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Aufklärung mit Anti-Nazi-Comic

Aufklärung mit Anti-Nazi-Comic
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Wie lassen sich junge Menschen für Rassismus und Geschichtsverleugnung sensibilisieren? Der Illustrator Nils Oskamp hat dafür einen zeichnerisch-pädagogischen Ansatz entwickelt – ausgehend von seinem grafischen Roman "Drei Steine", in dem er eigene Erfahrungen mit Nazis verarbeitet.

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Auch Nils Oskamp leidet derzeit unter der Absage von Veranstaltungen, bei denen er mit seinem comicpädagogischen Projekt auftreten sollte. Am 7. März war der Hamburger Illustrator aber noch einmal in Böblingen. Die "Vielfaltsgestalter", ein von der Robert-Bosch-Stiftung gefördertes Bündnis für gesellschaftlichen Zusammenhalt, hatten zu einem Vernetzungs- und Austauschtreffen geladen, und Oskamp erstellte während der Veranstaltung ein grafisches Protokoll, das heißt, er zeichnete Dinge, die gesagt wurden, und machte so die wichtigsten Aspekte sichtbar.

Diese Technik ist auch für Oskamp neu, das Thema, um das es dabei ging – gesellschftlicher Zusammenhalt in einer kulturell vielfältigen Gesellschaft – hingegen nicht. Im Gegenteil, er kämpft seit Jahren landauf, landab gegen die erstarkten ultra-nationalistischen und faschistischen Akteure.

In diesem Zusammenhang steht auch sein 2016 erschienener erster grafischer Roman "Drei Steine". Darin schildert Oskamp, wie er sich im Dortmund der 1980er als 14-Jähriger alten und neuen Nazis entgegenstellte. Er zeigt dabei nebenbei, wie sich die dortigen berüchtigten Nazi-Strukturen bilden konnten. In der Schule musste er sich mit indoktrinierten Mitschülern und Lehrern auseinandersetzen, auch körperlich, und im Umfeld ging ein SS-Veteran auf Nachwuchsjagd. Sogar eine Nazi-Hooligantruppe bildete sich. Gegenüber all dem herrschte in Oskamps Umfeld Gleichgültigkeit, er musste sich fast alleine im wahrsten Sinne des Wortes durchboxen. Dabei wurde es bisweilen sowohl für Oskamp, als auch für einen seiner Kontrahenten lebensgefährlich.

Auf die Idee, daraus einen Comic zu machen, kam Oskamp während seiner Ausbildung an der Animation School Hamburg. Ein Dozent habe das Erzähl-Konzept der "Heldenreise" erläutert, das auf vieles angewandt werden könne, auch auf biografische Stoffe. "Ich wollte dann einen Comic machen und bot einem französischen Verlag die Umsetzung eines Drehbuchstoffes an", erzählt Oskamp. "Die sagten aber, ich solle lieber eine eigene Geschichte anbieten." Die ersten Vorarbeiten zum Buch fertigte er als Gast in einem französischen Atelier an. In der Comic-Hochburg Frankreich wollte er seine zeichnerischen Fertigkeiten verbessern. So hat er dort nun etliche Kontakte, auch zu Verlagen.

Doch Oskamp wollte es nicht bei einem Comic belassen, sondern auch ein pädagogisches Zusatzprogramm anbieten, "weil die Radikalisierung heute wie damals stark an Schulen stattfindet und meine Geschichte vor allem an der Schule spielt". Er bemühte sich um eine Förderung für sein Buch aus einem Fördertopf gegen Rechtsextremismus des Bundesfamilienministeriums und wurde an die Amadeu-Antonio-Stiftung verwiesen. Die steuerte ein ausführliches Nachwort zum Buch bei, in dem die weitere Geschichte der Dortmunder Nazi-Szene bis in die Gegenwart dargestellt wird. Das Familienministerium förderte dann eine Schulbuchausgabe. Dabei blieb es nicht: 2018 bestellte die Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen 1.500 Exemplare von "Drei Steine". Fanclubs des Fußballvereins Borussia Dortmund haben das Buch schon auf Bildungsfahrten zu Nazi-Themen benutzt.

