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Frauentag in Mexiko

Der Kampf gegen Femizide

Frauentag in Mexiko: Der Kampf gegen Femizide
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 Fotos: Mariam Guerrero 

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Datum:

Bei der feministischen Plattform "Cimac" in Mexiko ist jeden Tag Frauentag. Seit 1988 sorgt sie für Journalismus mit Genderperspektive. Trotz steigender Zahl an Femiziden und Gewaltexzessen gibt es Fortschritte, die die Frauenredaktion dokumentieren kann – wenn auch nur in Zeitlupe.

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Diana hackt auf den Tasten herum, das gleichmäßige Klackern hallt durch den kleinen Redaktionsraum. Kaffee, ein gemischter Salat und für Außenstehende kryptische Aufschriebe im Notizblock zieren Dianas Arbeitsplatz. Draußen verknäulen sich die schiefen Töne der Orgelspieler:innen mit dem Lärm von Autos, Bussen und Dialogen. Mit Mühe hält sie die Augen offen. Seit fünf Uhr morgens ist Diana auf den Beinen. Sie wird heute drei Berichte schreiben, herumtelefonieren, den Präsidenten sehen – ganz normaler Journalist:innenalltag eben. Diana Hernández Gómez ist 28 und arbeitet bei "Cimacnoticias" in Mexiko-Stadt, einer feministischen Nachrichtenplattform. Die Redakteurinnen sind Pionierinnen des medialen Frauenkampfs.

Chefin vom Dienst Lizbeth Ortiz Acevedo fragt nach einer Weile beiläufig: "Und, wie war's?" Diana winkt ab. Es muss nichts weiter kommentiert werden, jeder hat bereits die Meldungen gelesen, die Videoausschnitte gesehen: An diesem internationalen Frauentag waren die Frauen kaum präsent im Regierungsdiskurs. Trotz steigender Zahl an Femiziden und Budgetkürzungen des Staates für Hilfsinitiativen "gratulierte" der Staatschef den Frauen. Die Journalistinnen brauchen keine Glückwünsche, keinen rosa Pappbecher von Starbucks. In der "Cimac"-Redaktion ist an jedem Tag Frauentag.

Handzeichen für die Lieblingsmedien des Präsidenten

Anders sieht es beim mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador (AMLO) aus. Bei den mañaneras, wie seine allmorgendlichen Pressekonferenzen genannt werden, dreht sich alles um ihn: seine Regierung, seine Erfolge, seine Projekte. Die Fragen, die Diana vorbereitet hatte, konnte sie nicht stellen, andere Kolleg:innen kamen vor ihr dran, dann brach der Präsident die Konferenz ab. Es war Dianas zweiter Besuch bei einer dieser mañaneras. Anfangs nahmen Medien und Zivilgesellschaft den Vorstoß positiv wahr. Endlich erschien es möglich, unbequeme Fragen an das Staatsoberhaupt zu stellen. Doch schnell verwandelten sich die Konferenzen in eine Bühne von "Hetzkampagnen gegen Journalisten", so "Cimac"-Chefin Lucía Lagunes Huerta. Präsident López Obrador wettert regelmäßig gegen Medienschaffende, die seiner Auffassung nach unwahr berichten würden; also Medien, die kritisch über die Regierung berichten.

"Präsident AMLO 'feiert' den 8. März mit Attacken gegen Journalistinnen", lautet Dianas Überschriftenentwurf, den sie später noch ändern wird. An der Wand über dem Holztisch hängt ein handbemalter Mini-Kalender mit Terminen für die präsidentiellen Pressekonferenzen. Nachwuchsreporterin Diana kann sich ein Lachen nicht verkneifen, bevor sie erklärt, wie man als Medium zum Mandatsträger vordringen kann. Nach einer generellen Akkreditierung zu Beginn eines jeden Jahres weist die zuständige Kommunikationsabteilung der Regierung den Journalist:innen pro Trimester einfach willkürlich Termine zu. "Selbst aussuchen geht nicht", grinst Diana kopfschüttelnd. Lieblingsmedien von López Obrador sieht man häufiger. "Cimac" darf rund zwei bis drei Mal im Monat kommen – bei fünf Konferenzen pro Woche, wohlgemerkt.

