Boden, Klima – und der Schweinezucht. Knorzig, konservativ sind die Menschen hier, aber auch ganz schön geschäftstüchtig, in einem von der (Partei-)Farbe Schwarz nach wie vor heftig dominierten Landstrich.

Bauernland ist Hohenlohe immer noch, obwohl die Industrie dort mittlerweile die stärksten Zuwachsraten landesweit vorweisen kann. Das typisch hohenlohische Sowohl-als-auch: auf der Muswiese kann man es erleben, in direkter Tuchfühlung mit dem Nachbarn in einer der übervollen Muswiesenwirtschaften. Bei diesem Ereignis trifft sich ganz Hohenlohe zu einem echten Volksfest in des Wortes wahrster Bedeutung. Egal woher, Hauptsache man ist da, hat einen Platz ergattert und kann mit dem oft völlig unbekannten Sitznachbarn frohgemut essen, trinken und reden.

Konversation, sogar mit einem Schwaben

Ein Thema findet sich von ganz alleine. Sogar beim Zwiegespräch mit einem Schwaben. Obwohl die Hohenloher die Württemberger ja eigentlich nicht verbuzzen können. Denn seit den unseligen Zeiten von Napoleon haben sie es bis heute nicht verwunden, dass der kleine Korse einst dem dicken württembergischen Friedrich das schöne Hohenlohe in den Rachen geworfen hat. Damit war es schlagartig aus mit dem ganz speziell-gemütlichen Umgang, den in Hohenlohe Regierende und Regierte miteinander gepflegt haben. Aber sei's drum: jetzt ist Muswiesenzeit, und da schwätzt man sogar mit einem Schwaben. Hohenlohe ist halt anders.

Selbst zwei grüne Urgesteine haben das immer genau so und nicht anders erlebt: Joschka Fischer und Rezzo Schlauch, die beide in Gerabronn, also gar nicht weit von Musdorf entfernt, geboren worden sind.

Während die Familie Fischer bald in die Nähe von Stuttgart gezogen ist, blieb der Pfarrerssohn Rezzo in Bächlingen im Jagsttal unterhalb der malerischen Schlosskulisse von Langenburg wohnen. Kindheit und Jugend in der dörflichen Idylle, in welche die Stuttgarter an den Wochenenden gerne einfallen, um spätestens am Sonntagabend wieder zu verschwinden und das Dorf in seinen Dornröschenschlaf zurückfallen zu lassen.

So schmerzhaft er sich bereits in seiner Jugend an manch dumpfer Stammtischrede auch gerieben hat und so sehr er als Heranwachsender den Drang hinaus in die weite Welt verspürte, sind dem jungen Rezzo Schlauch schon damals ein paar von diesen Urhohenloher Traditionen  ans Herz gewachsen. Kein Wunder, schließlich haben die Eltern ihre drei Schlauch-Buben immer mit auf die Muswiese genommen: zum Karussellfahren, zum Luftgewehrschießen, zur Losbude. Und auch in die Wirtschaften, wo Jung und Alt, Reich und Arm, eng an eng, einander gut Bekannte und Unbekannte angeregt miteinander ins Gespräch verstrickt waren. Das war Tradition so.

Aus der Luft zeigt sich die Ausdehnung des hohenlohischen Volksfestes. Foto: Harald ZiganBereits der alljährlich fixe Beginn dieser Festivität ist auch so eine Tradition, an der keinesfalls gerüttelt werden darf. Die Muswiese findet nämlich immer an Burkhardi statt. Beziehungsweise in der Woche des Burkharditags. Burkhardi, das ist der 11. Oktober. Ganz einfach. Von wegen! Denn jetzt wird's kompliziert. Sollte nämlich Burkhardi auf einen Freitag oder Samstag fallen, findet die Muswiese erst in der darauf folgenden Woche statt. Rechenschieberarithmetik. Nun ja: angesichts einer derart langen und felsenfesten Tradition ist das schon akzeptabel. In diesem Jahr 2011 fällt Burkhardi auf einen Dienstag, folglich wird die Muswiese also von Samstag, dem 8. Oktober, bis zum 13. Oktober gefeiert. Aber Achtung: der Montag ist traditionell ein Ruhetag. Auch ein Brummschädel braucht mal eine kleine Auszeit.

Wieso hat sich dieser überregional bedeutete Jahrmarkt mit seinen deutlich mehr als hundertausend Besuchern nun aber ausgerechnet im winzigen Musdorf bei Rot am See über all die Jahrhunderte halten können? Und wieso findet er überhaupt dort statt? Die Antwort gibt ein kurzer Blick in die Geschichte: Hier haben sich früher zwei bedeutende Handelswege gekreuzt. Der Fernweg von Nord nach Süd, also vom Main zur Donau, und die alte Salzstrasse von Schwäbisch Hall nach Rothenburg und weiter nach Nürnberg.

Man kann hier folglich alles bekommen, was das Herz eines ländlichen Jahrmarktbesuchers begehrt: vom Hosenträger über die berühmten Kittelschürzen bis zur Klobürste, Geldbeutel, Kälberstrick, Haargummi, Gummibärle, gebrannte Mandeln, Magenbrot und Schafffelle.