Oskamp erarbeitete auch gleich eine Ausstellung mit Originalzeichnungen. Als die 2016 in Dortmund zu sehen war, fragte eine Schule eine Lesung mit ihm an, berichtet er. Also entwickelte er einen Bildvortrag. Dabei projiziert er Comic-Seiten an die Wand und spricht die Dialoge selbst, bevor er mit den Jugendlichen über ihre Meinungen dazu und ihre eigenen Erfahrungen spricht.

Bundesweit Comic-Vorträge gegen Nazis

Seit einigen Jahren reist der Autor und Illustrator nun immer wieder durch die Republik, um mit Lesungen, künstlerischen Workshops und mit der Begleitausstellung Präventionsarbeit gegen Neofschismus zu machen, vor allem an Schulen. Nach eigener Aussage hat er so bei über 160 Lesungen schon 28.000 Menschen erreicht, davon schätzungsweise 80 Prozent Jugendliche und Kinder. Die Ausstellung wurde sogar in Gedenkstätten schon gezeigt.

Böblingen war der vierzehnte Ausstellungsort, ebenfalls dank einer Förderung der Robert-Bosch-Stiftung. Bis zum 30. März hätten dort im "Blauen Haus" Oskamps Originalzeichnungen sowie thematisch weiterführendes Material zu sehen sein sollen, wegen des Corona-Virus' endete dies leider vorzeitig. Doch seit der Ausstellungseröffnung im Januar war der Autor schon mehrmals in der Stadt. Bei der regelmäßigen Veranstaltung "Comics & Bier" saß er ebenso auf der Bühne wie beim Format "Wortwechsel". Am Böblinger Albert-Einstein-Gymnasium (AEG) trat er zudem bei einem Seminartag für die Lehrkräfte auf, bei dem es um Medienbildung ging. Oskamp referierte da zu "Rechtsextremismus im Internet".

"Demokratiebildung ist heute an Schulen besonders wichtig, weil wir präventiv gegen rechtsextreme Entwicklungen vorgehen wollen", erläutert die AEG-Leiterin Grit Steiner im Gespräch mit Kontext. Sie war über einen Medienbericht auf Oskamp aufmerksam geworden und hat ihn dann für ihren Seminartag gebucht. "Er kam kompetent rüber. Und man merkt ihm an, dass es ihm eine Herzensangelegenheit ist", sagt Steiner. Ende März hätte Oskamp eigentlich wieder ans AEG kommen sollen, um vor 10. und 11. Klassen seine Lesung zu halten, aber das ist nun hinfällig.

Im Januar hat Oskamp so eine Lesung schon am Max-Planck-Gymnasium in Böblingen durchgeführt, vor 350 SchülerInnen der Klassen acht bis elf. Nun kann er ein Empfehlungsschreiben der Schule vorzeigen, in dem die ihm "für eine sehr besondere und besonders gelungene Veranstaltung" dankt.

Finanziert werden Oskamps Böblinger Schulauftritte aus dem Bundesprogramm "Demokratie leben". Um Geld aus diesem Fördertopf zu bekommen, müsse ein eigens eingerichteter Ausschuss der Kommune das jeweilige Projekt gutheißen, erklärt die städtische Integrationsbeauftragte Martina Hohberg gegenüber Kontext. Regelrecht begeistert hat sie Oskamps grafisches Protokoll zur Veranstaltung der "Vielfaltsgestalter" am 7. März: "Die Zeichnungen führten zum Teil über die Gespräche hinaus und haben sie beeinflusst." Der Zeichenprozess wurde vom Tablet auf eine Leinwand übertragen, so dass die Teilnehmenden, die sich unter anderem an wechselnden Diskussionstischen betätigten, permanent diese zweite Ebene vor Augen hatten.

