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Markus Söder hilft Manuel Hagel

Ein König und ein Aspirant

Markus Söder hilft Manuel Hagel: Ein König und ein Aspirant
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 Fotos: Julian Rettig 

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CSU-Chef Markus Söder hält in Bayern das Zepter in der Hand. Manuel Hagel, Landesvorsitzender der baden-württembergischen CDU, will es ihm mit der kommenden Wahl im März gleichtun. Am Freitag traf er den Franken in Nagold. Dabei ging es um Blutwurst, Wurstsalat und Räucherwurst.

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Manch einer steigt gar auf den Stuhl für die bessere Sicht. Köpfe werden gereckt und Hälse gewendet, um einen Blick zu erhaschen. Kurz nach 18 Uhr ist es so weit: Zum Sound des US-Musikers Flo Rida ("Good Feeling") betreten die Stars des Abends die Halle. Diejenigen, die einen Platz am Laufweg der beiden ergattern konnten, nutzen die Gelegenheit für Selfies und Händeschütteln. Die Prominenten machen geduldig mit. Das dauert so lange, dass die Musiksequenz zu Ende ist, bevor sie überhaupt die Bühne erreichen – und nach wenigen Sekunden Stille neugestartet wird. Für 1.200 Gäste ist die Nagolder Stadthalle bestuhlt, der Andrang ist groß in der rund 24.000 Einwohner:innen zählenden Kleinstadt im Nordschwarzwald.

Das berühmte Duo, gefeiert wie Popstars, steht auf der Bühne und nimmt schließlich Platz in grauen Sesseln: Es sind der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und der hiesige CDU-Spitzenkandidat für die kommende Landtagswahl, Manuel Hagel. Der Abend ist die Premiere für ein neues Veranstaltungsformat des CDU-Mannes aus dem Südwesten: "Bühne frei!". Ein lockeres Gespräch "in entspannter Atmosphäre" sollte es laut Ankündigung werden. "Eher so Wohnzimmer statt Podium", sagt Hagel zu Beginn. Vor allem aber ist es der erste große Aufschlag im Wahlkampf Hagels, der im März zum Ministerpräsidenten gewählt werden will. 

Zwar ist Söder Hagels Gast, dennoch wirkt er beinahe wie der größere Publikumsmagnet. Der 58-Jährige im bayerischen Trachtenjanker überragt den 21 Jahre jüngeren Hagel im Slim-Fit-Anzug um gut einen halben Kopf und die Menschen im Publikum versuchen vielmehr, sich mit ihm abzulichten oder seine Hand zu schütteln. Hagel wirkt beim Einlauf ein wenig wie die zweite Geige. 

Hagel ist unbekannt, Söder ein "Kini"

Der CDU-Aspirant auf das Ministerpräsidentenamt kann die Schützenhilfe aus Bayern gut gebrauchen. Mitte Oktober vermeldete nämlich der SWR, dass zwar 40 Prozent der Befragten sich eine CDU-geführte Landesregierung wünschten und 29 Prozent die Partei wählen würden. Beim Direktvergleich der Spitzenkandidaten aber liegt Manuel Hagel mit einem Zustimmungswert von 17 Prozent weit abgeschlagen hinter seinem grünen Konkurrenten Cem Özdemir. Der schafft es auf 41 Prozent. Es ist wohl Hagels größtes Problem in diesem Wahlkampf: Es mangelt ihm an Bekanntheit in dem Land, das er ab nächstem Frühjahr regieren möchte. Da half bislang auch nicht, dass er seit zwei Jahren die Posten als Landes- sowie Fraktionschef der baden-württembergischen CDU in seiner Person vereint.

Vielleicht hat er sich gerade deshalb Markus Söder eingeladen. Dessen Name kennt in Bayern so gut wie jedes Kind. Seit 1957 besetzt die CSU das höchste Amt im Freistaat und die Partei ist gerade im ländlichen Raum eine Institution. Allzu oft die einzige, die der Jugend Angebote abseits vom Digitalen bietet. Von der Katholischen Landjugend zur Jungen Union (JU) ist in Bayern der Übergang fließend. Dabei geht es in jungen Jahren oft weniger um politische Inhalte, vielmehr um Gemeinschaft in Verbindung mit Brauchtum. Etwa beim Pfingstrosensammeln: umherziehen und Schnaps trinken in Lederhose und Dirndl. JU und CSU sind wichtige Zutaten im Kitt der bayerischen (Land-)Bevölkerung. Und in oberster Instanz thront Markus Söder, den das Fußvolk im Südosten gerne auch "Kini", also König nennt – mal mehr, mal weniger ironisch. 