Berenice grüßt in die Runde und räumt ihre Tasche aus. Die Freundin und Kollegin Dianas, auch 28, klinkt sich in das Gespräch ein. "Mitarbeiter der Kommunikationsabteilung geben den Reportern der 'Favoritenmedien' durch Handzeichen zu verstehen, dass sie gleich den Arm heben sollen", erklärt "Cimac"-Journalistin Berenice. So können ungemütliche Fragen vermieden werden und gleichzeitig der Schein des Meinungspluralismus aufrechterhalten werden.

"Frauen sind nicht bloß Opfer"

"Cimac" ist eine kleine Redaktion, bestehend aus drei Frauen an den Monitoren und zwei weiteren an den Mikrofonen. Sie legen den Finger in genau die Wunde, die niemand sehen und hören will. Sie recherchieren, dokumentieren Fälle, analysieren die Presselandschaft. Auch Workshops für andere Medien gehören zu ihrem Repertoire. Mit einem Projekt, das die Redakteurinnen in den nächsten Monaten an den Start bringen, wollen sie landesweit Fälle von Säureattacken kartographisch festhalten. Dennoch hängt die Laune in der Frauenredaktion nicht im Keller.

Es gebe allen Grund, positiv gestimmt zu sein, meint Lizbeth Ortiz Acevedo. "Frauen sind nicht nur Opfer. Wir dokumentieren auch Fortschritte. Seit einigen Jahren sehen wir mehr Ministerinnen, weibliche Abgeordnete, Gesetze zum Schutz von Frauen", so die 42-Jährige. Diana blickt auf die Uhr. Noch schnell den letzten Artikel online stellen, Sachen packen, dann die engen Holztreppen runter.

Durch die schwere rote Eisentür gelangen Diana und Kollegin Berenice nach draußen. Die Metrobus-Station wurde wegen der Frauentags-Demo zugesperrt, die Durchsage geht im Lärm des Betondschungels unter. Die ersten jungen Menschen mit violetten und grünen Halstüchern brausen auf Fahrrädern durch die Straße. Diana und Berenice verabschieden sich für eine Weile, sie stürzen sich jetzt ins Getümmel, Fotos müssen geschossen werden.

Auf dem Platz des Monuments der Revolution, unweit des Bankenviertels, tummeln sich die großen Hauptstadtmedien in einer kleinen Gruppe. Angespannt wabern sie umher, den Blick wieder und wieder aufs Handy fixiert. Sehr bald soll María Elena Ríos hier eintreffen. Die Meute biegt in eine Straße ab und wartet. Eine zierliche, unscheinbare Person mit weißer Mütze und violetter FFP2-Maske tritt hervor. Hinter ihr einige Dutzend Demonstrantinnen. Ein bemaltes Transparent mit einem Saxofon darauf schmückt den weißen Stoff. Ríos ist Saxofonspielerin aus dem südlichen Bundesstaat Oaxaca. Sie sagte einst, dass dieses Instrument für sie wie eine weitere Extremität sei, eine Art Verlängerung ihres Körpers.

Der erste Bundesstaat erlässt Malenas Gesetz

Im September 2019 war sich Ríos unsicher, ob sie je wieder Saxofon spielen kann. Sie erlitt eine der brutalsten Formen patriarchaler Gewalt: eine Säureattacke. Die Narben an ihren Armen sind noch deutlich zu sehen. Der Großteil ihres Körpers trug Schaden davon, die Saxofonistin erlitt Verbrennungen dritten Grades. Teile ihrer Muskeln und Nerven wurden weggeätzt. Dank intensiver medialer Berichterstattung sahen sich die Behörden gezwungen, das zu tun, was sie in Mexiko selten machen: handeln. Ríos wurde nach Mexiko-Stadt in ein Spezialkrankenhaus gebracht. Der Auftraggeber des Angriffs, ihr Ex-Partner Juan Vera Carrizal, wurde angeklagt und festgenommen. Carrizal ist ein einflussreicher ehemaliger Abgeordneter der ebenso einflussreichen PRI-Partei, die über sieben Jahrzehnte in Mexiko durchregierte.

