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Rutenfest in Ravensburg

Die alte Ordnung wankt

Rutenfest in Ravensburg: Die alte Ordnung wankt
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 Fotos: Markus Leser 

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377 Jahre lang war das Trommeln auf dem Ravensburger Rutenfest eine Männerdomäne: mit martialischen Soldatenliedern und Kostümen in Burschenschaftsästhetik. Nun bricht eine feministische Avantgarde mit Traditionen, von denen niemand weiß, warum es sie gibt.

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Abgesehen von SM-Praktiken und ein paar christlich-fundamentalistischen Erziehungsratgebern, die in ihr weiterhin ein adäquates Instrument sehen, den aufmüpfigen Nachwuchs zu disziplinieren, hat die Rute ihre gesellschaftliche Relevanz fast vollständig eingebüßt. Ehedem Goldstandard der Prügelpädagogik wurde sie in Schulen, Klöstern und Heimen schon ab Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend durch den Rohrstock verdrängt, vor allem, weil sich dieser bei intensiver Anwendung weniger schnell abnutzte. Je weiter sich zudem die Einsicht verbreitete, dass gewaltbasierte Strafen für Kindeswohl und Persönlichkeitsentwicklung wenig zuträglich sind, desto verpönter wurde der Ruteneinsatz auch im familiären Bereich – bis der Gesetzgeber den Eltern der Bundesrepublik im Jahr 2000 (und erst im Jahr 2000) ihr Züchtigungsrecht aberkannte.

Ganz Deutschland hat der Rute den Rücken gekehrt. Außer Ravensburg, wo sie im Zentrum kultischer Verehrung steht. Auch wenn niemand so recht weiß, warum.

"Es gibt vier Jahreszeiten und das Rutenfest", betont Dieter Graf, der Vorsitzende der Rutenfestkommission: "Manche sagen auch, es gibt vor und nach dem Rutenfest." Tatsächlich: Für viele Ravensburger:innen streckt sich die schönste Zeit im Jahr vom Rutenfreitag bis zum Rutendienstag. Und nach zwei Jahren Corona-Pause ist den Massen auf der Straße anzusehen, wie ihnen eine gewaltige Last von den Schultern gefallen ist, weil sie endlich wieder feiern dürfen.

Doch nicht nur wegen des Nachholbedarfs war das diesjährige Rutenfest ein besonders: Mit den neu gegründeten "Turmfalken" darf sich erstmals seit 1645 eine rein weibliche Gruppe beim Musizieren beteiligen. Die Schülerinnen, überwiegend zwischen 16 und 18 Jahre alt, stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit – und sind zu Anbeginn sichtlich angespannt. Trotzdem geht der erste Auftritt gut, das Publikum reagiert mit begeistertem Applaus und den Heranwachsenden fällt ein Stein vom Herzen. Grund für Nervosität gab es genug, denn bis die Frauentruppe spielen durfte, war es ein weiter Weg mit vielen Kontroversen.

Als zwei ehemalige "Landsknechte" im Sommer 2019 anregten, die rein männliche Trommelgruppe für das weibliche Geschlecht zu öffnen, "sei ihnen in einer Ravensburger Altstadtkneipe mit Prügel gedroht worden", berichtet die taz. Eltern und Schüler:innen, die den Vorstoß unterstützten, warf Dieter Graf von der Rutenfestkommission laut der "Schwäbischen Zeitung" vor, "vom Fest nicht viel verstanden zu haben. Traditionsreiche Trommlergruppen zwingen zu wollen, Mädchen aufzunehmen, verbiete sich von selbst".

Auch der sogenannte Rutenhauptmann des ebenfalls schwanzpflichtigen "Trommlerkorps" äußerte sich damals zum Sachverhalt: "Wir im Trommlerkorps diskriminieren keine Frauen. Wir sind vielmehr stolz und froh über unsere Trommlerbräute." Was einen Leserbriefschreiber in der "Schwäbischen Zeitung" zur Frage provozierte: "Ist das Trommlerkorps denn auch stolz auf die Tradition des Wählens der Trommlerkuh, also der hässlichsten Trommlerbraut?"

