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Backnangs OB Frank Nopper

Mauern an der Murr

Backnangs OB Frank Nopper: Mauern an der Murr
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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Der Christdemokrat Frank Nopper regiert die Große Kreisstadt Backnang seit 18 Jahren. Außerhalb der Region Rems-Murr ist er nicht aufgefallen, seine Stadt aber auch nicht. Da er nun Oberbürgermeister in Stuttgart werden könnte, ist zu prüfen, was er in der Gemeinde mit ihren 37.000 Einwohnern gemacht hat. Um die Folgen für die etwas größere Aufgabe abschätzen zu können. Ein Ortsbesuch.

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Es gibt wohl kaum jemanden in der Stadt, der so viel über sie weiß und dieses Wissen auch noch teilt. Nicht im Sinne einer Backnang-Apologie oder gar einer Eloge. Dafür ist Andreas Brunold, 65, nicht der Richtige. Lehrling war er bei AEG Telefunken, Lehrer wollte er werden, Politik, Deutsch und Geschichte. Professor für politische Bildung ist er heute – und BUND-Ortsvorsitzender. "Mit dieser Vita", sagt er, "werden Sie kein Freund von Nopper." Jede Kritik werte dieser als "Majestätsbeleidigung". Aufgewachsen ist Brunold direkt an der Murr, jenem 51 Kilometer langen Fluss, den die lokalen Heroen als "Mitte, Herz und Lebensader" beschreiben. Wer sie kapieren will, also auch den 59-jährigen Ortsvorsteher, muss dem Lauf des Flusses folgen, Brunold zuhören und erfährt dabei, wie schwarzer Filz funktioniert.

Das Wonnemar: Am östlichen Rand der Stadt liegt der gläserne Rundtempel, 2012 eröffnet und mit 18,5 Millionen Euro Baukosten das teuerste Einzelprojekt in der Geschichte Backnangs. Selbstverständlich hat es sich Oberbürgermeister Nopper nicht nehmen lassen, beim Opening dabei zu sein – zusammen mit Volker Kurz, dem Geschäftsführer der Stuttgarter Interspa-Gruppe, die als Betreibergesellschaft auserkoren war. Nopper und Kurz waren mit rot-weiß-gestreiften Badeanzügen und Sonnenhütchen bekleidet, der Schultes sprach vom Aufstieg seiner Gemeinde in den "Bade-Olymp", der Mann von Interspa musste acht Jahre später Insolvenz in Eigenverantwortung anmelden. Wenn es zum Äußersten komme, müsse die Stadt wieder übernehmen, heißt es im Rathaus. Gegenwärtig hat das wacklige Wonnemar keine Gäste (Corona), zurückgeblieben ist ein käuflich zu erwerbender Subaru-SUV, den das Autohaus Buchfink vor den Haupteingang gestellt hat. Der Chef des Ladens ist Vorsitzender des örtlichen Gewerbevereins, der Oberbürgermeister dort regelmäßiger Grußwortsprecher.

Die Obere Walke: Wie schön wäre es, flussabwärts der Murr zu folgen, neben den Weiden und den Entchen spazieren, wäre da nicht diese Industriebrache. Mehr als einen halben Kilometer lang, 60.000 Quadratmeter groß, mit verschimmelten Plastikplanen abgedeckt, weil darunter Arsen, Ammoniak, Cadmium und andere Gifte lagern. Es sind die Überreste einer Industrie, die fast 200 Jahre die Stadt geprägt hat: die Gerberei. Am 21. Januar 2012 fiel der letzte Schornstein, gestorben waren sie im Zehnjahrestakt, die Lederfabriken von Häuser, Schweizer und Langbein. Seitdem ist nichts passiert. Grund und Boden gehören der DIBAG des Münchner Multimillionärs Alfons Doblinger, der dort achtgeschossige Häuser platzieren wollte, jetzt reduziert hat und sich mit etwa 440 Wohnungen und 700 Parkplätzen begnügen will. Ob damit je etwas wird, steht in den Sternen. Das Abtragen der verseuchten Erde würde Millionen kosten, das Gesundbeten der Stadtverwaltung ("diffuse Verunreinigungen") das Grundwasser nicht klären, das Credo des Oberbürgermeisters ("Qualität vor Quantität") das Wohnen nicht billiger machen. Ob Noppers Reise nach München, zum 75. Geburtstag des Immo-Tycoons Doblinger, die Sache beschleunigt hat, bleibt offen. Klar ist nur, dass die Festgesellschaft Bundesliga war: CSU-Minister Herrmann, Ex-Automanager Reitzle und seine Gattin Nina Ruge.

