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Comic über Hasskommentare

Wenn Tacheles wieder zuschlägt

Comic über Hasskommentare: Wenn Tacheles wieder zuschlägt
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Die sogenannte "Flüchtlingskrise" 2015 brachte einen starken Anstieg von Hass im Internet mit sich. Die Hamburgerin Kathrin Klingner arbeitete damals in einer Internetagentur, die darauf spezialisiert war, Online-Kommentare zu moderieren. Daraus hat sie den bemerkenswerten Comic "Über Spanien lacht die Sonne" gemacht.

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Wer in Windeseile mal so richtig schlecht drauf kommen oder an der Menschheit verzweifeln will, der sollte sich Kommentare bei Online-Medien anschauen. Wobei – die schlimmsten werden dort ja gar nicht freigeschaltet. Dafür sorgen Leute in den Redaktionen oder in Internetagenturen, die allein darauf spezialisiert sind: Online-Kommentare zu moderieren, sie freizuschalten oder eben zu löschen. Das ist auch Kittys Job. In Sekundenbruchteilen muss sie entscheiden, ob ein Kommentar freigeschaltet wird oder gelöscht – etwa ein Drittel wird gelöscht, weil sie zum Beispiel rassistische Beleidigungen oder Gewaltfantasien enthalten, oder keinen Bezug zum Thema haben. Bei Kittys Einstellung sagt ihr Chef: "Wir lesen hier den ganzen Kram, den Leute im Internet schreiben, damit es der Rest der Welt nicht tun muss."

Kitty ist eine Häsin im aktuellen Comic "Über Spanien lacht die Sonne" von Kathrin Klingner, und sie ist ein auch ein bisschen das Alter Ego ihrer Erfinderin, oder besser, von einer früheren Tätigkeit Klingners inspiriert: Die Hamburger Comiczeichnerin arbeitete selbst mehrere Jahre in einer solchen Agentur. In diese Zeit fiel auch die sogenannte "Flüchtlingskrise" im Sommer und Herbst 2015, während der Kommentare voller Hass und Verschwörungstheorien stark zunahmen. Kommentare von Leuten mit Usernamen wie "Geschichtslehrer", "Tacheles", "Angry White Steuerzahler" oder "Migrantenschreck", die vor einer angeblichen Islamisierung Deutschlands warnen, die einen Bevölkerungsaustausch im Gange sehen oder sich darüber echauffieren, von der "Systempresse" als Nazis bezeichnet zu werden.

Reduzierter Zeichenstil, lakonischer Humor

Dargestellt sind die Protagonisten des Comics als Tierfiguren oder nicht genau definierbare Phantasiewesen, womit Klingner stilistisch an ihren Debütcomic "Katze hasst Welt" anknüpft: Auch in dem habe sie eine halbautobiographische Geschichte mit Tierfiguren erzählt, "das soll dem Leser signalisieren, dass nicht alles hier 100 Prozent autobiographisch und die Wahrheit ist". Es hat aber auch mit Pragmatismus zu tun: So wie Hauptfigur Kitty konzipiert ist, mit einem nur aus fünf unterschiedlich großen Flecken bestehenden Kopf, sei das interessanter zu zeichnen, "und wenn ich zwei Jahre an einem Buch sitze und immer dieselbe Figur zeichne, dann muss die so sein, dass es immer noch reizvoll ist." Reizvoll ist Klingners extrem reduzierter und präziser Zeichenstil auf jeden Fall auch für den Leser, zumal in Kombination mit den Texten.

Schon während ihrer Arbeit als Kommentar-Moderatorin zeichnete Klingner die ersten kurzen Comic-Strips: Oben die Kommentartexte, darunter die verschiedenen ModeratorInnen bei der Arbeit, die währenddessen Kaffee trinken, etwas essen, Musik hören oder sich mit den KollegInnen unterhalten, kurz, Bilder eines stinknormalen Büroalltags. "Das war auch eine Art, mit dem Job umzugehen", sagt Klingner. Alleine diese Kombination disparater Text- und Bildelemente hat schon einen herrlich lakonischen Humor, lässt einen mal schmunzeln ob der abstrusen in den Kommentaren ausgebreiteten Gedankenwelten, mal schaudern. Viele solcher Strips finden sich in "Über Spanien lacht die Sonne", aber der Comic besteht längst nicht nur aus ihnen. Klingner erzählt auch vom Leben der AgenturmitarbeiterInnen, "alle etwas spleenig und mit Schwächen behaftet", sagt die Zeichnerin. "Normale Leute halt. Und eigentlich die falsche Besetzung, um die Welt vor der Verrohung aus dem Internet zu retten."

