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Mountainbiker in Stuttgart

Tatort zwischen Bäumen

Mountainbiker in Stuttgart: Tatort zwischen Bäumen
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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Datum:

Seit Corona schwingen sich immer mehr Menschen aufs Bike und radeln in den Wald. Doch in Stuttgart fehlen Trails. Fußgänger ärgern sich über rasante Radler, Naturschützer sorgen sich um Bäume. Und die Stadt duldet keine illegalen Radstrecken, wer erwischt wird, zahlt. Es ist ungemütlich im Wald.

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Unter herbstlich gefärbten Baumkronen steht Michael Och mit seinem Mountainbike auf einem hölzernen Podest. Noch ist es ruhig im Stuttgarter Wald. Lediglich das Gezwitscher der Vögel ist zu vernehmen. Der Geruch von feuchtem Laub liegt in der Luft. Mit einem entschlossenen Tritt in die Pedale stürzt sich Och die steile Holzabfahrt hinunter. Sekundenschnell hat er ein rasantes Tempo drauf. Den Lenker seines Mountainbikes fest im Griff, saust er über Wurzeln und Steine. Wie einen kleinen Schleier zieht er aufgewirbelte Laubblätter hinter sich her. Sein Blick ist fokussiert auf den vor ihm liegenden Trail, immer weiter abwärts Richtung Stuttgarter Talkessel. Ein kleiner Fehler könnte böse Verletzungen zur Folge haben.

"Mountainbiken ist perfekt, um den Kopf frei zu bekommen", schwärmt der 34-jährige Gymnasiallehrer unten angekommen. Er ist nicht zum ersten Mal auf dem Woodpecker-Trail in Stuttgart unterwegs. Seinen Feierabend verbringt Michael Och am liebsten mit seinem Rad im Wald. Seit fünf Jahren lebt er in Stuttgart und ist fest verankert in der hier ansässigen Szene. "Es gibt ein tolles Angebot an Strecken, viele Profis, und die Kessellage ist gut", sagt er. Hinter seiner eckigen Brille strahlen die Augen vor Begeisterung, wenn er vom Mountainbiken schwärmt.

Und vielen anderen scheint es ähnlich zu gehen: Immer mehr Menschen treibt es auf dem Fahrrad in die Natur. Seit der Corona-Pandemie hat die Zahl der MountainbikerInnen im Stuttgarter Wald so stark zugenommen, dass auch die Zahl der Beschwerden von SpaziergängerInnen bei der Polizei und der Stadt nach oben geschnellt ist. Dies führte zu vermehrten Polizeikontrollen im Wald, bei denen Bußgelder von bis zu 255 Euro anfallen konnten. Ein großes Problem gibt es nämlich bei der immer beliebter werdenden Sportart: An vielen Orten wird sie illegal ausgeübt.

Einen genehmigten Trail gibt es nicht in Stuttgart

Waldwege, die schmäler als zwei Meter sind, dürfen nicht befahren werden. Die umstrittene Regelung existiert nur in Baden-Württemberg und soll hauptsächlich dem Schutz der FußgängerInnen dienen. Für bestimmte Wege können Ausnahmen gemacht werden – in Stuttgart gibt es keine. Zumindest keine mit einer gültigen Genehmigung.

Foto: Jens Volle

Demo mit Helm und Rückenprotektor

Der Verein Mountainbike Stuttgart e.V. organisierte wegen verschärfter Kontrollen im Wald am 5. September eine Demonstration vor dem Stuttgarter Rathaus. Mehrere Hundert MountainbikerInnen forderten ein legales Trailnetz in Stuttgart und die Abschaffung der Zwei-Meter-Regel. Die umstrittene Regel existiert nur in Baden-Württemberg und macht das Radfahren auf allen Waldwegen, die schmaler als zwei Meter sind, illegal.  (gb)

