"Das ist mein erstes Mal", sagt Andrea Goudas, als sie am Morgen mit ihren Kolleginnen zusammen aus der K&U-Filiale im Reutlinger Gewerbegebiet Betzingen kommt. Zum ersten Mal streift sie eine Streikweste über. Zum ersten Mal verteilt sie Flugblätter statt Brezeln an ihre Kunden und bittet sie um eine Unterschrift. Andrea Goudas arbeitet seit 30 Jahren bei der Bäckereikette K&U, einer Tochter von Edeka-Südwest. "Ich kann nichts Negatives gegen K&U sagen", meint die 56-Jährige. Bisher jedenfalls. Seitdem Edeka aber verkündet hat, die Kette mit ihren 3.000 Mitarbeiterinnen – Männer sind hier rar – zu zerschlagen, ist Goudas enttäuscht von ihrem Arbeitgeber.
Also ist sie dabei an diesem etwas trüben Samstagvormittag, an dem die Gewerkschaft NGG (Nahrung, Genuss, Gaststätten) sieben Filialen zum Warnstreik aufgerufen hat. Auch wenn sie nervös ist. Zumal jetzt auch noch ein Polizeiwagen anrollt, um die Corona-Abstände zu überprüfen. "Alles okay", beruhigt Ramona Treut die Kolleginnen. Die Betriebsratsvorsitzende vom K&U-Bezirk Reutlingen vertritt 1.000 Frauen in Filialen von Heilbronn bis Ulm. "Die Aktion ist angemeldet." Keine Gefahr also, Goudas atmet durch. "Das ist schon aufregend. Und traurig, dass es soweit kommen muss." Ähnlich geht es ihrer Kollegin Petra Letsche, auch sie Mitte 50. Als sie am Tag zuvor erfahren hat, dass ihre Filiale streiken soll, habe sie zuerst gedacht: "Oh Gott, oh Gott. Aber gut. Ich bin seit 31 Jahren im Betrieb, wollte eigentlich die 40 voll machen. Das langt nun wohl nicht mehr. Da kommt man schon ins Grübeln." Die schlanke Frau ist verunsichert. "Wir wissen ja gar nichts Konkretes. Soll ich mich jetzt nach einer anderen Arbeit umschauen oder noch abwarten?" Gerade für die langjährigen MitarbeiterInnen ist diese Unsicherheit besonders schlimm.
"Das können die doch nicht machen"
Goudas ist eine von ihnen. Gelernt hat sie Konditoreifachverkäuferin, nach der Geburt ihrer Tochter ging sie zu K&U. "Warum, weiß ich gar nicht mehr. Jemand erzählte, dass die Leute suchen." Seitdem arbeitet sie dort und zwar gerne. "Ich war Springerin, später Filialleiterin, aber irgendwann merkt man, dass die Kräfte weniger werden." Da hat sie Verantwortung abgegeben. Die Arbeit ist körperlich anstrengend. Viele von den Älteren haben vom Blecheschleppen Probleme mit den Schultern und den Gelenken. Goudas sitzt auf ihrem grauen Sofa in ihrer Drei-Zimmer-Wohnung in Bad Urach. Auf den Fensterbänken stehen rosa Orchideen – "Pink ist meine Lieblingsfarbe" –, vom Balkon aus sieht man auf die Burgruine Hohenurach.
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