Der Annonay-Garten: Wir sind weiter auf dem Weg zur Innenstadt, Professor Brunold wird zum Historiker, wir durchqueren den Annonay-Garten, benannt nach der französischen Partnerstadt von Backnang. Ihre größten Söhne waren die Gebrüder Montgolfier, die Erfinder des Heißluftballons (1782), weshalb der Mittelpunkt auch eine blaue Kugel aus Stahlrohren ist. Alles in allem hat der Garten eine Million Euro gekostet, worin nicht das Problem bestand, sondern darin, dass er 2017 rechtswidrig mitten ins Überschwemmungsgebiet der Murr gebaut war. Für das ZDF war es der "Hammer der Woche". Für Nopper, trotz der kurzzeitigen Berühmtheit, ein herber Schlag. Bund und Land stoppten ihre Fördermittel, Backnanger BürgerInnen schimpften in die Fernsehkamera, und Nopper musste versprechen, andere Überschwemmungsflächen ausbaggern zu lassen. Andernfalls wäre die Eröffnung des Schmuckstücks, rechtzeitig zum 50. Jumelage-Jubiläum, ins Wasser gefallen.

Das Murr-Spektakel: Ein Stadtfest wie gemalt für den Chef. Seine kabarettistischen Talente und Verkleidungskünste, die er über die Jahre entwickelt hat, unter anderem als Seeräuber ("Vor euch steht koi Sex-Granat, i ben a stolzer Murr-Pirat"), konnten sich hier vor großem Publikum und prächtiger Kulisse entfalten. Angesiedelt auf den "Bleichwiesen", die aus Betonplatten bestehen, führt eine breite Treppe zur Murr hinunter, in deren Mitte sich zwei Bühnen befinden. Eine für Ausstellungsstücke des lokalen Autohandels, eine für die redende Prominenz. Zum "Tanz um das goldene Kalb" im Biotop der Murr wollte auch der BUND etwas sagen, aber da wurde ihm der Saft abgedreht, während der aus Stuttgart angereiste grüne Ministerpräsident aussprechen durfte. Kretschmann hat Nopper als "Löwe von Backnang" gelobt. Das hat den BUND-Chef Brunold dazu bewogen, dem MP "Fraternisierung" vorzuwerfen, in deren Folge sie von der Stadt mit "noch größer Ignoranz und Häme" überzogen beziehungsweise deren Rechtsverstöße verharmlost oder legitimiert würden. Nopper nennt Brunold seitdem den "Don Quijote von Backnang".

Der Schwarze Donnerstag: In Backnang meint man damit den 13. Januar 2011, den Tag des Jahrhunderthochwassers, an dem der Ort überflutet wurde. Innerhalb weniger Stunden war der Pegel der Murr um drei Meter angestiegen, die Innenstadt war unpassierbar, mit Schlauchbooten holte die Feuerwehr die Leute aus ihren Häusern. Der Schaden wurde später auf 27 Millionen Euro beziffert. Beim Abpumpen des Wassers seien zuerst die Banken berücksichtigt worden, erzählt Brunold, wegen des Geldes und der Wertsachen in den Tresoren im Keller. Das Hochwasser habe das Bewusstsein für die Schutzmaßnahmen geschärft, durch Pumpen, Mauern und Rückhaltebecken (die es bis heute nicht gibt) müsse der Murrpegel reduziert werden. Am Ende könne jeder Zentimeter wichtig sein. Sagt der Baudezernent.

Der Stadtmarketing e.V.: Im Vorstand des eingetragenen Vereins sitzen der Oberbürgermeister, der eingangs erwähnte Autohändler, die leitenden Herren von der Volksbank und der Kreissparkasse sowie der Chef des Betten- und Wäschehauses Windmüller, dem auch das "City-Parkhaus" gehört. Unter dem Motto "Backnang – alles was das Herz begehrt" veranstalten sie den Tulpenfrühling, den Gänsemarkt, den Laufsteg trifft Wochenmarkt und das legendäre Straßenfest, bei dessen 42. Durchführung der Oberbürgermeister ein Fußballtrikot mit der Nummer 42 trug und 42 Minuten lang Freibier ausschenkte. Das war 2012 und könnte als Trost für die nassen Füße des vergangenen Jahres durchgehen. Aber was war mit den wichtigen Zentimetern? Direkt am Ufer schob sich ein Jahr später ein fünfgeschossiger Betonklotz in die Höhe, genehmigt von der Stadt, trotz einer Gesetzeslage, die einen fünf Meter breiten Gewässerrandstreifen verlangt. Das sei für ihn "nicht problematisch", sagte Bettenmann und Bauherr Windmüller, die Vermietungslage sei positiv zu bewerten. Fitnesscenter, Gesundheitszentrum, Arztpraxen. Das entsprechende Gesetz sei erst später in Kraft getreten, betonte die Gemeinde. Sie ist stolz auf ihre meterhohen Mauern, mit denen sie den Fluss zubetoniert hat, der zur Düse wird, wenn er sich nicht ausbreiten kann. Sehenswert auf jeden Fall die Wellenreliefs.

