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Iris Lenz verlässt ifa-Galerie

"Pflanzenfasern sind besser"

Iris Lenz verlässt ifa-Galerie: "Pflanzenfasern sind besser"
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Muss es denn immer Beton sein? Mit der Ausstellung "Fibra" über klimaneutrale Architektur aus pflanzlichen Werkstoffen verabschiedet sich Iris Lenz nach 25 Jahren als Leiterin der Stuttgarter ifa-Galerie. Ein Weckruf.

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Ein Turnhallendach und eine Brücke aus Bambus, die zwei Tonnen schwere Autos trägt; eine Hängebrücke aus Seilen, die von den Nachfahren der Inka seit 500 Jahren jedes Jahr erneuert wird; von einem Pilz-Mycel zusammengehaltene Ziegel; aber auch ein siebengeschossiges Wohnhaus in den Vogesen, bestehend aus strohgefüllten Holzrahmen: Dies sind einige der ungewöhnlicheren Gebäude aus Pflanzenfasern, die derzeit die Stuttgarter ifa-Galerie vorstellt. Alle 50 Bauten sind Preisträger des Fibra-Awards, der im vergangenen Jahr, in Analogie zum Terra-Award für Lehmarchitektur, zum ersten Mal vergeben wurde.

Lehm und pflanzliche Materialien hinterlassen bis auf den Transport keinerlei ökologischen Fußabdruck. Und im Verhältnis zum Eigengewicht ist Bambus stabiler als Stahl. Es wäre höchste Zeit, den klimaschädlichen Beton - wo immer möglich - durch solche Baustoffe zu ersetzen. Doch davon ist zumal in Deutschland noch kaum etwas zu bemerken. In der ifa-Galerie ist derzeit zu sehen, was möglich ist. Außerdem sind die Bauten aus Bambus und anderen Pflanzenfasern zumeist wunderschön.

Frau Lenz, Sie haben Kunstgeschichte studiert, da geht es normalerweise nur um Europa. Wie gelangt man von da aus zum globalen Kulturaustausch?

Das hat sich so ergeben, weil ich 1986-87 kurzfristig in das vom ifa und dem Württembergischen Kunstverein initiierte Großprojekt "Exotische Welten – Europäische Phantasien" eingestiegen bin. Ich hatte meine Magisterarbeit über das 19. Jahrhundert geschrieben, und da gab es im Ausstellungskonzept noch eine Lücke.

Das war wahrscheinlich das größte Ausstellungsprojekt, das es in Stuttgart je gegeben hat. Im Titel spiegelt sich aber auch der damalige Blick Europas auf den Rest der Welt, der von Stereotypen und Fantasievorstellungen geprägt war. Wie sehen Sie das heute?

Heute würde man diesen Titel wohl nicht mehr in der Form verwenden. Aber es ging eben um eine Untersuchung der Stereotypen, die seit Jahrhunderten bei uns tradiert wurden und zum Teil bis heute wirksam sind. Mir hat das die Augen geöffnet: auf andere Blickwinkel, auf Multiperspektivität, und darauf, nicht unsere eurozentrische Kunstgeschichte als Kanon zu betrachten. Das Gegenstück war dann "Magiciens de la terre": Da kam endlich auch die andere Seite zu Wort. Beide Projekte standen am Beginn einer globalen Kunstgeschichte.

"Magiciens de la terre", 1989 im Centre Pompidou in Paris, gilt als Wendemarke: die erste Ausstellung, in der Gegenwartskünstler aus anderen Weltregionen solchen aus Europa und den USA gegenüberstanden. Waren Sie dort?

Ja. Da ist mir klar geworden, dass das, was wir in Kunstgeschichte lernen und in Ausstellungen sehen, ganz sicher nicht alles ist, was die Kunst global zu bieten hat. Es gab damals ja noch kein Internet. Ich bin noch zur Recherche durch Ghana gereist: schauen, was es gibt, wie dort Kunst und Kunsthandwerk sich darstellt.

1989 fiel auch die Berliner Mauer. Es gab nicht mehr eine Erste, Zweite und Dritte Welt, sondern nur noch eine. Welche Auswirkungen hatte das auf Ihre Arbeit?