Ríos redet langsam, angestrengt. Die 29-Jährige sagt, sie habe trotz allem Glück gehabt – und sie wisse, dass es viele Frauen gibt, die dasselbe durchmachen und keine Aufmerksamkeit von den Medien bekämen. Deshalb setzt sich Malena, wie María Elena meist genannt wird, für eine Gesetzgebung ein, die noch viele Lücken aufweist: Mit dem "Ley Malena" sollen Säureattacken zukünftig als versuchter Femizid eingestuft werden. Also als das, was es ist: nicht bloß ein perfider Akt, sondern geschlechtsspezifische Gewalt. Ein Hassverbrechen. Dahinter steckt machistische Logik: Wenn ich dich nicht haben kann, entstelle ich dich so sehr, dass dich niemand mehr haben will. Vor rund zwei Wochen dann die Meldung: Der Kongress im Bundesstaat Puebla verabschiedete als erster das Ley Malena. Säureangriffe auf Frauen werden dort nun als versuchter Femizid eingestuft; die Strafen reichen von 26 bis 40 Jahren Gefängnis.

Rosabla Cruz, Juristin bei der Koordinationsstelle für Geschlechtergleichstellung der Nationalen Autonomen Universität Mexikos (UNAM), hält dieses Gesetz für notwendig. Denn es handle sich um eine "extreme Form der Gewalt", weshalb es notwendig sei, "einen spezifischen Straftatbestand" zu etablieren, schreibt Cruz in der Uni-Zeitschrift "Gaceta UNAM". Doch so weit sollte es gar nicht erst kommen. "Das Patriarchat, der Machismus werden von Männern und Frauen reproduziert. Was wir in Mexiko brauchen, ist eine Bildungsreform, die uns lehrt, unsere Menschenrechte zu kennen und zu deuten", sagt Aktivistin María Elena Ríos im Gespräch mit Kontext.

Vergewaltigungen und Säureangriffe normal

Die Wurzel des Problems liegt in einer Gesellschaft, die Gewalt und Respektlosigkeit gegenüber Frauen normalisiert. Elf Frauen werden jeden Tag in Mexiko getötet. Viele dieser Morde werden von den Behörden jedoch nicht als Femizid, sondern als "normale", vorsätzliche Tötung gewertet. In weniger als 25 Prozent der Fälle kommt es überhaupt zu irgendeiner Form von Verurteilung, wie die Investigativplattform "Mexikaner gegen Korruption und Straflosigkeit" (MCCI) konstatiert.

Aus der bunten Masse der 90.000 Demonstrierenden nähern sich eine Hand und ein Gesicht. Diana ist verschwitzt und lächelt. Sie sei jetzt nicht mehr im Dienst, meint sie. "Auf der Demo fühle ich mich beschützt. Es ist ein Raum für Solidarität, ein Raum, um sich auszudrücken", sagt sie. Dieser Tag vereine Kinder, Mütter, junge und alte Frauen. Knapp ein Jahr arbeitet Diana bereits für die feministische Plattform "Cimac". Der Druck auf den Staat durch Medien, Aktivismus und Zeitgeist brachte Früchte hervor.

In den letzten Jahren konnten auf juristischer Ebene einige Erfolge gefeiert werden: Etwa das Ley Ingrid, Ley Olimpia, jetzt das Ley Malena. Jedes dieser Gesetze ist nach einer Frau benannt, die Opfer patriarchaler Gewalt wurde – aber dennoch die Stimme erhob, ihren Kampf in Stellvertretung für alle Frauen führte. Wie so oft hapert es in Mexiko jedoch an der Umsetzung. "Das Justizsystem funktioniert einfach nicht", so Diana. Bestehende Gesetze kämen oft nicht zur Anwendung.

Das verwundert nicht. In einem Land, wo die Empörung über besprühte Denkmäler und kaputte Glasvitrinen größer ist als die über Vergewaltigungen, Säureattacken und Morde an Frauen, nur weil sie Frauen sind, läuft etwas gehörig schief.


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1 Kommentar verfügbar

  • Frank
    am 15.03.2023
    Antworten
    Wie war das nochmal mit der feministischen Aussenpolitik ?
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