KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Der ikonische Krisenstyle

Der ikonische Krisenstyle
|

 Fotos: Jens Volle 

|

Datum:

Ab 27. April wird es auch in Baden-Württemberg eine Pflicht zum Tragen von Masken in Geschäften und öffentlichen Verkehrsmitteln geben. Dass gegen die Verbreitung des Coronavirus auch einfache Mund- und Nasenschutzmasken sinnvoll und besser als gar keine sein können, zeigen schon länger diverse Studien. Und viele tragen sowieso schon selbstgemachte.

Zurück Weiter

Was ist das ikonische Foto aus der Zeit der Spanischen Grippe, die sich von 1918 bis 1920 rund um den Erdball verbreitete? Vielleicht jenes der Polizisten in Seattle, die alle eine weiße Mundschutzmaske tragen. In den USA, wo die Grippe besonders heftig wütete, mag das noch präsenter sein als hierzulande; das US-Magazin "Wired" wies jedenfalls in einem Artikel vom 30. März noch einmal darauf hin: "Schaut man sich Fotos von Amerikanern während der Grippe-Pandemie von 1918 an, fällt eine Einzelheit besonders auf: Masken. Stoff, meist weißer Mull, bedecken fast jedes Gesicht."

Das ist, zumindest in Deutschland, noch nicht der Fall, in vielen Teilen der Welt aber schon. Nicht nur in China, sondern auch in Italien und Spanien. Es spricht also einiges dafür, dass dereinst das ikonische Foto der Sars-Cov-2-Pandemie auch ein Maskenfoto sein wird – jedenfalls eher als das Bild leerer Klopapierregale, die allenfalls als kurioses Anfangsphänomen in Erinnerung bleiben dürften.

Wird es ein Foto von Xi Jinping oder Sebastian Kurz sein, bei dem die heroische Inszenierung als zupackender Krisenmanager im Mittelpunkt steht? Wird es das Bild von Armin Laschet sein, das eher geneigt ist, eine entsprechende Macherkompetenz zu untergraben? Oder vielleicht jenes auch kompositorisch aparte und mit dem schönen Begriff "Fahrstuhlgate" verbundene Foto von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und zehn anderen Personen, die sich in einem Fahrstuhl aneinander drängen, so eng, wie es schon in nichtpandemösen Zeiten grenzwertig wäre, und in Zeiten des 1,50-Meter-Abstand-Gebots noch mehr? Ob am Ende ikonisch oder nicht, auf jeden Fall ein Beispiel, wie man es eher nicht machen sollte. Und wer jetzt sagt: Aber die tragen doch alle Masken, da kann doch nichts passieren – nun ja, es ist kompliziert.

Die Tücken der Maske

Wobei, eigentlich ist es gar nicht mal so schwer verständlich. Es geht nur eine Menge durcheinander. Zunächst ist Maske nicht gleich Maske. Es gibt partikelfilternde FFP-2- und FFP-3-Masken, deren Filter Viren abhalten, die aber tunlichst medizinischem Personal vorbehalten sein sollten, um Engpässe zu vermeiden. Und es gibt Mund- und Nasenschutzmasken, mal OP-Masken, mal Alltags- oder Communitymasken genannt, oft aus Baumwollstoff oder Mischgewebe, die keinen entsprechend umfassenden Schutz gegen Viren bieten.

Für zusätzliche Verwirrung sorgt ein meist verkürzt wiedergegebenes Zitat der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wonach das Tragen von Masken zu einem falschen Sicherheitsgefühl führen könne. Vollständig wiedergegeben heißt es aber seitens der WHO, die Masken könnten "sogar Infektionen verursachen, wenn …" – das ist wichtig – "... sie nicht richtig benutzt werden". Berücksichtigen sollte man dabei auch den Kontext, in dem die Aussage steht: Denn es handelt sich um eine Empfehlung, wer medizinische Masken tragen sollte, und das ist vor allem medizinisches Pflegepersonal. Dieses ist seitens der WHO angehalten, weiterhin Hände zu waschen und nicht im blinden Vertrauen auf die Kraft der Maske alle anderen Sicherheitsvorkehrungen über Bord zu werfen.