Eine solche hatte der Woodpecker-Trail einmal, allerdings ist die mittlerweile abgelaufen. Seitdem wird die Abfahrt geduldet, als einzige Mountainbike-Strecke in der Stadt. Och sitzt, noch kurz vor seiner Abfahrt, am Eingang des Trails auf einem flachen Stein in voller Mountainbike-Montur, jederzeit bereit loszufahren. Es ist ein ungewöhnlich warmer Herbsttag. Der Himmel ist wolkenverhangen. Von Großstadttrubel bekommt man hier oben am Rand des Stadtwaldes in Stuttgart-Degerloch kaum etwas mit. Dennoch ist hier einiges los: Alle paar Minuten kommen MountainbikerInnen von der Straße in den Wald gejagt und stürzen sich mit hohem Tempo direkt auf den Trail. "Schon unglaublich, wie viel Geld hier herumfährt", sagt Och mit einem Grinsen, während er die Mountainbikes mehrerer vorbeifahrender SportlerInnen inspiziert.

Wenn der Lehrer vor seinen Schulklassen steht, unterrichtet er Sport und Politik. Diese beiden Felder kommen auch zusammen, wenn er sich ehrenamtlich im Verein Mountainbike Stuttgart e.V. für ein legales Trailnetz einsetzt. Der Verein wurde dieses Jahr erst gegründet. Die Biker hätten gemerkt, dass sie sich besser organisieren müssen, um mitreden zu können, berichtet Och: "Der Verein dient als Sprachrohr für die Community".

Vor allem die Kriminalisierung des Sports beschäftigt den gebürtigen Ulmer. Der einen Kilometer kurze Woodpecker-Trail deckt nur die Bedürfnisse eines kleinen Teils der Community ab – die der DownhillfahrerInnen. Die meisten der rund 60.000 Stuttgarter MountainbikerInnen machen jedoch längere Touren durch den Wald. Weil legale Strecken fehlen, sind sie oftmals illegal im Wald unterwegs.

Och versteht, dass sich FußgängerInnen über rücksichtslose MountainbikerInnen aufregen. "Manche wissen einfach nicht, wie man sich im Wald zu verhalten hat", meint er, "und natürlich fallen die unangenehm auf, die sich unhöflich verhalten". Teilweise werden sogar Äste und Baumstämme von verärgerten WaldbesucherInnen auf Trails gelegt, um den MountainbikerInnen zu schaden. Nägel oder gespannte Drahtseile wie im Stuttgarter Kräherwald kommen laut Och glücklicherweise selten vor.

Die Mountainbiker haben ein Imageproblem

Durch seine vielen Mountainbike-Touren kennt Och den Stuttgarter Wald gut. Wolf-Dietrich Paul kennt ihn noch ein bisschen besser. Er setzt sich als Vorstandsmitglied des Stuttgarter BUND für den Naturschutz ein, und auf manche Mountainbiker ist er nicht gut zu sprechen.

Mit einer roten Outdoorjacke steht Paul an einem illegalen Trail im Wald in Stuttgart-Uhlbach. Die Strecke ist matschig, doch Reifenspuren sind gut zu erkennen. Vegetation gibt es an der Stelle schon lange nicht mehr. Es ist der gleiche wolkenverhangene Tag, an dem Michael Och den Woodpecker-Trail herunterrast. Nur ein paar Stunden früher. Der Rentner Paul lebt seit 1982 in Stuttgart und kennt den Wald, durch den er schlendert, in- und auswendig. Der Diplom-Biologe sieht besorgt aus – und das nicht ohne Grund. Dem Wald geht es schlecht. "Die Bäume sind gestresst", sagt der 71-Jährige. Das ist auch dokumentiert: Der Waldzustandsbericht 2020 zeigt, wie das dritte Hitze-Jahr in Folge der Vegetation zu schaffen macht.