Traditionalisten ohne Geschichtsbewusstsein

Kurios bleibt: Wo die Tradition noch groß geschrieben wird, ist in Vergessenheit geraten, was die Tradition begründet. So klagte der Theologe Anton Birlinger bereits 1862 im zweiten Band von "Volksthümliches aus Schwaben", es sei "sehr zu bedauern, daß über den eigentlichen Ursprung des Schuljugendfestes: 'Rutenfest' genannt, und der Gebräuche desselben keine Nachrichten vorliegen."

Verschiedene Erklärungsansätze kursieren, warum gefeiert werde. Der Volksmund wisse zu berichten, "daß eine grassierende Pest ihm Gevatter gestanden habe", schreibt die "Allgemeine Zeitung" am 2. September 1899: "Um beim Austausch von üblichen Höflichkeiten Ansteckung zu vermeiden seitens der sich Begrüßenden soll man die Ruthe (Zweig, Gerte) derart zuhülfe genommen haben, daß die sich Begegnenden beiderseits ein Ende dieser erfassten und auf solche Weise den Handschlag vermittelten." Demnach sei das Rutenfest aus der Dankbarkeit, die Seuche überstanden zu haben, erwachsen. Analog dazu könnten nach Corona Ellenbogenpartys oder die Ghettofaust-Wochen entstehen.

Allerdings liegen keinerlei Belege dafür vor, dass es sich bei der Begrüßung per Rute um eine reale Praxis gehandelt hat, und gemessen am Hygienebewusstsein des Mittelalters wäre es eine ziemlich fortschrittliche Methode. Ein zweiter Erklärungsansatz begründet den Brauch durch Ausflüge ins Grüne, die das Lehrpersonal mit den ihm anvertrauten Kindern im 15. Jahrhundert unternommen haben soll, um Ruten für die Züchtigung der Kleinen zurecht zu schneiden. Allerdings fehlen auch hier konkrete Quellen, wann daraus ein Fest geworden sein soll. "Welche Ansicht der Wahrheit am nächsten liege, muß dahingestellt bleiben", urteilt Theologe Birlinger.

"Querdenken"-Demo als Rutenfest-Substitut

Gesichert ist allerdings, dass der Infektionsschutz dem Chef der Rutenfestkommission ein Dorn im Auge ist, wo er den Feierlichkeiten in die Quere kommt. Als das Fest 2020 wegen der Corona-Pandemie abgesagt wurde, traf sich Dieter Graf zum Gespräch mit den "Querdenkern" Bodo Schiffmann und Daniel Langhans. Dabei betonte er die lange Geschichte des Rutenfests: "Und es ist insgesamt jetzt das fünfte Mal abgesagt. Einmal wegen Maul- und Klauenseuche, drei Mal wegen Krieg, einmal wegen kein Geld und jetzt wegen dieser Geschichte." Schiffmann lauscht empört, wie Schausteller:innen in die Pleite getrieben würden, und fordert dann: "Diese Stadt muss auseinanderbrechen – von allen, die jetzt von der Insolvenz bedroht sind." – "Also ich schreib's denen gern noch mal", erwidert Graf.

Als kleine Ersatzveranstaltung gab es schließlich eine "Querdenken"-Demo am Tag des Rutenfestes. Und trotz entrüsteter Reaktionen aus dem Rathaus wurde Graf im Herbst 2021 als Chef der Rutenfestkommission bestätigt und für weitere drei Jahre gewählt. Dabei war die Empörung sogar noch größer als 2015: Damals hatte die Rutenfestkommission unter Grafs Leitung die ehemalige Ravensburger NSDAP-Zentrale als Motiv für Rutenfestabzeichen auserkoren, wobei der Vorsitzende beteuert, dass sie sich natürlich anders entschieden hätten, "wären wir uns dieses dunklen Kapitels in der Geschichte dieses Hauses bewusst gewesen". Gedruckt wurde das Motiv trotzdem – und zum Kassenschlager: "5000 Abzeichen mehr als im Vorjahr verkauft", meldet die "Schwäbische Zeitung".