Klar ist: Keine Maske der Welt gewährleistet Immunität. Aber: Dass Masken nichts bringen, ist genauso falsch. Insbesondere der selbstgebastelte Mund- und Nasenschutz dient nicht dem Selbstschutz, sondern dem Fremdschutz. Wenn ich maskentragend von einem Infizierten angehustet, angeniest, angesprochen oder ankrakeelt werde, so ist die Schutzwirkung eher gering. Wen ich aber maskentragend herumhuste etc., dann ist eine gewisse – nicht zu überschätzende! – Schutzwirkung für die Umstehenden durchaus gegeben. Denn das dabei abgegebene Aerosol, also das potentiell Viren enthaltende Teilchengemisch in einem Gas, verteilt sich dann längst nicht so weit. Ein Effekt, den mittlerweile ziemlich viele Videos im Netz verdeutlichen (Verschiedene Varianten vergleichend zum Beispiel hier), und den diverse wissenschaftliche Studie betonen (eine ganz neue hier, eine ältere hier)

Sogar Egoisten profitieren auf Umwegen

Das Tragen solcher einfachen Masken ist also eher eine altruistische Handlung, oder wie Virologe Christian Drosten für die mit dem Vokabular des Knigge aufgewachsene Generation sagte, "eine höfliche Geste". Altruismus, Höflichkeit, schön und gut, mag da der hochgradig individualistische, fortwährend sich selbst optimierende und um sich selbst kreisende Mensch der westlichen Hemisphäre einwenden: Aber wo ist denn da mein persönlicher Benefit? Was hab ich davon, wenn der womöglich sowieso nur sinnlos die Luft wegatmende Minderleister neben mir gesund bleibt, ich aber trotzdem eine Virendusche bekommen kann? Dieses Problem löst sich erst, sozusagen, auf der Makro-Ebene: Tragen alle Mundschutz, sinkt das Risiko für alle – auch nicht auf Null, aber dennoch.

Maskenpflicht im Südwesten

Bislang gab es in Baden-Württemberg keine Verpflichtung zum Tragen von Masken beim Einkaufen und im Öffentlichen Nahverkehr, sondern nur eine dringende Empfehlung. Laut Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) habe man allerdings feststellen müssen, dass sich zu wenige Menschen freiwillig daran hielten. Da im Zuge erster Lockerungen wieder Geschäfte öffnen und mit Situationen zu rechnen sei, in denen sich die Abstandsregeln nicht immer lassen, komme nun die Maskenpflicht. Dabei ist keine medizinische Maske Vorraussetzung, um einkaufen zu dürfen, sondern Mund-Nasen-Schutz. "Notfalls tut es auch ein Schal", so Kretschmann. (min)

Würde ein umfassendes Maskentragen im öffentlichen Raum radikale Lockdown-Maßnahmen wie derzeit rund um dem Globus teilweise überflüssig machen? Das scheint zumindest die Ansicht des Autoren und Journalisten Friedemann Karig zu sein, der gemeinsam mit der Moderatorin Christiane Stenger vor rund einem Monat die Initiative #maskeauf ins Leben gerufen hat: "Wir müssen eine Alternative zu den drastischen kollektiven Restriktionen finden. Und zwar nicht nur wir, sondern all diese Länder, in denen ein Shutdown sicher nicht weniger schlimm wirkt als bei uns", schreibt Karig auf seinem Blog. Auf der #maskeauf-Seite wird nicht nur zum Tragen, sondern besonders zum Do-It-Yourself aufgerufen, dort sind Videos mit Bastelanleitungen für Masken (zum Beispiel auch aus T-Shirt-Ärmeln) aufgelistet, denn, so die Macher: "Weil die medizinischen Masken in die Medizin gehören, basteln wir sie uns selbst". Prominente wie Jan Böhmermann, Charlotte Roche, Rezo, Sascha Lobo, Cro (sowieso schon mit Maske) oder Cem Özdemir gehören zu den UnterstützerInnen.

Bislang fehlen allerdings überzeugende Untersuchungen, dass der Effekt umfassenden Maskentragens vergleichbar ist mit dem umfassender Lockdown-Maßnahmen. Als Beispiel wird manchmal das vom Coronavirus wenig betroffene Hongkong genannt, wo viele Masken getragen werden und das öffentliche Leben wenig eingeschränkt ist. Die Übertragbarkeit auf andere Staaten wird aber als problematisch bewertet – am ehesten wird daher zum Maskentragen als Ergänzung zu anderen Maßnahmen plädiert.