Ich kann mich gut erinnern an eine Ausstellung, die mein Vorgänger Alexander Tolnay gemacht hat, mit dem Titel "Erste Schritte. Rumänische Kunst heute".

Mit Dan und Lia Perjovschi.

Es war die erste Ausstellung von Dan Perjovschi im Westen, auch für ihn ein Meilenstein. Man konnte damals noch weiße Flecken auf der Landkarte entdecken. 1991 haben wir die ifa-Galerie in Berlin eröffnet, mit Kolleginnen aus der ehemaligen DDR. Dort lag für eine Reihe von Jahren der Schwerpunkt auf osteuropäischer Kunst, weil die Kontakte da waren-  meine Berliner Kollegin sprach fließend Russisch - und weil die Neugierde und der Nachholbedarf groß waren. Das war für mich eine sehr intensive Erfahrung, auch dass wir feststellen mussten, dass Ausstellungen, die in Berlin richtig gut liefen, etwa zur Moskauer Konzeptkunst, hier in Stuttgart auf weniger Interesse stießen.

Vieles, was Sie im Lauf der Zeit vorgestellt haben, war in Europa zuvor noch nicht zu sehen gewesen. Wie kommt man zu den Themen? Waren Sie ständig als Vielfliegerin unterwegs?

Vielfliegerin sicher nicht, dazu reicht schon unser Reisebudget nicht! Es sind drei Quellen: große Ausstellungen und Biennalen; ein weltweites Netzwerk von Kuratoren und Künstlern, aus dem immer wieder Vorschläge kommen; und eigene Recherchen. Zu Reisen kam es in den letzten Jahren aufgrund des Budgets eigentlich nur noch, wenn wir schon ein Projekt im Kopf hatten; aber die bieten dann die Gelegenheit, Kunstszenen vor Ort kennenzulernen und Netzwerke zu erweitern.

Mittlerweile gibt es hunderte von Biennalen in allen Teilen der Welt.

Auf jeder Biennale entdeckt man wieder etwas: KünstlerInnen, ArchitektInnen oder Projekte, auf die man sonst nicht gestoßen wäre. Es öffnet den Blick und manches findet Eingang in eigene Ausstellungen.

Sie jetten aber nicht ständig von Gwangju nach Feuerland?

"CO2-Schleuder Biennale" lautete ein Titel im art-Magazin. Dieser Biennalen-Tourismus hat sich nicht nur aufgrund der Pandemie ein Stückweit überholt. Die Biennalen werden sich noch stärker lokal orientieren müssen; auch das ifa wird diese Frage weiter beschäftigen. Nicht größer, schneller, weiter, sondern eher lokaler, regionaler, nachhaltiger. Wir haben dieses Jahr wegen Covid-19 Ausstellungen verschieben müssen, weil Reisen und Transporte nicht möglich waren. Wir stellen uns die Frage: Macht es Sinn, auch weiterhin KünstlerInnen für eine Woche zum Ausstellungsaufbau, zur Eröffnung und einem Talk nach Stuttgart einzufliegen oder wollen wir längerfristige Projekte und Aufenthalte ermöglichen und andere Formate entwickeln?

Wo wir schon bei Einschränkungen sind: Zu Zeiten von 9/11 und Irakkrieg hatten Sie eine Reihe "Islamische Welten". War das mit organisatorischen Schwierigkeiten verbunden?

Nein. Ein Visum oder einen Pass für die Künstler zu bekommen, war im Nahen und Mittleren Osten, auch in Krisengebieten nicht schwieriger als in Afrika oder Lateinamerika. Zur Not haben wir noch fünfmal telefoniert, aber es ging immer.

Und wie war die Resonanz?

Eigentlich nur positiv. Eines meiner Highlights war 2002 die Ausstellung "Der neue iranische Film". Das war schon schwierig aufgrund der Zensur in Iran, aber die Publikumsreaktion war überwältigend. Wir hatten den Eindruck, die gesamte iranische Gemeinschaft Süddeutschlands mit Kind und Kegel war in der ifa-Galerie und hat mit den hiesigen BesucherInnen intensiv diskutiert.

Wie kam das zustande?