Die einen feiern Blutvergießen, die anderen Hip-Hop

Doch selbst im erzkonservativen Oberschwaben macht sich ein gesellschaftlicher Wandel bemerkbar – nicht nur weil Klima-Aktivist:innen Baumhaussiedlungen bauen und die für unanfechtbar gehaltene Vormacht der CDU ins Wanken geraten ist. Und nicht nur, weil sich zu Haxenhütten und Hühnergrills auf dem Rutenfest ein paar vegane Essensstände dazugesellen. Da hier nun auch die "Turmfalken" auflaufen, berichtet der "Deutschlandfunk" glatt von einer Revolution, da in der fast 400 Jahre alten Geschichte des Rutenfests "bisher noch nie Mädchen bei dem Fest mitgetrommelt" hätten. Was allerdings nicht stimmt. Bei den "Rutentrommlern" – früher die Trommelgruppe der Hauptschulen, inzwischen offen für alle – gibt es schon seit 1992 Gleichberechtigung, dieses Jahr angeführt von Tambourmajorin Annika Fröhle.

An der Ausrichtung der Ravensburger Trommelgruppen werden die großen gesellschaftlichen Spaltlinien deutlich: Autoritäre gegen Liberale, exklusiv gegen inklusiv, reaktionär gegen modern. Beim "Trommlerkorps", das ganz auf Burschenschaftsästhetik setzt, führen der Rutenhauptmann und sein Adjutant die untergeordneten Chargen in die Schlacht. Die "Landsknechte" haben ein Soldatenlied von 1893 im Repertoire:

"Unsre Linke auf dem Schwerte,
in der Rechten einen Spieß,
kämpfen wir, soweit die Erde,
bald für das und bald für dies.
Dies und das, Suff und Fraß,
muß ein, ja muß ein Landsknecht haben."

Da verfolgen die "Turmfalken" einen ganz anderen Ansatz, können sich weniger für glorifiziertes Blutvergießen begeistern und spielen zum Beispiel das Stück "Alors on danse" ("Also lass uns tanzen"): französischsprachiger Hip-Hop eines belgischen Künstlers, der 2009 auf Platz 1 der deutschen Charts landete. Zudem sind bei den "Turmfalken" auch Transgender und Diverse willkommen. "Einfach was zu verändern", sei ihre Motivation gewesen, mitzumachen, verrät die 16-jährige Angelina Scheidler dem "Deutschlandfunk": "Eben dieses alte System ein bisschen auf den Kopf zu stellen und in die Moderne zu bringen."

Die Mitglieder der Trommelgruppen sind auf dem Rutenfest so etwas wie Shootingstars. Eine etwa Gleichaltrige bittet einen Landsknecht mit leuchtenden Augen um ein Selfie, was diesem vor lauter Stolz die Brust schwellen lässt. Das ist und bleibt eine große Nummer. Die Hälfte der Menschheit unter Verweis auf Traditionen, deren Ursprung unbekannt ist, von der Partizipation ausgrenzen zu wollen, erscheint so wenig zeitgemäß, dass eine feministische Avantgarde für Ravensburg mehr als überfällig war.


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2 Kommentare verfügbar

  • Manuela Schleffer
    am 02.05.2023
    Antworten
    Also es tut mir ja wirklich leid aber ich hab noch nie so einen Müll gelesen. Ich bin eine Frau aus Ravensburg und was ihr schreibt grenzt bzw übertrifft die Bild. Also wirklich ich hab alles gesehen. Ihr seid lächerlich. Hoffentlich geht eure Zeitung pleite.
    Grüße Manuela
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