Zeitgemäße politische Bildung per Zeichenstift

Zeichnungen als Hilfsmittel für politische Diskussions- und Vermittlungsprozesse – Nils Oskamp führt vor, was da möglich ist, gerade in Bezug auf junge Leute. Der promovierte Pädagoge Frank Greuel vom Deutschen Jugendinstitut in Halle (Saale) hält Oskamps Buch für besonders geeignet für Jugendliche. Comics als Anti-Nazi-Präventionsmedien gebe es sonst kaum, sagt er auf Anfrage. Mehr noch: Es gebe überhaupt kaum Werke, die von realen Erlebnissen junger Menschen mit Faschisten erzählen.

Wolfgang Neumann, Kunstlehrer an der Stuttgarter Jörg-Ratgeb-Schule, hält Oskamps Werk für besonders wichtig, weil er wegen der allgegenwärtigen Bilderflut, Stichwort Instagram, eine "neue erzählerische Zeit" angebrochen sieht. Neumann hatte im Juni 2019 eine Lesung samt Zeichenkurs mit Nils Oskamp durchgeführt. Er meint: "Wir brauchen eine sinnvolle künstlerische Verzahnung von Bild und Text." Etwas Autobiografisches als Comic zu erzählen, sei zeitgemäß.

An der Jörg-Ratgeb-Schule durften rund 30 Jugendliche nach Oskamps Vortrag einen kleinen Zeichenkurs bei ihm machen. Lehrer Neumann spricht von einer "existenziell tollen Begegnung", die einige der Jugendlichen da gehabt hätten. So manche könnten sich nun vorstellen, beruflich etwas Zeichnerisches zu machen. Oskamp selbst habe bei seinen Auftritten den Eindruck gewonnen , dass die Jugendlichen heute aufgeklärter seien als seine Generation, erklärt er gegenüber Kontext: "Denen kann man nicht so leicht Lügen verkaufen." Aber je nach Region sei auch der Einfluss von Nazis spürbar.

An Anfragen mangelt es Oskamp einstweilen nicht, auch wenn angesichts der Pandemie unklar scheint, ob alle eingeplanten Termine tatsächlich stattfinden können. Der Landesverband Baden-Württemberg des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge hat sich vor Kurzem wegen einer Lesung gemeldet. Bildungsreferent Sebastian Steinebach möchte das besonders gerne machen, weil derzeit wieder der "Deutsch-französische Comic-Wettbewerb" des Verbandes läuft, der sich an junge Leute bis 20 richtet. Das diesjährige Motto passe gut zu Oskamps Comic, findet er: "Setz dich ein – Demokratie lebt durch uns!"

Eine weitere Anfrage an Oskamp bezieht sich auf das Jahr 2022. Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg kann sich dann eine Kooperation im Lern- und Gedenkort "Hotel Silber" vorstellen, wie Kurator Friedemann Rincke bestätigt.

Aktueller Hintergrund wäre dann das Erscheinen der erweiterten Neuauflage von "Drei Steine". Schon heute kündigt Oskamp an, dass da Gewaltszenen zu sehen sein werden, die er in der ersten Fassung aus pädagogischen Gründen weggelassen habe. Oskamp arbeitet seit langem an der Erweiterung, weil französische Verlage Interesse an einer Veröffentlichung haben, wie er erklärt. Dass ein deutscher Zeichner im Comic-Land Frankreich veröffentlicht, ist selten. Reizvoll wird die französische Version auch dadurch, dass, wie Oskamp anmerkt, die berühmte und in Frankreich besonders bekannte Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld ein Vorwort beisteuern will. Nils Oskamps Tourneen in Sachen Anti-Nazi-Prävention werden also – sobald das Corona-Virus das erlaubt – wohl auch im Ausland stattfinden.


Nils Oskamp, Drei Steine, Panini, 144 Seiten, 19,99 Euro.


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1 Kommentar verfügbar

  • Nordber
    am 25.03.2020
    Antworten
    Ein echter Held dieser Tage.

    Vielen Dank!
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