Zugegeben, in der schwäbischen Peripherie sind die Verhältnisse sehr ähnlich. Nicht umsonst wirbt der in Ehingen an der Donau geborene Hagel offensiv mit seiner Herkunft vom Land. Und immerhin war auch zwischen 1953 und 2011 die Villa Reitzenstein durchgehend von einem CDUler besetzt. Bis mit Winfried Kretschmann ausgerechnet ein Grüner eingezogen ist. Den Regierungssitz will Hagel nun nach 15 Jahren grünem Intermezzo zurückerobern. Wer passt da besser ins Programm als der größte rhetorische Grünen-Prügler abseits der AfD? 

Zuerst geht’s um die Wurst

Gegen den politischen Gegner, mit dem die CDU in Baden-Württemberg seit immerhin zehn Jahren als Juniorpartner regiert, verteilen die zwei auf der Bühne einige Spitzen – auch wenn beide zumindest in Nebensätzen zugeben, dass man mit dem aktuellen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ja schon gut auskomme.

Thematisch setzen die zwei Konservativen Duftmarken, die manch Grünem nicht gefallen dürften, aber erwartbar waren: etwa das Bekenntnis zum sogenannten Lebensschutz und damit eine Positionierung gegen die Abschaffung des Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch, der Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt. Oder das strikte Einfordern von Leistung – sowohl im Arbeits-, aber auch im Schulleben. Oder die Abkehr vom Verbrenner-Aus. Hagel spricht da von einem "Kulturkampf gegen die Technologie", der Verbrennungsmotor sei "nicht gut oder schlecht, er ist einfach nur eine Technologie". Söder schließt sich an: "Seit Jahren wird in Deutschland ein Kleinkrieg geführt gegen das Auto. Ich habe nichts gegen Lastenräder oder E-Bikes. Aber es hätt‘ a weng gedauert, wenn ich mit dem E-Bike hergefahren wäre." 

Zunächst geht’s bei den beiden aber um die Wurst, also wortwörtlich. "Wo kommst du grad her und was gab’s zum Essen?", ist Hagels Einstiegsfrage an Söder, einer der vielen Lacher des Abends. Dem Publikum ist die Tätigkeit des bayerischen Ministerpräsidenten als Food-Blogger unter dem Hashtag "#söderisst" wohlbekannt. Die beiden sprechen über Blutwurst und die verschiedenen Arten, einen Wurstsalat zuzubereiten. Der Bayer lamentiert, bei Staatsempfängen gebe es glasierte Möhrchen, fein geschnittene Krokettchen oder "die dünnste Rinderscheibe, die es gibt". Aber er habe damit ein Problem: "Ich hab‘ Hunger." Gerne esse er das, was man früher Hausmannskost genannt habe. Ein Leben ohne Würste sei theoretisch möglich, aber nicht sinnvoll, gibt er einer seiner bereits bekannten Zitate zum Besten. "Du isst ja nicht viel", sagt er zu Hagel, dem CDU-Mann mit Neigung zum Slim Fit, und mustert ihn. "Doch, aber bei mir gibt’s halt nicht nur Hagel isst, sondern auch Hagel joggt", kontert dieser geschickt.

Die ersten zehn Minuten sind um, als den beiden der Themensprung vom Essen zum Glauben gelingt. Jeder einzelne Mensch sei gut, so wie er ist, weil "ihn der liebe Gott so gewollt hat", sagt der Katholik Hagel, für den der Glaube "Quelle und Grenze meines Tuns" sei. Dem evangelischen Franken Söder habe ein Gebetskreis nach dem Tod seiner Mutter "den Zugang wieder ermöglicht zu Gott". Christliche Werte spielen auch eine Rolle, als die beiden über Abschiebungen nach Syrien sprechen. Außenminister Johann Wadephul (CDU) hat wenige Tage zuvor eine Kontroverse losgetreten, als er beim Besuch in Syrien angesichts der großen Zerstörung sagte, dass Menschen hier kaum "richtig würdig leben" könnten. Die CDU-Spitze um Parteichef und Bundeskanzler Friedrich Merz lief dagegen Sturm, betonte, man könne durchaus dorthin abschieben. 

Migrationspolitik mit "Herz und Härte"

Manuel Hagel erklärt in Nagold Wadephuls Aussage so: Wenn dieser durch Damaskus laufe, "die zerbombten Häuser sieht und in die Augen der Menschen schaut", dann könne er nachvollziehen, dass dies Wadephul nicht unberührt lasse. "Das macht doch Christdemokraten aus", sagt der Schwabe. Auch der Christ in ihm sehe das Leid, die Not, die Armut und wolle helfen, bekennt er. Allerdings schiebt er dann hinterher: "Aber der Konservative in mir, der sieht und weiß, dass die Mittel eben begrenzt sind." Es gehe immer um "Herz und Härte". 

