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Foto-Ausstellung in Ulm

Guantánamos Gesichter

Foto-Ausstellung in Ulm: Guantánamos Gesichter
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 Fotos: Debi Cornwall 

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Datum:

Debi Cornwall stellt Fotografien des Militärstützpunktes und Gefangenenlagers Guantánamo im Ulmer Stadthaus aus. Dabei wird nicht nur Schreckliches gezeigt. Doch gerade deshalb gelingt es der Fotografin, die Unmenschlichkeit des Ortes anschaulich zu machen.

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Aus der Mitte eines menschenleeren Pools blickt eine bunte Schildkrötenfigur mit riesigen Augen in die Kameralinse herauf. Ihr großer Mund deutet ein Lächeln an. Daneben der trockene Rasen einer Golfanlage, eine Bowlingbahn, ein Spielplatz, ein Zigarettenregal im Supermarkt. Auf den Fotos, die draußen aufgenommen wurden, ist das Wetter immer gut, der Himmel strahlend blau. Gitmo, abgeleitet von der militärischen Abkürzung GTMO für Guantánamo, sei der beste Ort, an dem US-amerikanische SoldatInnen stationiert werden können. Das sagte ein Soldat der Militäreskorte, die die Fotografin Debi Cornwall am Marinestützpunkt Guantánamo Bay empfing. "Es macht so viel Spaß!"

Als Cornwall entschied, sich der Fotografie zu widmen, beendete sie eine Karriere als Menschenrechtsanwältin. Zwar rechnete sie nicht damit, im Gefangenenlager Guantánamo Menschenrechtsverletzungen fotografisch festhalten zu können. Aber Spaß? Sie war schockiert, doch die Aussage des Soldaten öffnete eine Tür. Cornwall fotografierte auch die Sphären des Militärs, die es genauso in nahezu jeder anderen Stadt in den USA geben könnte, und bahnte sich so ihren Weg hin zu einem anderen, ungewohnten Blick auf Guantánamo.

Daran, dass es der Ort eines Gefängnisses ist, erinnern im Austellungsteil "Gitmo at Home, Gitmo at Play" Fotos von Beispielzellen, inszeniert für BesucherInnen; vom Metallkäfig unter freiem Himmel, den die SoldatInnen "Erholungshof" nennen und als Annehmlichkeit für die Gefangenen rühmen; von einem Sessel im Fernsehraum für kooperative Insassen, dessen Gemütlichkeit lederne Fußfesseln am Boden infrage stellen. Was nicht visuell dargestellt wird, fangen Zitate aus Erfahrungsberichten Gefangener, Erklärungstexte, Statistiken und ausgestellte Kopien gerichtlicher Dokumente auf, die keinen Zweifel am menschenunwürdigen Umgang mit den Inhaftierten lassen.

In Gitmo gilt die No-Faces-Regel. Debi Cornwall durfte SoldatInnen, wenn überhaupt, nur von hinten fotografieren, zu Gefangenen drang sie nicht durch. Auf den meisten Fotos sind keine Menschen zu sehen, die Orte scheinen statisch, menschenleer oder besser: entmenschlicht.

Ein Ort außerhalb der Rechtsstaatlichkeit

Podiumsdiskussion im Stadthaus Ulm. Im Hintergrund: Zeichnungen des Guantánamo-Gefangenen Abu Subaidas. Foto: Jens Volle