Der Maske-statt-Restriktionen-Gedanke scheint aber dennoch eine Rolle dabei zu spielen, dass jetzt eine bundesweite Maskenpflicht in Geschäften und öffentlichen Verkehrsmitteln näher zu rücken scheint – und eine Rolle spielt möglicherweise auch der Aspekt, dass das Verfügbarkeitsproblem sich so langsam etwas entschärft. Seit dem vergangenen Wochenende kündigt jedenfalls ein Bundesland nach dem anderen an, eine entsprechende Regelung einzuführen. In Baden-Württemberg soll dies ab dem 27. April der Fall sein.

Was ist mit Söder los? Er ist ja langsamer als Sachsen!

Die Maskenfrage zeigt dabei auch, dass die Reaktionszeiten in der Krise mittlerweile länger geworden sind. In der ersten Märzhälfte schien es noch fast Gesetz, dass zwei bis drei Tage nach Verkündung einer Maßnahme in Österreich der Freitstaat Bayern nachzieht und wiederum kurz darauf die ganze Bundesrepublik. Nun gibt es im Alpenstaat schon seit dem 6. April eine Maskenpflicht in Geschäften, seit dem 13. auch in öffentlichen Verkehrsmitteln, und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder musste sich diesmal erst von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern überholen lassen, ehe auch er am 20. April für Bayern Entsprechendes ankündigte – wobei es im Freistaat nicht "Maskenpflicht", sondern "Mundschutzgebot" heißen soll. Jo mei. Immerhin konnte sich Söder aber schon davor mit einem sehr staatstragenden Mundschutz in blauweißem Rautenmuster präsentieren (mutmaßlich atmungsaktiver als grüner Loden).

Die Maske als Statement-Träger, das haben nicht nur Politiker mittlerweile entdeckt. Der Internetversand "Linke T-Shirts" vertreibt schon seit mehreren Wochen auch entsprechende Masken, schwarz und mit Sprüchen drauf wie "Fuck the System" oder mit Antifa-Logo. Die werden vermutlich auch noch nach Corona den ein oder anderen antikapitalistischen und -imperialistischen Einsatz erleben. Auf die nicht unbeträchtliche Ironie, dass sich bisherige Verfechter eines Vermummungs- oder Verschleierungsverbots wie Söder nun für öffentliche Vermummung stark machen, hatte in der vorletzten Ausgabe schon ein Kontext-Leser hingewiesen. Die Ironie ist auch den Klima-AktivistInnen von Ende Gelände nicht entgangen, die auf Facebook ein Foto mit Bildetext posteten: "Fighting Corona since 2015."

Obwohl zu überlegen wäre, dass Masken für manche Träger auch ein optisches Upgrade sein könnten (wobei sich ausgerechnet US-Präsident Donald Trump dem Tragen von Masken vehement verweigert), diskutieren seit Wochen etliche Artikel neben der Schutzwirkung auch die traditionellen Vorbehalte im europäisch-amerikanischen Kulturkreis gegenüber Masken, im Gegensatz zu den vermeintlich maskenwilligeren Ostasiaten. Vorbehalte, die offenbar schon während der Spanischen Grippe vor rund 100 Jahren eine Rolle spielten. Das New Yorker Gesundheitsamt warb damals fürs Tragen von Masken mit dem Spruch: "Better be ridiculous than dead" – lieber lächerlich aussehen als tot sein. Wobei das aus heutiger Sicht natürlich auch nicht ganz stimmt und präzisiert werden müsste: Lieber lächerlich aussehen, als das Virus verbreiten.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


4 Kommentare verfügbar

  • Christian Sorg
    am 23.04.2020
    Antworten
    Jetzt ist also auch Kontext im allgemeinen Mainstream angekommen - dafür braucht man es aber nicht abonnieren und finanziell unterstützen. Interessant wären die durchaus vorhandenen "anderen" Meinungen von Medizinern, die diese verordnete Maskenpflicht (vor allem sämtliche selbstgebastelten) für…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:




Ausgabe 163 / Fünf Kilometer Todesmarsch / Maria Sigg-Huber / vor 14 Stunden 36 Minuten
Ist in Ordnung!


Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!