Ausflug in die bizarre Welt der Internetjobs

Das sind dann auch Ausflüge in die Arbeitswelt einer Generation, die den einen Job fürs ganze Leben nicht mehr kennt, die auf maximale Flexibilität und Selbstausbeutung eingeschworen wurde. Immer wieder erzählen die Figuren in kurzen Ausflügen von ihren früheren Jobs, ob als Weihnachtsbaumverkäufer, Kneipenbesitzer oder in verschiedenen, teils ziemlich bizarren Internetjobs. Zum Beispiel Imagechecker bei einer Dating-Seite oder Mystery Shopper in einem Outbound Callcenter. "In Kommentaren, besonders zu Migration ist 'Arbeit' immer wieder ein Thema", sagt Klingner. "Steuern zahlen, wer nimmt wem die Arbeit weg, wie können Geflüchtete in den Arbeitsmarkt integriert werden, und so weiter. Also fand ich es nur passend, mir diese 'Arbeit' mal genauer anzuschauen."

Daneben zeigt Klingner auch, wie die ModeratorInnen ihren Job verarbeiten, reflektieren. "Ich glaube, viele von denen sind total besoffen, wenn sie Kommentare schreiben", sagt Kittys Kollegin Agnieszka einmal. "Das ist doch nicht normal, diese vielen Schreibfehler! Und mitten in der Nacht! Wer ist denn wochentags um vier Uhr früh im Internet?" Selbst bei der Weihnachtsfeier geht's noch darum: "Wisst ihr, was ich einen der schlimmsten Kommentare finde? 'Über Spanien lacht die Sonne, über Deutschland die ganze Welt.'" – "Ooooh ja…" – "Ein Schelm, wer Böses denkt." – "Auch übel." – "Und wer zahlt das? Der dumme deutsche Michel!"

In Klingners Erinnerung gab es ab dem Sommer 2015 fast kein anderes Thema mehr als die "Flüchtlingskrise", zu der kommentiert wurde. Was die Verschiebung des Online-Diskurses zu bedeuten habe, darüber habe sie sich damals aber kaum Gedanken gemacht: "Wir waren einfach zu beschäftigt damit, diese Berge an Kommentaren abzuarbeiten."

Klingner erinnert sich trotzdem noch, wie sie einmal nach einer Nachtschicht aufgewühlt nach Hause gekommen sei und in einem Chat-Forum so etwas schrieb wie: "Ich moderiere Kommentare, und die zunehmende Fremdenfeindlichkeit und der Tonfall machen mich echt fertig, und ich weiß nicht, wie es mit der Gesellschaft weitergehen soll." Ein anderer Forist habe dann zurückgeschrieben, so einen Job gebe es doch gar nicht, "ich sei ein Troll, der sich wichtig machen will."

Was treibt diese Leute an?

Hat Klingner durch ihre Arbeit eine Antwort darauf, was Leute antreibt, die rassistische Tiraden, Umsturzfantasien oder Beleidigungen im Internet verbreiten wollen? Was die Motive angeht, könne sie auch nur raten, sagt die Comiczeichnerin. Da gebe es die klassischen Trolle, denen es vor allem darum gehe, Grenzen zu übertreten und zu provozieren, dann die User auf politischer Mission, die gezielt versuchen, "den Diskurs immer weiter nach rechts zu verschieben". Und natürlich gehe es oft darum, zu einer gefühlten Mehrheit zu gehören. "Viele AfD-Sympathisanten sind sehr aktiv in den Foren, man hat teilweise beim Lesen den Eindruck, die Kanzlerschaft von Björn Höcke stehe kurz bevor" – während die Wahl- und Umfrageergebnisse der Partei dieser Internetpräsenz in keiner Weise entsprächen.

Nimmt aus Klingners Sicht die Zahl der Hasskommentare im Netz zu? Ob das so ist, könne sie nicht sagen, aber wichtiger findet sie ohnehin eine andere Frage: "Warum interessiert uns denn überhaupt so brennend, was diese Leute schreiben? Wenn irgendwer, über den man überhaupt nichts weiß, unter einem beknackten Fantasienamen im Internet gegen den Islam hetzt oder eine Person des öffentlichen Lebens beleidigt – warum soll man sich eigentlich dafür interessieren?"

Als "Über Spanien lacht die Sonne" am 12. März dieses Jahres herauskam, war noch nicht absehbar, dass Verschwörungstheorien bald im Zuge der Corona-Pandemie solche – zusätzliche – Konjunktur kriegen würden. Da finden sich Versatzstücke, die schon 2015 kursierten, aber laut Klingner hat sich auch etwas verändert: Es herrsche häufiger eine Art Expertentonfall, "weniger persönliche Ressentiments, mehr pseudowissenschaftliche Argumentationen. Und ich glaube, es ist oft auch schwieriger als damals zu sagen: Aha, das sind jetzt Fake News."


Kathrin Klingner: "Über Spanien lacht die Sonne", Reprodukt, Berlin, 128 Seiten, 20 Euro


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