Das ist eine schöne Geschichte: Die iranische Botschaft hatte seit einiger Zeit angefragt, ob wir nicht eine Ausstellung mit iranischer Kunst machen könnten. Das wollte ich jedoch nicht – eine Ausstellung von offiziellen iranischen Stellen. Aber da man nicht immer nur ablehnen kann, kam ich auf die Idee zu sagen: Wir planen ja schon eine Ausstellung zum iranischen Film. Abbas Kiarostami und andere waren damals sehr im Kommen. Zwar hatten wir viel mit den Zensurbehörden zu tun. Aber letztendlich war sogar die Regisseurin Tahmineh Milani hier – die anschließend im Iran aus anderen Gründen verhaftet wurde.

Kommt es öfter vor, dass die Communities der jeweiligen Länder zu den Ausstellungen anrücken?

Das funktioniert zumeist nur, wenn es sehr gezielt kommuniziert werden kann, zum Beispiel über einen Titel wie "Stadtansichten: Istanbul". Wenn aber in einer Ausstellung verschiedene internationale KünstlerInnen vertreten sind, wie das häufig der Fall ist, fühlt sich keine bestimmte Community angesprochen. Ich würde mir wirklich wünschen, dass wir eine zusätzliche Stelle bekommen für den Bereich Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit und Kunstvermittlung, um gerade mit unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen zu arbeiten. Unser Team ist dafür einfach zu klein. Es wäre zum Beispiel interessant, bei einer Ausstellung wie "Fibra" Handwerker, Lehrlinge und Architekturstudierende einzubeziehen!

Architektur war für Sie immer ein Schwerpunkt. Warum?

Ich habe schon während des Studiums in einem Architekturbüro gearbeitet. Architektur ist für mich die Kunstgattung, die am stärksten mit unserem Alltag und unserem Leben verknüpft ist. Niemand bleibt davon unberührt. Und Stuttgart nennt sich Architekturstadt, mit drei tollen Hochschulen – was man leider dem Stadtbild nicht ansieht. Die Ausstellungen werden gut angenommen: von Architekten, aber auch einem breiten Publikum.

Dazu gehören für Sie auch ökologische Themen.

Beide ifa-Galerien arbeiten derzeit an der Frage: Wie gehen wir im globalen Norden und wie gehen indigene Gemeinschaften mit der Umwelt um? Was können wir von anderen Denk- und Handlungsweisen lernen?

Architekten reden viel von Nachhaltigkeit. Aber sie bauen zumeist aus Beton, der erheblich zum Klimawandel beiträgt. Nachhaltig wären Lehm, Bambus und Stroh. Was kann eine Ausstellung da bewirken?

Ich denke dass Ausstellungen, Publikationen oder einzelne Leuchtturm-Projekte, die Aufmerksamkeit erregen wie das Alnatura-Zentrum aus Lehm oder das Holz-Hochhaus auf der Heilbronner Gartenschau, ein klein wenig etwas bewegen können, sowohl bei Architekten als auch bei Bauherren. Ich weiß, die Bauwirtschaft will Geld verdienen mit ihrem Beton, Zement und Stahl, so wie die Autoindustrie mit ihrem Verbrenner. Ein Umdenken zu bewirken ist schwierig, langfristig aber dringend notwendig!

In Stuttgart ist davon bisher wenig zu bemerken.

Für mich ist der Skandal nicht, dass der Blick auf die Stadtbibliothek mit einem Hochhaus verbaut wird, sondern dass das Hochhaus eigentlich eine begrünte Fassade haben sollte, die dann aber dem Brandschutz oder den Kosten zum Opfer gefallen ist. Ich weiß auch von Architekten, wie schwierig es ist, wenn man außerhalb der Norm, zum Beispiel mit Lehm, bauen will. Oder von Leuten, denen es überhaupt nicht gefällt, dass ihr Haus mit Styropor gedämmt ist. Pflanzenfasern sind ökologisch viel besser. Aber es fehlt der Wille in der kommunalen Verwaltung, der ich ebenso wie den Gestaltern des Baurechts mehr Offenheit und Mut wünschen würde – und dem Baubürgermeister Visionen für unsere Stadt der Zukunft sowie auch deren Umsetzung in die Realität!


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