Folter ohne Erkenntnisgewinn

Die USA zählen laut Demokratieindex zu den demokratischsten Ländern der Welt – dennoch rutscht die Auflösung des Gefängnisses in Guantánamo immer wieder ganz ans Ende der politischen Agenda. Seit Jahrzehnten gilt als wissenschaftlich belegt, dass Folter keinen Erkenntnisgewinn liefert – trotzdem versuchten Verantwortliche immer wieder, den Einsatz von Foltermethoden in Guantánamo bürokratisch zu legitimieren. Nach teils jahrelanger Haft werden Inhaftierte für unschuldig befunden – und dennoch erklären sich kaum Länder bereit, die Männer nach ihrer Freilassung aufzunehmen. Wie kann das sein? Begleitend zur Ausstellung diskutierte Debi Cornwall am Donnerstag, 20. Januar mit dem ehemaligen Guantánamo-Häftling Mohamedou Ould Slahi, Urs Fiechtner, Ulmer Behandlungszentrum für Folteropfer, und Andreas Schüller vom European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR). Daniela Yvonne Baumann, die Kuratorin der Ausstellung im Stadthaus, moderierte. Eine Aufzeichnung der Veranstaltung finden Sie hier  (nan)

Für "Beyond Gitmo", einen weiteren Teil der Ausstellung, suchte die Fotografin sechzehn ehemalige Inhaftierte auf und bildete sie in ihrem neuen Lebensumfeld ab – auch von hinten, als unterständen sie den Regeln Guantánamos und seien noch immer Teil des Systems, das "allen Beteiligten die Persönlichkeit abspricht", so Cornwall. Eine Broschüre liefert Informationen über die Männer, ihre Herkunft, ihren Aufenthaltsort, ihre Haft. Gegen keinen der sechzehn wurde in den USA jemals Anklage erhoben, trotzdem dauerte ihre Inhaftierung bis zu zwölf Jahre an.

"Gitmo wurde so konzipiert, dass es außerhalb jeder Rechtsstaatlichkeit liegt", sagt Cornwall. "Und dennoch ist es so amerikanisch." SoldatInnen und ihr Besuch können Souvenirs kaufen: für sechs Dollar Schnapsgläser oder für acht Dollar ein Kinder-T-Shirt als Erinnerung an Guantánamo. Cornwall wählte einige der grotesken Andenken aus, Fotos davon präsentiert sie in "Gitmo on Sale". Die Bilder lassen kurz trocken auflachen, dann traurig den Kopf schütteln. Schwarzer Humor, damit die Menschen ihren Blick auf ein schreckliches Thema richten, erklärt Cornwall.

20 Jahre ist es nun her, dass die ersten Männer im Januar 2002 in das Lager gebracht wurden. Aus dem öffentlichen Diskurs ist es mittlerweile nahezu verschwunden. Cornwall will die Debatte wiederbeleben und erzählt dafür die Geschichte von Guantánamo Bay in verschiedenen Kapiteln. Keines konnte sie explizit der Folter widmen. Doch die anderen Kapitel, die die Absurdität des Lagers dokumentieren, lassen Raum für Gedanken an die furchtbaren Menschenrechtsverletzungen. Ob die Fotografin damit riskiert, dass die BetrachterInnen die Ausmaße unterschätzen? "Ich weiß, dass ich viel von den Betrachtenden verlange", sagt sie. "Sie müssen genau hinschauen."

Vielleicht aber gucken sie gerade die irritierenden Fotos vom gruseligen Poolspielzeug und dem "I love GTMO"-Lippenbalsam genauer an, weil nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, was hier falsch läuft. Und weil Cornwalls Bilder weit weg sind von klischeehaften Darstellungen der Machtverhältnisse zwischen Militär und Gefangenen, weit weg von Reproduktionen der Gewalt, die der Realität der Gefangenen ohnehin niemals gerecht würden.


Die Ausstellung "Welcome to Camp America: Inside Guantánamo Bay" ist noch bis 13. März im Stadthaus Ulm zu sehen.


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2 Kommentare verfügbar

  • willi
    am 31.01.2022
    Antworten
    Der Knast in Guantanamo ist der eindeutigste Beleg, dass das Imperium ganz offen Lügen kann, und trotzdem reden wir was von Menschenrechten. Ich kann viele rechte Menschen in den USA erkennen, und viele Geisteskranke. Aber keinerlei Menschenrechte.
    Und wofür seht der Begriff Demokratie eigentlich?
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