Illegale Trails in besonders geschützten Biotopen machen die Lage nicht besser. "Das Problem ist, dass die Wege nicht befestigt sind", so der Naturschützer. Die Fahrten der rasanten MountainbikerInnen verdichten den Boden, was wiederum den Bäumen erschwert, an überlebenswichtigen Sauerstoff zu kommen. Das ist ein zusätzlicher Stress für die ohnehin schon gestressten Bäume. "Es würde Jahrzehnte dauern, bis sich der Boden wieder erholt", so Paul. Und die Anzahl der illegalen Trails sei seit Beginn der Corona-Pandemie und mit der E-Bike-Welle massiv in die Höhe gegangen.

Der Naturschützer strahlt eine große Ruhe aus. Er erklärt gerne und engagiert, was mit seinem Wald los ist. Laut wird er nur, wenn er den rücksichtslosen Umgang mit der Natur kritisiert. Er kann die Biker, die seinen Wald stressen, nicht verstehen. Paul fordert ein konsequenteres Durchgreifen von der Stadt: "Um die Befahrung illegaler Trails zu verhindern, müssen diese mit Baumstämmen verbaut werden". Er habe nichts gegen das Mountainbiken im Wald an sich. Aber die Befahrung in besonders geschützten Biotopen müsse dringend aufhören. "Dann sind wir auch bereit, mit den Mountainbikern über legale Trails ins Gespräch zu kommen". Naturschüzter Wolf-Dietrich Paul ist überzeugt, dass mehr Aufklärung sinnvoll wäre. Da würde Mountainbiker Michael Och nicht widersprechen.

Verschiedene Ämter wie beispielsweise das Forstamt, das Amt für Umweltschutz oder das Amt für öffentliche Ordnung haben mit dem Thema zu tun. Paul weiß durch seine jahrelange Arbeit beim Amt für Umweltschutz, dass sich die Umsetzung von Ideen bei der Stadt Stuttgart oftmals in die Länge zieht. Och beobachtet das bei seiner Vereinsarbeit ebenfalls. Ein Freizeitkonzept Stuttgarter Wald, das in den nächsten Jahren von der Stadt und einem Planungsbüro erstellt wird, lässt Hoffnung bei Och und seinen VereinskollegInnen aufkeimen, bald legal in den Wäldern unterwegs sein zu können. Die MountainbikerInnen sollen dabei in die Planung mit einbezogen werden. Im aktuellen Doppelhaushalt hat die Stadt dafür 160.000 Euro bereitgestellt. Doch das wird noch dauern.

So lange blicken die Stuttgarter Biker sehnsüchtig nach Freiburg, wo viele legale Strecken angelegt sind. "Das Trailnetz und die Zusammenarbeit mit der Community, die die Strecken ehrenamtlich pflegt, ist hier vorbildlich", meint Och. Und das klingt ein bisschen neidisch.

Ochs rasante Abfahrt durch den Wald dauert nur wenige Minuten. Er hüpft über Wurzeln, schlittert über Blätter, schleudert durch Kurven, Adrenalin rauscht durch seinen Körper. Wenige Minuten nur. Eine letzte Brise Fahrtwind weht in sein Gesicht, bevor der Trail an einer stark befahrenen Straße endet. Grauer Himmel und der Beton der Straße ergänzen sich. Blechlawinen rollen stadtauswärts – Feierabend. Der Montainbiker folgt den wenigen Autos, die stadteinwärts fahren, verschwindet schnell hinter einer Kreuzung. Er will zum Fahrradladen, Hinterradbremse reparieren lassen. Danach fährt er zurück in den Wald. Raus aus dem Großstadtgetümmel, noch einmal runter.


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3 Kommentare verfügbar

  • Martha Reiser
    am 06.11.2020
    Antworten
    Die ganze Diskussion ist völlig überhitzt und unsachlich. Und typisch Deutsch kleinkariert.

    Es ist die Aufgabe der Stadt den MTBikern eine offizielle Strecke anzubieten. Punkt.

    Und im Gegenzug müssen sich die MTBiker auch an die REGELN halten!!!!! Punkt.

    Das Argument mit den Bäumen ist…
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