Die Kronenhöfe: Backnang ist eine merkwürdig auseinanderfallende Stadt. Herausgeputzte Fachwerkhäuser wechseln sich mit marodem Gemäuer ab, zwischen den Banken in der Grabenstraße zwängt sich noch ein Quader Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert, daneben ein Bagger, der sich anzuschicken scheint, einen Rest Geschichte zu entsorgen und die Lücke zwischen den Geldinstituten zu schließen. Die Kräne ums Eck drehen sich für die Volksbank. Sie ziehen die Kronenhöfe hoch, die hohen Wohnwert versprechen unter anderem durch Balkone, die in der Fassade verschwinden so, dass das Stück Kuchen verspeist werden kann, "ohne auf dem Präsentierteller zu sitzen". Sehr attraktiv auch die Penthouses. Die Kronenhöfe würden der Stadt einen "unglaublichen Vitalitätsschub" bringen, versichert OB Nopper, dies nur als Beispiel dafür, dass es auch "andere Vorteile wie nur den sozialen Wohnungsbau" gebe. Das Projekt ist mit 30 Millionen veranschlagt – und wird wieder nur "gehobenen Einkommensschichten" und "profitorientierten Immobilienfirmen" zugute kommen. Sagt die Initiative "Backnang für alle", die sich gegen "Verdrängung, Wohnungsnot und Ausverkauf der Stadt" wehrt. Sie steht der Arbeiterwohlfahrt nahe. Die "Murr – Metropole" , wie sie Nopper & Co. nennen, kennt kaum sozialen Wohnungsbau und steht bei den Mietsteigerungen bundesweit an dritter Stelle.

Das Gomez-Hotel: Ein Stadtspaziergang muss am Rathaus enden. Dort, wo alle Fäden zusammenlaufen, wo die Räte unter Vorsitz des Oberbürgermeisters über die Geschicke der Gemeinde befinden. In Backnang geht das gut, die CDU (7) ist für Nopper, SPD (5) und Grüne (5) sowie die Christliche Initiative (2) sind es ebenfalls. Nur der Mann von der Backnang Demokratie schert bisweilen aus. Vor dem Rathaus stehen drei Herren in Bronze, die, so scheint’s, den lokalen Honoratioren Beifall klatschen. Es könnte aber auch den Herrschaften von gegenüber gelten. Jenen, die in der Alten Vogtei einkehren. Bei Mario Gomez, der hier nach eigenen Angaben ein "sicheres Investment" getätigt hat. Das mit hohem Aufwand aufgemöbelte Fachwerkhaus firmiert als Hotel und Eventlocation, derzeit geschlossen wegen Corona. Nun lässt Nachbar Nopper, VfB-Fan selbstredend, keine Gelegenheit aus, darauf hinzuweisen, dass er den ehemaligen Nationalkicker zum Gastronomen gemacht hat, was man sich in etwa so vorstellen kann: Am 21. Juni 2007 hat er den Berater von Gomez, Ulrich Ferber, zu Gast. Der Selfmademan leistet sich im nahen Aspach einen Fußballklub, ein Fußballstadion sowie mit Andrea Berg eine berühmte Schlagersängerin als Gattin, die er an jenem Tag zu ehelichen gedenkt. Mit großem Vergnügen unterzieht sich Nopper der Aufgabe, das fabelhafte Paar im Gotischen Chor zu trauen. Und womöglich sagt er ganz am Schluss: Du Uli, guck mal aus dem Fenster, da hätte ich noch was für den Mario … Ein Jahr später hat Gomez gekauft.

In seinem alten Mercedes bringt uns Andreas Brunold zum Bahnhof. Zurück nach Stuttgart. Er grinst und empfiehlt, Nopper zu wählen.


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3 Kommentare verfügbar

  • Dieter Reicherter
    am 26.11.2020
    Antworten
    Als Nachbar aus Althütte habe ich auch etwas Einblick in die Murrmetropole. Als die Baumfällungen für das im Bericht erwähnte noble neue Bad begannen, wurde das hier mit dem Baummassaker im Stuttgarter Schlossgarten verglichen. Da war es aber schon zu spät, um noch die von mir erbetene juristische…
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