Uralte Schankrechte

Jahrmarkt oder Festwiese. Was ist die Muswiese nun eigentlich? So richtig beantworten lässt sich diese Frage nicht. Denn im Gegensatz zu den üblichen Festivitäten ist hier das bierdunstgeschwängerte Festzelt  längst nicht der Dreh- und Angelpunkt der Muswiese. Das ist eher etwas für die Auswärtigen. Die echten Hohenloher, die trifft man eher in den Muswiesenwirtschaften, die oft schon seit vielen Jahrzehnten von ein und derselben Familie betrieben werden. Das sind keine Gasthäuser im eigentlichen Sinn des Wortes, sondern zu einer Art Besenwirtschaft umfunktionierte Wohnhäuser, Schuppen und ehemalige Stallgebäude.

Jeder Anwohner, dessen Haus oder Hof auf dem Gelände der Muswiese liegt, hat nämlich in der Muswiesenzeit seit alters her das Schankrecht. Was damals in den 50er- und 60er-Jahren, so erinnert sich Rezzo Schlauch, bedeutete, dass die Bauern die Wohnzimmer ausgeräumt haben für die Festgäste und man sich dort an prall mit Koteletts und Würsten gefüllten Zinkbadewannen vorbei seinen Sitzplatz erkämpfen musste, bevor man sich die Spezialitäten schmecken lassen konnte. 

Dieses Zusammensitzen, Feiern und Miteinander-ins-Gespräch-Kommen ist einer dieser Reize, die Rezzo Schlauch bis heute auf die Muswiese ziehen: "Selbst in den 68er-Jahren, als wilde junge Leute mit langen Haaren, Vollbärten hierhergekommen sind, hat man immer miteinander gesprochen." Oft mündete dieses Festgeplauder in der Frage, ob man auch schon mal 'demoschtriert' oder  gar ein Haschischpfeifle geraucht habe. Diese gemeinsamen Gespräche sind es, davon ist der grüne Staatssekretär a. D. felsenfest überzeugt, die den Unterschied zu herkömmlichen Volksfesten ausmachen. Außerdem ist die Muswiese die größte Nachrichtenbörse von Hohenlohe, die selbst Anhänger alternativer Lebensformen lieber hierher als zum stromlinienförmigen Cannstatter Volksfest pilgern lassen.

Da geht man doch lieber beispielsweise zum "Uhl", zum "Pressler zum Ochsen" oder zum "Hofmann zur Hofburg", um all die Freunde und Bekannten wieder zu treffen, die man sonst oft das ganze Jahr über nicht zu Gesicht bekommt. Hier trifft sich ganz Hohenlohe. Die Jugend am traditionellen "Ledigen Dooch", der damals, aber auch noch heute für Rezzo Schlauch der wichtigste Muswiesentag ist. Andere treffen sich am Sonntag, wieder andere beim Metzgertanz.

Metzger verjagen die Räuber

Das ist ebenfalls so ein uralter Brauch. Eine Rarität der Muswiese, die folgendermaßen zustande gekommen ist: Vor einigen Jahrhunderte soll einst des Nachts eine Räuberbande das Fest überfallen haben, und nur dank der tapferen Gegenwehr der anwesenden Metzger konnten die Räuber verjagt werden. Als Dank für diese Heldentat haben sie das Privileg erhalten, alljährlich bei der Muswiese den sogenannten Metzgertanz aufzuführen. Dazu gab's von der Herrschaft früher kostenlos Holz fürs Feuer sowie vier bis acht Maß Wein für die wackeren Tänzer. Die Musikanten auf der Muswiese hatten dabei kostenlos zum Tanz aufzuspielen. Bis heute findet dieser Metzgertanz also statt. Gut und gerne 30 Tanzpaare nehmen daran teil, manchmal sogar noch mehr.

Einer der Höhepunkte ist die Kundgebung im Festzelt, die vom örtlichen "Bund der Selbständigen" ausgerichtet wird. Von dessen Mitgliedern die Leute schmunzelnd sagen, sie würden selbst im Kohlenkeller noch schwarze Schatten werfen. Dass hier ein Grüner die Festrede halten könnte, war bis vor wenigen Jahren noch undenkbar. Es hat 20 Jahre in verschiedenen Spitzenfunktionen der Landes- und Bundespolitik bedurft, bis der grüne Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Rezzo Schlauch, im Jahr 2004 von den Selbständigen eingeladen wurde.

Das Bierzeit hat ihm zugejubelt, war ja schließlich einer von hier. Sogar einen Gedenkbaum hat er anlässlich seiner Rede pflanzen dürfen. Ein grünes Urgestein als Festredner: Auch das konnte es nur wegen dieser ganz besonderen Festtradition der Muswiese geben – Toleranz, Neugierde, Festfreude. Und im Jahr darauf haben sie dann in Gestalt des Nachfolgeredners Oettinger ja wieder kräftig Buße getan. 

 

Der Autor Gunter Haug ist Journalist und Schriftsteller. Zuletzt erschien sein Buch "Pumpensumpf", ein Kriminalroman, bei dem auch Stuttgart 21 eine Rolle spielt.


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