"Natürlich hat sich das Stadtbild verändert", greift der bayerische Ministerpräsident eine andere Debatte der vergangenen Wochen auf. Er möge es nicht, wenn Hauptbahnhöfe zu "Hotspots" werden, Leute sich nicht mehr in Parks trauten, "weil sie kein gutes Gefühl haben", und es für einen Besuch im Schwimmbad einen Polizeieinsatz brauche. Belege für diese Behauptungen bleibt er schuldig. Der Kurs von Kanzler Friedrich Merz (CDU) und Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) jedenfalls sei der richtige, stellen die zwei Männer vorne klar. Und sie beschränken sich nicht auf Syrien. "Ich finde auch, junge Männer aus der Ukraine werden im eigenen Land deutlich dringender gebraucht zur Verteidigung", merkt Söder an.

Gleichzeitig wollen sie eine klare Trennungslinie ziehen zur Remigration-Partei AfD, die in der Schwarzwaldstadt bei der Bundestagswahl im Februar überdurchschnittliche 26,8 Prozent der Zweitstimmen erhielt. Der Mann im Trachtenjanker nennt sie "die größte demokratische Herausforderung". Er habe "keinen Bock, dass wir uns am Ende zum Steigbügelhalter dieser Leute machen. Ich möchte nicht der von Papen meiner Zeit sein und deswegen müssen wir diese AfD bekämpfen mit einer starken christdemokratischen und christlich-sozialen Union". Applaus brandet auf. Hagel sieht in der AfD "Verräter an den deutschen Interessen". Wer für China spioniere und sich von Russland bezahlen lasse, sei kein deutscher Patriot. Zugleich benötige man keine Brandmauer zu den AfD-Wählern, sondern eine "goldene Brücke zurück in die bürgerliche Mitte", sagt Hagel. Wer Migration ordnen und steuern möchte, brauche die AfD nicht. Auf diese Position schwört er tags darauf in Stuttgart auch die Funktions- und Mandatsträger in seinem Landesverband für den Wahlkampf ein. 

Vom Löwenbeißer zum Saumagen

Das Gespräch endete, womit es angefangen hat: Wurst. Einen ganzen Korb davon überreichte der hiesige Direktkandidat Carl Christian Hirsch an den Gast aus Bayern. Der Nagolder Vorsitzende des CDU-Stadtverbands, ein Metzgermeister, habe sie "Söder-Löwenbeißer" getauft, führt Hirsch aus. Die konnten übrigens alle Gäste selbst probieren: Mit einer Flasche Wasser und einer Brezel war jeweils ein Exemplar in einer türkisen CDU-Papiertüte eingepackt auf den Stühlen platziert worden. 

Nach der Geschenkübergabe und dem obligatorischen Gruppenfoto stimmt der Saal noch das Deutschlandlied an. Dann steigen die Politpromis von der Bühne herab und es wiederholt sich die Szene vom Beginn: viele Selfies mit Söder, Hagel mehr oder weniger unbeachtet an seiner Seite. Sein Ego kann er aber kurz danach vor einer CDU-Fotowand aufpolieren: Wer will – und das sind viele –, kann ein Foto mit dem dauergrinsenden Spitzenkandidaten machen, der dabei einem lebendigen Pappaufsteller gleicht. Söder ist da schon wieder in den schwarzen SUV, natürlich bayerischer Marke, eingestiegen und abgefahren. Am nächsten Tag war er ausweislich seines Instagram-Accounts zu Gast bei Gordon Schnieder, CDU-Spitzenkandidat im derzeit von einer Ampelkoalition regierten Rheinland-Pfalz, wo zwei Wochen später als Baden-Württemberg gewählt wird. Auch hier will Söder dem Kandidaten unter die Arme greifen. Im Video ist vor ihm Helmut Kohls Leibgericht aufgetischt: Pfälzer Saumagen. 

Bei den CDU-Mitgliedern und -Wähler:innen dürfte Hagel in Nagold mit dem lockeren Auftreten als bürgernaher Politiker einige Pluspunkte gesammelt haben. Doch was den Gehalt des Bühnengespräches angeht, stellt selbst der CDU-Ortsvorsitzender aus Horb gegenüber dem SWR fest: "Viele Themen angesprochen, aber am Schluss isch‘s halt wie immer: Der Weg, die Themen zu lösen, der wird halt überhaupt nicht aufgezeigt in den politischen Gesprächen. Und das ist auch unser Problem." 

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